© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Liebe in der Lüge
Kino: "Happy Times" von Zhang Yimou
Claus-M. Wolfschlag

Viele Jahre schon ist Zhao (Zhao Benshan) vergeblich auf Brautsuche. Kein Wunder, ist es doch nicht nur in China für einen pensionierten Fabrikarbeiter jenseits der 50 Jahre kein leichtes Unterfangen, noch adäquate Weiblichkeit zu beeindrucken. Ausgehungert wie Zhao scheint man nicht allzu wählerisch und so wirbt der Alte um die Gunst einer soeben kennengelernten Dicken, deren Geldgier und Boshaftigkeit jedem anderen sofort ins Auge springen würde.

Um die Umworbene damit zu beeindrucken, daß er ein reicher Mann sei, baut Zhao einen abgewrackten Bus auf einem Brachgrundstück in ein Liebeshotel für junge Pärchen aus, kassiert damit erste Einnahmen und gibt sich folglich gegenüber der Angebeteten großspurig als Hotelmanager aus. Diese wittert eine Gelegenheit, ihre ungeliebte, blinde Stieftochter Wu Ying (Dong Jie) loszuwerden und verlangt von Zhao, dem Mädchen einen Job als Masseurin in seinem Hotel zu verschaffen.

Als Zhao mit dem jungen Mädchen den Bus aufsucht, wird er allerdings unfreiwilliger Zeuge von dessen Verschrottung durch kommunale Gartenpfleger. Zhao gerät in ein Dilemma. Damit die geldgierige Braut nichts über seine wahre finanzielle Situation erfährt und aus Mitleid mit der an der Misere unschuldigen Stieftochter inszeniert Zhao ein groteskes Täuschungsmanöver. In einer ihm zeitweilig überlassenen, leerstehenden Fabrikhalle richtet er mit seinen Freunden aus einigen Stellwänden ein provisorisches Hotel-Massagestudio ein - ein "Potemkinsches Dorf" mit künstlichem Straßenlärm vom Kassettenrecorder. Jeden Tag führt er nun die blinde Wu Ying in das angebliche Massagestudio und bringt seine Freunde dazu, sich im fliegenden Wechsel dort als angebliche Hotelbewohner den Rücken kneten zu lassen. Irgendwann jedoch bricht auch dieses Lügengebäude zusammen...

Chinas berühmtester Regisseur Zhang Yimou ("Rote Laterne", "Die Geschichte der Qiu Ju") präsentiert mit "Happy Times" eine bittersüße Tragikomödie, die durch die ausgeglichene Mischung aus grotesker Komik und anrührender Sentimentalität besticht. Zhang Yimou ist sicherlich kein cinematographischer Revolutionär, steht der von vielen Jungfilmern kopierten "Dogma 95"-Ästhetik fern und weist eher stilistische Nähe zum französischen Film der 1970er Jahre auf.

Bezeichnend erscheint übrigens auch an diesem Filmdokument, wie die Angleichung der Lebenswelten in Zeiten der Globalisierung voranschreitet. Dieselben Betonburgen, derselbe Autolärm, dieselben bimmelnden Handys, Schnellrestaurants und "Häagan-Dazs"-Eisfilialen in China wie in Frankfurt oder London oder Barcelona.

Universell ist allerdings auch die Thematik: Mit "Happy Times" hat Zhang Yimou einen lieblichen, schlichten Film dargereicht, eine ebenso komische wie herzergreifende Behandlung des Themas Menschlichkeit, Liebe und Sehnsucht nach Glück. Der alternde Arbeiter Zhao, der sich noch einmal nach etwas weiblicher Wärme und Zärtlichkeit sehnt, erfährt hierbei seine höchstwahrscheinlich letzte Enttäuschung mit einer Frau, die sein ehrliches Bemühen nicht goutiert, sondern sich von sozialdarwinistischen Auswahlkriterien leiten läßt.

Wo Zhao lügt, um zu gewinnen, verliert er, als die versprochenen Seifenblasen platzen. Wo er lügt aus absichtsfreier Liebe - Wu Ying wird ihm wie eine Tochter -, gewinnt er, auch wenn die Lüge schon lange bekannt ist.

So liegt die Moral der Geschichte für Zhao in der Erkenntnis, daß auf eine Lüge die nächste folgt und alles immer komplizierter und für die eigene Seelenlage gefährlicher wird. Doch die Sehnsucht nach Anerkennung und unsere Rücksichtnahme auf die Verletzlichkeit des Mitmenschen zwingen uns anscheinend jeden Tag aufs neue, der Wahrheit zu entsagen. Und so nimmt Wu Ying, das traurige, blinde Mädchen, alle absurden Erklärungen Zhaos hin, erscheint gar glücklich dabei, einmal Anerkennung und ehrliche Zuneigung in der Lüge gefunden zu haben.


 
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