© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
"Verwundete werden nicht zurückgelassen"
Eliteverband der Bundeswehr: Das Kommando Spezialkräfte (KSK) bekommt selbst für lebensbedrohende internationale Einsätze nur minimale Zulagen
Michael Waldherr

Scharfer Einsatz: Keiner sieht sie kommen. Keiner weiß, daß sie da sind. Wenn ihre Mission beendet ist, ist nichts mehr wie zuvor - und doch gibt es keinen Beweis dafür, daß sie jemals da waren. Die Männer aus dem Dunkeln gehören zum Kommando Spezialkräfte (KSK). Das ist Deutschlands militärische Sondereinheit und der geheimnisumwittertste Verband der Bundeswehr.

"Wenn wir den Mantel des Schweigens um uns hüllen, dann tun wir das nur, um unsere Männer vor Ausspähung und terroristischen Anschlägen zu schützen. Wir wollen wenig von unseren Einsatzverfahren offenlegen, um den Erfolg unserer Aktionen nicht zu gefährden", erklärt Brigadegeneral Reinhard Günzel, Kommandeur des KSK. Jetzt aber gewährt er einen kleinen Einblick in das Leistungsvermögen seiner Truppe, um Verständnis zu wecken für Kommandosoldaten, die mehr Belastungen auf sich nehmen, als Zivilisten es sich vorstellen können.

Die Nacht dämmert herein, es regnet. "Whoop, whoop, whoop....", ein unheimliches Geräusch, das nicht zu orten ist, aber immer lauter wird, erfüllt den Himmel. Es klingt wie ein Teppichklopfer, der schnell näher kommt. Knapp über den Baumwipfeln des Schwarzwaldes braust mit ohrenbetäubendem Lärm ein Hubschrauber "Bell UH-1D" heran und bleibt über einem großen mehrstöckigen Gebäude der Calwer Graf-Zeppelin-Kaserne in der Luft stehen. Die Rotorblätter verwandeln den naßkalten Wind in einen wütenden Sturm und peitschen den Regen über das Flachdach. Alles geht rasend schnell: Aus den beiden offenen Seitentüren der Bell werden dicke, zwölf Meter lange Taue herabgelassen. Vier Soldaten schweben mit atemberaubender Geschwindigkeit ungesichert an den Tampen herunter, kaum gebremst durch die Kraft ihrer handschuhgeschützten Hände.

"Die Fast-Rope-Technik ist das schnellste Verfahren, um mit Ausrüstung in den Einsatz zu gelangen", erläutert ein Hauptmann dem staunenden Publikum. Sein bordeauxrotes Barett mit dem Abzeichen eines stehenden Kurzschwerts im ovalen Eichenlaubkranz an der linken Seite signalisiert dem kundigen Beobachter: Dieser Mann gehört zum KSK - der weiß Bescheid.

Sobald der letzte Soldat das Flachdach erreicht hat, dreht der Hubschrauber ab und verschwindet im Konturenflug. Plötzlich zerreißt der grelle Blitz einer Detonation das Dunkel der Nacht. "Zugangssprengung" nennen das die Spezialisten. Das öffnet verschlossene Türen, reißt Löcher in Mauern - kurzum: Es eröffnet einen Weg, wo vorher keiner war. Mit Blendgranaten wird der völlig überraschte Gegner sofort außer Gefecht gesetzt, so daß er den augenblicklich hereinstürmenden KSK-Männern keinen effektiven Widerstand entgegensetzen kann. "Das Wesen der Spezialkräfte liegt im Überraschungsmoment. Nur so können sie ihre zahlenmäßige Unterlegenheit ausgleichen", doziert Brigadegeneral Günzel.

Geiselbefreiung lautet der Auftrag des Kommando-Trupps. Im Inneren des Gebäudes arbeiten sich die Soldaten unter gegenseitiger Sicherung von Raum zu Raum vor. Das Vier-Mann-Team ist so eingespielt, daß die Mitglieder sich blind verstehen. In Sekundenbruchteilen müssen sie trotz Lärm, Rauch und Detonationen die Bedrohungslage exakt erfassen: Jeder Schuß auf einen Gegner muß tödlich wirken, ohne die Geisel oder Unbeteiligte zu gefährden. Die Aktion gelingt. So schnell wie sie gekommen sind, so schnell sind sie mit der lebenden Geisel wieder verschwunden. Mission erfüllt. Es ist nur eine Übung. Sie läuft ab mit der Präzision eines Uhrwerks und einer Geschwindigkeit, die selbst bei Zuschauern der Lehrvorführung den Atem stocken läßt.

