© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
Verfolgungsangst schafft Megabehörde
USA: Heimatschutzministerium soll zu einer Schaltzentrale im Kampf gegen den Terrorismus werden
Ronald Gläser

Im Jahre 1917 begründete Präsident Wilson die amerikanische Kriegserklärung an Deutschland damit, er wolle "die Welt sicher für die Demokratie machen". Im Lande selbst leitete die US-Regierung jedoch eine Reihe repressiver Maßnahmen ein: Zeitungen wurden zensiert, Deutschamerikaner wurden diskriminiert, Gewerkschafter wurden inhaftiert.

Das üblicherweise freiheitsliebende Amerika erlebt von Zeit zu Zeit Anfälle paranoider Hysterie. Der 11. September hat die Angst vor dem Feind im eigenen Land wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Vergangene Woche schufen beide US-Parlamentskammern das neue Ministerium für Heimatschutz (Department of Homeland Security).

Anfangs stand Präsident Bush diesem Zusammenschluß mehrerer Behörden kritisch gegenüber. Auch die Demokraten hatten Probleme mit einer Institution, deren Name sofort Erinnerungen an George Orwell aufkommen läßt. Doch ihre Zurückhaltung wurde im Wahlkampf als unpatriotisch gebrandmarkt.

Vergangene Woche brach daher der Widerstand im US-Parlament zusammen. Wochenlang hatte die Opposition arbeitsrechtliche Bedenken vorgeschoben, die Präsident Bush nun aufgelöst hat. Neunzig der einhundert Senatoren billigten das Gesetz.

Damit wird die größte Verwaltungsreform in den USA seit einem halben Jahrhundert vollzogen. Das neue Sicherheitsministerium soll dem Schutz vor terroristischen Attacken dienen. Zu diesem Zweck werden verschiedene Bundesbehörden zusammengefaßt. CIA und FBI gehören allerdings nicht dazu. Dafür verschmelzen Einrichtungen wie der Küstenschutz, der Sicherheitsdienst (vergleichbar dem Staatsschutz) und die Einwanderungsbehörde. Leiter der 170.000 Beschäftigten wird Tom Ridge.

Der zurückliegende Wahlkampf hat gezeigt, das die neue Behörde für die politische Klasse bereits ein Tabu ist, bevor sie in Aktion tritt. Daher wurde diese Einrichtung kaum mehr hinterfragt, die Parlamentsdebatte dauerte nur wenige Stunden.

Dabei ist das Gesetz weit mehr als eine Fusion bereits bestehender Behörden. Ursprünglich sollte der Zusammenschluß nur aus Effizienzgründen erfolgen und aufkommensneutral sein. So sah es der Originalvorschlag des Weißen Hauses vor, der 32 Seiten umfaßte. Im Parlament wuchs die Gesetzesvorlage auf 232 Seiten an. Die endgültige Fassung überschritt dann die 500-Seiten-Marke. Und die Mehrkosten für den amerikanischen Steuerzahler summieren sich auf prognostizierte drei Milliarden Dollar. Natürlich gibt es heftige Kritik von den politischen Rändern. Die Linke, insbesondere Gewerkschaftskreise, bemängeln die schwachen Rechte der Arbeitnehmer. Nur wenige opponieren jedoch gegen den Zweck dieser Institution.

Auf der politischen Rechten wird grundsätzliche Kritik an der neuen Marschrichtung geübt. Pat Buchanan fragt, welchem Zweck die 350 Milliarden Dollar für das Pentagon dienen, wenn jetzt ein Ministerium für Heimatschutz für notwendig erachtet wird. Das sei doch die originäre Aufgabe des Verteidigungsministeriums. Für den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und rechtskonservativen Kolumnisten ist "Big Brother" die größere Bedrohung als islamische Terroristen. Der Krieg gegen den Terror ende erst, wenn die Amerikaner den Rückzug aus dem arabischen Raum anträten, so Buchanan.

Die Angst vor einem Überwachungsstaat ist so abwegig nicht. Denn neben einem neuen Ministerium werden auch neue Eingriffe in die Privatsphäre des Einzelnen möglich. So sieht das Gesetz die Einrichtung einer gewaltigen Datenbank vor, die sämtliche Internetverbindungen und -transaktionen sowie persönliche Daten speichert.

Zum Maßnahmenpaket gehört die Lockerung der Unverletzlichkeit der Privatssphäre und -wohnung. Deren Durchsuchung kann auf Verdacht und ohne Gerichtsbeschluß durchgeführt werden. Schutzimpfungen ganzer Stadtteile sind vorgesehen. Die Bespitzelung der Nachbarn werde gefördert, sagen Kritiker. So titelte die New York Times in einem der wenigen Negativurteile des "Mainstream"-Amerika am 14. November "Du bist ein Verdächtiger" (You Are A Suspect). Doch nur sehr wenige Stimmen äußerten derart vernichtende Kritik in den großen Medien oder den politischen Parteien.

Unter den republikanischen Repräsentanten scharte sich der Kreis der Gesetzesgegner um Ron Paul. Der Abgeordnete aus Texas sprach von "gefährlichen Verstößen gegen die Verfassung", die das Gesetz beinhalte.

Die Mehrheitsmeinung jedoch wird eher durch das Wall Street Journal verkörpert. Dessen Herausgeber Robert Bartley vertritt die schizophrene Auffassung, offene Grenzen seien von Vorteil. Gleichzeitig aber müßten Terroristennester in "Syrien, Sudan, Libyen, Algerien und vielleicht sogar in Teilen Ägyptens" ausgelöscht werden. Daß genau diese aggressive Vorgehensweise neue Terroristen in die USA locken dürfte, übergeht Bartley geflissentlich.

Die Gegenvorschläge verhallen daher ohne jegliche Resonanz. Nicht nur ein Rückzug aus dem arabischen Raum kommt für die US-Führung nicht in Betracht. Pat Buchanan hat zahlreiche Vorschläge unterbreitet, die die Terrorgefahr ohne ein neues Superministerium deutlich reduzieren würden: Aufstocken des Grenzschutzes, Stopp der Visa-Vergabe an Ausländer aus fragwürdigen Ländern, Deportation illegaler Einwanderer. Schließlich befürwortet er die Verlagerung der Uno ins Ausland, weil dort akkreditierte Diplomaten Terroristen beherbergen könnten.

Dies alles wird nicht geschehen, weil die US-Gesellschaft nicht bereit ist, ihre imperialistische Außenpolitik zu beenden. Also wird sie auch weiterhin mit dem einzigen Mittel konfrontiert sein, das sogenannten Befreiungskämpfern vermeintlich zur Verfügung steht: Terroranschläge gegen Unschuldige.

Das Land wurde von einem einzigen Heckenschützen wochenlang in Atem gehalten. Und eine neue Katastrophe wie am 11. September fürchten alle Amerikaner mehr als den Überwachungsstaat. Die Parallelen zu 1917 sind unverkennbar. Damals entstand aus dem Nichts die sogenannte Vigilantenbewegung. In privaten Vereinen sammelten sich Abertausende von Amerikanern, um deutsche Spione zu jagen.

Als die Hobby-Agenten keiner deutschen Untergrundkämpfer habhaft wurden, nahmen sie Pazifisten und Gewerkschafter aufs Korn. Im Zweiten Weltkrieg internierten die Amerikaner sämtliche loyalen japanischstämmigen Bürger. Und im anschließenden Kalten Krieg wurde Senator McCarthy zum Inbegriff amerikanischer Paranoia.

2001 fand die neue amerikanische Verfolgungsangst Ausdruck in der Gründung der Gesellschaft für Heimatschutz. Diese sammelt heute Menschen, die sich um die Inlandssicherheit sorgen. So wird Angst vor terroristischen Attacken geschürt und Propaganda für das neue Ministerium betrieben.

Aber auch eine andere historische Parallele soll nicht unerwähnt bleiben: Befreiungsorganisationen stellten immer erst ihren Kampf ein, wenn ihr Ziel erreicht war. So ist es den Franzosen in Algerien und in Vietnam ergangen, in Südvietnam später auch den Amerikanern. Und dies mußten die Engländer in Irland und in Indien erleben.


 
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