© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/03 14. Februar 2003


Der Tod fiel vom Himmel
Schicksale im Bombenkrieg 1940-1945
JF-Leser schildern ihre Erlebnisse

Liebe Leser,

Vor 58 Jahren, am 13. Februar 1945, wurde die Stadt Dresden durch Terrorangriffe der Briten und Amerikaner dem Erdboden gleichgemacht. Eine unvorstellbare Zahl von zivilen Opfern machte Dresden zum Symbol des Bombenkrieges.

Jörg Friedrich hat mit seinem im vergangenen November veröffentlichten Buch „Der Brand - Deutschland im Bombenkrieg 1940-45“ eine ungeheure Welle des Erinnerns ausgelöst. Das Buch steht seit Wochen unter den ersten Plätzen der Bestseller-Listen des deutschen Buchhandels. Inzwischen widmeten sich viele Zeitungen, Zeitschriften, Funk und Fernsehen diesem Thema, das wir in der JF-Ausgabe 50/02 vom 6. Dezember auf der Titelseite als „Das deutsche Trauma“ bezeichneten.

Sicher gibt es eine Zahl von Lebenserinnerungen, Stadtchroniken und Einzeldarstellungen sowie Abhandlungen in der wissenschaftlichen Fachliteratur, die sich mit dem Komplex „Bombenkrieg“ beschäftigen. Bei der Fülle zeitgeschichtlicher Literatur und der Dominanz anderer Aspekte im öffentlichen Erinnern war es aber überfällig, daß dieser Phantomschmerz, der beinahe jede deutsche Familie erfaßt, Artikulation erfährt.

So riefen wir unsere älteren Leser seit Anfang Januar dazu auf, uns ihre persönlichen Erlebnisse aus dem Bombenkrieg zu erzählen. Wir waren überwältigt von der Masse der Zusendungen! Das Thema scheint einen Nerv der Erlebnisgeneration getroffen zu haben. Viele haben offenbar Jahre oder auch Jahrzehnte die Erinnerung verdrängt, weil das Erlebte so furchtbar war. Jetzt aber reden sie.

Über 120 Zuschriften erhielten wir. Nahezu alle waren veröffentlichungswürdige Texte. Ich muß mich schon jetzt bei allen entschuldigen, die wir enttäuschen müssen, weil wir ihre Beiträge nicht drucken konnten. Wir hatten einfach nicht mit einer solchen Resonanz gerechnet. Im letzten Moment noch haben wir die Beilage, die ursprünglich auf acht Seiten konzipiert war, auf 14 Seiten erweitert. Insgesamt konnten wir aber nur 74 Beiträge berücksichtigen und mußten teilweise die Texte kürzen. Wir bitten Sie herzlich hierfür um Verständnis.

Wir prüfen noch, ob sich eine umfangreiche Veröffentlichung der Beiträge in Buchform wirtschaftlich trägt. Dies hängt auch vom Zuspruch der Leser ab.

Bitte helfen Sie uns und tragen Sie zur Deckung der Kosten dieser Beilage bei, indem Sie sich Exemplare nachbestellen und in Ihrer Familie und unter Freunden weiterverbreiten. Auf der letzten Seite dieser Sonderbeilage finden Sie eine entsprechende Bestellmöglichkeit.

Diese Beilage entreißt Schicksale aus allen Teilen, aus allen Städten Deutschlands dem Vergessen. Sie erzählt den „Nachgeborenen“, wie es damals „wirklich war“. In vielen Beiträgen heben Leser hervor, daß sie heute noch schweißgebadet aus Alpträumen erwachen, die immer und immer wieder von den schrecklichen Bombennächten vor 60 Jahren handeln. Wie soll das ein heute 30jähriger nachfühlen, der das alles nicht erlebt hat?

Ergänzt haben wir die Texte durch eine Chronik der angloamerikanischen Angriffe auf Deutschland, die es so in deutschen Veröffentlichungen noch nicht gab. Wir stützten uns hierbei auf britische und amerikanische Standardwerke*.

Ein herzlicher Dank an alle Leser, die sich an dieser Sonderbeilage beteiligt haben!