Im April 1994 mußten belgische Fallschirmjäger elf Mitarbeiter der Deutschen Welle aus ihrer von Rebellen eingeschlossenen Radiostation befreien, weil keine deutschen Spezialsoldaten zur Verfügung standen. Dies gab den Anstoß zur Aufstellung des Kommandos Spezialkräfte, die im September 1996 aus der Luftlandebrigade 25 "Schwarzwald" entstand.

Spezialisten zu Lande, zu Wasser und aus der Luft

Das KSK hat noch mehr Aufgaben als nur das Befreien und Evakuieren von deutschen Staatsbürgern. Es gewinnt durch Aufklärung mit seiner "Fernspähkommandokompanie" Schlüsselinformationen auf strategisch-operativer Ebene. Die Soldaten der vier "Kommandokompanien" kämpfen in der Tiefe des gegnerischen Raumes gegen militärische Ziele hoher Bedeutung. So werden durch Handstreiche, Hinterhalte und Sabotageaktionen für die Operationsführung des Gegners wichtige Waffensysteme oder Einsatzmittel wie Atomraketen oder Fernmeldeanlagen zerstört und Führungsstäbe bekämpft. KSK-Soldaten können weitreichendes Artilleriefeuer leiten oder Präzisionsbomben der Luftwaffe durch Laserzielmarkierung punktgenau ins Ziel bringen.

Die Abwehr terroristischer Bedrohung und der Kampf gegen subversive Kräfte im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung ist eine der Kernaufgaben des KSK. "Die Terrorangriffe gegen die USA haben deutlich gemacht, daß eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft einer solchen Bedrohung ziemlich schutzlos gegenüber steht", mahnt KSK-Kommandeur Günzel. Die konventionellen Armeen von gestern und heute seien darauf nicht die richtige Antwort. "Gegen subversive terroristische Kräfte kann man nichts mit einem Panzerbataillon anrichten. Dafür braucht man Spezialkräfte. Deshalb wird der Ausbildung des KSK zukünftig noch mehr Gewicht beigemessen", betont der Brigadegeneral.

Das KSK ist noch immer nicht zu seiner vollen Personalstärke von 1000 Soldaten aufgewachsen. Bis 2004 soll die Spezialeinheit ihren vollen Umfang erreicht haben. Das KSK besteht aus Stab, Ausbildungs- und Versuchszentrum, Unterstützungsbereich und den Einsatzkräften. Letztere gliedern sich in vier Kommandokompanien und eine Fernspähkommandokompanie. Jede dieser Kompanien besteht aus 80 Mann. Frauen sucht man bislang im KSK vergebens. Zu einer Kommandokompanie gehören neben der Führungsgruppe vier Kommandozüge mit jeweils vier Kommandotrupps von vier Soldaten.

Jeder der Kommandozüge ist auf eine bestimmte "Verbringungsart" oder ein Einsatzgebiet spezialisiert: Der erste Zug beherrscht verschiedene Verfahren für das Eindringen zu Lande, der zweite Zug das "vertikale Eindringen" aus der Luft. Das umfaßt zum Beispiel Freifallschirmsprungtechniken aus Höhen bis zu 11.000 Meter. Dabei springen die Kommandosoldaten wegen der dünnen Luft mit Sauerstoffgeräten und Atemmasken ab und öffnen je nach Einsatztaktik ihre Matratzenschirme, um damit punktgenau etwa auf einem Dach zu landen. Wird der Flächenfallschirm erst kurz über dem Boden gezogen (HALO-Verfahren: High Altitude Low Opening), ist die Gefahr einer vorzeitigen Entdeckung so gut wie ausgeschlossen. Wird der Schirm bereits in großer Höhe geöffnet (HAHO-Verfahren: High Altitude High Opening), können die KSK-Männer viele Kilometer weit in gegnerisches Gebiet gleiten, ohne vom feindlichen Radar erfaßt zu werden.

Der dritte Zug spezialisiert sich auf alle Arten von amphibischen Operationen: Die "Wasserratten" verfügen über Tauchanzüge, Zodiac-Sturmboote und Klepper-Faltkajaks. Der vierte Zug ist auf besondere geographische (Gebirge) oder metereologische Verhältnisse (Wüste, Dschungel oder Polarregion) hin optimiert. Hier sind etwa Heeresbergführer zu finden, die mit Gefechtsausrüstung Steilwände und Felsüberhänge im Schwierigkeitsgrad VII bewältigen.

