© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002


Blick in die Medien
Crime
Ronald Gläser

Nichts fasziniert die Massenmedien so sehr wie Serientäter und perverse Mörder. Die Angst der Menschen bringt Einschaltquoten. So war es beim Washingtoner Heckenschützen, der die USA vier Wochen lang mehr in Atem hielt als Osama bin Laden. So war es bei Frank Schmökel, der vor zwei Jahren Brandenburger in Angst und Schrecken versetzte. Der Schwerverbrecher konnte sich über Medieninteresse während seines Prozesses nicht beklagen. Und so war es, als zwei Wochen vor Weihnachten der Kannibale von Rotenburg dingfest gemacht worden ist. Dieser geisteskranke Täter beherrschte alle Nachrichtensendungen. Er hatte im Internet nach Menschen gesucht, die bereit waren zu sterben. Zuvor hatten Täter und Opfer das Geschlechtsorgan des Opfers verzehrt. Das Opfer stimmte diesem Procedere offenbar zu. Es fragt sich, wer kränker ist: der Täter oder das Opfer? Eine Nachrichtenagentur nahm dies zum Anlaß, Kannibalismus als solchen zu thematisieren. Der Verzehr sei ein Mittel zum Zweck der sexuellen Befriedigung, heißt es in der Nachricht. Das Wort Vernaschen gewinnt dadurch eine ganz neue Bedeutung. RTL2 ist dem Bedürfnis nach Verbrechen und Gewalt schon lange nachgekommen. Sendungen wie "FBI - dem Verbrechen auf der Spur", "Ungeklärte Morde", "Akte Mord" und "Autopsie" wenden sich an Zuschauer, denen Fiktionen a lá Hannibal Lector nicht ausreichen. "Crime" ist inzwischen ein Genre für sich. Aber das war es zu Zeiten Hackebeil-Haarmanns auch schon.


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