© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/03 03. Januar 2003

 
Meister einer Epoche
Ausstellung: Zur Retrospektive des photographischen Werkes von Stefan Moses im Münchner Stadtmuseum
Hagen Weimar

Gute Lichtbilder erkennt man daran, sie immer wieder anschauen zu können. Sie vernutzen sich nicht. Stammen sie aus der Kamera eines großen Photographen, besitzen sie Eigentümliches. Der Kenner sieht sofort: dies ist von Nadar, das von Cameron, Adams, Horst, Newton, von Stefan Moses! Bilder von Moses erkennt man am Sujet: deutsche Zeitgenossen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, desweiteren an ihrem photographischen Ausdruck. Sie sind im Ton kühl gehalten, mit satten Schwärzen und einem sichtbaren Korn. Das beherrschte Handwerk wird sichtbar.

Kürzlich wurde im Münchner Stadtmuseum die große Retrospektive zum Werk von Stefan Moses eröffnet. Auf einer erweiterten Schaufläche werden 220 Bilder in Barytabzügen vorbildlich präsentiert.

Moses wurde 1928 in Liegnitz/Schlesien geboren. Sein Name geht auf den jüdischen Vater zurück. Die photographische Ausbildung begann er in Breslau und beendete sie in Erfurt, wohin ihn der Untergang des Dritten Reiches gespült hatte. Dazwischen lag die Flucht aus dem Zwangslager der Nationalsozialisten. Er wurde Photograph am Weimarer Nationaltheater. Doch floh er bald der aufrückenden Bedrängnis des neuen Oststaates. 1950 läßt er sich in München nieder, wo er noch heute wohnt. Er hatte sofort Aufträge für die Revue, ab 1960 für den Stern. Der Erfolg machte ihn unabhängig.

Dieser Erfolg liegt in seinem Konzept. Der wohl wichtigste Beitrag seines Werkes ist das systematische Abbilden deutscher Typen. Darin steht Moses in der Tradition August Sanders, der in den zwanziger Jahren Bauern, Arbeiter, Kleinbürger und Industrielle, schließlich alle beispielhaften Mitglieder aller Stände und Milieus, wie in einer Bestandsaufnahme des gesamten Volkes ablichtete. Dies wiederholt Moses. Doch bei ihm ist es etwas anderes. Er läßt die Menschen auf einem Filztuch posieren, einer Anleihe von Irving Penn. So wirken sie monumental, denn Monumentalität entsteht aus formaler Bezugslosigkeit. Es fehlt Bezug zur Umgebung und damit zu einem übergeordneten Ganzen, zum Volk. Moses zeigt nur Individuen. Darin liegt der Unterschied zu August Sanders, der die Menschen stets in der Umgebung ihres Milieus darstellte. Nur manchmal nimmt Moses das Tuch etwas beiseite und läßt die Umgebung erahnen. Oder das Filztuch wird Zitat, wie bei Heiner Müller, darauf stehend und dahinter ragt die gähnende Fensterwand eines Hochhauses auf.

Dazu treten die Porträts der Prominenz aus Politik und Geistesleben. Moses bittet sie im Wald vor die Kamera. "Das Motiv des deutschen Waldes führt uns tief in die Geschichte hinein, ist allegorischer und surrealer Hintergrund: Der Baum als Sinnbild des Lebens - der Mensch als Baum. Lebensbaum - Weltenbaum." Es ist die Strategie eines Zauberers, die Berühmtheiten und Größen aus ihren gewohnten Umgebungen zu nehmen, aus den Theatern und Ateliers, Büros und Parlamenten, Denkstuben und Bibliotheken. Willy Brandt, Stefan Heym, Gräfin Dönhoff, Herbert Wehner stehen als Beispiele, auch Hans-Georg Gadamer und Martin Walser.

In seinen Spiegelbildern fordert Moses die Photographierten zum Mitspielen auf. Er postiert sie vor einen mitgebrachten Kleiderspiegel, drückt ihnen den überlangen Drahtauslöser in die Hand und überläßt ihnen den Zeitpunkt der Aufnahme. Dieser Spiegel unterbricht wieder das Gewohnte, bringt ein fremdes Element ins Spiel. Er ist es auch, der diese einzelnen Bilder zu einer zusammenhängenden Serie macht. Ernst Bloch, Theodor Adorno, Karl Jaspers, Ernst Jünger, Carl Orff und viele andere sahen in diesen Spiegel.

Im Bruchteil einer Sekunde wird ein Leben zusammengefaßt. Vom "entscheidenden Augenblick" Cartier-Bressous hält er nichts. Für ihn zählt die Folge. Einen Menschen könne man, wenn überhaupt, erst in der Sequenz erfassen, nicht im Einzelbild. Nur die Sequenz läßt die Annäherung an die Vielgestaltigkeit der Wirklichkeit zu.

Bei Moses bleiben die Menschen Menschen. Man erkennt sie als Einzelwesen. Auf den gestochen scharfen Porträts eines Thomas Ruff haben heute die Menschen jegliche Persönlichkeit verloren. Dies ist nur ein Indiz, wohin die Entwicklung führt: zu einer steten Entmenschung, paradoxerweise bei gleichzeitiger Zunahme des Moralischen. Daneben steht das Hereinbrechen der digitalen Aufnahmetechnik, der man durch ihre Manipulationsmöglichkeit eine Authentizität nicht zubilligen kann. Photographie wird zur Klonung. Darum wirken die Bilder von Stefan Moses so echt, so glaubwürdig. In der Dunkelkammer wird ein wenig nachbelichtet oder abgewedelt - der Kern bleibt unangetastet. Die Bilder haben noch Wirklichkeitsgehalt, wenn auch Photographie nie gänzlich objektiv sein kann. Falls die herkömmliche Analogtechnik wirklich abdanken sollte, wird Moses einer ihrer letzten Meister gewesen sein. Seine Porträts sind ein psychologisches Abbild der deutschen Gesellschaft, gleichzeitig ein Dokument seelischen Verlustes.

Dies wird deutlich, wenn man sie mit denen der alten Meister vergleicht. Die Menschen schauen anders bei August Sander, Nicola Perscheid, Hugo Erfurth, Erna Lendvai-Dirksen oder den Hilsdorf-Brüdern. Aus ihren alten Photographien blickt aus den Antlitzen noch eine Ahnung von der Schwere des Lebens, von Ernst. Heute sind die Physiognomien eher mit Banalität bemalt, das Nette blinzelt durch. Im Schwinden des Bewußtseins des Tragischen sah Reinhold Schneider den Untergang des Abendlandes. So wird jedes photographische Porträt zu einem Psychogramm. "Ab einem bestimmten Alter ist jeder Mensch für seinen Gesichtsausdruck verantwortlich", hat Paul Swiridoff gesagt. Vielleicht wird man das Werk von Stefan Moses einmal als den bildhaften Abschluß eine Epoche ansehen.

Fotos: Philosoph Ernst Bloch, Literaturwissenschaftler Hans Meyer (1964): Unterbrechung des Gewohnten, Loriot (1996), Adorno (1964)

Die Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, Sankt-Jakobs-Platz , läuft bis zum 25. Februar 2003. Weitere Stationen in diesem Jahr sind Kiel und Berlin. Die umfangreiche Monographie kostet in der Ausstellung 25 Euro.


 
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