© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Vom Sinn des Feierns
von Rolf Sauerzapf

Fester Bestandteil unserer christlich-abendländischen Kultur sind die Feiertage, die bis heute oft den Charakter gesetzlicher Feiertage tragen. Dabei ist der älteste und bis heute wichtigste der Sonntag. Dieser ist schon sehr früh im christlichen Römerreich am ersten Tag der Woche als geschützter Feiertag eingerichtet worden. Man ging dabei von der biblischen Zählung der Wochentage aus: Nach 1. Mose 1 schuf Gott die Welt in sechs Tagen; "am siebten ruhte er von seinen Werken". Dieser siebte Tag, der Ruhetag, ist der Samstag, der Sabbat der Juden. Am ersten Tag der Woche aber erschien der auferstandene Jesus Christus den Frauen an seinem Grab, als sie die Grabesstätte aufsuchten, um ihn zu "salben".

Es blieb der UNESCO vorbehalten, vor einigen Jahren den Sonntag zum letzten Wochentag "umzufunktionieren"; alle Kalender - bis auf die dezidiert christlichen - führen seither den Sonntag an letzter Stelle im Wochenkreis.

Mit dem Sonntag als gesetzlichem Feiertag im Abendland (und später auch in den christlich geprägten Ländern in Übersee, vor allem den USA) bekam die Arbeitswoche ihren festen Rhythmus mit dem Sonntag als Höhepunkt. Dieser war nicht nur ein Ruhetag (wie der jüdische Sabbat), sondern ein Tag, der vom Gottesdienst mit Predigt und Sakramentsempfang bestimmt war. Menschen schöpften am Sonntag Kraft für die neue Woche. Die Werktage waren von dem Glanz, der vom Sonntag ausging, geprägt.

Die Bolschewisten in Rußland setzten in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein Experiment an und führten aus angeblich wirtschaftlichen Gründen den zehnten Tag als Ruhe- und Feiertag ein. Nach kurzer Zeit wurde dieses Experiment wieder außer Kraft gesetzt: Der Siebener-Rhythmus und die damit verbundene christliche Tradition waren stärker. In reformierten und puritanisch geprägten Ländern wie England und Schottland, aber auch den Niederlanden erfuhr der Sonntag geradezu Sabbatcharakter: Lustbarkeiten und sportliche Veranstaltungen waren verboten. Mit dem verlängerten Wochenende (für viele Menschen schon ab Freitagmittag) kam es in Europa verstärkt zu einer Aushöhlung des Sonntags: Geschäfte sind in vielen Ländern am Sonntagvormittag geöffnet. Samstag und Sonntag bilden eine Gelegenheit zu Ausflügen und sportlichen Veranstaltungen. Der Freizeitwert ist für viele Menschen das Wichtigste.

In allen Kulturen, die von den jeweiligen Religionen geprägt wurden, gab es als Höhepunkte im Jahreslauf Feste. So liegen auch vielen christlichen Festen vorchristliche (heidnische) Anlässe zugrunde.

Das bekannteste und bis heute in deutschen Landen beliebteste Fest ist Weihnachten, mit dem erstmals 1500 im damals deutschen Straßburg aufgekommenen Weihnachts- oder Christbaum, dem Brauchtum, das Weihnachten zum "Fest der Familie" machte. Dem Weihnachtsfest zugrunde lag aber schon im heidnischen Römerreich das Saturnalienfest, in nordischen Ländern das Julfest mit seiner Beziehung zur Wintersonnenwende. - Ostern hatte seinen heidnischen Ursprung im Fest der germanischen Frühlingsgöttin Ostara. Pfingsten war bei den Germanen das Fest "Hohe Maien" im lieblichsten Monat, dem "Wonnemonat" Mai. - Aber auch heutige "kleinere" Feste gehen großenteils auf frühere germanische Feste zurück: So das Epiphanienfest am 06. Januar, das früher als Perchtentag mit maskierten Umzügen begangen wurde. - Die Fastnachtszeit war ein Frühlings- und Fruchtbarkeitsfest, durch das der Winter ausgetrieben wurde. - Das Fest Christi Himmelfahrt - an einem Donnerstag zehn Tage vor Pfingsten begangen - erinnerte ursprünglich an "Hammers Heimholung" durch Donar (von daher "Donnerstag").

Mit der Christianisierung der Germanen, vor allem durch Winfrid Bonifatius, der die Kirche im Frankenreich fest an Rom band, wurden zwar Donareichen gefällt, viele heidnische Feste und Bräuche aber "getauft". So wie die katholische Kirche auf Wotanshügeln Michaelskirchen und -kapellen errichtete, so übernahm sie die heidnischen Feste und gab ihnen einen christlichen Inhalt: Weihnachten galt jetzt als "Christfest", als der Tag, an dem an die Geburt des Gottessohnes Jesus Christus gedacht wurde. Nach dem Gründonnerstag (der seinen Namen wohl vom "Greinen" = Weinen hat), kam der Karfreitag (von Kara = Klagen). Das Fest der Auferstehung Jesu Christi wurde auf Ostern verlegt. - Als "kleines Fest" wurde der 6. Januar als "Fest der Erscheinung" (Epiphanias) begangen, an dem nach der biblischen Mythologie die drei Magier (ursprünglich keine Könige) das Kind im Stall von Bethlehem besuchten. In der Fastnachtszeit sollten die Gläubigen sich noch einmal austoben, bevor am Aschermittwoch die Fastenzeit begann.

Aus "Hammers Heimholung" wurde "Christi Himmelfahrt". Das dritte große Fest war ursprünglich Pfingsten (von Pentecoste = 50 Tage nach Ostern), das an die Ausgießung des Heiligen Geistes erinnern sollte. Dieses vorsommerliche christliche Fest ist im vergangenen Jahrhundert wohl als erstes zu einem Ausflugs- und Erholungsfest degeneriert. Vielleicht auch, weil sich viele Menschen unter dem heiligen Geist nichts Konkretes vorstellen konnten.

Besonders die katholische Kirche hat neben diesen "großen" und "kleinen" Festen, die meistens auch Feiertagsschutz genossen, noch zahlreiche konfessionelle Feste begangen: Man denke an das Fronleichnamsfest, das mit dem demonstrativen Zeigen der Monstranz ein Fest der Gegenreformation war. Allerheiligen und Allerseelen spielte eine große Rolle als Gedenktag aller Heiligen und Gedenktag der Toten. Aber auch viele Marien- und Heiligenfeste wurden gefeiert. So soll es im katholisch geprägten Bayern noch vor 50 Jahren 18 Fest- und Feiertage mit christlich-katholischem Charakter gegeben haben, die gefeiert wurden.

Die Reformation hat die "großen" christlichen Feste als "Christusfeste" gefeiert. Dazu kam als "der" protestantische Hauptfeiertag der Karfreitag als Todestag Jesu Christi dazu, der ales "stiller" Tag, an dem die Farbe "Schwarz" vorherrschte, begangen wurde. Der Buß- und Bettag im November wurde in Anknüpfung an die staatlich verordneten "Bußtage" der Türkenbedrohung, von dem preußischen König Friedrich Wilhelm III eingeführt und von den meisten evangelischen Landeskirchen übernommen. Am 31. Oktober wurde an den Thesenanschlag Martin Luthers 1517 in Wittenberg erinnert (Reformationstag). Der letzte Sonntag im Kirchenjahr war der "Totensonntag" mit dem Totengedenken.

Mit der Abschaffung des evangelischen Buß- und Bettages vor einigen Jahren zugunsten der "Pflegefinanzierung" hat die evangelische Kirche dem Drängen der Politiker nachgegeben. Ich hätte es für richtiger gehalten, den Oster- und Pfingstmontag zu "opfern", für dessen Beibehaltung es außer dem "Freizeitwert" keinen ernsthaften Grund gibt. An dieser Regelung aber ersieht man die Unwahrhaftigkeit dieser Diskussion um die christlichen Fest- und Feiertage: Die glühendsten Vertreter der Erhaltung dieser Feiertage sind die Gewerkschaften, die hier für ihre "Besitzstandswahrung" kämpfen. Aus diesem Grunde setzen sie sich auch für die Beibehaltung des Festes "Christi Himmelfahrt" (im Volksmund "Vatertag" genannt) und des katholischen Fronleichnamsfestes ein. Da beide Feste auf einem Donnerstag liegen, besteht hier die Möglichkeit durch Urlaubnehmen am darauffolgenden Freitag ein ganzes verlängertes Wochenende in bester Jahreszeit zu bekommen.

Nach der Einheit wurden in den neuen Bundesländern die bis dahin zum Teil abgeschafften christlichen Feiertage wieder eingeführt, ohne daß damit den meisten Menschen der Sinn dieser Tage bewußt gemacht wurde. Man muß einmal mit jungen Menschen aus Berlin, Chemnitz oder Rostock in einer Kirche gewesen sein: Völlig ahnungs- und verständnislos stehen viele vor den christlichen Symbolen und Bildern einer Kirche. Vom "Festkreis", der sich im Jahreskreis der christlichen Feste widerspiegelt, haben die meisten keine Ahnung. Dabei wäre dies eine wichtige Chance für die Kirchen, vor allem die evangelische, der in Mitteldeutschland traditionell die meisten Menschen angehörten. Für Religionsunterricht, Erwachsenenbildung und Volksmission eine gute Möglichkeit, der viele Pfarrer hilf- und verständnislos gegenüberstehen. Es ist selbstverständlich, daß niemandem der Gottesdienstbesuch und das Feiern christlicher Feste aufgedrängt werden sollen. Aber daß in der christlichen Existenz Feste und Höhepunkte eine wichtige Rolle spielen, sollte deutlicher bekannt und dazu eingeladen werden. Schon die rechte Feier des Sonntags könnte eine Kraftquelle für viele Menschen sein, die auch deshalb daneben den Montag nicht als "blauen Montag" zu begehen brauchen. So tun die Kirchen auch gut daran, um der Menschen willen für die Erhaltung und den Schutz der christlichen Feiertage zu kämpfen.

Nicht nur die christlichen Feiertage werden von vielen Menschen "ausgehöhlt" und nicht mehr richtig begangen. Schon in der alten Bundesrepublik sind viele am "Tag der deutschen Einheit", der am 17. Juni an den Volksaufstand in der DDR 1953 erinnern sollte, lieber ins Schwimmbad gegangen oder über Land gefahren als an Kundgebungen und Gedenkveranstaltungen teilzunehmen. Aber auch der neue "Tag der Einheit", der 3. Oktober, ist im Grunde ein glanzloser Feier- und Gedenktag geblieben. Die durch eine friedliche Revolution in Mitteldeutschland erreichte deutsche Einheit bedeutet heute vielen Menschen in Deutschland nicht mehr viel. Anstelle von Euphorie und ansteckender Freude ist für viele das Klagen und Jammern, das Vergleichen und Resignieren getreten. Nur beim Fußball bei großen Siegen kommt es zu "nationalen" Bekundungen - und leider auch Ausschreitungen.

"Führers Geburtstag" weint niemand nach. Aus "Kaisers Geburtstag", dem 27. Januar, hat ein Bundespräsident den "Holocaust-Gedenktag" gemacht. Vom 18. Januar als dem "Reichsgründungstag" des modernen Deutschen Reiches von 1871 wissen fast nur noch Angehörige der älteren Generation und der Studentenkorporationen. Daß dahinter der 18. Januar 1701 als Gründungstag des Königreichs Preußen in Königsberg stand, - des großen modernen Rechtsstaat der deutschen Geschichte - wissen nur noch "Eingeweihte" und "Preußen-Fans".

Nur an dem 1. Mai, dem "Kampftag der internationalen Arbeiterklasse", wird eisern festgehalten. Dabei will kaum jemand wahrhaben, daß diesen staatlichen Feiertag kein Geringerer als Adolf Hitler 1933 im Deutschen Reich einführte. Hat morgen der 8. oder 9. Mai als "Tag der Befreiung vom Faschismus" 1945 eine Chance, bei uns eingeführt zu werden? "DDR light" läßt grüßen!

Daß es mit der deutschen und europäischen Kultur nicht zum Besten steht, gestehen viele Menschen ein. Sie machen dafür vielfach die Schulen und Universitäten verantwortlich. Dabei ist "Kultur" etwas, das zunächst einmal in der Familie gepflegt und verwirklicht werden müßte. Jede Kultur ist im Grunde religiös begründet. Wer von christlich geprägter Kultur nichts wissen will, wird zwangsläufig eine neuheidnisch oder materialistisch ausgerichtete Zivilisation praktizieren. Man muß dabei nur wissen, was man tut.

Ich möchte mich dafür einsetzen, daß wir uns auf unsere deutsche und europäische, christlich geprägte Kultur neu besinnen und sie verwirklichen. Auf daß das Leben in unserem Lande auch für unsere Kinder und Enkel lebenswert und erlebnisreich bleibt.

Wie die Lebenszeit eines Menschen ihre Phasen, Abschnitte, Höhepunkte und Tiefen hat, so auch der Ablauf im Leben eines Volkes. Heute haben wir bei einer längeren Lebensdauer als vor 100 Jahren den "dritten Lebensabschnitt" - die Zeit des Älterwerdens und des Ruhestandes - neu entdeckt. Gerade dabei brauchen Menschen Höhe- und Markierungspunkte, eben Feste. Am einleuchtendsten ist dabei den Menschen der Geburtstag, der als "runder" Geburtstag wichtig geworden ist. An einem 80., 90. oder gar 100.Geburtstag nehmen nicht nur die Angehörigen teil; auch die Öffentlichkeit zollt einem solchen Anlaß Tribut mit Glückwunschschreiben und Auszeichnungen.

