© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002

 
Pankraz,
Frodalinda und die Weihnachtsbescherung

Wie man dem lieben Nächsten eine "wirkliche Freude" machen kann, darüber denken in diesen Tagen viele nach, dies Nachdenken grundiert den vorweihnachtlichen Einkaufsrummel und verleiht ihm einen Hauch von Würde. "Freudemachen ist eine ernste und schwierige Sache", wußte schon Seneca. Mit prächtigen Geschenken allein ist es keineswegs getan, auch bei kleinen Kindern nicht.

Der Beschenkte, soll er sich wirklich freuen, muß spüren, daß man bei der Auswahl des Geschenkes intensiv und mit Liebe seiner gedacht hat, daß man dabei heimlich um seine Zuneigung warb und ihm ein Stück von sich selbst darbrachte, ein Opfer geradezu, eine Auslieferung. Jede Abweichung von diesem hohen Anspruch, auch die kleinste, wird von dem Beschenkten sofort bemerkt und mindert seine Freude beträchtlich.

Denn sie, die Freude, ist ein ganz reiner Affekt, der reinste, den es gibt, ein mächtiges, momentanes und jubelndes Mit-sich-und-der-Welt-Zufrieden-sein, ein Kind des Augenblicks, in dem Lust und Befriedigung, Egoismus und Dankbarkeit sich untrennbar vermischen. Alle Sprachen der Welt wissen das und setzen eine deutliche Differenz zwischen Freude und bloßem Vergnügen, bloßer Genugtuung, bloßem Genuß. Die französische "joie" ist meilenweit entfernt von der genießerischen "juissance", vom vergnügten "plaisir". Das englische "joy" will nur wenig zu tun haben mit der seicht-fröhlichen "gladness", dem wonneproppigen "delight".

Sämtliche Etymologien weisen auf anspruchsvollste, großartige Abkunft. Die althochdeutsche "frodalinda" war eine Bezeichnung für eine Empfindung, die entsteht, wenn sich zwei freie, zu hohen Taten entschlossene Schwertgenossen begegnen und zum Schwur die Schwerter zusammenschlagen. "Charis", das griechische Wort für Freude, war der Sammelbegriff für die Chariten, die das Wohlbefinden des Menschen in fruchtbarer Natur verkörperten, seine angeborene Anmut, Grazie und Eleganz. Nur wenn wir uns freuen, sind wir wahrhaft anmutig, graziös und elegant. Freude und Anmut sind ein und dasselbe.

Leider ist die Freude von Vergänglichkeit umweht und schlägt leicht in ihr Gegenteil um, darüber sind sich alle Sprichwörter und Sinnsprüche einig. Selbst haltbarste Geschenke des Schicksals, Macht und Reichtum, ändern daran nichts, im Gegenteil, sie machen die Freudlosigkeit, wenn sie denn Platz greift, besonders schwer erträglich. Sophokles hat dem Tatbestand ein mächtiges Bild gegeben, als er seine Antigone skandieren ließ: "Hab im Hause der Güter viel und leb im stolzen Herrscherglanz,/Wenn die Freude mangelt, kauf ich dir das andere/nicht um des Rauches Schatten ab" (1130/36).

Manche Psychologen sind der Meinung, nur Kinder und sogenannte einfache Leute könnten sich wirklich freuen; "große Herren haben Vergnügungen, das Volk hat Freude" (Montesquieu). Auch die Geschenkorgien zu Weihnachten weisen in diese Richtung. Gewaltige Freude der reinen Ausprägung bei den Kindern (wenn nicht enttäuschte Erwartungen dazwischen kommen); warme Freude, die freilich vom Gefühl der Dankbarkeit ein bißchen aus den Proportionen geschoben wird, bei den Armen und Bedürftigen, die es nötig haben; gedämpfte, oft nur gespielte, höflich bezeugte Freude bei denen, die "schon alles haben".

Schöne Frauen, die ein teures Collier, ein rassiges Auto oder ein Appartement geschenkt bekommen, bilden einen Sonderfall. Ihre momentane Freude ist von stürmischer, kindlicher Anmut, manifestiert sich in Grazie und Eleganz. Doch sie wissen natürlich von Anfang an, daß der Schenkende kein ganz aufrichtiges Opfer dargebracht, daß er letztlich eine Investition vorgenommen hat, zumindest eine Investition in Hoffnung. Und so sind die Freude der Beschenkten und ihre Dankesbezeugungen von merkwürdigen, artfremden Beifärbungen getönt, von Respekt und Versprechungen bzw. Verweigerung.

Ein Familien- oder Sippenvorstand oder sonstiger Patriarch muß viel Einfühlung und viel organisatorisches Geschick aufbringen, um bei der Weihnachtsbescherung all die unterschiedlichen, sich gegenseitig so leicht behindernden und neutralisierenden Freuden- und Dankesbezeugungen gegeneinander ins Gleichgewicht zu bringen und die Atmosphäre fröhlich und unpeinlich zu halten. Nietzsche trifft hier wieder einmal den Nagel auf den Kopf, wenn er in der "Fröhlichen Wissenschaft", in dem berühmten Kapitel "Die Freudlosen", anmerkt: "Ein einziger freudloser Mensch genügt schon, um einem ganzen Hausstand und Festabend dauernden Mißmut und trüben Himmel zu machen, und nur durch ein Wunder geschieht es, daß dieser eine fehlt."

Da hilft nur noch, in die Christmette zu gehen oder wenigstens das Fernsehen einzuschalten und sich die Choräle anzuhören. Wer weiß, vielleicht begegnet man dabei sagar einer Erfahrung, die Nietzsche nicht wahrhaben will, wenn er fortfährt: "Hast du eine große Freude an etwas gefunden, so nimm Abschied, nie kommt es zum zweiten Male". Vielleicht kommt ein und dieselbe Freude doch zum zweiten Male, vielleicht kommt sie alle Jahre wieder und wärmt einen so kräftig, daß es für eine ganze Dekade ausreicht und die Schatten des Rauches fernhält?

Zur wirklichen Freude, schrieb Pankraz oben, gehört die Entdeckung, daß der Schenkende ein Opfer darbringt, daß er sich um meinetwillen preisgibt, ohne deshalb selber in Rauch aufzugehen. Er opfert sich und bleibt doch gegenwärtig, "kommt an". Das ist so ziemlich eine Beschreibung dessen, was sich nach Ansicht der Christen zu Weihnachten begibt, ein anspruchsvolles Mysterium auf jeden Fall, über das man nach der Bescherung nachdenken und über das man sich unterhalten kann. Gute Hintergrundmusik, Kinder, die ihre Geschenke ausprobieren, überhaupt ein behagliches Ambiente stören dabei nicht.


 
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