© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002

 
Ästhetische Fluchtwelten
Leni Riefenstahl: Das Bonner Haus der Geschichte zeigt eine Ausstellung mit Arbeiten der Hundertjährigen
Dominik Schon

Siebzig Jahre Arbeit, davon drei Monate im Dienste Hitlers - und sie galt lebenslang als Nazi-Künstlerin", so Alice Schwarzer 1999 über die Filmemacherin Leni Riefenstahl. Auch die vergangenen Donnerstag eröffnete Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn macht hier keine Ausnahme.

Vor etwa 400 geladenen Gästen eröffnete der Präsident des Hauses, Hermann Schäfer, die Ausstellung über Leben und Werk einer der schillerndsten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Äußerst umstritten war dieses Projekt von Anfang an. Eine "Gratwanderung" sei es gewesen, so Schäfer. Von vielen Seiten wurde behauptet, man wolle einer "Nazi-Regisseurin" ein Denkmal setzen. Heftige Kritik an der Schau hatten unter anderem Günter Wallraff ("Ganz unten") und Ralph Giordano geübt.

Dabei ist die Glorifizierung der Filmemacherin nun wirklich nicht die Intention der Ausstellungsmacher. Die (Nicht-)Laudatio, gehalten von Hilmar Hoffmann, dem ehemaligen Präsidenten des Goethe-Instituts (JF-Interview 35/02), machte dies deutlich. Allerdings ist auch Hoffmann als ehemaliger scharfer Kritiker Riefenstahls versöhnlicher geworden und betonte neben dem unheilvollen Einfluß, den ihre Filme in seiner Jugendzeit auf ihn ausgeübt hätten, das künstlerische Talent der Jahrhundertregisseurin.

Leni Riefenstahl, die am 22. August dieses Jahres ihren hundertsten Geburtstag feiern konnte, war zur Ausstellungseröffnung nicht erschienen. Den Veranstaltern dürfte ihre Abwesenheit wohl lieber gewesen sein. Denn die Hauptbotschaft des Hauses der Geschichte ist es, die "Verstrickung" der Regisseurin in das NS-System aufzuzeigen. So nimmt ihr Spätwerk in der sowieso schon auf relativ kleinem Raum konzipierten Ausstellung nur noch einen marginalen Stellenwert ein. Um so mehr wird ihr das "Ritual des Fahnenzaubers" (Hoffmann) zum Vorwurf gemacht: "Olympia hat Anteil an der ausgrenzenden Propaganda. Der Schönheits- und Körperkult der Nazis fordert die Vernichtung des als unwert erachteten Lebens", heißt es etwa auf einer Erklärungstafel. Eine Argumentationskette, die höchst fragwürdig ist. Ein Monitor zeigt überdies Ausschnitte aus Fritz Hipplers Film "Der ewige Jude". Natürlich darf auch hier der Hinweis nicht fehlen, daß dieser Film zwei Sequenzen aus Riefenstahls Film "Triumph des Willens" enthält. Ein Film übrigens, von dem Mick Jagger einmal gesagt hat - so klärt die Ausstellung auf -, daß er ihn sich fünfzehn mal angeschaut und ihn fantastisch gefunden habe.

Der Vorwurf der Nachgeborenen wabert über der gesamten Ausstellungsfläche. Hitler ist immer mit dabei, etwa wenn er gemeinsam mit Leni Riefenstahl auf Fotos zu erkennen ist oder Objekt des Dankes der Regisseurin wird, die ihm angesichts der Verleihung des Nationalen Filmpreises 1935 ein freundliches Telegramm zukommen ließ. Lebendig wird er auch in Form eines schlichten, zusammenhanglos gezeigten Wahlplakates der NSDAP mit der Aufschrift "Hitler Liste 1".

Inhaltlich Neues bietet die Ausstellung kaum. Zu Beginn begegnet einem zunächst Brekers "Prometheus" als vermeintliches Sinnbild nationalsozialistischer Kunst. Gleich daneben lassen Joop- und Calvin Klein-Heroen die Bedeutung Brekerscher/Riefenstahlscher Ästhetik für die heutige Zeit sichtbar werden. Nebenbei darf sich die Dark-Wave-Gruppe Allerseelen über unverhoffte Werbung freuen. Ein Tonträger der Band, den ein Konterfei Riefenstahls ziert, stellt einen weiteren Beleg für die Nachwirkungen der Künstlerin bis in die heutige Zeit dar, freilich gewendet in den Vorwurf, Allerseelen verwende Riefenstahl-Motive für die "Verbreitung ihrer NS-Esoterik".

Mit dem in mancher Hinsicht durchaus vielversprechenden Entree ist jedoch das innovative Potential der Ausstellungsmacher bereits weitgehend erschöpft. Durchaus interessant erscheinen noch die Zitatsammlungen, die in mehreren Mappen zusammengetragen wurden und an verschiedenen Stellen ausgestellt sind. Höchst widersprüchliche Meinungen zu "Hitlers willfähriger Filmemacherin" (Die Welt) finden sich dort, nebenbei auch so manch erstaunliche Aussage, wie etwa die von Mick Jagger.

Sonst wird jedoch politisch korrekte Hausmannskost geboten. Nach Andrea Mork, der Organisatorin der Ausstellung, sollen dabei die "gegenläufigen Entwicklungen" im Werk der Hundertjährigen deutlich werden: Zum einen die "innovative filmtechnische und filmästhetische Praxis", zum anderen "Inhalte, die von rückwärtsgewandter Ideologie geprägt sind".

Zur Darstellung dieser beiden von Frau Mork angenommenen Entwicklungstendenzen in Riefenstahls Werk kommen zwei räumlich gegenüberliegende Ebenen als gestalterisches Element hinzu, die die Schau durchziehen: So werden auf der einen Seite ausschnittartig die bedeutendsten Filme der Regisseurin vorgestellt. Inhaltliche Kontinuitäten in den Motiven sollen hierbei aufgezeigt werden, wie etwa der "schöne, starke Körper" als "ästhetische Fluchtwelt" (A. Mork).

Auf der gegenüberliegenden "Exponatebene", die etwa 300 Ausstellungsstücke umfaßt, darunter auch Leihgaben der Künstlerin, wird das Leben und natürlich die Verstrickung in das NS-System, die laut Andrea Mork im "Zentrum der Interesses" stehen soll, beleuchtet.

Beide Ebenen münden schließlich in der Thematisierung des Holocausts. "Diese Schandtaten - Eure Schuld", klagt ein bekanntes Plakat aus der Nachkriegszeit an, und unter einem großen Bildschirm, der Sequenzen aus den Olympia-Filmen zeigt, mahnt auf einem Monitor Fritz Hipplers "Ewiger Jude" die Besucher, Riefenstahls Werke auch ja nicht zu beschönigen.

Was der Ausstellung fehlt, ist der Blick für das Neue. Interessant wäre beispielsweise gewesen, Parallelen zwischen den Filmen Leni Riefenstahls und den Werken der sowjetischen Filmavantgarde, die Hilmar Hoffmann zur Eröffnung gezogen hatte, indem er deren Wirkung für die Propaganda Stalins mit der Wirkung der Filme Leni Riefenstahls verglichen hatte, in die Ausstellungskonzeption mit einzubeziehen. Statt dessen werden nur die sattsam bekannten Vorwürfe an die Adresse der Filmemacherin wiederholt, die seit über 50 Jahren diskutiert werden. Hat hier etwa die Angst vor vernichtender Kritik, die bei dem Versuch, altbekanntes Terrain zu verlassen, zu erwarten gewesen wäre, die Ausstellungsmacher in ihrer Kreativität beschnitten?

Der Protest vor der Tür des Museums jedenfalls hielt sich an diesem Abend in Grenzen. Unter dem äußerst einfallsreichen Motto "Ehre wem Ehre gebührt. Scheiß Deutschland!" zogen etwa 40 bis 50 Demonstranten gegen die "Jubelausstellung" zu Felde, die ihrerseits jeglichen Jubel weit von sich weist.

Eine Neubewertung der Kunst Leni Riefenstahls sei überfällig, hatte Hilmar Hoffmann in seiner Eröffnungsrede gefordert. Die Ausstellung im Haus der Geschichte erfüllt einen solchen Anspruch nicht.

Fotos:

Leni Riefenstahl beim Schneiden des Filmmaterials von "Olympia" (1936): Ritual des Fahnenzaubers

Leni Riefenstahl bei Dreharbeiten zu ihrem Regiedebüt "Das Blaue Licht" (1932)

Leni Riefenstahl bei Aufnahmen zu dem NS-Reichsparteitagsfilm "Triumph des Willens" (1934)

Die Ausstellung wird bis zum 2. März 2003 im Bonner Haus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14, täglich außer montags 9 bis 19 Uhr gezeigt. Info: 02 28 / 91 65-0


 
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