© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002

 
Kolumne
Spät kommt ihr
Klaus Hornung

Bundespräsident Johannes Rau hat vor den Jugendoffizieren der Bundeswehr zur politischen Lage unseres Landes einige grundsätzliche Ausführungen gemacht. Er vermisse, so Rau, eine "richtige politische Diskussion, etwa über den Irak" und über die Zukunft der Wehrpflicht. Auch die grundstürmende Veränderung der deutschen Sicherheitspolitik weg vom bisherigen Verteidigungsauftrag zu einer Interventionsarmee werde in der Öffentlichkeit kaum diskutiert und ebenso wenig der Beruf des Soldaten.

Dann griff der Präsident noch weiter aus, etwa daß der Staatsbürger mehr und mehr zum Steuerzahler verkomme und die gesellschaftlichen und politischen Fragen nur noch unter den Gesetzen der Marktwirtschaft diskutiert würden, "daß wir von allem nur noch den Preis, aber von nichts mehr den Wert kennen". In seiner Heimatstadt Hilden in Westfalen seien bei der letzten Bundestagswahl nur noch 20 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen gegangen, weil sie von der Irrelevanz des Wählens überzeugt seien. Er herrsche hier längst die Ansicht vor, "nicht der Staat, sondern die Deutsche Bank habe das Sagen, das Lebensgefühl einer Qualle, die weiß, daß Ebbe und Flut kommen und gehen - und sie selbst liegt da und kann nichts bewegen."

"Spät kommt ihr, aber ihr kommt", können da die Freiheitlich-Konservativen nur sagen, die das, was der Bundespräsident nun thematisiert, seit langem beklagen. In Jahrzehnten linker "Vergangenheitsbewältigung" hat man den Deutschen ihre historischen Wurzeln weitgehend abgeschnitten, ist ein geschichtsloser "Gesellschaftsstaat" entstanden, ein Land und Volk ohne Identität und Visionen "jenseits von Angebot und Nachfrage" der Ökonomie (Wilhelm Röpke). Viele Tonangebende in Politik, Medien und Wissenschaft wollten seit den sechziger Jahren, daß die Deutschen möglichst chemisch reine Weltbürger würden, die ihre fehlgelaufene Geschichte hinter sich ließen. Wen kann es eigentlich wundern, daß unter den Wirkungen dieses Negativfilters bei den Deutschen sich jene politischen Lähmungserscheinungen ausbreiteten, die sie bei der Bewältigung ihrer Gegenwart und Zukunft hindern und sich in der schwersten nicht nur ökonomischen Krise Deutschlands seit 50 Jahren nun so fatal auswirken? Und immer noch stellt man die Mahner und Warner unter die Faschismuskeule der Political Correctness, obwohl nun zutage liegt, daß sie vor allem vom dem Desaster ablenken soll, das der rot-grüne "Antifaschismus" in den letzten dreißig Jahren bei uns angerichtet hat.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung ist Politikwissenschaftler und Präsident des Studienzentrums Weikersheim.


 
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