© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002

 
Freie Bahn für Internet-Zensur
Justiz: Erstmals bestätigt ein bundesdeutsches Gericht die Rechtmäßigkeit der Sperrung rechtsextremistisch eingestufter Internetseiten
Manuel Ochsenreiter

In der Presse liest es sich fast so, als sei eine neue Ära angebrochen. Ein deutsches Gericht hat erstmals die Sperrung von Internetseiten mit politischem Hintergrund angeordnet. Ein Anbieter wandte sich vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg erfolglos gegen seine Verpflichtung, den Zugriff auf Netzseiten zu sperren, deren Inhalt den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle.

Zuvor lehnte das Verwaltungsgericht in Minden eine Sofortsperrung der Seiten ab. Die Bezirksregierung Düsseldorf stellte im Februar 76 Providern sogenannte Sperrungsverfügungen zu. Diese sollten den Zugang zu den Netzseiten mit inkriminierten Inhalten sperren. Es handelt sich hierbei um die Seiten des US-amerikanischen Neonazis Gary Lauck sowie um die texanische Internetseite "Stormfront", auf welcher nach Aussagen der Bezirksregierung volksverhetzende Inhalte sowie verbotene Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen zu sehen gewesen sein sollen.

In der Sperrungsverfügung, die der Redaktion vorliegt, heißt es bezüglich des Angebots der Seite von "Stormfront", diese sei "unzulässig", weil sie "den Krieg verherrlicht" und "hilfsweise darüber hinaus offensichtlich geeignet ist, Kinder und Jugendliche sittlich schwer zu gefährden."

Der zuständige Sachbearbeiter der Bezirksregierung Düsseldorf, Jürgen Schütte, nannte die Kriterien, nach welchen Internetangebote gesperrt werden sollten, in einem am 17. September dieses Jahres bei der Bezirksregierung gehaltenen Vortrag. Grundlage sei der Mediendienststaatsvertrag, welcher die staatlichen Aufsichtsbehörden - im speziellen Fall nach dem Teledienstgesetz die Bezirksregierung Düsseldorf - dazu verpflichte, unzulässige Angebote zu sperren, sowie Ordnunsgwidrigkeiten zu verfolgen und zu ahnden.

Nach Paragraph 12 I des Mediendienstgesetzes sind Angebote unzulässig, "wenn sie gegen Bestimmungen des Strafgesetzbuches verstoßen, den Krieg verherrlichen, offensichtlich geeignet sind, Kinder und Jugendliche sittlich schwer zu gefährden." Weiter ist es unzulässig, "Menschen, die sterben oder schweren körperlichen und seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darzustellen und ein tatsächliches Geschehen wiederzugeben, ohne daß ein überwiegendes berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Berichterstattung vorliegt, oder in sonstiger Weise die Menschenwürde verletzen."

Schütte wird noch präziser: "Bei rechtsextremistischen Angeboten ergibt sich die Unzulässigkeit von Internetangeboten oft schon daraus, daß sie den Krieg verherrlichen, geeignet sind, die Kinder und Jugendliche sittlich schwer zu gefährden, die Menschenwürde verletzen". Das bedeutet: Selbst wenn keine strafrechtsrelevanten Inhalte zu finden sind, können eine oder mehrere der zuvorgenannten, schwammig formulierten Regelungen greifen. Der Willkür ist damit Tür und Tor geöffnet. Da klingt Schüttes Schlußfeststellung, es ginge nicht darum "eine Kontroll- und Überwachungsinfrastruktur aufzubauen" fast wie Hohn. Natürlich richten sich diese Maßnahmen ausschließlich gegen als "rechtsextremistisch" ausgemachte Internetangebote. Linksextremismus sowie linksextremistische Internetseiten stellen für die NRW-Behörde anscheinend kein Problem dar.

Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT bestätigte Schütte, daß seine Behörde gegen linksextremistische Angebote bislang kaum etwas unternahm. Grund hierfür sei das Ausbleiben entsprechender Anzeigen. Schüttes Kenntnis linksextremistischer Netzangebote scheint mehr als ärmlich. So war dem Sachbearbeiter die von Linksextremisten genutzte Internetplattform "indymedia" noch nicht einmal namentlich bekannt.

Die Seite, auf der aktuell zu lesen ist, Polizisten gebühre "kein Mitgefühl, sondern eine Tracht Prügel", bekam am 28. August dieses Jahres sogar den "poldi-award", einen Kulturpreis, den auch das Bundesinnenministerium mitträgt, und dessen Schirmherr der damalige Staatsminister Julian Nida-Rümelin war (JF 39/02). "Her mit den Helmen, den Knüppeln und dem ganzen Zeug und dann Mann gegen Mann. Auffe Fresse, aber richtig", fordert ein indymedia-Nutzer auf. Für die NRW-Behörden auch weiterhin kein Thema.


 
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