© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Kompromißlose Gangart
Hamburg: Mit großem Polizeiaufgebot läßt der Senat rechtsfreie Räume beseitigen/ Wagenburg "Bambule" könnte neues Symbol des Linksextremismus werden
Peter Freitag

Bereits im Koalitionsvertrag hatte der Hamburger Senat vor einem Jahr beschlossen: Die sieben in der Hansestadt bestehenden Bauwagen-Plätze sollen im Laufe der nächsten fünf Jahre geräumt werden. Am Montag vergangener Woche wurde daraufhin die Räumung auf Anordnung des Bezirksamtes Mitte gegen die mit fünfzig Wagen größte Siedlung "Bambule" an der Vorwerkstraße im Karolinenviertel (St.Pauli) durch die Polizei ausgeführt.

Noch Ende Oktober hatten die Bewohner der Bauwagen versucht, Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Verfügung, die bereits im August ergangen war, zu erheben; ohne Erfolg allerdings, denn das Gericht lehnte die Zulassung der Klage ab. Das zuständige Bezirksamt hatte im Sommer noch auf eine einvernehmliche Lösung gesetzt und den Bewohnern die Unterbringung in städtischen Sozialwohnungen angeboten. Diese bestanden jedoch auf eine gemeinsame Unterbringung. Eine längere Duldung der seit 1994 bestehenden "Bambule" lehnten CDU und SPD im Bezirk Mitte ab. Faktisch, so lautete die Begründung, seien die Bauwagen nicht geduldet, da das Hamburger Wohnwagengesetz solche Plätze nur übergangsweise zuläßt. "Leben im Bauwagen ist keine geeignete Wohnform in der Großstadt", hieß es im Beschluß der Bezirksversammlung.

Diese will nun die allgemeine Nutzung des Areals wieder sicherstellen, auf dem Gelände ist die Anlage von Gärten für die Nachbarhäuser geplant. Die dortigen Mieter hatten sich über Jahre hinweg wegen der Zustände in der Wagensiedlung belästigt gefühlt: Müll, Lärm und Qualm aus den Öfen hatten seit zwei Jahren Mietminderungen von 5000 Euro pro Jahr gegenüber der Wohnungsbaugesellschaft STEG nach sich gezogen. Anlaß zu Beschwerden waren auch immer wieder die mangelhaften sanitären Anlagen auf dem Platz, die zu "wilder Entsorgung" geführt hätten.

Während die Grün-Alternative Liste (GAL) die Zwangsräumung als "Kriminalisierung eines Teils des Lebens in der Metropole" ablehnte und eine "konsensuale Lösung in Form einer gemeinsamen Unterbringung" forderte, lobte Frank-Michael Bauer, Innenexperte der Fraktion der Schill-Partei in der Bürgerschaft, das konsequente Vorgehen von Senat und Polizei: "Wir beseitigen die letzten rechtsfreien Räume des alten Senats. Dafür sind wir gewählt worden und dieses Wahlversprechen halten wir auch." Den Vorwurf, die Bewohner seien auf die Straße gesetzt worden, ließ der Politiker nicht gelten. Es sei bezahlbarer Wohnraum angeboten worden, nur einem teureren Gemeinschaftswohnprojekt habe man eine Absage erteilt, weil dies dem Steuerzahler nicht zuzumuten sei, so Bauer in einer Presseerklärung.

Allerdings war Hamburgs Erster Bürgermeister dieser härteren Gangart im Vorfeld der Räumung doch nicht so kompromißlos gefolgt. Denn der CDU-Politiker wollte eine Eskalation tunlichst vermieden wissen und hatte doch eine gemeinschaftliche Unterbringung als Zwischenlösung bis Mai 2003 offeriert. Nur hatten die Bambule-Leute das Objekt in Bahrenfeld nach einer Besichtigung verworfen.

Nachdem den Bambule-Bewohnern in Verhandlungen mit Innenstaatsrat Walter Wellinghausen eine Demonstration genehmigt worden war, verlief die Räumung des Platzes weitgehend ohne Zwischenfälle, sieht man von einem durch den Protestzug entstandenen Verkehrschaos ab. Auf Lastwagen mußten die Hinterlassenschaften in Form großer Mengen Sperrmüll abtransportiert werden.

In der Nacht zum vergangenen Donnerstag kam es jedoch in St.Pauli zu gewalttätigen Ausschreitungen, als Fans des FC St.Pauli nach einer 0:3 Heimniederlage gegen Bremen sich mit Bambule-Angehörigen "solidarisierten". Rund 400 Polizisten, darunter Angehörige des Mobilen Einsatzkommandos, mußten über 1000 Demonstranten mit Hilfe von Schlagstöcken und Wasserwerfern sowie schwerem Räumgerät in Schach halten. Randalierer hatten Müllbehälter angezündet und etwa 20 Autos demoliert, darüber hinaus Polizisten mit Steinen, Flaschen und Leuchtspurmunition beworfen.

Bilanz der Nacht, die an jene unseligen Ausschreitungen um die besetzten Häuser in der Hafenstraße während der achtziger Jahre erinnerte: sieben Fest- und 56 Ingewahrsamnahmen, außerdem fünf leichtverletzte Beamte.

Vergangenen Samstag demonstrierten wiederum rund 150 Sympathisanten von Bambule gegen die Räumung, begleitet von einem etwa 800 Mann starken Polizeiaufgebot. Mit massiver Präsenz will die Innenbehörde jede weitere Eskalation bereits im Keim ersticken. Dafür mußte Innensenator Schill seine Zusage zurückziehen, Hamburger Bereitschaftspolizei zur Sicherung der Castor-Transporte ins niedersächsische Gorleben zu entsenden.

Der stellvertretende Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Manfred Murck, äußerte die Vermutung, Bambule könnte ein neues Symbol für Linksextreme werden, die wieder auf der Suche nach gemeinsamer Identifikation seien. So nimmt es nicht wunder, daß auf dem Internetforum indymedia für den 16. November zu einer bundesweiten Demonstration für Bambule aufgerufen wird.

Das Vorgehen des Senats entspringe einem "Wahn nach Recht und Ordnung", die Bauwagen-Bewohner habe man wie "Geächtete im Mittelalter" behandelt. Die Szene bedauert insbesondere, daß die unter rot-grüner Regierung munter ausgestreuten finanziellen Zuwendungen für Projekte wie "Rote Flora", in denen es zuweilen rechtsfrei zuging, mittlerweile gestrichen wurden.


 
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