© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/03 07. Februar 2003


Schuß vor den Bug
Die Wahlergebnisse in Hessen und Niedersachsen treffen Gerhard Schröder ins Mark
Paul Rosen

Der stärkste Schmerz, weiß der Volksmund, wird gefühlt. Die Kriegsangst wurde in Hessen und Niedersachsen kein Wahlkampfthema mehr, die Rechnung von Kanzler Gerhard Schröder ging nicht auf. Wut, Enttäuschung und Verzweiflung über die Steuer- und Abgabenerhöhungsorgie der rot-grünen Koalition brachten die SPD in beiden Bundesländern auf historische Tiefststände und die CDU in Niedersachsen nach 13 Jahren wieder in die Regierung. Es sieht in Berlin nach Kanzlerdämmerung aus, während die CDU-Vorsitzende Angela Merkel glaubt, sie erstrahle als neuer Stern am politischen Himmel.

Selten hat sich eine Bundesregierung so dilettantisch aufgeführt wie das Kabinett Schröder. Schon die Bundestagswahl war nur mit dem Schüren der Angst vor dem Irak-Krieg und der Verschleierung der wahren Lage der Staats- und Sozialkassen gewonnen worden. Die Bundesbürger reagierten mit Hohn und Spott: Sie kauften in Massen Elmar Brandts "Steuersong" und schickten Schröder zu Tausenden ihr letztes Hemd.

Der Kanzler suchte, als die Umfragen immer weiter fielen, sein Heil wieder in der Außenpolitik. In einer Wahlkampfrede im niedersächsischen Goslar kündigte er an, im UN-Sicherheitsrat werde Deutschland nicht mit Ja stimmen, falls der Krieg gegen den Irak zur Abstimmung stehe. Darüber hinaus machte Schröder noch am Wahlwochenende mit der Ablehnung der Entsendung von Patriot-Raketen für den Nato-Partner Türkei von sich reden. Die Deutschen werden innerhalb der westlichen Allianz zunehmend als unzuverlässig wahrgenommen und begeben sich immer stärker in die Isolierung. Die Wähler in Niedersachsen und Hessen hatten jedoch verstanden, daß der angebliche Friedenskurs des Bundeskanzlers nur von seinem völligen Versagen in der Innenpolitik ablenken sollte. Und Schröder mußte lernen, daß man Tricks nicht beliebig oft wiederholen kann.

In Niedersachsen und Hessen wurde die SPD regelrecht versenkt. Selbst in traditionellen SPD-Regionen, wie etwa der Automobilstadt Wolfsburg, setzten sich die CDU-Direktkandidaten durch. Die SPD-Wähler liefen entweder zu den Christdemokraten über oder blieben den Wahllokalen fern.

Dabei war die politische Situation in beiden Länder sehr unterschiedlich: In Hessen regierte unter Führung von Roland Koch bereits ein CDU/FDP-Kabinett, das zur Wiederwahl anstand. Zwar hatte es noch nie ein CDU-Ministerpräsident in Hessen geschafft, wiedergewählt zu werden, doch hatte Koch die Spendenaffäre seines Landesverbandes überstanden und Nerven bewiesen. Außerdem konnte er eine solide landespolitische Bilanz und die Erfüllung seiner Wahlversprechen vorweisen. Die Wähler belohnten ihn mit einer knappen absoluten Mehrheit.

In Niedersachsen sah die Lage anders aus: Zwei Mal bereits hatte der dortige CDU-Spitzenkandidat Christian Wulff gegen Gerhard Schröder verloren. An seinen Erfolg glaubte Wulff nach der Bundestagswahl, als die CDU in seinem Land nicht einmal 40 Prozent erreichte, selber nicht mehr. Erst der SPD-Abwärtstrend brachte den Katholiken aus Osnabrück nach oben. Zum Schluß stand die niedersächsische CDU, die selbst am wenigsten dafür konnte, bei fast 50 Prozent der Wählerstimmen. Zusammen mit der in den Landtag zurückgekehrten FDP kann Wulff jetzt eine Regierung bilden. Dem gescheiterten SPD-Spitzenkandidaten Sigmar Gabriel half es nichts mehr, daß er zum Schluß auf einen Wahlkampf gegen die eigenen Genossen in Berlin umschaltete. Der "Red Bull von der Leine" war mit seinen Tricks und Mätzchen seinem großen Vorbild Schröder einfach zu ähnlich.

Vorerst aus dem Schneider sind Grüne und FDP. Die Partei von Außenminister Joschka Fischer sonnt sich in dessen Beliebtheit, wird eigenartigerweise nicht für die Fehler der Koalition verantwortlich gemacht und kann deshalb ihren Abwärtstrend erst einmal stoppen. Guido Westerwelles FDP hat gezeigt, daß sie trotz der Möllemann-Affäre noch über fünf Prozent kommen kann. Westerwelle ist vorläufig gerettet.

Für Schröder bricht mit dem Verlust seines Heimatlandes Niedersachsen eine bittere Zeit an. Er ist in der SPD jetzt auf die Stützung durch den nordrhein-westfälischen Landesverband angewiesen. Schon setzt Fraktionschef Franz Müntefering, die graue Eminenz aus NRW, dem Kanzler eine Frist: Bis zum Sommer müssen die notwendigen Reformen auf den Weg gebracht sein. Noch schweigt der mächtige Müntefering über die Konsequenzen, aber es ist bekannt, daß die nordrhein-westfälischen Genossen den Wirtschaftsminister Wolfgang Clement für den besseren Regierungschef in Berlin halten. Die SPD-Linke sitzt dem Kanzler auch im Nacken. Schon fordert der SPD-Bezirk Hessen-Süd einen Sonderparteitag. Das Idol der Alt-Linken, Oskar Lafontaine, beschimpft Schröder heftig in der Bild-Zeitung.

In der Bundespolitik wird es für den Kanzler zunehmend schwieriger. Zwar steht die Mehrheit im Bundestag zuverlässig, doch aus der knappen Unionsmehrheit im Bundesrat ist nach dem CDU-Wahlsieg in Niedersachsen ist eine erdrückende Übermacht geworden. Rot-Grün ist in den Ländern zu einer Ausnahmeerscheinung geworden. Ohne die Koalitionen mit der PDS in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wäre die SPD auf Länderebene kaum noch wahrnehmbar. CSU-Chef Edmund Stoiber und Frau Merkel werden Schröder bei jeder Gelegenheit jagen, um ihm das Amt zu verleiden.

Die CDU-Chefin glaubt, daß sie der Kanzlerkandidatur jetzt näher ist als je zuvor. Doch der Eindruck täuscht. Die CDU hat - zumindest in Niedersachsen - die Wahlen nicht aus eigener Kraft, sondern aufgrund der Schwäche des Gegners gewonnen. Wer in Berlin genau hinschaut, weiß, daß die Oppositionsarbeit nicht auf Trab kommt, seitdem Frau Merkel den Fraktionsvorsitz von Friedrich Merz übernommen hat.

Auch die Absetzbewegungen der CSU von Frau Merkel sind unübersehbar. Die Bayern schweigen nur, weil sie im September eine wichtige Landtagswahl vor sich haben. Und der Hesse Koch steht bereit, 2006 als Kanzlerkandidat anzutreten. Wulff wird für die CDU-Chefin keine große Stütze sein. Die Aufgabe, die niedersächsische Landespolitik umzudrehen und die Landesverwaltung vom Genossenfilz zu befreien, dürfte den neuen Ministerpräsidenten voll und ganz in Anspruch nehmen. Koch wird versuchen, über den Bundesrat direkt in die Bundespolitik einzugreifen und sich zum eigentlichen Widersacher des Kanzlers aufzuspielen - ob der nun Schröder oder bald Clement heißt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen