© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002


Krise
Meuterei auf dem Golfplatz
Dieter Stein

Nun hat die Wirtschaftskrise auch bürgerliche Vororte erreicht. Seit auch bei der altehrwürdigen Frankfurter Allgemeinen aufgrund der desolaten Lage Redakteure entlassen und Honorare gekürzt werden, haben plötzlich einige dort Pulverdampf in der Nase. So schrieb im Feuilleton der letzten Sonntagsausgabe ein Autor namens Sascha Lehnartz, der sich auch schon mal in Berlin als Kabarettist versucht hat, neckisch einen "Freundlichen Aufruf zur Revolte". So ernst ist die Lage denn doch nicht, denn aufgeräumt fragt der FAZ-Autor: "Wollen Sie nicht mitmachen beim Systemwechsel?" Als ob nicht Journalisten den Medien-Kanzler Schröder hochgeschrieben hätten, fragt Lehnartz: "Sind wir ein Volk von Menschen, die auf Geburtstagsfeiern dem besoffensten den Autoschlüssel in die Hand drücken, um uns nach Hause zu fahren?"

Jetzt, aber wirklich, jetzt ist der Moment da, wo selbst das mit Bausparverträgen und Airbag auf dem Beifahrersitz rundum abgesicherte Bürgersöhnchen die Faust in der Tasche ballen soll? "Vor Empörung aufschreien" solle man! Die Regierung sei "in etwa so segensreich wie ein Luftangriff". Schön, daß die "tiefe Krise unseres politischen Systems" auch in der Frankfurter Hellerhofstraße allmählich registriert wird.

Spätestens entsichert man die Browning jedoch, wenn ein hipper Popjournalist der "Generation Golf" in der FAZ das "Gemeinwohl" (selbstverständlich in Anführungsstrichen) entdeckt. Wohl weil der Neue Markt im Eimer ist. Vom Egotrip als Großstadt-Single zur Sorge um die "Auflösung der Gemeinschaft"? Dem lächerlichen Ruf aus der Berliner Cocktailbar nach Revolutiönchen springt zwei Tage später Arnulf Baring höchstselbst im FAZ-Feuilleton bei:

"Bürger, auf die Barrikaden!", ruft der Professor uns aus Berlin-Zehlendorf in der "Stunde der Not" zu. Er registriert, daß Deutschland im Griff einer "drohnenhaften Herrscherkaste" sei. Bingo. Wir seien "heute nicht bedroht durch radikale Flügelparteien auf der Rechten oder Linken, sondern uns lähmt die Leisetreterei und Verantwortungsscheu der beiden Großparteien der Mitte". Haben die Bürger nicht das Parteiensystem, das sie verdienen? Baring ahnt bereits, es werde "von der Krise verschlungen", wenn nicht endlich durchgegriffen werde. Wenn dies nicht geschehe, "ist diese Republik am Ende".

Es ist nicht frei von Komik, wenn die FAZ, die aus Gründen der Political Correctness zu feige ist, Werbeanzeigen der JUNGEN FREIHEIT abzudrucken, Baring im Feuilleton die Bürger zu den Waffen rufen läßt: "Die Zeit ist reif für einen Aufstand gegen das erstarrte Parteiensystem. Ein massenhafter Steuerboykott, passiver und aktiver Widerstand, empörte Revolten liegen in der Luft. ... Wir dürfen nicht zulassen, daß alles weiter bergab geht, hilflose Politiker das Land verrotten lassen. Alle Deutschen sollten unsere Leipziger Landsleute als Vorbilder entdecken, sich ihre Parole des Herbstes vor dreizehn Jahren zu eigen machen: Wir sind das Volk!" Baring hat ja so recht. Wenn aber auf etwas in Deutschland Verlaß ist, dann auf die Feigheit seiner bürgerlichen Klasse.


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