© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002

 
Asgard liegt bei Rom
Literaturverfilmung: Tolkiens Epos "Der Herr der Ringe" geht nächste Woche in die zweite Runde
Eva Maria Storch

Vor Spannung werde man in den Kinosessel gepreßt - Sequenzen zum Durchatmen gäbe es kaum: Dies waren gängige Reaktionen auf Peter Jacksons Verfilmung vom ersten Teil des "Herrn der Ringe". Ein Videoclip von drei Stunden Länge scheint selbst einem MTV-erprobten Publikum zuviel. Die Schnelligkeit erdrückt, das Monumentale entzückt.

Am Mittwoch nächster Woche kommt der zweite Teil in die Lichtspielhäuser. Alles wird noch wuchtiger, noch größer, noch atemberaubender. Ein Fest der phantastischen Superlative. Zehntausend Orks stürmen auf Helms Klamm, zappeln an den Belagerungsleitern. Entsetzliche Monster in Großaufnahme. Rettende Reiter rasen den Berghang hinab in die Speere der Feinde. Summa summarum: Neunzig Minuten Gemetzel lassen den Inhalt des Streifens auf die Länge eines herkömmlichen Film schrumpfen.

Trotzdem ein Werk, auf das man sich freuen darf. Ein Film ist eben kein Buch, seine Absicht weniger Reflexion, als vielmehr Verzauberung durch Bild und Ton. So wünscht es sich der Cineast. Die Kinoumsetzung des "Herrn der Ringe" macht das Unglaubliche glaubhaft: Sagenhafte Kamerafahrten, nie gesehene Effekte, märchenhafte Panoramen, bis ins Detail gestaltete Kulissen und Kostüme. Dem Regisseur muß man bescheinigen, sich um eine dem Genre der Fantasy gemäße Interpretation bemüht zu haben.

Eine Interpretation bleibt es allemal. Die Hobbits hätten farbenfroher und weniger dämlich sein dürfen, die Elben reiner, Aragorn nobler und Faramir männlicher. Kantige statt abgelebter Gesichter mag sich mancher gewünscht haben - doch asketische Schauspieler zu finden ist vermutlich schwieriger als so mancher Trick aus dem Mikrochip.

Begleitend zum Film wurde auch eine unglaubliche Fülle von Merchandising Artikeln auf den Markt geschmissen. Neben diesen Artikeln, deren Vielfalt man am besten beim Internet-Auktionshaus eBay bestaunen kann, gibt es auch eine Beschäftigung mit dem Epos von J. R. R. Tolkien, welche deutlich über das Mickey-Mouse- Niveau hinausreicht.

Zunächst sind hier weitere Bücher des Autoren zu nennen. 21 Jahre bevor "Der Herr der Ringe" erschien, brachte Tolkien 1932 ein Kinderbuch heraus, in welchem Bilbo Beutlin jenen Ring findet, den sein Neffe Frodo später im Schicksalsberg vernichten soll: "Der kleine Hobbit" wird von Gandalf zu einer Schatzsuche eingeladen, an der auch Glóin, der Vater Gimlis teilnimmt, und in deren Verlauf die Abenteurer mit einem Elbenkönig in Konflikt geraten, dessen Sohn Legolas wir im "Herrn der Ringe" ebenfalls wiedertreffen. Flüchtig tritt Elrond auf; nebenbei wird auf Sauron verwiesen, der in Düsterwald als Geisterbeschwörer sein Unwesen treibt.

Retrospektiv ist das Kinderbuch als literarische Lockerungsübung zu sehen, nicht als Vorgeschichte. Hinter dem "Herrn der Ringe" steht ein Mythos, von dem in deutscher Sprache "Das Silmarillion", "Das Buch der Verschollenen Geschichten" (zwei Bände) sowie "Die Nachrichten aus Mittelerde" vorliegen - im Englischen gibt es acht weitere Bände der "History of Middle-Earth". Diese Bücher setzen sich aus immer wieder neu überarbeiteten Fragmenten zusammen, mit deren Niederschrift Tolkien in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs begonnen hatte.

1914 war der Schriftsteller auf ein altenglisches Gedicht gestoßen, das mit den Worten beginnt: "O Earendel, strahlendster der Engel, über der mittleren Erde den Menschen gesandt". Sein ganzes Leben lang schrieb Tolkien an einem Mythos, in dem sein christlicher Glauben mit der nordischen Sagenwelt zusammenfloß. Ebenso wie der kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez Dávila oder der Schriftsteller David Jones war er ein Intellektueller des 20. Jahrhunderts, der die katholische Kirche als Erfüllung des adventistischen Heidentums verstand. Entsprechend archaisch war seine Spiritualität: Das Zweite Vatikanum war ihm zu protestantisch; seinen Söhnen empfahl er den Kanon der Heiligen Messe und zahlreiche Hymnen auf Latein auswendig zu lernen; die tägliche Kommunion und die regelmäßige Beichte waren ihm selbstverständlich.

Wer den christlichen Glauben nur oberflächlich kennt, mag sich wundern, daß Rom und Asgard so nahe beieinander liegen sollen. Doch in Mittelerde gilt das Naturrecht und nicht nur Aragorn bezieht Stellung für die Universalität der Wahrheit: "Gut und Böse haben sich in jüngster Zeit nicht geändert; und sie sind auch nicht zweierlei bei Elben und Zwergen auf der einen und Menschen auf der anderen Seite. Ein Mann muß sie unterscheiden können, im Goldenen Wald ebenso wie in seinem eigenen Haus."

"Das Silmarillion" beschreibt die Kosmogenese als Schöpfungsgeschichte und nennt den Mißbrauch der Freiheit als Ursprung für das Böse - eine klare Absage an Dialektik, Relativismus und andere atheistische Gedankengebäude.

Die Protagonisten müssen nicht wie heidnische Heroen äußere Bewährungsproben meistern. Im Gegenteil: Es sind innere Kämpfe, die es zu bestehen gilt. Der Ring ist die Versuchung schlechthin und geistige Mächte (Sauron und Gandalf) streiten um seinen Träger. Die Hobbits merken, daß allein die Anrufung Elbereths Hilfe bringt: Auf der Wetterspitze, bei der Furt von Bruchtal, in Cirith Ungol. Elbereth ist die Königin der Valar, also der Engel (ein Titel Mariens in der Lauretanischen Litanei); die Immerweiße (analog zur immwährenden Jungfrau); die Sternenentfacherin (was an "stella maris" erinnert). Ebenso wie im Evangelium sind es die Kleinen, die durch Demut und Barmherzigkeit den Sieg davontragen. Die glückliche Wende am Schluß ereignet sich gnadenhaft.

Das Fundament zur Exegese seines Werkes legte Tolkien selbst: "Der Herr der Ringe ist natürlich ein von Grund auf religiöses und katholisches Werk." Vor allem seine Briefe, der Aufsatz "Über Märchen" (in: "Gute Drachen sind rar") sowie "Das Silmarillion" tragen zum Verständnis solch einer Aussage bei. An Sekundärliteratur empfehlen sich Publikationen, die bei Ignatius Press (San Francisco) erschienen sind; Arbeiten von Gisberth Kranz und Reneé Vink in den Jahrbänden der Inklings-Gesellschaft sowie eine Broschüre von Cordelia Spaemann: "Der Riss in der Welt. Tolkien und die Hintergründe" (zu bestellen im Internet unter www.mythopoeia.de ).

Immer wieder ist Tolkien mißverstanden worden. Der Autor wehrte sich selber gegen aktuelle Auslegungen: Allegorien waren ihm zuwider. Auf der anderen Seite wandte sich der Schriftsteller gegen eine allzu oberflächlich-veräußerlichte Rezeption. Als er vom niederländischen Verleger seiner Werke eingeladen wurde und eine Suppe "Maggot" serviert bekam, mußte er schmunzeln: Die Vorspeise war nach einem Bauern aus dem ersten Teil des "Herrn der Ringe" benannt; Tolkien als Sprachwissenschaftler wußte seinerseits, daß "Maggot" ein anderes Wort für Ungeziefer war.


 
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