© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Den Gordischen Knoten zerschlagen
Naher Osten: Amerikanische Überlegungen für die Zeit nach dem Sturz von Iraks Präsident Saddam Hussein
Alexander Röhreke

Die USA sind entschlossen, den Krieg gegen den Terror nach Bagdad zu tragen. Der Militäraufmarsch der USA am Golf, gezielte Indiskretionen aus dem Weißen Haus mit detaillierten Angriffsplänen, der Abzug von etwa 200 Milliarden US-Dollar durch saudische Geschäftsleute aus dem US-Kapitalmarkt, oder die angekündigte Einziehung von Reservisten in Großbritannien lassen keinen anderen Schluß zu, daß die Würfel schon gefallen sind. Der Ausgang des Waffengangs dürfte ebenfalls außer Zweifel stehen. Es stellt sich die Frage: Was kommt danach? Die Antwort liegt in der Vision der Amerikaner für den Nahen Osten.

Der Palästinakonflikt ist aus US-Sicht für die Entstehung des Fundamentalismus ursächlich. Nach dem Scheitern des panarabischen Nationalismus (der ägyptische Nationalist und Held des Oktober-Kriegs 1973, Anwar el-Sadat, wurde 1981 von einem islamischen Extremisten ermordet!) nahm der orientalische Modernisierungsprozeß einen anderen Weg: Soziale und gesellschaftliche Spannungen entluden sich in einer von Teilen der Eliten geförderten religiösen Rückbesinnung und Radikalisierung.

Gegenbewegung zu westlichem Kultureinfluß

Im Sturz des persischen Schahs Mohammed Reza Pahlewi (eines "nationalen Modernisierers von Oben") 1978 durch schiitische Revolutionäre fand diese Entwicklung einen ersten Höhepunkt. Algerienkonflikt und Afghanistan sind weitere Mosaiksteine im Bild einer von ideologisch-religiösen Motiven gespeisten Gegenbewegung zur westlichen Kultureinwirkung. Die USA stehen somit vor dem scheinbar unlösbaren Problem, einen Gordischen Knoten zu zerschneiden. Ihn mit dem Schwert, wie einst Alexander, zu durchtrennen, reicht nicht. Den Irak zerschlagen ist das eine, wie aber den Frieden gewinnen und damit den Extremisten von al-Quaida bis Hamas den Nährboden entziehen?

Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, daß es nicht reicht, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen oder separate Friedensverträge (wie zwischen Ägypten und Israel) auszuhandeln, sondern es bedarf einer Gesamtlösung. Der Irak spielt hier eine Schlüsselrolle, weil er aufgrund seines Potentials nicht außerhalb einer Lösung stehen kann. Die USA sind zu der Überzeugung gekommen, daß es bei weitem nicht ausreicht, Bagdad nur temporär auszuschalten. Der Irak muß zum Anker einer von Arabern und Israelis akzeptierten Lösung werden. Die Vernichtung des sozialistischen Baath-Regimes muß daher mit einer Bewältigung des Konflikts um Jerusalem einhergehen, um langfristig das Überleben des jüdischen Staates und den Zugang zu den Energiereserven des Mittleren Ostens zu sichern sowie um Terroranschlägen in der Größenordnung von Eleven-Nine das Motiv zu entziehen.

Wie läßt sich politische Stabilität im Irak nach dem Ende von Saddam Hussein wiederherstellen? US-Überlegungen gehen offenbar dahin, auf die Haschemiten zurückzugreifen, die vor dem Militärputsch in Bagdad 1958 und der Machtergreifung der Baath-Partei 1963 im Irak herrschten. Jordaniens Königshaus ist eine alte arabische Dynastie, die seit dem Propheten-Enkel al-Hasan bis 1924 als Scherife in Mekka regierten.

