© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Kolossalgemälde des Schreckens
Deutschland im Bombenkrieg: Das Buch des Historikers Jörg Friedrich weist einige Ungenauigkeiten auf, besitzt aber eine enorme Durchschlagskraft
Horst Boog

Das Buch des Berliner Historikers Jörg Friedrich "Der Brand" will in breiten Leserkreisen Wirkung erzielen, will das Schreckensbild des alliierten Bombenkrieges gegen deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg in das Geschichtsbewußtsein der nachgewachsenen Generationen einhämmern. Hierzu haben sich Verfasser und Verlag der Bild-Zeitung bedient, die in ihr ungewohnter Weise kräftig für das Werk geworben hat.

Friedrich war früher, worauf schon Michael Jeismann in der FAZ hingewiesen hat, Schauspieler und Regisseur und weiß, wie man sprachlich Wirkung erzielt. So hat das Buch eine Dramaturgie, die von den im Bombenkrieg benutzten Angriffsmitteln und -verfahren über ein mit "Strategie" überschriebenes Kapitel zum Höhepunkt, dem Inferno führt, das sich unter den Bombenbesatzungen, vor allem aber unten auf der Erde unter den Menschen in den Städten im Norden, Westen, Süden und Osten Deutschlands abspielte, um mit einigen allgemeinen Bemerkungen über Phänomene der Schutz-, Überwachungs- und Propagandamaßnahmen, der Reaktionen der Menschen und der Rettungsmaßnahmen für Kulturgüter zu enden.

Die Darstellung der Fakten weicht griffiger Wortwahl

Der Verfasser ist wortgewaltig und schwelgt in griffigen Formulierungen, die er wie kaum ein anderer beherrscht. So liest sich das Buch, jedenfalls zu Anfang, gut. Sogar komplizierte technisch-wissenschaftliche Dinge, wie sie zur Zielauswahl und Zielfindung sowie zum Bombenwurf gehören, werden in kurzen und prägnanten Sätzen anschaulich erläutert. Daß Jörg Friedrich schreiben kann, hat er schon in seinem 1993 erschienenen Buch "Das Gesetz des Krieges" bewiesen. Aber manche Formulierungen sind überspitzt bis abstrus, zuweilen salopp und zynisch. Im Schwunge griffiger Wortwahl leidet hin und wieder die Richtigkeit mit unter Umständen bedenklichen Konsequenzen für die Darstellung der Fakten, wenn an das Mitdenken der Leser appelliert würde und nicht hauptsächlich an ihre Beeindruckbarkeit. Während der Luftkrieg richtig als Abfolge wechselseitiger wissenschaftlich-technischer Vorsprünge beschrieben wird, übersteigt die griffige Vereinfachung zuweilen das Hinnehmbare.

Richtig ist, daß als Reaktion auf die deutschen Leitstrahlverfahren zur Zielfindung das sehr präzise, wenn auch entfernungsmäßig beschränkte britische "Oboe"-Zielverfahren entstand, aber aus "Oboe" wurde nicht "Würzburg" entwickelt, das deutsche Nahortungs- und Flakzielgerät. Dies gab es schon lange bevor "Oboe" ins Spiel gebracht wurde. Zudem wird die Wellenlänge des "Würzburg"-Gerätes mit 5,3 Zentimeter falsch angegeben. Dies soll, wie es ausdrücklich heißt, eine "bis dahin unerreichte" Frequenz gewesen sein. Dies ist richtig, und hätten die Deutschen diesen Vorsprung gehabt, dann hätten sie den Radarkrieg wahrscheinlich gewonnen. Aber gerade an den Zentimeterwellen scheiterten die Deutschen, weil sie ihnen viel zu lange keine kriegswichtigen Entwicklungs- und Anwendungsmöglichkeiten beimaßen, während die Engländer ihre Radarentwicklung gerade auf sie konzentrierten, so daß ihr Vorsprung im Zentimeter-Bereich nicht mehr aufgeholt werden konnte.

In Wirklichkeit betrug die Wellenlänge des "Würzburg"-Gerätes nur 53,6 Zentimeter, was nun wieder mit der später angegebenen Länge der britischen Stanniol-Dipole zur Störung des "Würzburg" von etwa 25 Zentimeter (= 1/2 "Würzburg") übereinstimmt. Vielleicht beruhte der Irrtum aber auf einem verrutschten Komma, wie es beim Druck vorkommen kann.

- Die "Kammhuber"-Linie, der Riegel von Radar-Geräten zur Erfassung der Feindbomber und der Führung der Jäger in Positionen zu deren Abschuß, wurde nicht erst durch die Störung der deutschen Radargeräte mit Hilfe von "window" genannten Dipolen ab 25. Juli 1943 lahmgelegt, sondern schon vorher durch die Einführung des "Bomberstromes" weitgehend um ihre Wirkung gebracht. Die Masse der Bomber durchbrach den Radarriegel konzentriert an einer schmalen Stelle, an der jeweils nur eine weitaus ungenügende Zahl von Jägern herangeführt werden konnte. Das "Wilde-Sau"- und "Zahme-Sau"-Verfahren wurde daher schon eingeübt, um dem Gegner überall im Raum eine konzentrierte Jagdabwehr entgegenstellen zu können.

- Die Stadt Amklam war nicht "unbeabsichtigt" der Zerstörung anheimgefallen, sondern sie war von vornherein Ausweichziel, falls das dortige Flugzeugwerk nicht gefunden werden konnte.

- Die durch die Ankündigung des "Ausradierens" der englischen Städte bekannt gewordene Hitler-Rede fand am 4. und nicht am 5. Sepetmber 1940 statt.

- Der Beginn der britischen strategischen Bomberoffensive gegen Deutschland war nicht am 11. sondern am 15./16. Mai 1940, wie man es sehr anschaulich bei John Terraine nachlesen kann.

Die amerikanische Tagesoffensive im Februar 1944 richtete sich nicht gegen die deutsche Flugzeugindustrie als solcher, sondern gezielt gegen die Jägerfertigung. Wenn auch die Flugzeugproduktion in der Folge wieder stieg, so doch nicht in dem geplanten Maße, was zu erwähnen vergessen wurde.

- Tokio wurde am 10. und nicht am 9. März 1945 durch Brandbomben vernichtet.

Coventry - das ist vielleicht eine Folge meiner Kritik am Luftkriegskapitel seines Buches "Das Gesetz des Krieges" - wird nicht mehr mit bombardierten deutschen Städten gleichgesetzt, geschweige denn mit Dresden, wie noch früher.

Bei der Behandlung Dresdens fällt eine gewisse Zurückhaltung auf, wenn man von der wiederum sehr plastischen Schilderung der Zerstörung absieht. Möglicherweise hat Friedrich das Buch von Helmut Schnatz über die Frage der Tieffliegerangriffe am 13. und 14. Februar 1945 über Dresden gelesen. Er führt es aber nicht an. Vielsagend heißt es über die Elbwiesen, wohin sich viele geflüchtet hatten, nur lapidar: "Darauf prasselte ein Großteil der Munition der Folgeattacke." Prasseln bringt man eigentlich eher mit MG-Munition in Verbindung. Aber Tieffliegerangriffe mit Maschinengewehren hat es dort an diesen beiden Tagen nicht gegeben. Möglicherweise möchte sich Friedrich nicht gegen eine wissenschaftliche Untersuchung stellen, glaubt aber insgeheim an diese Angriffe, die ja sonst überall in Deutschland stattgefunden haben. Das Thema Dresden hätte es verdient, zu seinem Verständnis in den größeren politischen und strategischen Zusammenhang des beginnenden Jahres 1945 gestellt zu werden. Leider findet man darüber kaum etwas.

So ist mancher Irrtum, manche Unklarheit in dem Buch enthalten. Wichtige Literatur wurde nicht zur Kenntnis genommen, so zum Beispiel das Werk von Alfred C. Mierzejewski "Bomben auf die Reichsbahn" (1993), das die eminent wichtige Rolle der Zerstörung des deutschen Bahnverkehrs in der letzten Kriegsphase für den endgültigen Zusammenbruch des Dritten Reiches beleuchtet.

Wichtig wäre ein Blick in Richard Overys "Why the Allies Won" gewesen, weil dort gezeigt wird, daß die Bombardierung unschuldiger Zivilisten in deutschen Städten durchaus gewaltige negative Auswirkungen auf die deutsche Rüstungswirtschaft und die militärische Widerstandskraft hatte und von einem die Ethik ausklammernden Standpunkt für die Alliierten nicht "vergebens" war.

"Zerstörungs- und Tötungstrunkenheit"

Man vermißt an dem Buch eine den tatsächlichen Ablauf des Bombenkrieges adäquate Strukturierung und gründliche Ausleuchtung der dahinter verborgenen Überlegungen und Absichten, die ja bei den Amerikanern und anfangs auch bei den Engländern keineswegs primär immer nur auf das Töten von Zivilisten abzielten. Dies und die dazugehörige "Zerstörungs- und Tötungstrunkenheit" scheint aber der Tenor des Buches zu sein, dem alles untergeordnet wird.

Entsprechend wird zu wenig differenziert. Das fängt schon an mit der vom Verfasser im Editorial sicher löblich gemeinten Nennung meines Namens in einem Atemzug mit Olaf Groehler, dem Stasi-Vertrauten und Chef des sogenannten Reisekaders sowie stellvertretenden Direktor des Zentralinstituts der SED für Geschichte, der auch der "Luftkriegspapst" der DDR war. Unseren Veröffentlichungen fühlt sich der Verfasser verpflichtet. Nun habe ich Groehlers Kenntnisse und Arbeitsproduktivität immer geschätzt. Gleichzeitig habe ich ihn aber wegen seiner marxistisch-ideologisch ausgerichteten einseitigen Darstellungsweise stets kritisiert, zumal er als einer, der in den Westen reisen durfte, es besser hätte wissen können. Seine Rolle bei der Stasi legte den Abstand nahe. Wenig differenziert wird auch, wie Jeismann in der FAZ ebenfalls schon bemerkte, zwischen den Vorgängen in den Konzentrationslagern und im Bombenkrieg.

Vertragliche Regelungen für den Bombenkrieg fehlten

Sachlich bringt das Buch nichts, was man nicht schon seit Jahrzehnten in der einschlägigen wissenschaftlichen - auch der amtlichen - angelsächsischen und deutschen Literatur hätte lesen können. Insbesondere ist hier auf die vielen lokalen Beschreibungen des Luftkrieges "von unten", also der Leiden der Zivilbevölkerung in den deutschen Städten zu verweisen.

Die Klage des Schriftstellers G. W. Sebald, das Luftkriegsgeschehen sei in Deutschland noch nicht literarisch verarbeitet worden, scheint auf Unkenntnis der Materie zu beruhen, es sei denn er meint mit "literarisch" etwas ganz Bestimmtes, wie es nun von Friedrich geliefert wird. Im Zentralteil seines Buches, der ein Kolossalgemälde des Schreckens in den bombardierten Städten darstellt, werden jedoch die fürchterlichen Szenen, die in allen zerstörten Städten einander ähneln, bis zum Erbrechen wiederholt. Vieles kann man beim Lesen überspringen, weil es sich immer wieder gleicht.

Die griffige Sprache macht es nicht zu einem literarischen Ereignis. Dennoch gebührt Jörg Friedrich das Verdienst, daß er durch den - manchmal zeitlich verwirrenden - Rückblick auf die Kunst und Geschichte der der Zerstörung ausgesetzten Städte den Kulturbruch deutlich macht, den dieser Bombenkrieg wie auch die vom NS-Regime begangenen Ungeheuerlichkeiten in unserer Zeit darstellen.

Der Bomber galt bei allen größeren Mächten als neue technische Waffe, deren Besitz und Stärke einen nationalen Vorteil gegenüber anderen bedeutete, den man sich durch internationale Vereinbarungen nicht aus der Hand winden lassen wollte. Der Vorteil wurde vor allem in der Umgehung des blutigen Stellungskampfes wie im Ersten Weltkrieg durch Umfassung über die dritte Dimension und direkte Zerstörung der gegnerischen Kraftzentren im Hinterland gesehen.

Abgesehen von den bestehenden humanitären Grundauffassungen des Gewohnheitsvölkerrechts gab es für den strategischen Bombenkrieg noch kaum vertragliche Regelungen. Einschlägige Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung wurden nicht von allen Staaten ohne weiteres auf diese Art des Bombardements übertragen. Es herrschte aber allgemein die Auffassung, daß militärisch relevante Ziele wie Fabriken und Kasernen in Städten möglichst im Rahmen der Verhältnismäßigkeit angegriffen werden durften, weil sonst ein jeder seine Truppen und Fabriken durch Verlagerung in Wohngebiete schützen konnte.

Roosevelts Appell bei Kriegsbeginn, die Zivilbevölkerung bei Luftbombardements zu schonen, stimmten die damaligen Kriegsparteien unter der Voraussetzung zu, daß ihrem jeweiligen Ermessensurteil unterliege, wann ein Gegner gegen die herkömmlichen Grundsätze verstoßen habe. Somit war der Eskalation des Bombenkrieges Tür und Tor geöffnet.

