© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002


Die Bundeswehr am Ende
Rot-Grün zerstört systematisch das Konzept der Landesverteidigung
Paul Rosen

Jeder Verteidigungsminister kann sparen. Der deutsche Minister zum Beispiel 24,4 Milliarden Euro jährlich, wenn er die Bundeswehr komplett auflösen würde. Das will Peter Struck natürlich nicht. Aber was der SPD-Politiker in einigen Nebensätzen vor wenigen Tagen recht unauffällig mitteilte, kommt einem Abschied von der Bundeswehr des bisherigen Typs ziemlich nahe. Die Truppe der Zukunft soll eine leicht beweg-liche Armee sein, die per Lufttransport schnell zu jedem potentiellen Einsatzort rund um den Planeten geflogen werden kann. Der Abschied von der Landesverteidigung scheint beschlossene Sache zu sein.

Die rot-grüne Koalition ist angetreten, um dieses Land zu verändern. Das ist das selbsterklärte Ziel. Geschaffen werden soll eine multikulturelle Republik. Der Name "Deutschland" soll eines Tages nur noch Erinnerungswert haben. Dazu müssen Milieus zerstört werden. Die Familie als Keimzelle der Gesellschaft soll weitgehend aufgelöst werden. Die Hebel heißen Abschaffung des steuerlichen Splittings, um auch Frauen, die sich nur um die Kindern kümmern wollen, zur Arbeitsaufnahme zu zwingen. Die Erziehung übernehmen staatlich geförderte und kontrollierte Kindertagesstätten.

Die Absage an Elitebildung wird an der flächendeckenden Einrichtung von Gesamtschulen deutlich, die Bildung auf niedrigem Niveau garantieren. Der selbständige Mittelstand beginnt sich aufgrund steuerlicher Erschwernisse aufzulösen, den Rest erledigt eine alles erstickende Bürokratie. Zu den verbleibenden Milieus, die Grundfesten des Staates sind, gehört gewiß noch die Bundeswehr, die bekanntlich Schule der Nation sein soll. Der Angriff auf dieses Milieu steht unmittelbar bevor.

Bereits die Regierung Kohl machte den schweren Fehler, daß sie jedes Jahr höhere Friedensdividenden aus dem Bundeswehr-Haushalt herauspreßte. Mit Volker Rühe hatten Helmut Kohl und sein damaliger Finanzminister Theo Waigel einen willfährigen Vollstrecker. Wichtige Rüstungsprojekte kamen nicht mehr zustande, die Strukturen wurden ausgehöhlt. Wegen der zunehmenden Auslandseinsätze begann schon die bürgerliche Regierung mit kleineren Umstrukturierungen. So wurde das Kommando Spezialkräfte (KSK) geschaffen.

Unter der rot-grünen Koalition setzte sich der Auszehrungsprozeß fort. Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Finanzminister Hans Eichel kassierten noch eine Friedensdividende. Erst durch die Anschläge in den USA am 11. September 2001 setzte ein kleiner Sinneswandel ein. Die Koalition erhöhte den Verteidigungsetat um 1,5 Milliarden Mark. Bezahlt werden mußte die Zeche von Rauchern und Versicherungskunden, denen höhere Steuern auferlegt wurden. Doch der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping dachte nicht daran, die Truppe so umzustrukturieren, daß man die Bundeswehr nicht wiedererkennen würde.

Scharping ging, auch wenn die Experten der Weizsäcker-Kommission weitergehende Schritte empfohlen hatten, in etwa den Weg seines Vorgängers Rühe. Er gab Bundeswehr-Standorte auf, legte Einheiten zusammen, schob Rüstungsbeschaffungen auf die lange Bank. Wenn man einmal von der Einrichtung der "Streitkräftebasis" als neue selbständige Teilstreitkraft und den weitestgehend gescheiterten Privatisierungen absieht, blieb die Bundeswehr im Großen und Ganzen erhalten, auch wenn schon Scharping das Augenmerk mehr auf Auslandseinsätze richtete.

So soll die Zahl der Krisenreaktionskräfte auf 150.000 Mann heraufgesetzt werden. Die Bundeswehr, die zum Ende der Scharpingschen Reform noch aus 280.000 Soldaten bestehen soll, würde sich dann mehrheitlich aus Einsatzkräften zusammensetzen. An der Wehrpflicht wollte Scharping nicht rühren. Er verkürzte nur die Dauer des Wehrdienstes.

Peter Struck geht jetzt ganz andere Wege. Über den grundgesetzlichen Auftrag, daß der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt, setzte sich Scharpings Nachfolger kurzerhand mit der Bemerkung hinweg, die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung beginne am Hindukusch, also beim Auftrag der Bundeswehr in Kabul, den afghanischen Präsidenten Karsai zu schützen. Wenn man sich dieser Logik anschließen wollte, ist Angriff die beste Verteidigung, und ein Angriffskrieg wäre nach der Struck-Definition auch noch vom Grundgesetz gedeckt.

Struck begeht den gleichen Fehler wie die meisten Politiker der Nachkriegszeit: Sie glauben, daß der Status quo endgültig ist. Dabei beweist selbst die jüngere deutsche Geschichte, daß dies nicht richtig war: 1989 begann sich die DDR aufzulösen, und das sowjetische Imperium ging unter. Von einer Endgültigkeit der jetzigen europäischen Ordnung zu sprechen, ist ein kapitaler Fehler. Daran ändert auch das Zusammenschweißen vieler Länder durch die Euro-Währungsreform nichts. Eine Gemeinschaftswährung kann durch eine nationale ersetzt werden. Auch dies zeigt ein Blick in die Geschichtsbücher.

Deshalb braucht der Bund Streitkräfte zur Landesverteidigung, auch wenn weit und breit kein Feind in Sicht ist. Wenn Struck jetzt die schwere Bewaffnung der Truppe, also Kampfpanzer, Kampfflugzeuge und Schiffe, größtenteils verschrotten will, schafft er unumkehrbare Tatsachen. Eine Rüstungsindustrie, die bei Bedarf wieder schweres Gerät produzieren könnte, ist bald nicht mehr vorhanden. Schon ist der Flugzeugbau europäisiert, bei der HDW-Werft haben sich Amerikaner eingekauft. Der Ausverkauf des Leopard-Produzenten Krauss-Maffei-Wegmann steht bevor.

Struck begibt sich mit der Schaffung von international tätigen Einsatztruppen in die Hände von Verbündeten, die vielleicht ganz andere Interessen haben. Wer gemeinsame Einsatztruppen mit Frankreich oder Großbritannien einrichtet, findet sich vielleicht bald auf afrikanischen Kriegsschauplätzen wieder. Das Hauptproblem dabei ist, daß die Bundesrepublik ihre nationalen Interessen nicht definiert und in Wirklichkeit nicht erklären kann, warum sie Truppen nach Kabul schickt, aber eine Beteiligung an einem Irak-Krieg ablehnt.

Ein Letztes: Wer Landesverteidigung am Hindukusch betreiben will, wird dies den jungen Männern, die zum Wehrdienst einrücken müssen, kaum plausibel erklären können. Die Wehrpflicht wird, auch wenn Struck an ihr festhalten will, fallen, falls das neue Konzept umgesetzt wird. Am Ende stünde eine Berufsarmee mit einem hohen Anteil von Ausländern - ein Staat im Staate. Daran kann niemand interessiert sein.


 
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