© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002


Missionar für die Freiheit
Nachruf I: Der Fernsehjournalist Gerhard Löwenthal ist trotz Widerständen seinen Werten und Überzeugungen treu geblieben
Stefan Winckler

Gerhard Löwenthals politisches Credo nach Benachteiligung, Zwangsarbeit und Todesangst unter Hitler lautete: Nie mehr totalitäre Herrschaft! Am 8. Dezember 1922 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren, erlebte er in der NS-Zeit eine "ununterbrochene Kette von immer neuen und sich stets verschärfenden Maßnahmen zur Verfolgung und Unterdrückung der Juden" bis hin zu ihrer physischen Vernichtung, wie Löwenthal in seiner 1987 erschienenen Autobiographie "Ich bin geblieben" festhielt. Er selbst konnte 1940/41 unter ständiger Lebensgefahr eine einjährige Ausbildung zum Augenoptiker absolvieren und anschließend in einer Gemeinschaftswerkstatt für Berliner Optiker arbeiten, die als kriegswichtiger Betrieb eingestuft war.

Nach dem Krieg erhielt er bereits 1947 trotz seiner geringen Berufserfahrung eine eigene Sendereihe: den "RIAS-Hochschulfunk". Dort war er ein journalistischer "Anwalt" von Demokraten, denen der Widerstand in der Ostzone und Ost-Berlin schwerste Strafen einbrachte. Wenn möglich, kamen politisch verfolgte Studenten selbst zu Wort.

Nach Zwischenstationen in Paris und Brüssel (als erster ZDF-Korrespondent) beschrieb er ab 1969 im "ZDF-Magazin" erneut das Schicksal politischer Gefangener, Freigelassene und Bürgerrechtler (auch aus der UdSSR) erklärten ihre Beweggründe. Löwenthal sah sich nach der Erfahrung von Nationalsozialismus und Kommunismus als "Missionar" - für Freiheit und Menschenrechte. Löwenthal war ein Vertreter der Öffentlichkeit gegenüber den Regierenden, wenn er deren Informationspflichten grob vernachlässigt sah. Löwenthal fühlte sich als "Anwalt" des Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Terrorismus, und als "Anwalt" der Deutschen Einheit gegenüber denjenigen, die die Präambel des Grundgesetzes ignorierten. Doch hatte er, ein grundsätzlicher Freund der Vereinigten Staaten, nicht nur die Teilung Deutschlands vor Augen, sondern auch den weltweiten Ost-West-Konflikt. Dementsprechend war lange mit einem terroristischen Anschlag auf ihn zu rechnen.

Auch wenn die Menschenrechtslage in der DDR immer weniger Westdeutsche interessierte, mahnte Löwenthal diesen zentralen deutschen Mißstand immer wieder an - die Mitteldeutschen haben es ihm nach 1989 gedankt (siehe Beitrag im Kasten). "Nicht zu nachgiebig gegenüber dem Osten sein, keine Zusage ohne Gegenleistung", "verhindern, daß Radikale im öffentlichen Dienst beschäftigt werden", "keine Zusammenarbeit mit kommunistischen Gruppen in der Bundesrepublik", "die Nato und die Bundeswehr stärken" - das waren Forderungen, die Löwenthal als Redaktionsleiter des ZDF-Magazins von 1969 bis 1987 in über 580 Sendungen immer wieder erhob und denen das Volk eine hohe Bedeutung beimaß, während die Journalisten sie als weniger wichtig einschätzten. "Um dem 'Normalbürger' eine Stimme (zu) geben" (Steffen Heitmann), zitierte Löwenthal oft empirische Daten, die das Allensbacher Institut für Demoskopie erhoben hatte, beispielsweise zur Anerkennung der DDR. Methodisch noch anspruchsvoller war "Wählermeinung nicht geheim", eine Panel-Untersuchung über die Meinungsbildung im Bundestagswahlkampf 1969, die ihm aber Proteste der Parteifunktionäre einbrachte: berührte er doch deren "Herrschaftswissen".

Die Publikumsnähe des "ZDF-Magazin"-Moderators entsprach der Distanz seiner Kollegen ihm gegenüber, nachdem er sich zu konservativen Positionen bekannt hatte. Da er nicht gegen journalistische Berufsnormen verstieß, kritisierten ihn der Spiegel, der Stern und andere vor allem wegen seiner politischen Einstellung. Immer weniger ging es dabei um den Fernsehjournalisten Löwenthal, sondern Löwenthal als Redner und Vereinsvorstand. Die Abneigung von Kollegen ging so weit, daß viele Journalisten das "ZDF-Magazin" trotz der exklusiven Informationen viel weniger als Quelle nutzten als andere Fernsehmagazine.

Erst im Jahr 1990 wurde Selbstkritik laut ("Wir haben uns geirrt, wir haben zu wenig über die DDR gewußt"). Daß es den außerordentlich bekannten Journalisten Löwenthal samt Redaktion gab, der mit hervorragenden Kenntnissen die vielen düsteren Seiten der Kommunisten und ihrer Genossen thematisierte, wurde leider kaum gewürdigt.

Nicht durch die Linke, sondern durch die Mitte kam das "Aus" für den unbequemen Fernsehjournalisten, nachdem Bundeskanzler Helmut Kohl im September 1987 Honecker in Bonn als Staatsgast mit allen protokollarischen Ehren empfangen hatte und die CDU-Vertreter im Fernsehrat das Magazin nicht mehr verteidigten. Das ZDF nahm das Erreichen der Pensionsberechtigung zum Anlaß, seine Fernsehkarriere im Dezember 1987 zu beenden.

Freigekaufte Häftlinge waren ihm dankbar

Im Bundestagswahljahr 1994 hatte die Deutschland-Stiftung, deren Vorsitzender Gerhard Löwenthal war, Helmut Kohl zum Preisträger ausgewählt. Kohl drohte, auf den Preis zu verzichten, wenn Löwenthal nicht zurückträte. Vorausgegangen war eine Diskussionsveranstaltung mit Manfred Brunner, die Löwenthal moderierte. So schnell ließ Kohl kritische Konservative ausgrenzen.

Gerhard Löwenthal, der sich stets als ungemein ehrlicher, hilfsbereiter, sehr offener und auch humorvoller Mensch zeigte, ist trotz verschiedenster Widerstände seinen politischen Werten und Einstellungen treu geblieben, im Gegensatz etwa zu Henri Nannen und Sebastian Haffner. Daß er früher Willy Brandt und später Franz Josef Strauß nahestand, ist wesentlich in der Wandlung Brandts begründet, der allmählich auf eine ideologische Auseinandersetzung mit dem Marxismus verzichtete.

Gelegentlich wurde darüber diskutiert, ob Löwenthal nicht mit "taktischer" Zurückhaltung eine stärkere Wirkung erzielt hätte. Doch letztlich gab ihm der Erfolg recht. Er sammelte eine Zuschauergemeinde um sich, die er über lange Jahre bei der Stange hielt. Mit einer beliebigeren Themenauswahl und Moderation wäre er heute schon vergessen. Gerade die sichtbare Anteilnahme am Schicksal Unschuldiger war sein Markenzeichen. Die freigekauften Häftlinge waren ihm höchst dankbar. Wir werden Gerhard Löwenthals Kenntnisse, seine geistige Unabhängigkeit, sein sicheres Urteil und seine Freundschaft vermissen.

 

Stefan Winckler hat Publizistikwissenschaft in Mainz studiert und seine Magisterarbeit über Gerhard Löwenthal geschrieben. Heute arbeitet er als freier Publizist und Buchautor. Zuletzt hat er das "Handbuch des Linksextremismus" (mit Hans-Helmut Knütter) und die Festschrift "In Verantwortung für die Berliner Republik" (mit Albrecht Jebens) herausgegeben.


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