© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002

 
Seltsame Verbündete
Geopolitik: USA drohen Angreifern mit Vergeltung durch Atomwaffen / Alle Spuren führen immer in den Irak
Alexander Griesbach

Wenn nicht alles täuscht, hat das große "warming up" für den von der Regierung Bush so inständig herbeigesehnten Krieg gegen den Irak begonnen. Die Indizien für einen bevorstehenden Krieg werden von Tag zu Tag dichter. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die USA einen der vielen Vorfälle, die immer wieder dem Irak zur Last gelegt werden, zum casus belli erklären.

Daran wird wohl auch das Waffendossier, das der Irak vor kurzem vorlegte, kaum noch etwas ändern. Dieses Dossier werde nach Ansicht von Militärexperten die USA nicht davon abhalten, Iraks Präsident Saddam Hussein mit einem Krieg zu stürzen. Der knapp 12.000 Seiten starke irakische Bericht wird derzeit von den Uno-Experten analysiert. Der Chef der Uno-Waffeninspekteure, Hans Blix, hat insgesamt 15 Experten mit der Prüfung des irakischen Berichtes betraut.

Der Irak kritisierte unterdessen, daß die Uno entgegen ihrem ursprünglichen Beschluß den Bericht vor einer Prüfung durch die Uno-Experten an die USA weitergab. Die Uno sei dazu in einer in ihrer Geschichte beispiellosen Weise von den USA erpreßt worden, meinten die Irakis wohl nicht zu Unrecht. Tatsächlich räumte der gegenwärtige Präsident des Sicherheitsrats, Kolumbiens Uno-Botschafter Alfonso Valdivieso, ein, von den USA unter Druck gesetzt worden zu sein.

Aber auch ohne irakisches Waffendossier bieten sich den USA immer wieder neue Gründe für einen gerechten Krieg gegen den Irak. Die US-Regierung habe einen Bericht darüber erhalten, daß Anhänger Osama bin Ladens im Irak in den Besitz des Nervengases VX gelangt seien, meldete die Washington Post am Donnerstag letzter Woche. Die Spur führe - selbstverständlich - in den Irak. Diese Vermutung nimmt die Zeitung zum Anlaß, darüber zu spekulieren, ob Iraks menschenfeindlicher Diktator Saddam Hussein von einer solchen Transaktion gewußt haben könnte. Da sein Sohn Kusai als Geheimdienstchef für das geheime Waffenprogramm verantwortlich sei, drängt sich der Verdacht förmlich auf, daß Hussein eine solche Transaktion kaum verborgen geblieben sein könnte.

Um der ständigen Bedrohungslage, der die USA ausgesetzt ist, noch einmal Ausdruck zu verleihen, verweist das Blatt gleich auch noch auf neue Terrorwarnungen. So wird vor einem Giftgasanschlag auf die Luftwaffenbasis Incirlik in der Türkei gewarnt. Außerdem habe ein europäischer Verbündeter die USA vor einem Giftgasanschlag auf eine U-Bahn gewarnt.

Auf diese mannigfaltigen Bedrohungskulissen hat die Regierung Bush inzwischen auf ihre Art und Weise reagiert. Die USA seien entschlossen, so steht in einem martialischen Papier zu lesen, Angriffe oder Anschläge auf ihr Territorium, ihre Alliierten und ihre im Ausland stationierten Truppen mit Massenvernichtungswaffen durch den Einsatz taktischer Atomwaffen zu beantworten. Die kürzlich vorgelegte "Nationale Sicherheitsstrategie" wird mit dieser Ankündigung, die eindeutig in Richtung Saddam Hussein zielt, noch einmal überboten.

Neu ist dieses Papier freilich nicht. Nach US-Zeitungsberichten gleicht es bis ins Detail einer im Januar 1991 unmittelbar vor Beginn des Krieges an Saddam Hussein gerichteten Drohung des früheren US-Außenministers James Baker. Dieser wollte damals den Eindruck erwecken, die USA schlügen mit Atomwaffen zurück, wenn sie mit biologischen oder chemischen Kampfstoffen seitens des Iraks angegriffen würden. Zwar bestreiten US-Regierungsbeamte, daß diese neu aufgewärmte Doktrin bzw. der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung als Abschreckung Saddam Husseins zu verstehen sei.

Statt dessen verweisen sie, wenig überzeugend, als Beispiel für aggressive Prävention auf das von der spanischen Marine aufgebrachte Schiff aus Nordkorea mit den für den Jemen bestimmten Scud-Raketen. Anfang letzter Woche sah sich ein spanisches Kriegsschiff genötigt, 200 Seemeilen südlich der jemenitischen Küste ein unbeflaggtes Schiff, das vermutlich aus Nord-Korea stammt, anzuhalten. Bei der Durchsuchung dieses Schiffes wurden 15 Scud-Mittelstreckenraketen, dazu Bauteile für weitere acht, 15 Sprengköpfe und 23 Behälter mit Salpetersäure gefunden. "Mit 99prozentiger Sicherheit", wie sofort US-Kreise verlauten ließen, sei die Lieferung für den Jemen bestimmt. Wenige Stunden später kam die Bestätigung: Die Regierung in Sanaa gab zu, daß die versteckte Scud-Lieferung den Jemen zum Ziel hatte. Gleichzeitig legte sie Protest bei den USA gegen die Durchsuchung des Frachters ein, Der US-Botschafter wurde einbestellt. Pikant an dieser Affäre ist, daß der Jemen ein "Freund und Verbündeter" der USA im Kampf gegen den Terrorismus ist. Entsprechend schnell ruderte Washington zurück und gab die Raketen frei.

Heikel wird für die USA aber langsam die Frage, welchen Kurs die US-Führung gegenüber Pjöngjang in Zukunft einzuschlagen gedenkt. George W. Bush zählt das wohl brutalste orthodox-kommunistische Regime bekanntlich zur "Achse des Bösen". Anfang Dezember dieses Jahres stellten die USA ihre Heizöllieferungen an das verarmte Land ein und kürzten die Lebensmittelhilfe, weil Nord-Korea an Atomprogrammen tüftelt.

Doch anders als im Fall Irak setzt Washington hier auf diplomatischen sowie wirtschaftlichen Druck. Die Annäherung an Süd-Korea und die mittel- bis langfristige Option einer Wiedervereinigung eröffnen größere Chancen für die Region, als ein gewagter Waffengang gegen ein heruntergewirtschaftetes Nord-Korea. Entscheidend für die auffällige Milde der USA Nord-Korea gegenüber dürfte wohl aber die Tatsache sein, daß Nord-Korea im Gegensatz zum Irak über keinerlei nennenswerte Erdölvorräte verfügt.

Welche Motive für den früheren US-Präsidenten Jimmy Carter vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ausschlaggebend waren, bei der Entgegennahme des diesjährigen Friedensnobelpreises in Oslo die Politik der USA als "zurückhaltend" zu loben, wird wohl dessen Geheimnis bleiben. Augenscheinlich sind "Friedensnobelpreisträger" nicht von dieser Welt.


 
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