Dieser Jahreskreis, wo Naturfeste unserer germanischen Vorfahren mit den persönlichen Daten und Einschnitten verbunden wurden, erfuhr im Abendland durch die katholische Kirche seine besondere Ausprägung. Die Kirche bezog in den Rhythmus des Naturjahres die christliche und biblische Heilsgeschichte mit ein. Dabei trug sie geschickt der Sehnsucht der Menschen nach Licht und Leben an Weihnachten Rechnung; das Verlangen nach Fruchtbarkeit und Fülle schlug sich im Osterfest nieder, das durch den Sieg Christi über den Tod zum höchsten Fest der Christenheit wurde.

Dabei ist es keineswegs so gewesen, daß die Kirche feste heidnische Feste und Bräuche einfach "besetzte". Dies kann besonders gut an den drei Festen Ostern, Weihnachten und Pfingsten aufgezeigt werden. Das Osterfest wurde schon im 2. Jahrhundert von den Christen gefeiert. Nach einem Streit zwischen der kleinasiatischen Kirche und der zu Rom setzte sich der römische Brauch durch: In Rom und im Abendland wurde der Sonntag nach dem 14.Nisan (des jüdischen Kalenders) als Fest der Auferstehung Christi im 3. Jahrhundert begangen. - Das Weihnachtsfest wurde in Rom bereits um 350 n. Chr. gefeiert. Das Pfingstfest schließlich im 4. Jahrhundert als Fest der "Ausgießung des Heiligen Geistes", des "Geburtstages der Kirche".

Man sprach davon, daß die katholische, aber auch die orthodoxe Kirche des Ostens Feste, die sie im Volksbewußtsein vorfand, "getauft" hat. Diese christlichen Feste haben dann im deutschen Kultur- und Sprachraum eine besondere Ausprägung erfahren. Bis heute feiern die meisten Menschen in unseren Breiten das Weihnachtsfest in der Familie. Hier kommt es sogar dazu, daß unter dem Weihnachtsbaum gesungen und in manchen Familien das Evangelium nach Lukas, Kapitel 2 verlesen wird. Ein "weißes" Weihnachten verleiht dem Fest seinen besonderen Reiz.

Alle Versuche, im Kommunismus oder Nationalsozialismus die christlichen Feste abzuschaffen oder umzufunktionieren, sind im Grunde gescheitert. Die Gefahr in der westlichen, ursprünglich christlichen Welt liegt darin, daß - besonders an Weihnachten, aber auch in der Zeit davor, der Adventszeit - eine materialistische "Kaufwut" mit der damit verbundenen Hektik um sich greift.

Gewissermaßen konkurrieren das säkulare Jahr und das Kirchenjahr so miteinander: Das Kirchenjahr beginnt mit dem 1. Adventssonntag; der 1. Januar als Neujahrstag hat liturgisch kaum eine Bedeutung. Als Tag der Beschneidung und Namensgebung Jesu spielt er eine untergeordnete Rolle. Im Römischen Reich wurde der 1. März als Beginn des neuen Jahres begangen. Auch im christlichen Frankenreich feierten die Menschen noch bis ins 8. Jahrhundert den 1. März als Neujahrstag. Der julianische Kalender hat dann schließlich auch für das Abendland den 1. Januar festgelegt.

Gerade für junge Menschen ist es wichtig, daß sie den Übergang von der Kindheit ins Jugendalter bewußt begehen. Früher war das 14. Lebensjahr, in dem die meisten jungen Menschen aus der Volksschule kamen, mit der Konfirmation ein solcher wichtiger Anlaß. Es ist bezeichnend, daß das SED-Regime die Entscheidung Konfirmation oder Jugendweihe erzwang. An dieser Frage ist es aber auch zu den größten Einbrüchen in der evangelischen Kirche gekommen. Das Beklemmende liegt darin, daß in den neuen Bundesländern auch heute noch nur wenige den Weg zur Konfirmation finden. Die meisten nehmen an einer - wie auch immer gestalteten - Form der Jugendweihe teil. Wo die Schule und oft sogar der Kindergarten als Einübung in unsere Fest- und Feiertagskultur weitgehend ausfallen, müssen Eltern vorbildhaft auf ihre Kinder einwirken. Auch der Freundeskreis ist hier gefordert.

 

Dr. Rolf Sauerzapf, Kirchenrat, ist ehemaliger Dekan der Evangelischen Seelsorge beim Bundesgrenzschutz.


 
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