Die Haschemiten waren nicht nur Könige des Irak, sondern sind direkte Abkömmlinge des Propheten Mohammed und seiner Tochter Fatima, die wiederum Ali, den vierten Kalifen, heiratete. Die Schiiten sehen in Ali den einzigen rechtmäßigen Nachfolger des Propheten, wodurch die Haschemiten, obwohl Sunniten, auch für Schiiten "Geblütsheiligkeit" besitzen. Für die Haschemiten wäre es nicht nur eine historische Genugtuung, nach Bagdad zurückzukehren, wo sie von 1921-1958 regierten, sondern sie könnten sich auch auf eine völkerrechtliche Vereinigung beider Länder, des Irak und Jordaniens, in der Arabischen Union von 1958 berufen.

Rückkehr der Haschemiten nach Bagdad geplant?

Hinzu kommt, daß die Haschemiten nach der Vernichtung des irakischen Militär- und Polizeiapparates den einzigen arabischen Ordnungsfaktor darstellten, dem die Amerikaner vertrauen dürften: Jordaniens Armee ist vorzüglich ausgebildet, motiviert und geführt, die jordanische Elite ist prowestlich und auf Ausgleich mit Israel bedacht. Jordanien duldet heute schon auf US-Bitten israelische und amerikanische Fernspähkommandos im Westen Iraks, um Abschußrampen für die verbliebenen Scud-Raketen auszukundschaften. Ammans Kooperation würde zudem verhindern, daß Israel im Schatten eines Irak-Krieges auf die Idee kommen könnte, die Palästinenser nach Jordanien zu vertreiben.

Vom 12. bis 14. Juli 2002 fand in London eine von den USA initiierte Konferenz der irakischen Opposition statt, bei der Prinz Hassan bin Talal, der Onkel Abdallahs II, zur Überraschung von politischen Beobachtern teilnahm. Prinz Hassan hatte sich schon am 8. April mit dem US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz in Washington getroffen, wo die Möglichkeit einer Nachfolge Saddams erörtert wurde.

Ein Szenario wäre, daß der Irak nach Saddam einen monarchischen Überbau mit enger Bindung an Jordanien erhält, bei weitgehender Autonomie der Kurdengebiete im Norden. Doch wäre eine Nachkriegsordnung für den Irak nicht genug, um die Spannungen im Nahen Osten zu lösen. Dies ginge nur mittels einer Regelung für Jerusalem. Den USA schwebt eine "Vatikan-Lösung" vor: Jerusalem bleibt ungeteilt und Teil Israels, zugleich werden die heiligen islamischen Stätten auf dem Tempelberg de jure exterritorial und den Haschemiten als "Scherifen" unterstellt, mit freiem Zugang für islamische Pilger. Die Palästinenser würden in der Westbank und im Gazastreifen einen eigenen Staat erhalten.

Die zentrale Rolle der Haschemiten würde sie gegenüber den heutigen Wächtern der heiligen Stätten in Mekka und Medina, der wahhabitischen Familie Saud, stärken. Die islamischen "Puritaner", wie die Wahhabiten genannt werden, sind eine sunnitische Spielart des Islam seit Mitte des 18. Jahrhunderts. 1804 bis 1806 eroberten die Saud zeitweilig sogar Mekka, bis die Osmanen zum Gegenschlag ausholten und die Wahhabiten beinahe vernichteten. Erst 1902 konnten die Saud aus dem Exil in Kuwait wieder nach Riad zurückkehren, von wo aus sie 1924 das Königreich Hedschas eroberten und die Haschemiten vertrieben. Seitdem herrscht auf der arabischen Halbinsel der Fundamentalismus: Osama bin Laden ist nur sein Sprößling, der das, was er als Wahhabit für wahr erkannt hat, in die Tat umsetzt.

Insofern liegt den USA viel daran, mit einer ausgewogenen Mischung aus dosiertem militärischen Kräfteeinsatz und tragfähigen politischen Konzepten den wahhabitischen Einfluß zurückzudrängen und den Modernisierungsfeinden im Islam den Boden zu entziehen. Gelingt den USA dieses Kunststück, so könnten sie den Gordischen Knoten im Nahen Osten durchschlagen und der Region Frieden bringen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen