© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
Mit deutschem Querverstand
Günter Zehm alias "Pankraz" sprach im Salon des Münchner Danubenhauses über die Lage der Nation
Hagen Weimar

Als etwa sechzig Hörwillige ihre Plätze gefunden haben, schlägt der Pianist die Tasten an. Fast herrscht Konzertstimmung im Salon des Münchner Daunbenhauses mit seinem Interieur der vorletzten Jahrhundertwende. Beifall brandet auf, als Günter Zehm alias "Pankraz" den Raum betritt und Platz nimmt.

Den Anlaß des Abends bezeichnen die Eingangsworte des Altherrnvorsitzenden, aus dem Tagebuch Otto Brauns von 1916 zitierend: "Wie wichtig wird jede Sammlung der Geister zu besonnen ruhigem Urteil, zu positivem Schaffen in dieser Zeit, da mehr und mehr die heilloseste Verwirrung, das ungebärdigste Chaos in allen politischen Leben sich kundtut. Aber wo findet sich der neue ruhende Pol, der in diesem kreisenden Wirrwarr einen Stützpunkt bildet? Ich glaube, das einzige, das man tun kann, ist, zum Aufbau im Einzelnen mitzuhelfen."

Von dem Journalisten und Moderator Bernd Kallina zum Begriff des herrschaftsfreien Dialogs befragt, antwortet der seit 1990 an der Universität Jena lehrende Philosophieprofessor Günter Zehm mit einer deftigen Habermaskritik. Dieser möchte alle zum Reden aufgefordert wissen, alle sollen reden und reden, dann würde sich von selbst ein Verfahrensmodus einstellen, der zur Herrschaftsfreiheit führte. Dem setzt Pankraz die Sprache als ein Instrument des Handelns und Wollens entgegen. Habermas ist für ihn ein Talk-show-Philosoph.

Kallina fragt nun nach den Parallelen von Stasi und Verfassungsschutz. Es gäbe zwei, antwortet Zehm. Erstens führe die Präsenz der Beobachtung zu einer gesellschaftlichen Ausgrenzung, zum anderen gäben V-Männer erst die Stichworte, die zu Anklagen führten.

Nach einem kurzen Tastenspiel kreisen die Fragen um die Lage der Nation. Wird es in Zukunft weiter den Nationalstaat geben oder nur seinen Torso? Pankraz: Der Nationalstaat wirkt auch heute, er ist ein Erfolgsmodell. Allerdings wird heute der Staat weggetrieben. Die dafür veranstalteten Toleranzpredigten könnten aber keine Ordnung schaffen. Im übrigen sei Nation nicht an einer Verfassung festzumachen.

Globalisierung bedeute für ein gediegenes Zusammenleben Gefahr. Ein politisches Gebilde, dessen Bevölkerung nur noch aus diffusen Arbeitnehmern und Konsumenten besteht, könne keinen Zusammenhalt mehr herstellen.

Pankraz nennt Beispiele heftiger Einwanderungskritik von Politikern von SPD bis Union, ohne daß jene den Versuch folgen lassen, diese umzusetzen. Ohne ein Eingreifen in die derzeitigen Vorgänge werde der Staat bald nur noch eine Binnenherrschaft ausüben, während die Gewalt von Ethnienclans ausgehen wird. Die Politikerklasse "quatscht aber nur noch vor sich hin", ohne Handeln. Undd das Volk hält still.

Nach einer Pause stimmt der Pianist auf die letzte Runde der Diskussion ein. Pankraz bejaht eine Hörerfrage, ob die Friedhofsruhe explodieren könne. Das liege an unserer Elite, die nichts tauge. Denn das Volk richte sich stets nach der Elite. "Wenn die Elite nichts taugt, wird das Volk allmählich zur Masse." Es sei heute entscheidend, neue Eliten zu bilden, aber "die besten Leute wandern aus, der Schruz kommt hinzu".

Schließlich fragt Kallina: "Wer sind die Deutschen, laufen sie jedem nach?" Für Pankraz sind die Deutschen ein ganz interessantes Volk, das nach jedem Unglück neu aufblüht, vom Ersten Kaiserreich bis heute. Doch dann hat man auf seinen Vätern herumgetrampelt. Die 68er waren ein Verhängnis, aber heute traut sich das niemand zu sagen.

Zwei Stunden lang hat Günter Zehm argumentiert, an Wörtern gefeilt, vibriert und geschmunzelt. Wenn er spricht, steht Spannung im Raum. Von einem deutschen Stubenglück fehlt jede Spur. Dafür besitzt er auch zu viel deutschen Querverstand.


 
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