Je länger der Zweite Weltkrieg dauerte und je erbitterter er sich ideologisch gestaltete, desto mehr trafen sich die Hauptluftmächte von sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen her und aus den verschiedensten Gründen auf dem untersten gemeinsamen Nenner, dem des Terrorluftkrieges gegen die Zivilbevölkerung. Zuerst taten das die Engländer, weil sie vergessen hatten, Zielverfahren zu entwickeln und, nachdem sie bei Tage mit ihren Bomben nicht durchdrangen, nachts nur Städte - wenn überhaupt - treffen konnten. Als einzige Luftmacht kannten sie in ihrer Doktrin auch die Bekämpfung unbotmäßiger Stämme, also von Zivilisten aus der Luft als Regel, allerdings nach vorheriger Warnung. Selbst nachdem die Royal Air Force genaue Zielverfahren entwickelt hatte, blieb sie bei den Flächenangriffen.

Die deutsche Luftwaffe, der man heute noch die Luftangriffe auf Guernica, Warschau, Rotterdam und Coventry fälschlicherweise und trotz gegenseitiger Feststellungen seitens der Betroffenen als bewußte Terrorangriffe vorwirft, schwenkte im Frühjahr 1942, nach dem Ausbrennen von Lübeck und Rostock, auf Befehl Hitlers, der nach dem Rückschlag vor Moskau Ende 1941 alle Brücken hinter sich abbrach, mit den "Baedecker"-Angriffen auf englische Kulturstädte auch der Absicht nach auf den unterschiedslosen Bombenkrieg ein, wenn aus Mangel an Flugzeugen auch nur für kurze Zeit. Diese Art der Luftkriegsführung wurde 1944/45 vor allem durch die ungenauen V-Waffen fortgeführt.

Die Amerikaner folgten auf diesem Wege vor allem ab 1943/44 mit ihren Radarangriffen auf die Bevölkerung und schließlich mit dem konventionellen Brandbombenangriff auf Tokio am 10. März 1945 und dann mit den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945. Die durch die technischen Möglichkeiten der Bomberwaffe gegebene Versuchung ließ überall bestehende moralische Bedenken weit hinter sich.

Friedrichs Sprache ist die Bildersprache des Fernsehen

Friedrich verdient Anerkennung wegen seines Versuches, das weite Bereiche erfassende, sehr komplizierte Luftkriegsgeschehen in zwei Buchdeckel zu pressen. Hierzu gehörte eine enorme Arbeitsleistung und eine ebensolche Auffassungsgabe. Der Versuch konnte nicht vollständig sein, weil er sich vor allem auf das Schicksal der Zivilbevölkerung im Bombenkrieg richtete. Auch wenn das Buch wegen seiner ungenauen Zitierweise und lückenhaften Quellennachweise kein wissenschaftlich verläßliches Werk ist, so besitzt es doch durch die Formulierungskraft des Autors sicher eine große literarische Durchschlagskraft. Dies ist wohl sein Eigentliches.

Man fragt sich, wie einem Autor zumute ist, der auf Hunderten von Seiten ständig durch Ströme von Blut und Berge von zerfetzten Leibern watet. Die Sprache, die er wählt, ist die Bildersprache des Fernsehens angewandt auf die literarische Darstellung des Bombenkriegsgeschehens. Ist dies heute der einzige Weg, um besonders uns Deutsche, die wir durch Wirtschaftswunder und Sozialstaat ein bißchen sklerotisch und denkfaul geworden sind, dazu zu bringen, daß wir wenigstens den leidvollsten Teil unserer Geschichte verinnerlichen? Vielleicht kann das Werk eine wertvolle Ergänzung der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse "von unten" sein.

Jörg Friedrich: Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945. Propyläen Verlag, München 2002, 592 Seiten, 25 Euro

 

Dr. Horst Boog war leitender wissenschaft-licher Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter "Die Deutsche Luftwaffenführung 1935-1945. Führungsprobleme, Spitzengliederung, Generalstabsausbildung" (1989), als Herausgeber den Band "Luftkriegführung im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich" (1992) und "Das Deutsche Reich in der Defensive. Strategischer Luftkrieg in Europa, Krieg im Westen und in Ostasien 1943-1944/45" (2001)


 
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