© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002


"Es war ein unvorstellbares Inferno"
Die Historikerin und Zeitzeugin Ursula Moessner-Heckner über den vergessenen Feuersturm von Pforzheim
Moritz Schwarz

Frau Moessner-Heckner, Jörg Friedrich weist in seinem Buch "Der Brand" darauf hin, daß die eigentliche Bombenkriegstragödie nicht in Dresden und Hamburg stattgefunden hat, sondern in den deutschen Mittelstädten. Zwei Drittel aller Luftkriegsopfer starben hier. Als Beispiel nennt er die Tragödie von Pforzheim.

Moessner: Pforzheim wurde am 23. Februar 1945 angegriffen und zerstört. Militärisch völlig sinnlos, weil der Krieg schon so gut wie zu Ende war und Amerikaner und Freifranzosen bereits im Elsaß standen.

Sinnlos auch, da das Städtchen aus alliierter Sicht nur unbedeutende Kriegsindustrie hatte.

Moessner: Darum ging es nicht. Hätte der Krieg noch länger gedauert, wäre irgendwann jede deutsche Stadt an die Reihe gekommen, es wären auch Bamberg, Göttingen, Heidelberg, etc. vernichtet worden. Man darf es getrost ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit nennen, denn es ging darum, Terror zu verbreiten.

Und darum, einen Feuersturm zu entfachen, dem höchsten Vernichtungsziel der Royal Air Force - das alte Pforzheim war leicht brennbar.

Moessner: Dokumentiert ist das nicht, aber vermutlich ging es darum. Ziel der Angriffe war es, ein Flammenmeer zu entzünden.

Dank des entfachten Feuersturms kam es zu einer Katastrophe, infernalischer als der Atombombenabwurf auf Nagasaki, wo jeder siebte Einwohner umkam.

Moessner: In der Stadt waren damals wohl etwa 60.000 Menschen. In drei Stunden kamen etwa 18.000 um, also etwa jeder Dritte. Es war ein unvorstellbares Inferno.

Sie haben als Achtjährige alles miterlebt.

Moessner: Unser Haus am Stadtrand wurde von zwei Bomben getroffen, meine fünfjährige Freundin, die neben mir im Keller saß, wurde von der Explosion weggerissen und verbrannte. Wir konnten schließlich zur nahen Enz flüchten, das Flüßchen rettete uns das Leben. Am nächsten Morgen glühte die Stadt, überall lagen verbrannte Menschen, manche eingeschmolzen in den Asphalt.

Pforzheim wurde in dieser Nacht auf einen Schlag vom Antlitz der Erde getilgt.

Moessner: Ja, bis auf einige Kirchen ist die alte Stadt völlig vernichtet. Bei den Recherchen für mein Buch traf ich auch Piloten, die an dem Angriff beteiligt waren. Einer erzählte mir davon, daß er neulich in seiner alten Heimat in Wales gewesen sei und empfahl mir, es ebenso zu tun. Doch das geht nicht, denn die Stätte meiner Kindheit gibt es seit Februar 1945 nicht mehr.

 

Ursula Moessner-Heckner, 65, ist Historikerin und gebürtige Pforzheimerin. Zuletzt lehrte sie an der San-Jose-State-University/USA. 1991 erschien ihre Studie "Pforzheim: Code yellowfine. Eine Analyse der Luftangriffe 1944-1945" bei Thorbecke in Stuttgart.

 

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