Dieter Stein

 

In Berlin

Das Radio ist auf Drahtfunk eingestellt, plötzlich ertönt der dreimalige Kuckucksruf. Nach dieser Vorwarnung erfolgt die Durchsage: „Achtung! Achtung! Starke feindliche Bomberverbände im Raum Hannover - Braunschweig im Anflug auf die Reichshauptstadt.“ Meiner Mutter verbleibt gerade die Zeit, die Milchflasche für meine einjährige Schwester zu wärmen. Unter bereits einsetzendem Sirenengeheul hasten wir mit Decken und Taschen, Eßvorräten und Thermosflasche in den Hausluftschutzkeller. Mein Freund und Nachbar Hans Zeise empfängt mich mit dem stereotypen Spruch: „Arsch kaum warm - Fliegeralarm.“

Sechzehn Personen des zweigeschossigen Wohnhauses verbringen angsterfüllte Stunden im Luftschutzkeller. Eingezogene Balken sollten die Decke verstärken, ein kleiner Kanonenofen spendete in kalten Nächten etwas Wärme, am Ende des Ganges ein Doppelbett, auf dem die Kleinsten zum Schlaf abgelegt wurden. In den Fluren des Treppenhauses standen gefüllt Wassereimer mit Feuerpatschen, in Holzkisten befand sich Löschsand mit Schaufeln. Es waren alte Menschen und Mütter mit ihren Kindern. Die Männer leisteten Kriegsdienst. Der 62jährige Herr Kriebel - Weltkrieg I-Veteran - ist unser Luftschutzwart. Alle halbe Stunde setzt er sich den Stahlhelm mit dem Emblem des HLB (Reichsluftschutzbund) auf und bittet, einer der Anwesenden möchte ihn zur Brandbombenkontrolle begleiten.

Bei längerem Stromausfall schleiche ich mich in unsere Wohnung. Auf dem Gas mache ichWasser heiß, das ich vorsichtig in mein Aquarium gieße, damit die exotischen Fische überleben. In den Feuerpausen der Flak renne ich mit Hans in die gegenüberliegende Feuerwache, wir hasten die Stufen des Feuerwehrturms hinauf, um aus 25 Meter Höhe die Stadt zu überschauen. Lodernde Brände im Zentrum, Weihnachtsbäume am Himmel - das waren leuchtende Orientierungszeichen für die Bomber; Geisterfinger der Scheinwerfer tasten den nächtlichen Himmel ab. Ein viermotoriger Bomber blitzt metallisch im Strahl auf, andere Scheinwerfer eilen huschend herbei, bilden ein Strahlenbündel. Die Flak schießt sich mit wütendem Feuer ein, nach kurzer Zeit ist die Maschine getroffen und stürzt brennend in den Tegeler Forst. Am nächsten Tag finden wir die weit verstreuten Trümmer. Deutsche Soldaten ziehen aus der Kanzel eine angesengte Stadtkarte von Berlin. Die zerstörten Häuser waren schwarz schraffiert, die Innenstadt war erschütternd schwarz, Reinickendorf überwiegend weiß. 

Günter Joachim

 

In Duisburg

Als im Jahre 1941 - ich war 15 Jahre alt - sich am Duisburger Nachthimmel die ersten friedlichen Bomber bewegten, wußten auch die Beecker Jungvolkjungen und Sportfreunde, daß es mit dem Krieg sehr ernst würde. Unüberhörbar fIogen und brummten die Bomber der Engländer fast jeden Abend bei Dunkelheit über unseren Ort. Der Sirenenalarm hatte auch immer meine Freunde und mich neugierig gemacht. Wir trafen uns, falls es nicht spätnachts war, an der Straßenkreuzung Flottenstr./Bruckhauser Str., um den Himmel zu beobachten. Die Scheinwerfer der Flak machten die Bomber für uns sichtbar, und die Geschütze schickten ihre Granaten gen Himmel. Wir mußten Deckung nehmen, um nicht von den vom Himmel fallenden Granatsplittern verletzt zu werden. Den Abschuß eines Bombers oder einen Treffer unserer Flugzeug-Abwehr-Kanonen konnten wir nicht beobachten, da die Bomber für unsere Geschütze wohl nicht erreichbar waren. Zunächst hatten die Bomber sicherlich andere Operationsgebiete als Ziel. Sie flogen meistens in Höhen von ca. 10.000 Metern in Richtung Osten.

Doch im Winter 1941/42 mußten wir die ersten Bombenangriffe erleben. Meine Freunde Hans-Gerd, Hermann, Willi, Oswald, Werner und Heinz trafen sich mit mir nun am Römerhof, um dort von einer Anhöhe aus unseren Ort besser überblicken zu können. Wir wußten auch ohne Befehl, was unsere Pflicht war.

Noch vor einer Entwarnung konnten wir dann mehrfach helfen, die in Luftschutzkellern eingeschlossenen Menschen zu befreien.

An einen Einsatz kann ich mich besonders gut erinnern, weil er am Schwarzen Weg, wo meine Freundin Hannelore wohnte, erforderlich war. Die Phosphor-Stabbomben, etwa 50 cm lang, eckig und 8 cm Durchmesser, hatten bei mehreren Häusern die Dachpfannen durchschlagen und schmorten im Dachstuhl, falls es keine Blindgänger waren. Wir teilten uns auf und bemühten uns, schnellstens in die Dachstühle der Häuser zu gelangen. Hier standen mit Sand gefüllte Eimer bereit, womit es uns gelang, die Flammen rund um die Bomben zu ersticken und Schlimmeres zu verhüten. 

Hans Brose

 

In Düsseldorf

Der Großangriff auf Barmen erfolgte am 30. Mai 1943. Ich war auf Urlaub und konnte von meinem Wohnort eine riesige Lohe beobachten. Drei Tage später bin ich nach Barmen gefahren, um nach Verwandten zu forschen, die im Stadtzentrum wohnten. Die Eisenbahn fuhr bis Unterbarmen, von dort bin ich gelaufen. Zunächst waren keinerei Schäden zu sehen, dann von einer Straßenseite zur anderen waren sämtliche Häuser ausgebrannt, wobei Außenmauern und Geschoßdecken oft noch standen. In der Nähe des zerstörten Opernhauses war an einem ausgebrannten Ladenlokal eine Sichtblende aus Wellblech angebracht. Ich konnte darüber weg schauen und sah zu meinem Entsetzen etwa zwölf verkohlte Leichenreste ohne Gliedmaßen dort liegen. Dazwischen lag der Körper einer jungen Frau. Sie war gut gekleidet trug Strümpfe, nur der Kopf fehlte. Der Anblick weiterer Leichen ist mir erspart geblieben. Das Haus meiner Verwandten war ausgebrannt, ein Lebenszeichen nirgends zu entdecken. Später erfuhr ich, daß sie in nasse Decken gehüllt nur das nackte Leben gerettet hatten.

Am 11./12. Juni erfolgte der Großangriff auf Düsseldorf. Er kam so plötzlich, daß ich, durch Kopfhörer und Leitung ans Malsigerät gebunden, nicht einmal den nur einen Meter entfernt an der Wand hängenden Stahlhelm aufsetzen konnte. Jedes Mal, wenn ich dies versuchen und den Kopfhörer kurz ablegen wollte, war ein neues Ziel aufgefaßt und der Zielflug mußte aufgezeichnet werden. Wir hörten natürlich das Feuer unserer Batterie und das Fallen der Bomben, konnten aber von unserem Einsatzort, etwa drei Meter unter der Erdoberfläche, nichts von dem sehen, was sich über uns abspielte.

Als wir nach Ende des Angriffs nach oben kamen, lag vor uns das brennende Düsseldorf, wir hatten nichts abbekommen. 

Wilhelm Forsthoff

 

In Leipzig

4. Dezember 1943: Meistens gab es Luftalarm noch vor dem Morgengrauen. So auch diesmal - kurz vor vier Uhr früh. Wir in der Sternsiedlung im Leipziger Osten waren selbst kaum betroffen - nur eine Fensterscheibe war durch Granatsplitter zerbrochen. Doch über der Stadt glühte ein unheimlicher Feuerschein und in der Luft lag Brandgeruch. So machten wir uns auf, um nach den Großeltern zu sehen. Östlich des Eisenbahn-Güterrings war in der Zweinaundorfer Straße noch alles in Ordnung. Doch dann begann das Flammenmeer. Auf der linken Seite brannte die Maschinenfabrik Preuße & Co., vor allem die neue Werkhalle unmittelbar neben der Schnellzugstrecke Leipzig-Plauen-Hof. Die gesamte Halle war ein Flammenmeer, die Eisenträger glühten hellrot. Gegenüber in der Wörthstr. (heute Wichernstr.) standen zwei große Wohnhäuser in Flammen. Nicht ein Fenster, aus dem nicht riesige Flammen züngelten. Die Luft war von einem Funkenregen erfüllt. Die Bewohner des angrenzenden Eckhauses an der Zweinaundorfer Straße versuchten fieberhaft, ein Übergreifen des Brandes zu verhindern. Spätestens hier nahmen wir die vorsorglich um den Hals gelegten feuchten Leinentücher vor den Mund, um besser atmen zu können. Um uns waren nur Brandgeruch und fliegende Funken. Die Eisenbahnbrücke hatte einen Volltreffer erhalten, ein Gleis hing wie eine Strickleiter bis auf die Straße, der Brückenüberbau hing etwas schief. Aber wir mußten da durch!

Als wir kurz darauf in die Mölkauer Straße einbogen, sahen wir, daß das Haus Nr. 74, in dem die Großeltern eine Parterrewohnung bewohnten, noch stand, aber das Nachbarhaus hatte einen Volltreffer erhalten und war in sich zusammengefallen. Dabei wurde auch die Brandmauer des stehengebliebenen Hauses teilweise weggerissen. Dort befand sich aber zum Zeitpunkt des Bombeneinschlags Herr Kutscher in seiner Wohnung im 3. Stock. Er wurde durch den Luftdruck in den Hof geschleudert, wo er wie durch ein Wunder so gut wie unverletzt landete. Die im Keller sitzenden Bewohner staunten nicht schlecht, als er kreidebleich kurz darauf an die hofseitige Tür klopfte und rief „Laßt mich rein!“. Im Haus meiner Großeltern war die gesamte Treppe eingestürzt, man mußte schnell Leitern besorgen, mit denen sich die Mieter zunächst von Treppenabsatz zu Treppenabsatz nach oben bewegen konnten, um die nötigste Habe zu holen.

Der 20. Februar 1944 - die ersten Luftminen fallen.

Dieser Luftalarm begann sehr früh, bereits um 2.54 Uhr ertönten die Sirenen. Englische Bomber waren im Anflug und brachten eine schreckliche Last - Luftminen. Eine davon traf die Sternsiedlung im Leipziger Osten. Jeweils sechs Häuser sind dort in Form eines dreizackigen Sterns gebaut. Die Luftmine fiel fast in die Mitte der Siedlung, deren Häuser sehr leicht gebaut waren. Entsprechend stark waren die Zerstörungen.

Als wir nach 4 Uhr endlich den Keller verlassen konnten, sahen wir in der noch herrschenden Dunkelheit ein grausames Bild sich abzeichnen. An einem benachbarten Stern fehlte ein Zacken vollständig. Dort hatte die Luftmine genau den Luftschutzkeller des Ehepaares Schirrmeister getroffen und beide getötet. Unter den Trümmern des unmittelbar angrenzenden Hauses konnte das ältere Ehepaar Schöne lebend vorgefunden werden. Sie saßen inmitten ihres Kohlenvorrates und der Trümmer, waren aber unverletzt. Hier hatte sich der Ausspruch des Nachbarn Malermeister Scharf bestätigt, der einmal sagte „Wenn wir die Bombe nicht genau auf den Kopf kriegen, buddeln wir uns mit dem Taschenmesser raus!“ So ähnlich wurden sie tatsächlich rausgeholt.

Alle umliegenden Häuser waren unbewohnbar, manche hatten keine Außenmauern mehr, aber die vom Nachbarhaus durchgehenden Balken trugen noch teilweise die Decken, bei anderen stand alles schief und drohte einzustürzen. Aus einem Nachbarhaus züngelten Flammen, doch gelang es, das Haus einigermaßen zu retten. Selbst unser Haus, das sich gewissermaßen im „Windschatten“ des rückwärtigen Hauses befand, war stark beschädigt. Die Giebelwand stand schräg nach außen und das oberste Stück war abgebrochen, alle Innenwände, die sämtlich aus Gips bestanden, waren hinweggefegt worden, so daß jedes Stockwerk wie ein einziges Zimmer wirkte. Natürlich waren auch alle Fenster kaputt.

Eine weitere Luftmine war etwa 300 Meter weiter ins Feld gefallen und hatte die Fassade eines größeren Hauses durchlöchert. Nie werde ich das charakteristische Geräusch dieser Luftminen vergessen - ein durchdringendes Pfeifen.

Klaus Metzner

 

In Schwarzenbek

Es ist Ende Juli 1943 und eigentlich ein schöner blauer Sommertag. Nur steht als Sonne am gräulichen Himmel eine blaß- rosa Scheibe und es regnet - Asche. Dieses Wetterphänomen dauert viele Tage, mit der weiteren Asche kommen darin erste Züge, überfüllt mit Verwundeten und schauerlichen Brandopfern. Ein Bild der Apokalypse. Ein Bahnbeamter weckt mich achtjährigen Jungen unsanft aus meiner Erstarrung und scheucht mich nach Hause. Ich höre von meiner Mutter, daß Hamburg durch britische Bomber weitgehend zerstört wurde und brennt. Alle Krankenhäuser im Umkreis von 60 Kilometer sind bald überfüllt. Doch die über 40.000 verbrannten Zivilisten brauchen keinen Zug mehr.

Meine Eltern und ich waren erst vor wenigen Wochen von Hamburg nach Schwarzenbek gezogen, weil mein Vater dort als Betriebsleiter bei der Norm- & Gewindeteile GmbH tätig war - zusammen mit vielen Mitarbeitern und über tausend Fremdarbeitern. Davon trafen sich immer einige in unserer kleinen Wohnung in der Hobus-Siedlung, die ersteren meistens tagsüber, die letzteren eher abends im Dunkeln.

Ich erinnere mich noch gut an einen immer fröhlichen Franzosen. Da er der einzige war, der unser desolates Klavier mittels gezielter Schläge auf bestimmte Wirbel stimmen konnte, nannte ich ihn Hämmerchen - ein wahrer Lebenskünstler. Doch wenn die Sirenen aufheulten, wurden wir alle gleichermaßen von Panik ergriffen und brachten uns gemeinsam im Keller so gut es ging in Sicherheit. Die Bomber machten die Menschen am Boden seltsam gleich, ob Deutscher oder Ausländer, ob Hitler-Anhänger, -Gegner oder Mitläufer.

Im Februar 1945 bin ich mit meinem Tretroller zum nächsten Bauern unterwegs, um Deutsche Ananas (Steckrüben) zu besorgen. Auf dem einsamen Rückweg über ein Feld dröhnte plötzlich etwas heran und wo ich gestanden hatte, sauste eine Geschoßsalve in den Boden. Mich selber fand ich zu meiner eigenen Überraschung im benachbarten Knick wieder, und schnell entfernte sich der Jagdflieger. Wer so gut zielen konnte, hat mich sicherlich nicht mit einem deutschen Landser, die Steckrüben mit Eierhandgranaten und den Tretroller mit einem Panzerspähwagen verwechselt.

Prof. Dr. Wolfgang Pollmann

 

Foto: Ruinen der Eisenbahnanlagen in Limburg an der Lahn nach einem Angriff der US-Luftwaffe, 1945: „Meistens gab es Luftalarm noch vor dem Morgengrauen.“

 

In Mannheim

Fliegeralarm! Das war nichts Ungewöhnliches. Doch in der Nacht vom 5. auf den 6. September 1943 war es anders: „Das nächste Mal sind wir dran!“, hatte meine Mutter gesagt. Dick wie ein Schneemann, zweimal Unterwäsche, drei Pullover, Jacke, Mantel, Schal wurde ich, drei Jahre und neun Monate alt, auf dem Bett liegend, geweckt; wir rannten das Treppenhaus hinunter. Dumpf hörte man die ersten Bombeneinschläge. Dann erzitterte das 1904 solide gebaute Wohnhaus. Das Feuer, das schon vom Hofe aus hinter den bunten, bleiverglasten Treppenhausfenstern heraufzüngelte, ließ das dunkle hintere Treppenhaus gespenstisch aufleuchten.

Jetzt kamen die Einschläge näher, das Nachbarhaus mußte getroffen worden sein. Gerade schlossen die Erwachsenen die schwere Tür des Luftschutzkellers, als es hinter uns krachte; es gab kein Treppenhaus mehr! Die dicken Mauern des Luftschutzkellers, der schon mit den Nachbarn besetzt war, retteten uns. Kaum zu glauben, daß von den über 6.ooo Brand- und Sprengbomben keine unseren Keller direkt traf! Nach dem Angriff, präzise und gut gezielt ausgeführt - Mannheims Innenstadt war und ist in Quadrate eingeteilt - brachte ein alter Mann meine Mutter und mich zum Hauptbahnhof. Unvergeßlich die brennenden Häuser, der stechende Brandgeruch, die einstürzenden Fassaden!

Wir wurden ins Elsaß evakuiert, nach Marlenheim, westlich von Straßburg. Dort begann etwas später eine zweite Leidenszeit. Mein Onkel hatte uns besucht. Ich begleitete ihn zu dem kleinen Bahnhof. Plötzlich ratterte es hinter uns, mein Onkel warf mich sofort in die Reben rechts und hechtete selbst in den Straßengraben links der Straße. Tiefflieger, die selbst arbeitende Bauern auf den Feldern abschossen wie Hasen, hatten uns entdeckt und angegriffen! Im Elsaß fielen zwar keine Bomben, aber dafür vergiftetes und mit Sprengstoff versehenes Spielzeug in unseren Garten.

„Nichts aufheben! Und wenn es noch so schön ist!“ war das strenge Gebot meiner Mutter.

Wolfgang Krasenbrink

 

In Freiburg

27. November 1944: Ich habe die Kinder zu Bett gebracht. Es ist 20 Uhr. Da ruft Hiltrud. Ich gehe ins Schlafzimmer und sehe, wie die „Christbäume“ zur Stadt hinunterschweben. Dies ist das sichere Zeichen für einen Bombenangriff. Ich ziehe die Kinder und mich warm an und renne mit ihnen in den Keller. Jetzt heulen die Sirenen. Ich setze beide in den Stubenwagen, der immer bereitsteht, und beuge mich darüber. Jetzt ist eine halbe Stunde lang die Hölle los. Es dröhnt und pfeift ohne Unterlaß. Ein Nachbarhaus wird ganz zerstört. Doch uns passiert, Gott sei Dank , nichts. Nach der Entwarnung stellen wir nur fest, daß in der Wohnung durch den Luftdruck manche Schäden entstanden sind. Doch wie wird es den Eltern und Tante gehen? An Schlaf ist nicht zu denken.

Morgens um 6 Uhr klingelt’s. Vater, Mutter und Tante stehen vor der Tür mit rußgeschwärzten Gesichtern und vollständig übermüdet. Sie erzählen: Maiers Haushaltungsgeschäft und ein paar Nachbarhäuser stehen in hellen Flammen.

Phosphorbomben. Überall sind die Dächer abgedeckt, und Funken sprühen ins Gebälk. Da heißt’s löschen. Es werden Eimerketten gebildet. Die Studenten aus der Albertusburse helfen die ganze Nacht. Und so wird auch das Elternhaus gerettet. Ich bitte die Eltern und Tante, bei uns zu bleiben. Doch es zieht sie wieder in die Klarastraße zurück. Am anderen Tag gehe ich durch die Altstadt. Ein Trümmerhaufen. Es raucht noch aus den Ruinen. Der Bezirk um Unterlinden und ganze angrenzende Straßenzüge sind ausradiert. 

Dr. Wolfgang Link

 

In Hamburg

Die Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943. Eine schlimme Nachricht von meinem Vater erreichte mich im August 1943 in Cuers (Südfrankreich): „... Du mußt damit rechnen, daß Mutti und Trudel (meine Schwester, am 11. Juli 20 Jahre alt geworden) wohl nicht mehr unter den Lebenden sind. Es gibt nur wenig Hoffnung...“

Ich war Soldat. Der Brief meines Vaters erreichte mich früher als ein gleichzeitig abgeschicktes Telegramm. Obwohl in der fliegerischen Ausbildung, erhielt ich unverzüglich 14 Tage Sonderurlaub. Der Weg vom Hamburger Hauptbahnhof in die Sorbenstraße war mir vorgeschrieben. Ganze Straßenzüge waren mannshoch zugemauert. Ein gelbes Schild mit Totenkopf warnte vor Seuchengefahr.

Erschüttert stand ich vor dem ausgebrannten Elternhaus und den anderen Betriebsgebäuden. An einer Bürowand war mit Kreide geschrieben: „Friedrich Spiekermann lebt! Adresse: Familie M. ... in Drennhausen/Elbe“.

