© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Kompromiß mit Doppelmoral
Biowaffen-Konvention: Die USA lehnen bei sich die Kontrollen ab, die sie bei anderen fordern
Michael Waldherr

Der fortdauernde Besitz biologischer Waffen im Irak wäre für die USA ein passabler Kriegsgrund. Seit Monaten unterstellt US-Präsident George W. Bush dem irakischen Staatschef Saddam Hussein Verstöße gegen die Konvention zum Verbot biologischer Waffen (BWC) von 1972. Konkret: Der Irak als Teil der "Achse des Bösen" entwickele nicht nur biologische Massenvernichtungswaffen, sondern besitze sogar einsatzfähige Raketengefechtsköpfe und Granaten mit B-Kampfstoffen.

So berechtigt das Mißtrauen und die Vorsicht gegenüber dem irakischen Diktator Saddam Hussein ist, so verständlich ist auch die Forderung nach einem internationalen Kontrollregime, das die Ächtung von B-Waffen weltweit durchsetzen soll. Doch die USA lehnen Kontrollinspektionen auf ihrem Territorium strikt ab. "Wir würden unsere nationale Sicherheit untergraben und vertrauliche Geschäftsinformationen preisgeben", argumentierte John R. Bolton, US-Unterstaatssekretär für Rüstungskontrolle auf der BWC-Überprüfungskonferenz letzten Monat in Genf. Damit die Amerikaner die Konferenz nicht platzen lassen, formulierte der ungarische Konferenzpräsident Tibor Tóth einen Kompromißvorschlag: Die Vertragsparteien sollen sich bis zur nächsten turnusgemäßen Überwachungskonferenz im Jahre 2006 einmal pro Jahr maximal eine Woche treffen, "um über einschlägige nationale Gesetze sowie internationale Überwachungsanstrengungen zu diskutieren".

Die Teilnehmer der Überwachungskonferenz beugten sich den Wünschen der Amerikaner und nahmen das "Tóth-Papier" an. Angeblich sichert die einvernehmliche Annahme zumindest formal den weiteren "Verhandlungsprozeß". Faktisch ist die Biowaffen-Konvention aber das Papier nicht wert, auf dem sie steht: Das Ziel der BWC, Entwicklung, Lagerung, Erwerb, Produktion und Verbreitung von Biowaffen zu verbieten, ist eindeutig verfehlt. Zudem offenbart die Haltung der USA die Doppelmoral der einzigen Supermacht: Wie können die Amerikaner im Irak eine Abrüstung von Biowaffen einfordern, wenn sie sich selbst nicht in die Karten sehen lassen?

US-Regierung arbeitet weiter an B- und C-Waffen

Das Verhalten der USA läßt sich erklären: Die britische Zeitung The Guardian berichtet, daß führende Wissenschaftler in den USA und in Europa der amerikanischen Regierung vorwerfen, neue biologische und chemische Waffen zu entwickeln. Dabei geht es um ein Gas, das ähnliche Wirkung haben soll wie jenes, das bei der Befreiung der Moskauer Geiseln verwendet wurde. Die CIA arbeitet zudem an einer Bombe, die biologische Waffen unschädlich machen soll.

Das Pentagon versuche, in einer Fabrik Biowaffen aus öffentlich zugänglichem Material zu bauen, um so festzustellen, welche Waffen Terroristen produzieren können. Des weiteren werde im "Jefferson-Projekt" an zwei neuen Anthrax-Stämmen gearbeitet. Von diesen sei wesentlich mehr produziert worden, als für Testzwecke zur Verteidigung notwendig sei, so die Wissenschaftler. Die USA verstießen damit klar gegen das internationale Abkommen der Biowaffen-Konvention.

Die US-Regierung rechtfertigt sich damit, es handele sich um zulässige Programme zur Abwehr von Angriffen. Nach der Biowaffen-Konvention sind aber Programme verboten, die Stoffe produzieren, die auch zum Angriff verwendet werden können. Eine klare Grenze zwischen defensiv und offensiv läßt sich nur schwer ziehen. Die Wissenschaftler rügen, die entsprechenden US-Programme seien entgegen internationaler Vereinbarung nie in den jährlichen Berichten über Bio- und Chemiewaffenprogramme, die nach den internationalen Vereinbarungen verpflichtend sind, aufgetaucht. Vor diesem Hintergrund sei es auch nicht verwunderlich, daß sich die USA schon im vergangenen Juli massiv gegen die Festschreibung von Inspektionen in der Biowaffen-Konvention gewehrt hatten.

"Ohne internationale Verträge handeln die Starken ohne Rücksicht auf die Schwachen. Es besteht die Gefahr, daß sie Polizist, Ankläger, Richter, Geschworener und Henker in einer Person sind", lautet die Schlußfolgerung in der US-Studie "Rule of Power or Rule of Law?", die das amerikanische "Lawyers Committee on Nuclear Policy" und das "Institute for Energy and Environmental Re-search" erstellt haben.

Diese "Nichtregierungsorganisationen" von Juristen und Wissenschaftlern setzen sich international für Frieden und Menschenrechte ein. Fazit ihrer bemerkenswerten Studie: "Die USA mißachten systematisch wichtige Verträge und provozieren damit ein gefährliches Abrutschen in eine unsichere Welt, in der nur der Starke Recht bekommt und Gesetze nichts mehr gelten."


 
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