© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
In den Tod getrieben
Selbstmord unter dem Kreuz: Vor sechzig Jahren nahm sich der Schriftsteller Jochen Klepper das Leben
Karlheinz Weißmann

Wir sterben nun - ach, auch das steht bei Gott - Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben." Diese Sätze beschließen die Tagebuchaufzeichnungen Jochen Kleppers, der sich mit seiner Frau und seiner Stieftochter am 11. Dezember 1942 das Leben nahm. Sein Freund, der Schriftsteller Reinhold Schneider, sprach von "Selbstmord unter dem Kreuz" und hat für die Tat keine mildere Formulierung gewählt, auch um den Gewissensqualen Kleppers gerecht zu werden, der lange mit sich gekämpft hatte, bevor er diese letzte Entscheidung traf. Als Christ erschien ihm die Selbsttötung sündhaft, mangelndes Vertrauen in Gottes lenkende Hand, mit Luther: Aufbegehren gegen den deus absconditus, den abgewandten Gott.

Klepper war noch einer geistigen Welt verhaftet, von der es heute kaum mehr Spuren gibt. Sein frommer und ernster Protestantismus gehörte zur Tradition, in die er als Sohn eines evangelischen Geistlichen hineingeboren wurde, auch wenn ihm das Überlieferte anfangs fremd blieb. Am 22. März 1903 im schlesischen Beuthen auf die Welt gekommen, verbrachte er Kindheit und Jugend in der Geborgenheit des Pfarrhauses. Für den Sohn eines Geistlichen lag es nahe, seinerseits die kirchliche Laufbahn einzuschlagen, und 1922 nahm Klepper an der Universität Erlangen ein Theologiestudium auf, das er dann an der Hochschule in Breslau fortsetzte. Den Plan Pfarrer zu werden, muß der schwärmerische und manchmal etwas exaltiert Wirkende aber schon bald verworfen haben, nicht allein, weil ihn seine empfindliche Gesundheit für diesen Beruf ungeeignet erscheinen ließ, sondern auch, weil Klepper an seiner Bestimmung zweifelte. Daß die sich verschlechternde finanzielle Lage des Elternhauses die Fortsetzung des Studiums unmöglich machte, dürfte nur den letzten Anstoß gegeben haben.

Die Eheschließung sollte sein Schicksal bestimmen

Als Klepper 1926 die Universität verließ, war er schon entschlossen, Schriftsteller zu werden und übernahm nur aus Gründen der Existenzsicherung eine Tätigkeit als Leiter des "Evangelischen Presseverbandes" in Schlesien und als Journalist. Doch konnte auch dieser Schritt eine gewisse innere Unruhe nicht völlig beheben. Ende der zwanziger Jahre geriet er in eine Lebenskrise, die ihn an den Rand der Verzweiflung führte. In dieser Situation lernte er Johanna Stein kennen, die Witwe eines jüdischen Rechtsanwalts, elf Jahre älter als er selbst und Mutter von zwei halbwüchsigen Töchtern. Gegen alle gesellschaftlichen Widerstände und um den Preis eines Bruchs mit den Eltern heiratete Klepper Johanna Stein 1931 und verließ das heimatliche Schlesien, um mit seiner Familie in Berlin zu leben. Wie sehr diese Eheschließung sein weiteres Schicksal bestimmen sollte, konnte er damals noch nicht ahnen.

Klepper war seinem Wesen nach ein unpolitischer Mensch. Mehr aus sentimentalen Gründen, bestimmt von einem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl und der persönlichen Freundschaft zu einigen Sozialdemokraten in Breslau, hatte er sich den "Religiösen Sozialisten" und der SPD angeschlossen. Aber die Bindung an die Linke blieb schwach. Er wünschte immer, die Führung der Partei möge sich "aus der Enge des sozialdemokratischen Parteiprogramms zu einer nationaldeutschen Auffassung und Arbeit" durchringen, und wie so viele junge Menschen in der Weimarer Republik war auch er davon überzeugt, daß alle politischen Anstrengungen zuerst auf die Beseitigung des "Diktatfriedens" von Versailles gerichtet werden müßten. Durch seine Heirat blieb er allerdings von der Illusion verschont, daß die NSDAP die Kraft sei, Deutschland zu erneuern. Zwar sah auch er die Bewegung nicht ohne alle Hoffnung, aber der rabiate Antisemitismus vieler Anhänger Hitlers erfüllte ihn mit Sorge.

