© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002

 
Frieden gilt es zu erzwingen
Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, sieht in weltweiter Friedensmission künftige Aufgaben der Armee
Franz Uhle-Wettler

Ein ungewöhnlich lesenswertes Buch ist anzuzeigen. Der Verfasser Klaus Naumann war 1989 Leiter der militärpolitischen Abteilung des Verteidigungsministeriums und wurde 1991 Generalinspekteur. Die Nato-Staaten anerkannten Können und Leistung des Verfassers, indem sie ihn von 1996 bis 1999 zum Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses, des Gremiums der nationalen militärischen Oberbefehlshaber wählten.

Im ersten Teil der Studie "Soldaten bauen Brücken zur Versöhnung", beschreibt der Verfasser seine Erlebnisse und Erfahrungen: Das Ringen um den Abzug der amerikanischen atomaren sowie chemischen Waffen, die Auflösung der DDR-Armee, die Eingliederung ihrer Reste in die Bundeswehr sowie das Ringen um die Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Einsätzen in Kambodscha, Somalia und im ehemaligen Jugoslawien. Hier wird der Leser bald erkennen, daß auch der Verfasser, geboren 1939, so wie jeder Mensch von seiner Zeit geprägt ist. Das Eingeständnis der deutschen Verbrechen, der Wunsch nach Versöhnung mit allen Nachbarn und der Holocaust stehen noch weiter im Vordergrund, als mancher Leser als angemessen empfinden mag. Die Westbindung Deutschlands war dem Verfasser nicht nur Mittel, sondern Ziel und Zweck deutscher Politik, demgegenüber nicht einmal die Wiedervereinigung Vorrang haben durfte. Ein gutes Verhältnis zu den USA ist ihm "das Gut schlechthin". Der 8. Mai 1945, Ende unsäglichen menschlichen Leidens, ist ihm vorrangig ein Tag der Befreiung; manch anderer wird zögern, hier urteilen und richten zu wollen, was im Vordergrund zu stehen habe.

Der Verfasser hat die sicherheitspolitische Szenerie Europas und der Welt an zentraler Stelle beobachten und von hoher Stellung aus erfolgreich mitgestalten können, und das in einer Zeit, die von weltgeschichtlichen Umwälzungen gekennzeichnet war. Das macht seinen Bericht ungewöhnlich informativ. Gelegentlich könnte der Leser denken, daß Soldaten besonders gute (Außen)-Politiker sein können. Ihr Beruf erzieht zu nüchternem, an den Tatsachen orientierten, auch ideologiefreien Denken und sie sind es weniger gewohnt, auf Klientel und auf Wahlprognosen zu achten.

Der zweite Teil der Studie, "Wege zum Frieden in einer Welt voller Unsicherheit", kann als ein Lehrbuch für Krisenbewältigung und Friedenserzwingung beschrieben werden. Auch in diesem Teil wird deutlich, daß der Verfasser aus umfangreichen und wertvollen Erfahrungen schöpft. Er analysiert Bedeutung und Interessen der internationalen Hauptakteure (USA, Rußland, Nato etc.), Risikoquellen wie Nationalismus, Globalisierung, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, und entwickelt hieraus überzeugend die erforderliche "Architektur für den Frieden". Als deren Kern sieht er eine Politik von "Helfen und Bestrafen". Seine Ausführungen zum "Helfen" überzeugen: Vorsorgliche Beseitigung der Ursachen von Konflikten. Zum "Bestrafen" sagt der Verfasser nur wenig. Ist ihm die Problematik des Gerechten, aber oft nur selbstgerechten Krieges, über die schon Kant geschrieben hat, gegenwärtig?

Das Buch schließt mit einem Kapitel "Die verkrampfte Republik". Hier werden Sorgen des Verfassers deutlich: Naumann stellt fest, daß "unsere Politik und unsere Gesellschaft der Bundeswehr gleichgültig gegenüberstehen", Sicherheitspolitik also auf einer "brüchigen Basis" betrieben wird. Der Verfasser spricht von der "Spaßgesellschaft" und verweist auf das "in keiner Nation Europas so oft wie in Deutschland artikulierte Wort Angst." Deutschland müsse endlich ein "normales" Verhältnis zu seinen Streitkräften finden, und das bedeute "in erster Linie" Entkrampfung im Umgang mit Militär und Sicherheitspolitik.

Die Sprache des Verfassers ist ein Genuß. Seine Urteile sind klar und dennoch stets taktvoll. Gelegentlich verlangt das Buch aufmerksame Leser, weil manches zwischen den Zeilen steht, wie zum Beispiel das spürbar distanzierte Urteil über den Außenminister Hans Dietrich Genscher. Der Leser wird das Buch dankbar, manch einer aber auch mit der Frage aus der Hand legen, wie die überzeugenden Vorschläge des Verfassers in einer "verkrampften" Republik und angesichts des "Kleingeistes" der europäischen Nationen durchzusetzen sind.

Klaus Naumann: Frieden - Der nicht erfüllte Auftrag. Verlag Mittler & Sohn, Hamburg 2002, gebunden, 269 Seiten, 29,90 Euro

 

Generalleutnant a.D. Dr. Franz Uhle-Wettler war Kommandeur der Nato-Verteidigungsakademie in Rom und ist heute freier Publizist. Sein letztes Buch "Der Krieg - in Verangenheit, Gegenwart und Zukunft" erschien 2001.


 
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