© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Weihnachtsmärkte: Der traditionsreichste und älteste findet seit 568 Jahren in Dresden statt
Das Geheimnis des Struzels
Paul Leonhard

Süße Weihnachtsklänge und würzige Weihnachtsdüfte künden davon, daß in der Dresdner Innenstadt Striezelmarkt ist. Bereits am letzten Novembermontag öffnete der älteste Weihnachtsmarkt Deutschlands auf dem Altmarkt seine Pforten. Es ist in diesem Jahr der 568. Zur Eröffnung wurde ein 2002 Millimeter langer Riesenstollen angeschnitten. Bis zum 24. Dezember bieten genau 233 Händler ihre weihnachtlichen Waren feil. Die Palette reicht von erzgebirgischer Schnitzkunst, über Pfefferkuchen, Pflaumentoffel, Christstollen bis zu Filzlatschen. 75 Prozent der Anbieter kommen aus Sachsen. Seine Vielfalt und die von ihm ausgehende Gemütlichkeit schätzen die Dresdner. Und so waren sie wenig erfreut, daß ausgerechnet kurz vor Weihnachten ein Streit zwischen Händlern und Stadtverwaltung ihren traditionellen Striezelmarkt bedrohte. Das Rathaus hatte verkündet, den Markt in private Hände geben zu wollen. Für die meisten Dresdner eine Schnapsidee. Für die Mehrzahl der Händler ein ihre Existenz bedrohender Vorschlag. Denn im Gegensatz zu anderen Weihnachtsmärkten setzt der Dresdner bisher auf die Qualität des Angebotenen und das kulturelle Umfeld. So erschütterte Mitte November die Nachricht die Kulturstadt, daß die Striezelmarkt-Händler mit Streik drohen.

Zum Glück kam es nicht so weit. Zwar wurde noch keine Einigung erzielt, aber zum Äußersten wollten es die Händler dann doch nicht kommen lassen. So tummeln sich auf dem Altmarkt jetzt unzählige weihnachtlich geschmückte Holzhütten, in deren Mittelpunkt die mit 620 Glühlampen geschmückte 130 Jahre alte Fichte aus dem Tharandter Wald steht. Attraktionen sind auch die überdimensionalen Figuren, die einen Bergmann, einen Nußknacker und einen Pflaumentoffel darstellen, sowie die fast 15 Meter hohe Stufenpyramide.

Die Tradition des Marktes reicht bis ins 15. Jahrhundert. Am 19. Oktober 1434 bewilligten Kurfürst Friedrich II. und sein Bruder Sigismund der Stadt Dresden ein "landesherrliches Privileg". Vorerst befristet für die Dauer eines Jahres durfte am Tag vor dem Heiligen Abend ein freier Fleischmarkt abgehalten werden, "umb gemeines nutzens und unserer Stadt Dresden besten willen", wie die Urkunde festhält. Um 1500 ging der sich alljährlich wiederholende Markt schließlich als "Striezelmontag" in die Annalen der Stadtgeschichte ein. Zweihundert Jahre später dehnte er sich bereits auf mehrere Tage aus. Spätestens im 16. Jahrhundert war auch der Stollen auf dem Altmarkt präsent. Überliefert ist, daß der regierende Bürgermeister 1560 nach altem Brauch die Ratsherren "in dy strucel zeu laden" zu einem Stollenessen auf Stadtkosten einlud. Anfang des 17. Jahrhunderts erhielt jeder Ratsherr zu Weihnachten zwei Striezel. Erst 1617 war es mit diesem Brauch vorbei. Die Ratsakten verzeichnen die Ablösung des weihnachtlichen Striezels (wie auch des österlichen westfälischen Schinkens) mit je einem Reichstaler. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits Buden die offenen Stände abgelöst und immer mehr Bürger verbanden einen Marktbummel mit dem weihnachtlichen Einkauf. So ist es bis heute geblieben. Der Lichterglanz der vielen kleinen Buden und Stände sowie des Weihnachtsbaumes ziehen die Dresdner auch dieser Tage magisch an. Verführerisch riecht es nach Mandeln, Glühwein, Backwaren, Obst, Käse und Wurst. Anheimelnde Musik setzt sich in den Ohren fest. Händler versuchen ihre Waren anzupreisen oder mit besonderen Raritäten Käufer anzulocken. Die erzgebirgischen Schnitzer und Drechsler haben so alles aufgeboten, was seit Jahrzehnten bei den Kunden begehrt und zu DDR-Zeiten nicht zu haben war: Pyramiden, Räuchermännchen, Nußknacker, Engel und Bergmänner gibt es in allen Größen, Farben und Formen. Bunte Spielzeugautos erfreuen Kinder, die Angebote mit den Strick- und Lederwaren Frauenherzen. Ganze Familien decken sich mit neuem Christbaumschmuck ein. Gefragt sind auch die Herrnhuter Weihnachtssterne und die kunstvollen Erzeugnisse der Glasbläser. Besonders reizvoll ist für viele Neugierige, den Handwerkern bei der Arbeit zuzusehen. In der schon traditionellen Handwerkerhütte wird gedrechselt, geschnitzt, sind Töpfer und Glasbläser am Schaffen. Zehntausende Besucher strömten allein am ersten Adventswochenende auf den Altmarkt, um einzukaufen oder Geschenkideen "abzugucken". So mancher ist auch auf der Jagd nach einem Schnäppchen. Schließlich kann mitunter gehandelt werden, wie bei den Lausitzer Töpferwaren.

Seit Jahren versuchen die Organisatoren darauf zu achten, daß das Schwergewicht des Angebot bei typisch weihnachtlichen Produkten liegt. So preisen die Händler echten Pulsnitzer Lebkuchen an, wetteifern die Bäckermeister mit der Qualität "ihres" Dresdner Christstollen, gibt es herrliche Süßigkeiten und leckere Kräppelchen. Eine solide Grundlage für den Magen des Hungrigen stellen die herzhaften Eintöpfe dar. Vor dem ausbrechenden Kaufrausch bewahrt letztlich der Glühwein. In Keramikgefäßen ausgeschenkt, will er geschlürft werden und zwingt zur Gelassenheit, zum Genießen und zur Besinnlichkeit. Mit jedem Schluck breitet sich eine wohlige Wärme im Inneren aus. Zufrieden schaut man zu, wie die anderen sich an den Ständen drängeln, wie das Kinderkarussell seine Runden dreht und Familienväter bepackt mit Stollenpaketen nach Hause stiefeln.

Dem Stollen, jenem länglich geformten, wulstartigen Gebäck verdankt der Striezelmarkt seinen Namen. Bereits im 12. Jahrhundert fand es unter dem Namen "strucel" im Mittelhochdeutschen Erwähnung. In Dresden war es schon frühzeitig unter der Bezeichnung "Christbrot" bekannt und beliebt. Urkundlich erwähnt wird der Struzel 1486. Weit in die Geschichte reicht auch die kleine Gestalt des Pflaumentoffels. Er gilt als Symbolfigur des Dresdner Striezelmarktes. Bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts werden die aus Backpflaumen gefertigten Männlein auf dem Weihnachtsmarkt vor allem von Kindern angeboten. Der Dresdner Künstler Ludwig Richter setzte ihnen mit seinem Holzschnitt "Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe" 1853 ein Denkmal. Nach diesem Vorbild entstanden wiederum die Figuren der Striezelkinder. Der Pflaumentoffel selbst hat im Laufe der Jahrzehnte einige Veränderungen über sich ergehen lassen müssen: Der schwarze Zylinder - inzwischen gibt es ihn auch in Rot und Weiß - ist eine Zutat vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Halskrause aus Goldpapier stammt dagegen aus der Zeit zwischen den Weltkriegen. Ein alter, betagter Pflaumentoffel ist übrigens in der Weihnachtsausstellung des Dresdner Volkskunstmuseums zu sehen. Auf dem Markt gibt es natürlich "frische" Pflaumentoffel. Reich bestückt ist der Striezelmarkt mit Weihnachtsmännern. Auf Schritt und tritt begegnen sie dem Besucher weißbebartet und rotbekleidet. Wer von den vielen der "Richtige" und welcher nur Helfer ist, ist erst in der Weihnachtsmannwerkstatt oder aber auf der großen Bühne zu erfahren. Der Striezelmarkt ist von 10 bis 20 Uhr, freitags und sonnabends bis 21 Uhr geöffnet. Über 1.000 Künstler sorgen bis zum 24. Dezember (bis 14 Uhr geöffnet) für besinnliche Unterhaltung. Weitere Weihnachtsmärkte gibt es in Dresden auf der Prager Straße, auf der Hauptstraße und im Stallhof (alle bis 22. Dezember).


 
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