© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Jesus und die Ikebana-Schale
Kirche: Martin Mosebach erklärt, warum die römische Liturgie unverändert zeitgemäß ist
Günter Zehm

Er ist einer unserer begabtesten Schriftsteller, eine wahre Tröstung in diesen dürftigen Zeiten. Deshalb greift man willig und gespannt nach dem neuesten Buch von Martin Mosebach, auch wenn es den etwas abstoßenden Titel "Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind" trägt. Römische Liturgie? Abschaffung des Lateinischen im katholischen Gottesdienst? Das war doch Zweites Vatikanisches Konzil, fast vierzig Jahre her, längst abgelegt. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Um so erstaunter ist man, nachdem man zu lesen begonnen hat. Und es ist nicht nur das Parlando des Mosebachschen Stils, das gefangen nimmt, der sinnliche Glanz der Sprache, die lässige Eleganz, mit der schwierigste und gelehrteste Sachen vorgetragen werden . Nein, gefangen nimmt auch das Thema selbst, eben die Abschaffung der alten Liturgie, ein Unternehmen, das sich in der von Mosebach eröffneten Perspektive als ein geradezu höllischer Anschlag auf Kultur und Glauben enthüllt. Auch wer nicht katholisch ist, spürt sogleich: Deine eigene Sache wird verhandelt, es geht um wichtige, die Existenz ergreifende Dinge.

Dabei spielt die Verbannung des Lateinischen aus dem Ritus noch die geringste Rolle. Es wurde damals ja nicht nur das Lateinische abgeschafft, sondern die ganze Heilige Messe wurde von Grund auf "reformiert", ausgekehrt, "von historischem Ballast befreit". Mosebach spricht von Ikonoklasmus, Bildersturm, und ein Bildersturm war es tatsächlich. Historische Altäre wurden zerschlagen, Meßbücher weggesperrt, Ornate eingemottet, der gregorianische Gesang durch "echte Kirchenlieder" ersetzt. Ganze zeremonielle Abläufe fielen der Reformwut zum Opfer, wurden "modernisiert", verkürzt, umfunktioniert, in ihr Gegenteil verkehrt.

Es war eine veritable "Kulturrevolution", und Mosebach stellt denn auch direkte Bezüge zur gleichzeitig oder kurz danach von den chinesischen Maoisten und dann von den westlichen 68ern organisierten "Kulturrevolution" her. Hier wie dort ging es gegen den Geist an sich, gegen die Tradition und die von ihr nahegelegte Zucht. Man wollte es nun auch in der Kirche bequem haben, die Schlipse lockern, bzw. sich nicht mehr ins Kollar hineinzwängen, sich "den ganzen alten Plunder" vom Leib schaffen. Nicht die Liebe zu Gott, sondern der Drang zur zeitgemäßen Arbeitsgestaltung prägte die Bewegung.

Aber das ist nur die eine, sogar die unwichtigere Seite der Angelegenheit. Hinter der Sucht auf Abräumen erkennt Mosebach eine weitere Sucht, die nun freilich ins Zentrum jeglicher Religiösität zielt: Die Sucht auf flächendeckende Ersetzung der Religion durch Politik. Das Modell der "reformierten" Messe, sagt er, "ist der Vorstandstisch bei der Partei- oder Vereinsversammlung mit Mikrophon und Papieren, links steht eine Ikebana-Schale mit alter Wurzel und bizarrer orangefarbener exotischer Pflanze, rechts befinden sich zwei Fernsehkerzen in handgetöpfertem Leuchter... Eine solche Vereinssitzung mit demokratischer Geschäftsordnung ist der Phänotyp der neuen Liturgie, und das ist auch nur konsequent, denn wer das überzeitliche Mysterium nicht will, der wird unvermeidlich in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit landen. Einen dritten Weg gibt es nicht."

Überzeitliches Mysterium. Jeder Gottesdienst, der überhaupt einen Sinn hat, geht aus von der wahrhaftigen und wirklichen Anwesenheit Gottes. Dieser wird beschworen, ihm wird geopfert, zu ihm wird gebetet, ihm wird "gedient". Der Ritus mit seinen liturgischen Handlungen hat einzig den Zweck, diese Anwesenheit Gottes sicherzustellen, genau darin besteht das Mysterium. Wer den Ritus in Frage stellt, ihn im Stil eines Theaterkritikers abschmeckt und diskutiert, schwächt ihn, zerstört das Mysterium.