Spezialaufträge erfordern spezielle Ausrüstung: 40.000 Artikel stehen dem KSK zur Verfügung. Das Waffenarsenal erinnert an James-Bond-Filme: Von Schalldämpferwaffen, Schrotflinten, Scharfschützengewehren, Sprengmitteln, Fallschirmen, ferngesteuerten Robotern über Bergrettungsgerät bis hin zum Schneemobil gibt es fast nichts, was es hier nicht gibt. Für bestimmte Einsätze tragen die KSK-Männer eigens angefertigte schwarze Overalls, die auf ihre taktischen Erfordernisse abgestimmt sind. Die in der Bundeswehr üblichen Namensschilder oder Dienstgradabzeichen sucht man dort vergebens. Das schwarz-rot-goldene Nationalitätsabzeichen auf den beiden Oberarmen ist der einzige Schmuck.

Jeder Kommandotrupp besteht aus vier Kommandosoldaten, die ebenfalls individuell spezialisiert sind: Der Waffen-Experte weiß jede nur denkbare Waffe zu bedienen, leitet als "Vorgeschobener Beobachter" Artilleriefeuer und als "Forward Air Controller" den Einsatz der Luftwaffe. Der Pionier-Spezialist erzielt mit einem Minimum an Sprengstoff die größtmögliche Wirkung, sei es nun beim "Öffnen" einer Tür oder dem Zerstören einer ganzen Brücke. Der Fernmelde-Experte bedient weitreichende Funkgeräte, mit denen er verschlüsselt Kontakt zur Einsatzführung hält. Besonders wichtig ist der Sanitäts-Experte mit seiner speziellen Notfallausbildung. Wenn der Kommandotrupp im Einsatz auf gegnerischem Gebiet auf sich allein gestellt ist, sichert er das Überleben seiner Kameraden, wo ein Arzt nicht verfügbar ist. Er beherrscht sogar das Entfernen eines Blinddarms "im Feld". Das oberste Gesetz des KSK lautet: "Verwundete werden nicht zurückgelassen!"

Um den hohen Anforderungen des KSK in Calw zu genügen, bedarf es einer besonders strengen Personalauswahl. "Wir suchen nicht den Rambo, sondern den Menschen mit überdurchschnittlicher körperlicher Fitneß und psychischer Belastbarkeit - besonnen, intelligent, charakterstark und teamfähig", sagt Manfred Gerhardus, Oberst im Generalstab und stellvertretender KSK-Kommandeur. In einem Eignungsfeststellungsverfahren werden Bewerber aus allen Bereichen der Bundeswehr an ihre Grenzen geführt. 120 Kilometer Marsch in 90 Stunden durch schwieriges Gelände mit voller Einsatzausrüstung bei Schlafentzug und Nahrungsmangel, dafür aber mit Abseilen aus Steilhängen und Krankentransporten auf Bahren trennen die Spreu vom Weizen. "Der Wille entscheidet!" lautet das Motto des KSK nicht ohne Grund.

"Wer angenommen wird, durchläuft die anspruchsvollste und vielseitigste Ausbildung, die die Bundeswehr zu bieten hat", schwärmt KSK-Kommandeur Günzel. Einzelkämpferlehrgang, Fallschirmspringen, Bergsteigen, Tauchen, Sprengen, Funken, Orientieren mit dem Satellitennavigationssystem GPS bis hin zur Fremdsprachenausbildung sind nur einige Schlagworte im Ausbildungsprogramm. Erst nach drei Jahren ist der angehende Kommandosoldat einsatzfähig. Dann heißt es für mindestens sechs Jahre: "Vier Mann, ein Team, ein Ziel - zu jeder Zeit, an jedem Ort!"

Die Kommandosoldaten üben alle denkbaren Häuserkampf-Szenarien in einem hochmodernen Schießkino. Dort können jegliche Einflußfaktoren wie Gefechtslärm und unterschiedliche Lichtverhältnisse realitätsnah dargestellt werden. Modernste Technologie erlaubt sogar das "Durchspielen" von Kampfsituationen mit zwei Parteien. Kameras und Mikrophone zeichnen jedes Detail auf und offenbaren schonungslos alle Fehler. Die Schießausbildung der Kommandosoldaten unterscheidet sich grundlegend von der in der "normalen" Bundeswehr. Verlangt wird "instinktives" Schießen - was man im KSK mit Treffen gleichsetzt. "Präzision ist kein Zufall. Beim KSK verschießt ein Kommando-Soldat im Schießkino an einem Tag 500 Schuß", erläutert der Leiter der Calwer Ausbildungseinrichtung. Soviel Munition verbrauchen Wehrpflichtige nicht einmal in ihrer gesamten Dienstzeit. 20.000 Schuß pro Mann und Jahr sind nötig, um ein Leistungsniveau zu erreichen, das seinesgleichen sucht.

Der hohe Aufwand, der beim KSK betrieben wird, ist kein Selbstzweck. "Erfahrungen aus scharfen Einsätzen liegen seit 1998 vor - aber darüber wollen wir aus Geheimhaltungsgründen nicht sprechen", wiegelt Oberst Gerhardus in KSK-typischer Bescheidenheit ab. Die ARD-Tagesschau jedenfalls meldete am 15. Juni 1998 um Mitternacht die erfolgreiche Verhaftung eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers in Bosnien unter wahrscheinlicher Beteiligung des KSK zur Überstellung an das internationale Tribunal in Den Haag. Inzwischen ist das KSK zum Aushängeschild des deutschen Beitrags im Kampf gegen den Terrorismus geworden: 100 Mann sind im Rahmen der Operation "Enduring Freedom" in Afghanistan stationiert und jagen dort versprengte Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer. Dabei haben sie sich internationale Anerkennung bei den berühmtesten Eliteeinheiten erworben. Einhelliges Urteil sowohl beim britischen "Special Air Service" (SAS) als auch bei den US-amerikanischen "Special Forces": Das deutsche KSK ist hervorragend!

Der Bundesrat hat höhere Zulagen blockiert

"Wenn man von einem Menschen eine besondere Leistung abverlangt, muß man ihm dafür auch etwas geben", davon ist Brigadegeneral Günzel überzeugt. Doch von etwa 150 Euro brutto KSK-Zulage bleibt netto weniger als die Hälfte. Das empfinden die Kommandosoldaten als zynisch und sprechen intern vom "Dank des Vaterlandes". Daß sie dennoch die vielen außergewöhnlichen Belastungen und Risiken auf sich nehmen, kommentiert der KSK-Kommandeur: "Das sind Idealisten reinsten Wassers." Die Politik unternimmt unterdessen keinen Versuch, diese Situation zu ändern. Die am 8. November geplante siebte Änderungsverordnung zur Erschwerniszulagenverordnung, nachdem die hohe Gefahr, der sich Kampfschwimmer, KSK-Soldaten und das fliegende Personal insbesondere im internationalen Einsätzen aussetzen, durch eine höhere Zulage anzuerkennen, wurde im Bundesrat durch die Länder abgeschmettert. Die Länder befürchten, daß damit auch Sondereinsatzkommandos der Polizei und die GSG 9 höhere Ansprüche geltend machen könnten. Als wenig konstruktiv und kleinkariert bezeichnete der Bundesvorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV), Oberst Bernhard Gertz, die Entscheidung der Länder. "Die Gefährdungs- und Belastungssituation der Kommandosoldaten bei der Operation gegen Al-Quaida-Terroristen ist nicht mit der von Polizisten vergleichbar."

Sind die KSK-Soldaten auch eine
Elite-Truppe? "Aber ja!", kommt es aus Günzels Mund wie aus der Pistole geschossen. Auch wenn dieser Begriff im Zeitalter der "Political Correctness" nicht opportun sei und lange Jahre im Sprachgebrauch der Bundeswehr über andere Spezialeinheiten (Kampfschwimmer, Fernspäher) verpönt war, bekenne er sich ausdrücklich dazu, denn Elite bedeute Auslese: "Wir sieben aus wie kein anderer Verband der Bundeswehr - also sind wir Elite. Wenn der finanzielle Anreiz für die Männer fehlt, muß ich ihnen wenigstens die ideelle Anerkennung geben."

KSK-Soldaten des Einsatzzuges "Retten und Befreien" bei einer Übung in Baumholder: Die konventionellen Armeen von gestern und heute sind für viele Probleme nicht mehr die richtige Antwort


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen