© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
Mystisches und Göttliches wird vermißt
Die "Entheiligung" des katholischen Glaubens führt zu einer immer stärkeren Sehnsucht nach der Kirche vor dem Zweiten Vatikanum
Alois Oblinger

Schon häufiger konnte man es von gläubigen Laien hören, manchmal sogar von einem mutigen Priester der katholischen Kirche, doch jetzt hat es ein katholischer Bischof ausgesprochen: "Die alte Kirche ist mir lieber." Unter diesem Titel hat der emeritierte Augsburger Weihbischof Max Ziegelbauer sein neuestes Buch veröffentlicht.

Mit der "alten" Kirche ist die katholische Kirche im Zeitraum von 1925 bis 1965 gemeint. Damit setzt sich der Autor, der kürzlich sein 79. Lebensjahr vollendete, von vornherein dem Vorwurf aus, er wolle hier nostalgische Erinnerungen wecken und vergangene Zeiten verklären. Doch dem Bischof geht es um mehr: Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und die unmittelbare Nachkonzilszeit haben das äußere Erscheinungsbild der Kirche so stark verändert, daß die Kirche geradezu eine "andere" geworden zu sein scheint. Viele ältere Menschen sind heimatlos geworden und haben das Gefühl, daß ihnen etwas Wertvolles weggenommen wurde. Aber auch viele junge Menschen spüren, daß heute vieles in der Kirche im argen liegt: Sie erscheint allzu horizontal, zu sehr von Menschen gemacht. Viele vermissen das Mystische und das Göttliche. Die Kirche muß mehr sein als mitmenschliches Engagement, sie muß dem Menschen die Begegnung mit Gott ermöglichen. Wer die heutigen Defizite spürt, wird in der Besinnung auf die 2000jährige Geschichte der katholischen Kirche einen reichen Schatz an Riten und Frömmigkeitsformen finden, in denen der wahre Glaube seinen Ausdruck findet. Die Verlegerin des Buches, Sabine Düren, sprach daher auch bei der Buchpräsentation in Augsburg von einem "tiefen Griff in die Schatztruhe". Diesen Schatz der Kirche präsentiert Ziegelbauers Buch in Wort und Bild, gegliedert in vier Kapitel: Gott - Kirche - Welt - Mensch.

Eingangs geht Weihbischof Ziegelbauer der Frage nach, warum heute so wenige Menschen an Gott glauben können. Neben der fehlenden Demut beim Menschen von heute sieht er aber auch Mängel in der kirchlichen Verkündung. Dort wird zu wenig und zu einseitig von Gott gesprochen. Unbequeme Glaubenswahrheiten werden gerne ausgeblendet. Allerdings scheint ein solcher Glaube, der niemanden fordert, auch niemanden zu begeistern. Eine große Versuchung sieht Ziegelbauer auch darin, das Religiöse zu profanieren, mit den Dingen dieser Welt gleichzusetzen. Bezogen auf den Kern kirchlicher Frömmigkeit, die Feier der heiligen Messe, ist es daher besonders gefährlich, wenn nur noch von der versammelten Gemeinde gesprochen wird, die gemeinsam Mahl feiert. Die Rede vom Opferpriester, vom heiligen Meßopfer und von der Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Christi ist heute leider nahezu verstummt.

Noch weniger als die Heiligkeit Gottes und seiner Sakramente wird allerdings die Heiligkeit der Kirche betont. Vielerorts wird heute der Unterschied zwischen einem Laien-Diplomtheologen und einem geweihten Priester sowie der Unterschied zwischen einem priesterlosen Wortgottesdienst und der heiligen Messe nicht mehr erkannt. Das Verständnis für die übernatürliche Dimension der Kirche ist verlorengegangen. Daher wird auch die Liturgie meist nicht mehr als etwas Vorgegebenes betrachtet, sondern durch eigenmächtige Änderungen vom Priester und den mitwirkenden Laien in eine rein zwischenmenschliche Veranstaltung abgeändert. Gerade in diesem Bereich hat ein Wildwuchs ungeheuerlichen Ausmaßes in den vergangenen Jahrzehnten viele Gläubige aus der Kirche vergrault. Durch eine weitgehende Abschaffung der Kirchensprache Latein, des Kommunionempfangs mit dem Mund und des Knies während des Gottesdienstes ging die vertikale Dimension der Meßfeier und der Sinn für das Sakrale meist verloren. Ebenso ist auch die Verehrung der Engel und Heiligen, insbesondere der Jungfrau und Gottesmutter Maria auf ein klägliches Maß geschrumpft.

Auch das Lehramt der Kirche wird heute oftmals kritisch betrachtet. In unserer autoritätsfeindlichen Zeit wird dagegen opponiert wie gegen jede menschliche Institution. Gerne wird übersehen, daß die Kirche eine göttliche Stiftung ist, die noch dazu als "Mutter Kirche" auch auf Liebe und Respekt hoffen darf. Weihbischof Ziegelbauer schlußfolgert: "Die katholische Kirche, speziell in Deutschland, befindet sich in einer Krise. Diese Krise besteht gerade darin, daß man sie nicht wahrhaben will."

Am Schluß seines Buches stellt Max Ziegelbauer einige Personen vor, die der "alten" Kirche angehörten und durch sie geprägt wurden. Dabei kommt auch die Haltung der Kirche während der NS-Zeit zur Sprache. Markante Persönlichkeiten des kirchlichen Lebens tauchen allerdings im ganzen Buch immer wieder auf und sind in einem angefügten Personenregister aufgelistet.

Mit diesem Buch, das sicherlich noch heftig diskutiert werden wird, zeigt Bischof Ziegelbauer einen Weg aus der heutigen Krise der katholischen Kirche: Die Rückbesinnung auf die Tradition fördert Schätze zutage, die ihren Wert noch nicht verloren haben und die es wieder zu entdecken gilt. Gilbert Keith Chesterton (1874 -1936) hatte recht, als er schrieb: "Fortschritt ist mit selbständigem Denken nicht vereinbar. Denn jeder selbständig und individuell Denkende beginnt ganz von vorn und gelangt aller Voraussicht nach nicht weiter als sein Vater vor ihm. Sollte es tatsächlich so etwas wie Fortschritt geben, dann bestünde er vor allen Dingen im gewissenhaften Studium und der Aneignung der gesamten Vergangenheit." Georg Alois Oblinger

Foto: Wallfahrtsgottesdienst an Maria Himmelfahrt in Altötting: Neben fehlender Demut gibt es auch Mängel in der kirchlichen Verkündung

Max Ziegelbauer: Die "alte" Kirche ist mir lieber. Ein Plädoyer für die Wiederentdeckung des Katholischen. Stella Maris Verlag, Buttenwiesen 2002, 360 Seiten, 24,90 Euro


 
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