Nun kennt das Christentum - Mosebach geht ausführlich darauf ein - an seinem Ursprung wenig rituelles Bewußtsein, ignoriert die Scheidung heiliger Räume und Lebensabschnitte von profanen. Jesus war ein Wanderprediger, um ihn herum scheinen Raum und alte Ordnung aufgehoben, ihm gilt kein Sabbat und kein Speisegebot, er betritt die Häuser der moralisch Unberührbaren und weist jedes rituelle Bedenken schroff zurück. Der Apostel Paulus wollte denn auch gar keine religiösen Feste gefeiert wissen, für die Erlösten war jeder Tag Ostern.

Nicht das Erscheinen des Gottes im heiligen Hain oder im brennenden Dornbusch war für die Christen das wahre Mysterium, sondern die Fleischwerdung Gottes im Menschensohn, welcher ganz alltäglich unter ihnen wandelte und schließlich, wie jeder Mensch, den Tod erleiden mußte. Präludiert jedoch und präludierend aufgehoben wurde dieser Tod im Abendmahl, im Brechen des Brotes, dem "umgekehrten Opfer". Dies war das Unterpfand des sicheren Aufgehobenseins in Gott, Ausweis von dessen unverbrüchlicher Anwesenheit, dies wurde zum Kernpunkt christlicher Ritualität.

Christlicher Gottesdienst, sagt Mosebach, ist in erster, zweiter und auch noch dritter Linie Feier des Gottesopfers und der Anwesenheit des Menschensohns, und dieser Ritus kann zwar durch die Zeiten hindurch spontan variieren und wechselnde Gestalt annehmen, er darf jedoch nicht theaterkritikerhaft befragt oder gar kulturrevolutionär "reformiert" werden, weil ihm dann sein Mysterium, sein Geheimnis abhanden kommt, er zum Gegenstand vereinsmeierischen Kalküls wird, sich in fadeste Politik verwandelt.

Ein machtvolles Donnerwort zweifellos, das noch zusätzlich Gewalt gewinnt durch die bescheidene, echt dichterische Grazie, mit der es gesprochen wird. Faszinierend der Mut, mit dem Mosebach gewisse Konsequenzen zieht. Das Zweite Gebot des Dekalogs, "Du sollst dir kein Bildnis machen", wird von ihm frontal zurückgewiesen. "Das Zweite Gebot ist eindeutig. Nur Gott selbst kann es zurücknehmen. Und Gott hat es zurückgenommen. Er hat sein Ebenbild geschaffen. Man könnte so weit gehen und Jesus Christus das Selbstportrait Gottes nennen, denn wenn einer nach Adam Gottes Ebenbild war, dann Jesus. Seit Jesus lautet das Zweite Gebot des Dekalogs:'Du sollst dir von Gott ein Bild machen, und dieses Bild ist Jesus Christus'."

Juden und Muslime werden aufschreien. Und auch diesem und jenem Protestanten mag unbehaglich sein, ist er doch überzeugt davon, daß Gott nach Auskunft des Johannes-Evangeliums "Wort" ward und Gottes Anwesenheit sich in erster Linie im "Wort" manifestiert, nicht im Bild und nicht in der Musik und auch nicht in der Liturgie, in der sich Bild, gregorianischer Gesang und auf klanglichen Rebus reduzierte Sprache (Latein) zur Feier des Abendmahls so großartig vereinen.

Ob aber nun Bild oder Wort - beide sind im Zeichen der Vereinsmeierei und medialen Politikasterei gleichermaßen blamiert und stecken tief in der Krise. Ein Buch wie das von Martin Mosebach kommt deshalb allemal gelegen. Es ist wie eine Posaune vor Jericho. Ob was einstürzt, darf freilich bezweifelt werden.

Martin Moebach: Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind. Karolinger Verlag, Wien 2002, 157 Seiten, 15 Euro


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen