© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/03 14. Februar 2003


Europa sagt Nein
Paris und Berlin provozieren die Geburt einer neuen Politik
Alain de Benoist

Franzosen und Deutsche haben in der Vergangenheit mehrmals Krieg gegeneinander geführt. Sie haben schließlich Frieden geschlossen, und dieser Frieden hat sich als dauerhaft herausgestellt. Heute führen sie nun eine gemeinsame Aktion gegen den Krieg im Irak durch. Allein diese Tatsache genügte, um auf seiten der USA eine unglaublich hysterische Kritik auszulösen. Was Deutschland angeht, sind diese Kritiken lachhaft: Einst prangerte Washington den "preußischen Militarismus" an, heute den "deutschen Pazifismus". Was die Deutschen auch tun mögen, es wird den Amerikanern nie recht sein!

Da nicht auf Kommando in Europa pariert wird, ist Amerika nun zutiefst gekränkt bemüht, die alte Taktik des "Teile und herrsche" anzuwenden. Der offene Brief, den acht Mitglieder der EU an George W. Bush adressierten, um die vorrangige Stellung der "transatlantischen Bindung" zu betonen, war offensichtlich gegen die deutsch-französische Achse gerichtet. Gleichzeitig versteht man jetzt auch den genauen Sinn der EU-Erweiterung Richtung Osteuropa. Nachdem sie "Satelliten" der Sowjetunion gewesen sind, wünschen sich die osteuropäischen Staaten jetzt nichts mehr, als Vasallen von Washington zu werden. Jacques Juillard schrieb neulich: "Indem die USA Zwietracht zwischen die Europäer säen, zeigen sie, daß ihr Hauptziel nicht darin besteht, mit dem Terrorismus fertig zu werden, sondern ihre Herrschaft über die ganze Welt zu gründen."

Die Ankündigung eines Krieges gegen den Irak hat nunmehr Europa offensichtlich entzweit. Doch der Bruch ist nur auf Regierungsebene erfolgt. Auf Völkerebene spielt er keine Rolle, da 75 Prozent der Europäer - aus allen Ländern - die aggressive US-Politik inzwischen verurteilen und sich massenweise für den Frieden aussprechen.

Das Volk ist aber nicht dumm. Die Leute auf der Straße erkennen sehr wohl, daß die USA ihren Willen, die Welt militärisch zu beherrschen, noch nie offen geäußert haben. Sie wissen, daß der Krieg aus dem einzigen Grund stattfinden wird, weil die Amerikaner diesen Krieg wollen - und daß sie ihn wollen, um sich des irakischen Erdöls zu bemächtigen. Man erinnere sich: Damals galt es, den Irak daran zu hindern, in Kuwait einzudringen. Die Bürger wissen mittlerweile auch eins: Diejenigen, die die Waffen anprangern, die der Irak in der Vergangenheit besaß, sind auch dieselben, die sie ihm lieferten. Sie wissen, daß es heutzutage besser ist, ein Christ im Irak als ein Palästinenser in Israel zu sein, sie begreifen jedoch schwer, daß man Saddam Hussein vorhält, bestimmte UN-Resolutionen verletzt zu haben, während Israel - einziges Land der Region, das chemische, bakteriologische und nukleare Massenvernichtungswaffen besitzt, die kein Inspektor jemals kontrolliert hat - sämtliche es betreffenden Resolutionen unbestraft verletzen kann.

Und schließlich: so wenig die Bürger von Colin Powells Show in der UNO überzeugt wurden, so wenig akzeptieren sie die Moralpredigten eines Staates, der im Laufe seiner Geschichte, den Völkermord an den Indianern vollbrachte, die Neger versklavte und im Zweiten Weltkrieg die Zivilbevölkerung in Japan atomisierte - und der in den letzten zwanzig Jahren bereits Libyen, Grenada, den Iran, Panama, den Irak, Somalia, Serbien, den Kosovo, Kroatien, Sudan und Afghanistan bombardiert hat.

Wenn es denn einen Bruch gibt, dann in erster Linie zwischen den Europäern und den Amerikanern. Europa ist zwar geteilt, aber die Europäer sind einer Meinung, vor allem die Heraufkunft einer multipolaren Welt zu wünschen, in der kein einziger Staat seine Ansichten mit reiner Gewalt durchsetzen kann. Der wahre "Zusammenstoß der Kulturen" (clash of civilizations) ist nicht der, den man uns angekündigt hatte!

Jenseits der diplomatischen Ausflüchte wird dieser Bruch eindeutig Spuren hinterlassen. Die USA machen übrigens kein Hehl aus ihrer Absicht, gegen Frankreich und Deutschland eine Diffamierungskampagne zu starten, die nichts unterlassen wird. Vor einigen Wochen rief Edward Luttwak aus: "Chirac hat gegenüber Washington eine Rechnung zu zahlen! Er wird sie zahlen!" Die Geheimdirektiven (DoD Directive 3600), die Donald Rumsfeld im Dezember 2002 erteilte, lassen bereits Propagandamaßnahmen in großem Maßstab zu, um französische und deutsche Führungskräfte zu diskreditieren, ihren Interessen zu schaden und ihre Position auf der internationalen Bühne zu untergraben.

Was Frankreich betrifft, hat diese Destabilisierung bereits im französischsprachigen Afrika begonnen. Als die USA Schwierigkeiten mit Mitterrand hatten, brach wie durch Zufall ein Bürgerkrieg in Ruanda aus. Da sie jetzt wieder Schwierigkeiten mit Frankreich haben, bricht urplötzlich ein neuer Bürgerkrieg an der Elfenbeinküste aus. In Abidjan tragen antifranzösische Demonstranten im Triumphzug Porträts von George W. Bush. Die Rebellen werden vom Staat Liberia unterstützt, wo der US-amerikanische Einfluß besonders stark ist. Washington träumt davon, das Erdöl und den Kakao der Elfenbeinküste an sich zu nehmen.

Doch die gegenwärtige Konfrontation könnte sich positiv auswirken, wenn er es ermöglichte, jene zu Beginn der neunziger Jahre von Deutschland angeregte Idee eines europäischen "harten Kerns" wiederzubeleben. Dieser harte Kern sollte auf dem deutsch-französischen Paar gründen und eventuell Rußland mit einbeziehen.

Henri de Grossouvre, dessen Vater, François de Grossouvre, Mitterrands Berater war, veröffentlichte vor kurzem in Frankreich ein vieldiskutiertes Buch, das die Vorstellung einer Achse "Paris-Berlin-Moskau" entwickelt. Eine solche Achse ist zur Zeit natürlich nur eine Wunschvorstellung; daß aber diese Vision eines Tages Realität werden könnte, ist auch das, was die Amerikaner am meisten befürchten.

Im Augenblick bleiben zahlreiche Ungewißheiten bestehen. Frankreich und Deutschland haben bezüglich des Iraks gemeinsame Positionen bezogen, doch sind ihre Beweggründe nicht dieselben: Deutschland hat weitgehend moralische Beweggründe (die Zustimmung zum Pazifismus), wohingegen Frankreich rein politische und geopolitische Motive hat, die auf dem Willen gründen, die internationale Legalität einhalten zu lassen. Erdölpolitische Hintergedanken sind auch vorhanden. Frankreich hofft immer noch, von der Teilung des irakischen Erdöls nicht ausgeschlossen zu werden. Das läßt Zweifel aufkommen bezüglich des Willens Frankreichs, in der UNO gegen die drohende amerikanische Aggression sein Veto einzulegen.

Rußland erklärt seinerseits, die französische Position zu unterstützen, aber Putin will gleichzeitig Washington schonen, sowohl aus wirtschaftlichen Gründen als auch in der Hoffnung, bei seinem Kolonialkrieg gegen Tschetschenien weiterhin freie Hand zu haben.

Eines ist auf jeden Fall offensichtlicher denn je: Die Amerikaner wollen weder Partner noch Verbündete, sondern Vasallen. Die Nato wiederum, die sich im wesentlichen auf ihren amerikanischen Pfeiler beschränkt, besteht nur noch als Kriegsmaschine gegen die politische Einheit Europas. Innerhalb "Alteuropas" (das nichts anderes ist als das europäische Europa) wohnen wir zur Zeit dem ersten Akt eines gemeinsamen Widerstands gegen die amerikanischen Diktate bei. Es wird zwangsläufig weitere geben.

Seit der Ära General de Gaulles hatten Frankreich und die USA öfter Gelegenheit, aneinanderzugeraten. Dagegen wagt Deutschland, das bislang in die Rolle des politischen Zwergs hineingedrängt wurde, erstmals seit 1945, in einer entscheidenden Frage den Amerikanern ein "Nein" entgegenhält. Was die Gründe hierfür auch sein mögen - ob es rein wahlpolitische sind oder nicht -, bedeutet dieses Nein eine entscheidende Wende sowie einen Präzedenzfall, die hoffentlich einen neuen Kurs einleiten.


 
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