Denunziationen und eine wachsende Isolierung

Das Jahr 1933 begann für Klepper mit einem ersten größeren literarischen Erfolg durch die Veröffentlichung seines Romans "Der Kahn der fröhlichen Leute". Aber als früherer Sozialdemokrat und Ehemann einer Jüdin hatte er nach der nationalsozialistischen Machtergreifung mit Restriktionen zu rechnen. Zwar sprach man kein Arbeitsverbot gegen ihn aus, verwehrte ihm aber die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer; eine dann doch erteilte Ausnahmegenehmigung wurde 1937 wieder eingezogen. Seine Stelle beim Rundfunk hatte Klepper bereits 1933 verloren, zwei Jahre später wurde er auch als Sekretär im Ullstein-Verlag entlassen und war von da an völlig auf den Broterwerb mit Hilfe seiner Publikationen angewiesen.

Klepper bedrückten in der neuen Zeit nicht nur die Denunziationen, die wachsende Isolierung seiner Familie und die sich verschlechternden Lebensumstände, sondern auch die innere Ungewißheit. Seine Tagebuchaufzeichnungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Titel "Unter dem Schatten deiner Flügel" veröffentlicht wurden, sind ein ergreifendes menschliches Zeugnis dieser Empfindung, aber auch der Reflexion über das Schicksal der deutsch-jüdischen Symbiose.

Den Gedanken an Emigration wies er zurück

Unter dem 18. Juli 1935, kurz vor Inkrafttreten der "Nürnberger Gesetze", notierte er: "Wenn Menschen das Leben einer deutschen Familie führen, dann sind wir es. Wenn Menschen ohne Heimat und ohne Klarheit und Würde ihrer Umwelt kaum auskommen können, sind wir es. Und diese Mischehe soll nun Volksverrat, Entartung, Zersetzung sein. Beziehung zu Juden und Jüdinnen sollen in Zukunft sogar mit Konzentrationslager bestraft werden. Noch sind die Kinder völlig unbefangen und haben in der Schule nicht zu leiden. Das Schwerste für die Juden dieser Bildungsschicht ist, daß sie derart in Deutschland aufgegangen sind - nur deutsche Landschaft, Sprache, Musik, Literatur, nur deutsche Feste lieben ..."

Klepper hatte durch seine Ehe einen besonderen Zugang zu der Welt jüdischer Deutscher, was ihm schmerzlich bewußt machte, welches Unrecht die Ausgrenzung und dann die Verfolgung waren. Im Kontakt zur "Bekennenden Kirche" versuchte er, die evangelischen Christen zu einem entschlosseneren Eintreten für diese Gruppe zu bewegen, aber ohne Erfolg. Er zerfiel darüber nicht mit seinem Gott, vielmehr vertiefte sich sein Glaube und machte auf seine Frau und Stieftochter einen so nachhaltigen Eindruck, daß beide noch 1938 die Taufe nahmen.

Den Gedanken an Emigration wies Klepper immer zurück, genauso wie er das Scheidungsangebot seiner Frau Johanna ablehnte. Der einzige Ausweg, der sich ihm eröffnete, war der der inneren Emigration. Als einen Akt des geistigen Widerstands muß jedenfalls Kleppers 1937 erschienener "Roman "Der Vater", ein Buch über den Soldatenkönig Friedrich I., gelesen werden. Darin stellte er dem totalitären Regime einen wenn auch strengen, so doch rechtlichen Staat gegenüber. Die nationalsozialistische Führung, die sich gerne auf die preußische Tradition berief, konnte schwer etwas gegen das Werk einwenden, ahnte aber wohl, was der Verfasser eigentlich gemeint hatte. Das Buch war ein großer Erfolg, und schon im Jahr des Erscheinens wurden mehr als hunderttausend Exemplare gedruckt. In den Kreisen der stillen, konservativen Opposition - vor allem im Offizierskorps der Wehrmacht - verstand man die Botschaft und gewährte Klepper zukünftig einen gewissen Schutz.

Das Vaterland wollte seinen Dienst nicht

Klepper hat sich auch in den folgenden Jahren noch mit Friedrich Wilhelm I. beschäftigt, 1938 einen kleinen Band herausgegeben, in dem die Begegnungen des Königs mit den pietistischen Führern wiedergegeben waren ("Der Soldatenkönig und die Stillen im Lande") und im selben Jahr auch eine Anthologie mit dessen Briefen und Gemälden veröffentlicht ("In tormentis pinxit"). Das Bild, das er von der Person des Herrschers entwarf, entsprach nicht den konventionellen Sichtweisen: nicht der harmonisierenden, die keinen Schatten auf die Dynastie der Hohenzollern fallen lassen wollte, und nicht der karikierenden, die in Friedrich Wilhelm nur das Monstrum sah, das alle negativen Eigenschaften des Preußentums verkörperte.

