© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Keine grundsätzliche Richtungsänderung
Israel: Die "Regierung der Nationalen Einheit" ist zerbrochen / Neuwahlen am 28. Januar 2003 / Kein Rechtsrutsch zu erwarten / "Tauben" in der Defensive
Ivan Denes

Es ist schwer, gegen Vorurteile anzuschreiben, besonders wenn es um jüdische Belange geht. Seit der Möllemann-Affäre hat sich in der bundesdeutschen Öffentlichkeit die Überzeugung verfestigt, der israelische Premier Ariel Scharon sei ein "Rechtsextremist", den zu kritisieren daher "erlaubt" sei. Und was auf dem heiß diskutierten FDP-Wahkampffaltblatt bezüglich des israelischen Premiers stand, klingt auch in linken Kreisen nicht viel anders.

Nun wohl, Kritik ist in einem Land, in dem Meinungsfreiheit herrscht, natürlich unantastbar. Jedoch das Bild, das sich die deutsche Öffentlichkeit von Scharon vorzeichnen ließ - nicht nur von proarabischen Lobbyisten wie dem Chef der Deutsch-Arabischen Gesellschaft Jürgen Möllemann - hat in den letzten Tagen allerdings ein handfestes Dementi erfahren.

Der Verlauf der Ereignisse: Der bisherige Verteidigungsminister Benjamin (Fuad) Ben-Eliezer, der gleichzeitig Vorsitzender der traditionsreichen sozialdemokratischen Arbeitspartei (IAP) ist, hat im Vorfeld eines Parteikonvents, auf dem die Neuwahl des Vorsitzenden stattfinden soll, die Stimmen des linken IAP-Flügels dadurch zu gewinnen versucht, daß er die nationale Einheitskoalition mit Scharons Likud-Partei am 30. Oktober kündigte. Daraufhin versuchte der Ministerpräsident eine kleine Koalition mit Parteien vom rechten Rand zusammenzustellen, da er nun in der Knesset, dem israelischen Parlament, keine dauerhafte Mehrheit mehr hatte.

Und mit Hilfe rechter Stimmen überstand der Etatentwurf der Regierung dann zunächst auch die erste Lesung in der Knesset. Letzte Woche ernannte Scharon - als Nachfolger von Ben Eliezer - den früheren Generalstabschef Schaul Mofaz zum Verteidigungsminister. Außerdem forderte er den früheren Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu auf, den Posten des Außenministers zu übernehmen, anstelle von Schimon Peres, dem 78jährigen IAP-Veteran, dem seit dem Zusammenbruch des von ihm mitverhandelten Osloer Friedensabkommens kein diplomatischer Erfolg mehr beschieden war. Netanjahu sagte zu, unter der Vorbedingung vorgezogener Neuwahlen - und mit der heimlichen Hoffnung, dann Scharons Platz wieder einnehmen zu können. Scharon lehnte daher zunächst die Neuwahlforderung seines langjährigen Konkurrenten für das Amt des Likud-Vorsitzenden ab.

Als jedoch Avigdor Lieberman, Chef des kleinen rechtsgerichteten Parteienbündnisses "Nationale Union/Israel Beiteinu", Scharon programmatische Bedingungen stellte, die einen massiven Schwenk der israelischen Politik nach rechts bedeutet hätten, lehnte Scharon, trotz seiner prekären politischen Lage, glatt ab: Er lasse sich politisch nicht erpressen, er wolle an seiner Mitte-Rechts-Politik festhalten. Worauf Lieberman am 4. November in der Knesset zornig erwiderte: "Wir sind doch nicht der Kaugummi, der euch zusammenhält und den ihr nach Gebrauch ausspucken könnt."

Doch ohne die sieben Mandate der Nationalen Union hatte Scharons Kabinett keine Mehrheit mehr. Und so schlug der 74jährige Premier am 5. November Staatspräsident Mosche Katsav die Auflösung der 15. Knesset und die Ausschreibung von Neuwahlen vor. Katsav stimmte zu, obwohl er in der Vorwoche noch einer "Regierung der Nationalen Einheit" eindringlich das Wort geredet hatte. Als Wahltermin wurde inzwischen der 28. Januar 2003 festgelegt.

Sollte der Konvent der Likud-Partei am 28. November Scharon wieder zum Parteichef und zum Ministerpräsidentenkandidaten wählen, wird es jedoch keinen "Rechtsruck" in der israelischen Politik geben, wie von zahlreichen Kommentatoren hierzulande behauptet. Wird jedoch der 53jährige Außenminister Netanjahu das Rennen machen, könnte es sehr wohl zu Änderungen kommen: Scharon hat US-Präsident George W. Bush versprochen, im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Palästinensern die Person Jassir Arafats nicht anzutasten - obwohl Bush schon längst dessen Ablösung und Ersetzung durch einen friedens- und demokratiewilligeren palästinensischen Politiker gefordert hat. Netanjahu verkündete hingegen kurz nach seinem Amtsantritt, der bevorstehende Krieg der USA gegen den Irak werde eine günstige Gelegenheit bieten, um Arafat des Landes zu verweisen. Scharon erklärte, er sei bereit den "Fahrplan" von Bush für den Friedensprozeß zu akzeptieren, Netanjahu vertritt die Ansicht, die Zustimmung oder Ablehnung müsse bis nach der Lösung des Irak-Konfliktes verschoben werden.

Ob mit Scharon oder mit Netanjahu: Umfragen sagen voraus, daß der Likud die Zahl seiner Mandate von 19 auf etwa 30 erhöhen könnte, während die IAP von 24 auf 20 Sitze abstürzt. Auf dem IAP-Konvent am 19. November muß Ben Eliezer, der die bisherige Politik der Scharon-Regierung, die er jetzt heftig kritisiert, aber selbst 20 Monate lang mitgetragen hat, um seine Wiederwahl bangen. Sollte er dort von Amram Mitzna (Bürgermeister von Haifa) abgelöst werden - einem Beschwichtigungspolitiker, der, trotz der mörderischen "Zweiten Intifada", den Oslo-Prozeß und die Verhandlungen mit den Palästinensern wiederbeleben will -, könnte die IAP womöglich eine noch dramatischere Niederlage erleben.

Die überwältigende Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit ist längst der Ansicht, daß es Arafat letztendlich nicht um eine Politik von "Land für Frieden" und einen Palästinenserstaat in den besetzten Gebieten geht, wie 1995 in Oslo vereinbart. Die Mehrheit der israelischen Wähler glaubt, auch Arafat gehe es in Wahrheit um die Zerschlagung des Judenstaates. Den Palästinensern ist es sogar "gelungen", durch den zweijährigen Selbstmordterror die kompromißbereite israelische Arbeitspartei in die politische Wüste zu verbannen.

Auch die Nationalreligiöse Partei des Ex-Generals Effi Eitan - er ist zwar Mitglied der gegenwärtigen Koalition, steht aber weit rechts von Scharon - rechnet sich Chancen aus, durch Aufnahme mehrerer orthodoxer Splittergruppen auf über zehn Mandate in der insgesamt 120 Abgeordnete zählenden Knesset zu kommen. Die Schas-Partei der religiösen (sephardischen-orientalischen) Juden, die zur Zeit auch den Innenminister stellt, wird aller Voraussicht nach wiederum um die 15 Prozent der Stimmen bekommen und so drittstärkste Kraft bleiben.

Eine grundsätzliche Richtungsänderung der israelischen Politik in Richtung der "Tauben" verschiedener Couleur ist durch die Wahlen nicht zu erwarten. Einen wahrnehmbaren "Rechtsruck" einer neuen Likud-Regierung wird es aber ebenfalls nicht geben: viele Beobachter meinen, Netanjahus Bemühungen, Scharon "rechts" zu überholen seien rein wahltaktischer, opportunistischer Natur. Für reale Kontinuität wird jedoch nur der oft verkannte und verleumdete Ariel Scharon sorgen können.


 
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