© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
Neue Technologien: Hirnanalyse bei Ulrike Meinhof
Nach Magdeburg in einer Pappschachtel
Angelika Willig

In deutschen Kinos läuft derzeit der Film "Baader" nicht ganz erfolglos, und auch im Ausland dürfte er Chancen haben, denn auf das Bild des "Verbrechers aus verlorener Ehre" (Schiller) ist der Deutsche bekanntlich abonniert. Der Intellektuelle bürgerlicher Herkunft, dem jeder soziale Aufstieg offensteht (so war das mal), und schlägt sich stattdessen auf die Seite der Schwachen. Einfach toll. Nur leider ist Baader gar kein bürgerlicher Intellektueller gewesen, sondern ein geborener Kleinkrimineller, der als Einäugiger unter lauter Blinden den Mafia-Boß spielt. Der Baader-Meinhof-Mythos wäre dahin - wenn es nicht noch Ulrike gäbe. Zwar ist sie zunächst nicht einmal in der Lage, ein Auto zu knacken, doch liefert sie die Theorie und macht Eindruck auf die "Nachdenklichen im Lande".

Und ausgerechnet Ulrike will man uns miesmachen. Ihr Gehirn, so behauptet der Neurologe und Psychiater Bernhard Bogerts von der Universität Magdeburg, soll durch eine Operation derart geschädigt worden sein, daß die Trägerin unbedingt für unzurechnungsfähig hätte erklärt werden müssen. In diesem Fall wäre sie nicht lebenslänglich ins Gefängnis, sondern in eine Psychiatrische Klinik gekommen und hätte sich dort - möglicherweise - nicht so leicht umbringen können, oder es auch gar nicht wollen. So könnte auf diese vertrackte Weise stimmen, was Ulrikes zahlreiche Fans immer behauptet haben, nämlich daß der Staat diese sensible Frau auf dem Gewissen hat. Hätte aber der Staat Ulrike Meinhof für unzurechnungsfähig erklärt und in die Psychiatrie eingewiesen, wäre der Protest wohl noch größer gewesen.

Am besten also, das Gehirn wäre gar nicht wieder aufgetaucht. Der Neuropathologe Jürgen Pfeiffer hatte nach der gerichtsmedizinischen Untersuchung bezüglich der Todesursache noch eine eigene Untersuchung angestellt und dabei "mit bloßem Auge" eine Schädigung vor allem im emotionalen Zentrum bemerkt. Ein gutartiger Hirntumor war zehn Jahre zuvor bei Meinhof abgeklammert worden. Entweder der Tumor selbst oder der Eingriff könnten mentale Veränderungen ausgelöst, Hemmungen beseitigt, Aggressionen freigesetzt haben. Nicht überraschend bestätigten die Pflegemutter sowie der Ehemann Klaus Rainer Röhl, Ulrike habe sich damals "völlig verändert". Nun veränderten sich viele Frauen, ohne deshalb gleich einen Vogel zu haben. Was Pfeiffer vorbringt, sind nichts als kühne Spekulationen, daher schwieg er wohl damals. Heute hat ein jüngerer Kollege aus Magdeburg sich das formalingetränkte Organ mit neuen Methoden und besseren Schnitten noch einmal vorgenommen. Sind die Resultate eindeutiger geworden? Offenbar nicht. Größer geworden ist nur der Druck eines Wissenschaftlers, sich um jeden Preis zu profilieren, wir erinnern an den Fall Jan Hendrik Schön. Regine Röhl, selbst Ärztin, hat jedenfalls gegen Bogerts Strafanzeige gestellt - wegen Leichenschändung.


 
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