Klepper verschwieg die Roheit des Königs nicht, nicht seine Härte und beschränkte Bildung, aber er fühlte sich angezogen von der Ernsthaftigkeit des Mannes in Glaubensfragen - er äußerte einmal, daß der König zur Sphäre "der Kirche, nicht der Politik" gehörte -, der sich in einer Zeit der Aufklärung und des wachsenden Spottes über die Religion vor Gottes Gericht fürchtete, nach der Wahrheit suchte und doch die Konfessionen tolerierte, nicht wußte, wie er der Liebe seiner Mitmenschen habhaft werden sollte, wenn er wie alle seine Untertanen "dem König von Preußen diente" und der früh ahnte, daß "Könige mehr leiden können müssen als andere Menschen".

Kleppers literarische Erfolge in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre konnten nicht darüber hinweg täuschen, daß sich seine und die Situation seiner Familie immer weiter verschlechterte, und der Beginn des Krieges trieb ihn in jene Schizophrenie, der jeder anheimfallen mußte, der in dieser Lage dem Vaterland seinen Dienst leisten wollte, wissend, daß dieses Vaterland unter einer üblen Regierung diesen Dienst kaum annehmen würde.

Wegen seiner Ehe nicht eingezogen zu werden, hat Klepper tief getroffen. Das Heer mit seiner preußischen Tradition war für ihn nach wie vor " geistig und seelisch eine der größten Manifestationen Deutschlands". Erst im Dezember 1940 wurde er dann doch Soldat. Viele Zweifel, die er bis dahin geäußert hatte über den Sinn des Krieges, über die Bedeutung von Siegen, erfochten für dieses Regime und diesen "Führer", verstummten.

Zu Beginn des Rußlandfeldzuges überkam ihn eine geradezu euphorische Stimmung, und die Staubwolken der vor seiner Einheit marschierenden Kolonnen erschienen ihm wie die Wolkensäule, in der Gott Israel aus Ägypten führte, und er glaubte, auch in der Wehrmacht noch als "Soldat seines Königs" dienen zu können.

Allmählich schwand jeder Rest von Hoffnung

Allerdings erhielt Klepper nur eine Schonfrist, bereits im Oktober 1941 wurde er wegen "Wehrunwürdigkeit" aus dem Heer entlassen. Obwohl sich zahlreiche Offiziere für ihn verwendeten, blieb es dabei, daß er als "jüdisch versippt" nicht wert sei, eine deutsche Uniform zu tragen. Nach Berlin zurückgekehrt, begriff er rasch, wie gefährdet seine Frau und seine jüngste Stieftochter - die ältere war noch vor dem Krieg nach England ausgewandert - jetzt waren. Allmählich schwand jeder Rest von Hoffnung. Er, der mit solcher Begeisterung Soldat gewesen war, schrieb: "Kommt der Sieg, so sind wir wohl verloren. Kommt die Niederlage, so wird immer noch soviel Macht und Zeit bleiben, alles Jüdische und dem Jüdischen durch die Ehe Verbundene zu vernichten."

Klepper unternahm einen letzten Versuch, die Ausreisegenehmigung für seine jüngere Stieftochter zu erhalten, aber auch das war vergeblich. Im Dezember 1942 näherten sich bedrohlich die Schatten des Unheils: Zwangsscheidung und Verschleppung seiner Familie mit unbekanntem Ziel nach Osten. In seiner Verzweiflung wandte sich Klepper wiederholt an den Reichsinnenminister Frick, der den "Vater" sehr bewunderte und ihm eine Art ""Schutzbrief" für Frau und Tochter - allerdings ohne jede rechtliche Verbindlichkeit - ausgestellt hatte. Aber auch das blieb ohne Erfolg.

In dieser Lage starb Klepper mit den Seinen. Es war kein Tod ohne Hoffnung. In einem seiner bekanntesten Texte, der zuerst 1938 in dem Gedichtband "Kyrie" erschien und später als Adventslied vertont in das Evangelische Gesangbuch aufgenommen wurde, heißt es:

"Die Nacht ist vorgedrungen,

der Tag ist nicht mehr fern.

So sei nun Lob gesungen

dem hellen Morgenstern!

Auch wer zur Nacht geweinet,

der stimme froh mit ein.

Der Morgenstern bescheinet

auch deine Angst und Pein.

Gott will im Dunkel wohnen

und hat es doch erhellt!

Als wollte er belohnen,

so richtet er die Welt!

Der sich den Erdkreis baute,

der läßt den Sünder nicht.

Wer hier dem Sohn vertraute,

kommt dort aus dem Gericht!"

 

Jochen Klepper (1903-1942): Sein Glaube vertiefte sich


 
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