© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/03 24. Januar 2003

 
Kolumne
Zweierlei Maß
Heinrich Lummer

Ein Gericht hat jüngst entschieden, daß Aussiedler - das sind heute im wesentlichen Deutschstämmige aus der ehemaligen Sowjetunion - ein Mindestmaß an Deutschkenntnissen nachweisen müssen, wenn sie nach Deutschland kommen.

Sie müssen also schon in ihrer Heimat in Kasachstan oder Turkmenistan die deutsche Sprache erlernen, um die Integration in Deutschland zu erleichtern. Recht so! Denn Sprachkenntnisse sind eine wesentliche Voraussetzung für eine Integration. Was nun aber den Deutschstämmigen billig ist, sollte den Ausländern recht sein. Will sagen: Warum wird es vielen Ausländern leichter gemacht, nach Deutschland zu kommen, als den deutschstämmigen Aussiedlern? Dieses Messen mit zweierlei Maß ist durchaus nicht einleuchtend. Gewiß, der wirklich politisch Verfolgte, sprich echte Asylbewerber, kann nicht vorher die Sprache eines potentiellen Aufnahmelandes erlernen.

Aber der Familiennachzug, der derzeit jährlich erheblich höher zu Buche schlägt als die Aussiedlerzahlen, sollte durchaus an die gleiche Voraussetzung geknüpft werden. Mehr als 50 Prozent der türkischen Männer in Berlin holen sich ihre künftigen Ehepartner aus der Türkei, als gäbe es in Deutschland nicht genug junge Damen einschließlich Türkinnen im heiratsfähigen Alter.

Offenbar wollen diese Männer gerade die nicht emanzipierte, sprachlich unkundige Frau heiraten, die dann einen Anspruch auf Familiennachzug hat. Es läßt sich meiner Einschätzung nach durchaus mit dem Schutz der Familie vereinbaren, wenn man von diesen Personen verlangt, daß sie - wie die Aussiedler - ein Mindestmaß an Sprachkenntnissen vorweisen, bevor sie nach Deutschland kommen. Nur so kann man die Integrationschancen verbessern.

Die Sprache ist erwiesenermaßen ein ganz entscheidendes Mittel zur Integration. Unterschiedliche Sprachen führen zu unterschiedlichen Identitäten und schließlich zu Parallelgesellschaften.

Nach dem Scheitern des Zuwanderungsgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht steht das Thema erneut auf der Tagesordnung. Und das gilt nicht nur für die nach Deutschland geholten Ehefrauen, sondern auch für künftige Kinder, die kaum eine Chance haben, Deutsch zu lernen, wenn die Mutter nur Türkisch spricht. Noch ist über das Zuwanderungsgesetz nicht endgültig entschieden. Die Chance sollten wir nicht verpassen.

 

Heinrich Lummer, Berliner Innensenator a. D., war bis 1998 Bundestagsabgeordneter der CDU.


 
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