© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002


"Demokratie mit dicken Prügeln einbleuen"
Die Kompromittierung des Bundesverteidigungsministers Franz Josef Strauß durch den "Spiegel" entsprach den Absichten des KGB
Helmut Bärwald

Ab Ende der vierziger Jahre bis zum Zusammenbruch des Ostblocks betrieben etliche der sozialistischen Diktaturen eine massive politisch-psychologische Kriegsführung gegen demokratische Länder, insbesondere gegen die Bundesrepublik Deutschland. Ein wesentlicher Bestandteil, eine der wichtigsten Waffen dieses Krieges, waren (im Jargon des sowjetischen KGB) sogenannte "Aktive Maßnahmen". Im Krieg des SED-Staates gegen die "kapitalistisch-imperialistische" Bundesrepublik Deutschland gehörten diese "Aktiven Maßnahmen" zur "Westarbeit".

Zu den Zielen und Stoßrichtungen zählten unter anderem die Beeinflussung der öffentlichen und veröffentlichten Meinung im "Zielgebiet" für die sozialistische Ideologie und Politik und gegen die Demokratie, gegen demokratische Politiker und Institutionen; die Störung und Beeinflussung der politischen Willensbildung sowie die Diffamierung, Zersetzung und Zerstörung von politischen Gruppierungen und der Reputation von Personen, die als kämpferische Antikommunisten hervortraten. Dabei nutzten die Apparate der politisch-psychologischen Kriegsführung auch Journalisten, Schriftsteller und Angehörige anderer Berufsgruppen, die auf die Öffentlichkeit Einfluß ausüben können. Nicht in jedem Fall war den "Benutzten" klar, aus welchen Quellen das "wertvolle" Material stammte.

Der 1968 in den Westen geflüchtete ehemalige tschechoslowakische Geheimdienstoffizier Ladislav Bittmann bestätigte und ergänzte westlichen Abwehrorganen vorliegendes Wissen über diese Methode des politisch-psychologischen Krieges: Redaktionen, die ein kommunistischer Geheimdienst nicht unmittelbar beeinflussen konnte, werden mit besonders großer Aufmerksamkeit bedacht, sofern sie das Vertrauen der Öffentlichkeit genießen und überregionalen Einfluß auszuüben vermögen. Bittmann nannte ausdrücklich die New York Times, das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und die Zeitschrift Stern.

Im Frühjahr 1987 sagte der ehemalige KGB-Offizier Ilja Dzhirkwelow vor einem Londoner Gericht im Prozeß der Athener Zeitung Ethnos gegen die Londoner Wochenzeitschrift The Economist aus. Diese hatte über eine mutmaßliche Unterwanderung der griechischen Zeitung durch das KGB berichtet. Der Zeuge, der viele Jahre als Spezialist für Desinformations-Aktionen beim KGB tätig war, erklärte in seiner Aussage unter anderem: "Das erste Mal, als ich mit Oberst Sitnikow (damals stellvertretender Chef der Abteilung 'Desinformation') zusammenarbeitete, ging es um die Kompromittierung des Verteidigungsministers der Bundesrepublik Deutschland, Franz Josef Strauß. Wir benutzten das Magazin Der Spiegel für einen Artikel, der ihn bloßstellte. Der Artikel erfüllte seinen Zweck und Strauß mußte zurücktreten."

Im Januar 1981 hielt der britische konservative Politiker und Verleger James Goldsmith vor dem Medienausschuß der Konservativen Partei im Unterhaus ein Referat zum Thema: Die sowjetische Propaganda und die Manipulation veröffentlichter Meinung und von Medien im Westen durch "Westarbeits"-Apparate der KPdSU und durch den Geheimdienst der Sowjetunion KGB.

James Goldsmith erwähnte in diesem Zusammenhang auch die vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel gegen Franz Josef Strauß, vor allem während seiner Tätigkeit als Verteidigungsminister, geführte Kampagne, die tatsächlich, behauptete Sir James, vom KGB inszeniert worden sei.

Der Verleger Rudolf Augstein und der Spiegel-Verlag verklagte daraufhin Goldsmith und das Magazin NOW!, das den vollen Wortlaut des Goldsmith-Referates abgedruckt hatte. Sir James blieb gelassen, er war sich seiner Sache sicher, erhob Gegenklage und veranlaßte und förderte intensive Nachforschungen in aller Welt, um dem Gericht weitere Beweise vorlegen und Zeugen benennen zu können.

