© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/03 14. Februar 2003


"Wir sollten stolz sein, Nein gesagt zu haben"
Jack Lang, sozialistischer Politiker und ehemaliger französischer Kulturminister, über die Notwendigkeit des europäischen Widerstandes gegen die US-Kriegspolitik
Moritz Schwarz

Professor Lang, was halten Sie von dem angeblichen Geheimplan, mit dem Frankreich und Deutschland nach Presseberichten die Irak-Krise auch ohne einen Krieg beilegen wollen?

Lang: Tut mir leid, ich kenne den Plan nicht.

Aber sind Sie als Abgeordneter der Nationalversammlung nicht inzwischen ...

Lang: Nun, es stand etwas davon in der Zeitung, aber wir wissen nichts Offizielles.

Dieser angebliche Plan soll eine Alternative zum Angriff der USA auf den Irak ermöglichen.

Lang: Sie verstehen, daß ich nicht zu etwas Stellung nehmen kann, das ich gar nicht kenne. Aber ich möchte betonen, wie sehr ich mich über das gute Einvernehmen zwischen Frankreich und Deutschland freue, das damit zum Ausdruck kommt!

Wie ist eine solche Initiative zu bewerten? Handelt es sich um ein Feigenblatt, oder kommt in den Vorbereitungen der Wille des "alten Europas" zum Ausdruck, doch noch eine Rolle in diesem Konflikt zu spielen?

Lang: Vorausgesetzt, dieser Plan ist ernst zu nehmen, durchaus! So begrüße ich auch das Veto Frankreichs, Deutschlands und Belgiens, in Zusammenhang mit einem Krieg gegen den Irak auf Grund des Nato-Vertrages Luftabwehrraketen in der Türkei zu stationieren. Wir müssen wieder den Mut finden, nicht der Mode nachzulaufen und vor dem Mächtigsten niederzuknien.

Wie bewerten Sie die Irak-Politik der USA?

Lang: Der geplante Angriff auf den Irak stellt eine Aggression dar, die das Völkerrecht mit Füßen tritt. Unabsehbare, schreckliche Konsequenzen für die Menschen in der Region können die Folge sein, und wir riskieren damit, den islamischen Terroristen weiteren Zulauf zu verschaffen. Deshalb sollten wir Europäer stolz sein, "Nein!" gesagt zu haben.

Acht europäische Nationen haben sich in Abkehr eines eigenen europäischen Weges den USA angeschlossen.

Lang: Das ist bedauerlich, aber wir dürfen nicht vergessen, daß wir dennoch in vielen anderen Bereichen eng mit diesen Nachbarn verbunden bleiben. Europa zu "schaffen" war noch nie einfach - es ist ein langer Weg, und er führt manchmal durch Zeiten der Krise. Bedenken Sie bitte, daß die Vielfalt Europas das Ergebnis einer zweitausendjährigen Geschichte ist, da ist es natürlich nicht so einfach, einen gemeinsamen Weg zu finden. Vor allem für die osteuropäischen Staaten müssen wir Verständnis haben, denen auf Grund ihrer Erfahrung unter dem Kommunismus die USA nur als ein Hort der Freiheit erscheinen. Dennoch muß man verstehen, daß wenn wir jetzt Präventivkriege gegen Diktaturen führen, wir Feuer und Blut über die Welt bringen. Deshalb ist es unabdingbar, daß wenigstens Frankreich und Deutschland sich mutig gegen diesen Bruch des Völkerrechts stemmen.

Diese Staaten folgen den USA, weil diese reich und mächtig sind. Was haben dagegen Frankreich und vor allem das sich nicht selbst vertrauende Deutschland zu bieten?

Lang: Das ist in der Tat das Problem, dennoch sind Frankreich und Deutschland zwei der wichtigsten Nationen Europas - und immerhin sind sie die Wurzel der EU, sie haben diese Gemeinschaft begründet. Außerdem dürfen Franzosen und Deutsche nicht vergessen, daß die Haltung ihrer Regierungen auch die Haltung unzähliger Europäer ist - auch wenn sie Spanier, Italiener, Briten oder Polen sind! Ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, unsere beiden Länder haben derzeit die wichtige Funktion, die populäre Volksmeinung der Europäer zum Ausdruck zu bringen.

Könnte diese Krise die Geburtsstunde einer neuen Achse Paris-Berlin sein, wie dies der französische Geopolitiker Henri de Groussouvre voraussagt?

Lang: Ich hoffe das, und ich hoffe sogar, daß diese Entwicklung eines Tages in einer Föderation beider Staaten mündet.

Der deutsche Nahost-Experte Peter Scholl-Latour schlägt dazu die Schaffung einer strategischen Militärmacht der Europäer vor - ob nun auf nationaler oder EU-Basis -, um gegen die Supermacht USA sicherheitspolitisch bestehen zu können.

Lang: Ja, aber das ist ein langer Weg, und ich würde es vorziehen, Europa durch gemeinsame Anstrengungen in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung zusammenzuführen.

Sie treten für eine politische Emanzipation Europas von den USA ein. Bush haben Sie einen "totalitären Geist" vorgeworfen.

Lang: Ja, denn zum einen sorgt sie im eigenen Land für einen Zustand, den ich die Orchestrierung der Medien nennen möchte, das heißt, alle haben ins gleiche Horn zu stoßen, und es ist sehr schwer, dem eine andere Meinung entgegenzusetzen. Zum anderen hofft man, die ganze Welt würde den Befehlen Amerikas gehorchen. Es geht darum, der Welt seine Sicht der Dinge aufzuzwingen - man könnte das sarkastisch eine "unilaterale Konzeption von Demokratie" nennen.

Wer sich dagegen wehrt, wird als Antiamerikaner gebrandmarkt.

Lang: Na und? Ich hoffe, daß wir aufrecht bleiben. Man wird uns verspotten, aber das gehört zur Politik.

 

Professor Jack Lang war - mit zweijähriger Unterbrechung - von 1981 bis 1993 französischer Kulturminister und von 2000 bis 2002 Bildungsminister. Seit 1986 ist er Abgeordneter der Sozialisten in der Nationalversammlung; er gehört derzeit dem Auswärtigen Ausschuß an. Geboren wurde der Jurist 1939 in Mirecourt in den Vogesen.

 

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