© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/03 03. Januar 2003

 
CD: Ulla Meinecke
Rückmeldung
Holger Stürenburg

Acht Jahre nach ihrem letzten Album hat Ulla Meinecke, 49jährige Liederschreiberin aus Hessen mit ausgeprägter Liebe zu Berlin, kürzlich ihr zehntes Studioalbum "Die Luft ist rein" (The Berliner/SPV) veröffentlicht, das Kritiker bereits als Meisterwerk feiern.

Vor 25 Jahren wurde Ulla Meinecke nach ihrem Umzug von Frankfurt/Main nach Hamburg von Udo Lindenberg entdeckt, der ihr erstes Album "Von toten Tigern und nassen Katzen" produzierte. So klang sie wie eine weibliche Ausgabe Lindenbergs, was sich 1978 auf ihrer zweiten LP "Meinecke Fuchs" fortsetzte. Sie trennte sich daraufhin von ihrem Mentor, zog nach Berlin und tat sich mit Herwig Mitteregger und anderen aufstrebenden Vertretern der neuen Berliner Szene zusammen. Erstes Ergebnis war die LP "Überdosis Großstadt" mit der NDW-beeinflußten Single "Video", dem nur ein Jahr später das gehobene Rockalbum "Nächtelang" folgte: Textlich düster, musikalisch verrockt, mit einer deutschen Bearbeitung von Tom Waits' "Valentine's Day" als Höhepunkt, schien Ulla Meinecke kurz vor dem Durchbruch zu stehen. Dieser setzte 1983 auch tatsächlich ein: Das Album "Wenn schon nicht für immer, dann wenigstens für ewig" wurde ein großer Erfolg in den Hitparaden; Ulla Meinecke wurde auf vielen Konzerttourneen durch immer größere Hallen bejubelt; sie ließ sich von den besten deutschen Studiomusikern wie Richard Wester (sax), Christian Evans (dr) oder Keyboard-Legende George Kochbeck begleiten.

"Der Stolz italienischer Frauen" war Ulla Meineckes Beitrag zum Deutschrock-Sommer 1985; es folgte das Live-Doppelalbum "Kurz vor acht", zwei Jahre später "Erst mal gucken - dann mal sehen" und 1991 das Album "Löwen", das ausschließlich eingedeutschte Rock- und Popklassiker von unter anderem Bruce Springsteen, Joe Jackson, Flash & the Pan oder Men at Work enthielt. Nach dem eher schwachen 94er-Album "An!" entschloß sich Ulla Meinecke, vorerst keine Platten mehr aufzunehmen, sondern statt dessen mit minimaler Begleitung auf Tournee zu gehen. In den ausgehenden 1990er Jahren gab sie so über 200 Konzerte in Deutschland, Österreich und der Schweiz, auf denen sie häufig bislang unveröffentlichte Lieder vorstellte.

Elf dieser Stücke liegen nun auf der neuen CD "Die Luft ist rein" vor: eine Mischung aus sanften, intensiven Balladen, hintergründig rockenden Up-Tempo-Nummern und einigen deutschen Versionen internationaler Chansons. Los geht's mit dem "wundervoll leuchtenden, strahlenden, grauen und feuchten, schmutzigen Wintertag in Berlin", einer der schönsten Oden auf die deutsche Hauptstadt. Es folgen Geschlechterkämpfe ("Wenn Du mich nicht verstehst") und leicht politische Anspielungen ("Nur Gerede"). Auf überzeugende Weise wird aus Suzanne Vegas "Marlene on the Wall" im Deutschen "Marlene an der Wand". In "Wer will schon Becky Thatcher sein?" singt sich Ulla Meinecke mitten hinein in die Abenteuer von Tom Sawyers und Huckleberry Finn.

Musikalisch wurde auf dem von Gareth Jones (Depeche Mode, Erasure, Boytronic) produzierten Album vollständig auf neumodische Computerspielereien und angesagte, meist nervtötende Rhythmen verzichtet. Anbiederungen an den Zeitgeist fanden weder textlich noch musikalisch statt. Trotz durchgehend elektronischer Instrumentierung wirken nahezu alle Lieder akustisch, erdig, echt. Sanftheit und Zynismus schließen sich nicht aus, Eindringlichkeit und Stille harmonieren prächtig. Einziger Wermutstropfen: Einer neuen Version der "Tänzerin", noch dazu auf Englisch, hätte es sicher nicht bedurft. Das Original, komponiert und arrangiert von Edo Zanki, ist einfach unschlagbar.


 
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