© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Zeitschriftenkritik: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte
Der Linken neue Kleider
Werner Olles

In der monatlich erscheinenden Zeitschrift Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, bekanntlich ein Sprachrohr kritischer Gesellschaftstheorie unter der redaktionellen Verantwortlichkeit von Peter Glotz und Norbert Seitz, in dem neo-sozialdemokratisch orientierte Publizisten und Politiker ihre Gesellschaftsanalysen vorstellen, feiert der österreichische Sozialist Hannews Swoboda das Kabinett Schröder II und das rot-grüne Projekt, das "für Deutschland und für Europa einige entscheidende Akzente gesetzt" habe. In weiten linken Kreisen ist bereits in jeder Bemerkung, die theoretisch sein will, ein Hinweis auf die "aus einer europäischen Perspektive wichtigen Akzente" so obligatorisch wie einst ein Mao-Zitat.

Michael Bürschs Aufsatz "Demokratisierung durch bürgerschaftliches Engagement" bewegt sich hingegen auf der Ebene aufgeklärten Geschwätzes im Endstadium. Das Raunen der bürgerlichen Vernunft über die "Zivilgesellschaft" ist die Farce der Farce und fällt im Niveau weit hinter Horkheimers und Adornos Aufklärungskritik zurück. Eine scharfe Positionsbestimmung in dieser Frage findet nicht statt. Theoretisch ist das alles sehr viel altbackener, als es zu sein vorgibt.

Die sozialdemokratische Linke bringt es nun einmal partout nicht fertig, die schockierende Wahrheit auszusprechen, daß die in der Globalisierung zur Weltgesellschaft gewordene Form der Reproduktion die Welt nicht nur verwüstet, sondern sich mit den Freuden der bürgerlichen Individualität gleichzeitig auch die ausgeleierten bürgerlichen Tugenden und westlichen Werte ins Haus geholt hat. Dies ist in der Tat die zu sich selbst gekommene Aufklärung, in deren fahlem Licht sich die intellektuelle Plebs so gerne bräunen läßt.

Es bedarf also heute mehr denn je einer radikalen emanzipatorischen Antimoderne, die sich nicht nach dem Muster bürgerlich-westlicher Gegenaufklärung in die Idealisierung irgendeiner Vergangenheit flüchtet. Dieses alle Ebenen der Reflexion und alle Lebensbereiche übergreifende revolutionäre Großprojekt hätte politische, kulturelle und soziale Kategorien ebenso zu erfassen wie den Alltag. Die "Neue Gesellschaft", die aus ihm hervorginge, wäre naturgemäß eine andere, als die Links-Intelligentsia mit ihrer militanten westlichen Werte-Huberei sie fordert. Weil sie genau dies ahnt, daß es kein Zurück zur Sicherheit und Heimat der Aufklärung geben kann, wird jetzt eine nebulöse "Zivilgesellschaft" als Träger selbstverantwortlichen Handelns beschworen und an die Stelle staatlicher Macht gerückt. Dieser Realismus bezeichnet jene Form von Selbstverdummung, die für die Kompatibilität der eigenen Auffassungen mit der offiziellen Regierungspolitik sorgt.

Dennoch kann die Linke über die Tolpatschigkeit der Konservativen und Rechtspopulisten mehr als frohlocken: Es reicht eben nicht, daß die Wirklichkeit zum Gedanken drängt, es muß auch der kritische Gedanke zur Wirklichkeit drängen.

Friedrich-Ebert-Stiftung. Hiroshimastr. 17, 10785 Berlin. Einzelpreis 7,60 Euro. Jahresabo: 50,60 Euro. Internet: www.frankfurter-hefte.de 


 
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