© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002


Der Christbaum
Die grüne Pracht
von Baal Müller

In seiner heutigen Gestalt erst seit rund anderthalb Jahrhunderten gebräuchlich, reicht er doch mit seinen Wurzeln - metaphorisch gesprochen, denn die echten werden ihm ja abgehackt - in uraltes, heidnisches Brauchtum zurück. Seine Ahnen sind die vorchristlichen Lebens- und Schicksalsbäume, deren Mythologie sich insbesondere in der germanischen Weltesche Yggdrasil verdichtet, weshalb sich die Kirche immer etwas schwer mit heiligen Bäumen getan hat: Einerseits fällte Bonifaz, der "Apostel der Deutschen", die berühmte sächsische Donarseiche, um die pagane Naturreligiosität "mit Stumpf und Stiel" auszurotten; andererseits stellte die Kirche das Kreuz als neuen Weltenbaum, an dem Christus nicht ganz unähnlich dem Odin "aufgehängt" wurde, in die Tradition des Heidentums. Verdrängte der Gekreuzigte dadurch den alten "hängenden Gott", so datierte Papst Julius im Jahre 350 n. Chr. Christi Geburt auf den 25. Dezember, den Kaiser Aurelian zum Festtag des "sol invictus" erklärt hatte; das neue Licht der Welt sollte auch den "unbesiegten Sonnengott" überstrahlen. Ungeachtet dessen hielt sich der heidnische Brauch, das Haus zur Wintersonnenwende mit immergrünen Zweigen zu schmücken.

Der Christbaum, wie wir ihn kennen, ist dagegen eine neuzeitliche Erfindung, deren Ausbreitung wesentlich durch die Reformation gefördert wurde. Erstmals schriftlich erwähnt ist ein Baum, den die Bäckerzunft 1419 in Freiburg im Breisgau mit allerlei Naschwerk behängt hatte und nach Neujahr von den Kindern "abernten" ließ. Ein Kupferstich von Lucas Cranach d. Ä. aus dem Jahre 1509 zeigt den ersten Tannenbaum mit Lichtern und Sternen. Der erste urkundlich erwähnte Weihnachtsbaum in Deutschland wurde 1605 in Straßburg aufgestellt und mit Äpfeln geschmückt. Seit 1800 schien man allmählich Gebäck und Naturalien als Baumschmuck mit künstlich gefertigten Zierden zu ergänzen, so etwa mit gläsernen Nüssen, wie sie 1831 hergestellt wurden, und wenig später mit mundgeblasenen Kugeln. Das Biedermeier - unsere Zeichnung zeigt einen Baum geschmückt im Stil dieser Zeit - erlebte den Siegeszug des Tannenbaumes, der mit den deutschen Auswanderern auch in Amerika heimisch wurde.

Bereits 1866 wurde der gußeiserne Ständer patentiert, vier Jahre später entwickelte Justus Liebig ein Verfahren, Glaskörper von innen zu versilbern; es folgten Versuche, Bäume aus Draht herzustellen, und mit der Reichsgründung setzte auch die industrielle Produktion von Christbaumschmuck ein, bei der sich Deutschland und die USA quasi einen Wettlauf lieferten.

Seit der Jahrhundertwende konnte sich auch die katholische Kirche des Brauches nicht mehr verschließen und gab dem Weihnachtsbaum, nachdem sie lange die Krippe favorisiert hatte, ihren Segen. Heidnischen Naturkult glaubte sie jetzt nicht mehr fürchten zu müssen, aber gegen den neuen Kult des Kommerzes ist leider auch sie machtlos. 


 
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