Seine Anwälte baten mich um Untersuchung, ob und inwieweit an der Spiegel-Kampagne gegen Franz Josef Strauß das KGB und andere kommunistische Geheimdienste und "Westarbeits"-Apparate beteiligt waren.

Ausgangspunkt für alle folgenden Nachforschungen war diese sehr bald offenbar werdende Tatsache: Die zeitliche Parallelität und die Analogie der Spiegel-Attacken gegen Strauß in der Konzeption, hinsichtlich der Angriffspunkte und auch in der Terminologie mit den Anti-Straußkampagnen in der Sowjetunion, im SED-Staat und anderen sozialistischen Ländern. Im Verlauf der weiteren Untersuchung wurde die gleiche strategische Ausrichtung der Spiegel-Kampagne gegen Strauß in den Jahren 1956 bis 1965 und der im selben Zeitraum stetig forcierten Anti-Straußkampagne der Kommunisten immer deutlicher.

Eine exemplarische dokumentarische Zusammenstellung macht die inhaltliche, konzeptionelle, politische und psychologische Übereinstimmung ausgewählter Beiträge des Spiegel mit entsprechenden Veröffentlichungen in dem Zentralorgan der SED, Neues Deutschland, in der tschechoslowakischen KP-Zeitung Rude Pravo sowie in der Prawda, dem Zentralorgan der KPdSU, offenbar. Die massive "Agitationseinheit" von Spiegel und kommunistischen Publikationen war nicht zu übersehen. Die "Zusammenarbeit" ging so weit, daß in einigen Fällen zum Beispiel das Neue Deutschland Beiträge im Spiegel zum Thema Strauß bereits Tage vor Erscheinen des Magazins zitierte.

Gern zitierten kommunistische Publikationen auch die namentlich gezeichneten Kolumnen und Kommentare Rudolf Augsteins, alias Jens Daniel alias Moritz Pfeil, die oft das Maß erträglicher, intellektuell redlicher Polemik überschritten. So schrieb Augstein im September 1962 in seiner Kolumne "Lieber Spiegel-Leser!":

"Wer uns verübelt, daß wir einen wichtigen Mann (gemeint ist Franz Josef Strauß - H.B.) mit Skandalen zudecken, dem antworten wir: Die Geistesverfassung des westdeutschen Wählervolkes und seiner Regierungsmehrheit läßt uns keine andere Wahl. Demokratie kann in diesem Land offenbar nur mit dicken Prügeln eingebleut werden." Welche Art von "Demokratie" ist damit wohl gemeint?

Die Ergebnisse der erwähnten Untersuchung wurden zusammen mit anderen Beweisunterlagen und Zeugenaussagen von den Anwälten Sir James' dem "High Court of Justice, Queens' Bench Division" in London vorgelegt. Die Anwälte des Spiegel-Verlages zogen daraufhin die Klage zurück. Vor Gericht kam es zu einer Vereinbarung, in der Augsteins Anwälte ausdrücklich die Ansicht Sir James' akzeptieren, "daß, ganz allgemein gesprochen, der sowjetische Geheimdienst versucht, so zu arbeiten, wie von meinem Kollegen beschrieben, obwohl sie selbst sich dessen nicht bewußt sein, daß sie in der von Sir James Goldsmith erwähnten Weise benutzt worden sind".

Sir James bezeichnete in einer Erklärung den Ausgang des Prozesses als einen "Sieg für die Verteidigung des Westens". Das vorhandene Beweismaterial sei ausreichend, um zu beweisen und festzustellen, daß die Benutzung des Spiegel vom KGB und anderen Organen des sowjetischen Staates nur eines unter einer immensen Anzahl ähnlicher Beispiele in der ganzen Welt ist.

"Spiegel"-Titelbild vom 7. November 1962: Rudolf Augstein saß 103 Tage in Untersuchungshaft

 

Helmut Bärwald trat 1949 in das Ostbüro der SPD ein, das er von 1966 bis zur Auflösung des Büros im Januar 1971 leitete. Seitdem ist er als freier Publizist tätig.


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