Wir wohnten in der Sorbenstraße 2. Hinter dem Elternhaus befand sich der Großhandelsbetrieb mit Gebäuden, oberirdischen und unterirdischen Tankanlagen der Firma Gebr. Spiekermann/Benzin - Benzol - Oele und Fette.

Noch als ich im Haus war, protestierten Mutter und Schwester bei den ersten und nur wenigen Bombenangriffen (1940/42) dagegen, daß wir sozusagen „unter freiem Himmel“ blieben. Wir, das waren der Vater und ich. Aber er überzeugte beide. „Hier gibt es eine Fülle hochexplosiver und brennbarer Stoffe. Nur eine Brandbombe in das Benzollager genügt, um unermeßlichen Schaden anzurichten!“ Außerdem konnte er von Mitarbeitern nicht erwarten, Luftschutzwache zu leisten, ohne selbst anwesend zu sein. Und ich, ich fühlte mich in den Räumen, die mir keinen Ausweg ließen, unwohl und vielmehr bedroht! Ich wollte beim Vater bleiben.

Der Vater erzählte: „Als in dieser Nacht Alarm ausgelöst wurde, habe ich beide in den Luftschutzkeller im Hause der Firma Kartoffel-Krahn am Südkanal begleitet, mich wie immer von ihnen mit den Worten verabschiedet: ’Denn bis bald.’ Scheinwerfer suchten den Himmel ab. Flugzeugabwehrgeschütze waren auch schon zu hören. Ich machte schnell einen Rundgang im Betrieb: Büro- und Wohnhaus, Ställe und Garagen. Vorsichtshalber öffnete ich wie immer bei Alarm die drei Ein- und Ausfahrttore für den Fall, Pferde hinauslassen zu müssen.“

Dann erzählte er mit ängstlich umherirrenden Blicken von den vorangegangenen Nächten, von den unentwegt wieder und wieder anfliegenden Flugzeugwellen, die über Hamburg ihre Bombenlasten abgeworfen hatten.

Er berichtete: „Ich sah überall Feuerschein! Der Himmel stand in Flammen! Noch einmal machte ich einen Rundgang, inspizierte die an gefährlichen Stellen aufgestellten Wassereimer, Feuerklatschen und Feuerlöscher, mehr um mich zu beruhigen, als damit etwas Sinnvolles bewirken zu können. Ich war gerade im Pferdestall, da dröhnte die Erde, erzitterte unter meinen Füßen! Mit ohrenbetäubendem Krachen fielen aus der Richtung Grevenweg - Wendenstraße - Sorbenpark Bomben; eine letzte wohl in den Sorbenpark, unmittelbar vor unserem Haus. Erst sprang ich aufgeschreckt zurück in den Stall - Deckung suchend. Dann wagte ich einen Blick nach draußen. Undurchdringlicher Qualm überall! Heiß die Luft! Heftige Winde trafen mich, die sich alsbald zu Böenwalzen aus undurchdringlichem Qualm mit aufstiebenden Funken entwickelt hatten und alles auf dem Hofplatz durcheinanderwirbelten, was nicht niet- und nagelfest gewesen war! Ich sah nicht einmal das Tanklager!

Als ich dann plötzlich eine dumpfe Verpuffung hinter und über mir hörte, zuckte ich heftig zusammen, trat einige Schritte hinaus, drehte mich um ... Voller Entsetzen - ich wußte nicht, was ich in diesem Augenblick tat - sah ich unser Haus lichterloh in Flammen!

Brandbomben mußten hier gefallen sein; denn als sich der Qualm hier und da lichtete, da sah ich auch das Bürohaus, den Heuboden und den Lattenzaun auf der Ziegelmauer in alles verzehrenden Flammen. Ich lief über den Hof, ungeachtet dessen, was um mich herum geschah, riß die Garagentore unterhalb des Kinderzimmers im Wohnhaus auf, wollte den großen Mercedes-Tankwagen ins Freie fahren, fuhr mich aber an einem der inneren Pfeiler fest, sprang wieder aus dem Fahrzeug! Es hatte keinen Zweck!

Die ohne Unterlaß anrollenden Böenwalzen, die immer wieder Funken aufwirbelten - oder waren es Brandbomben? - hatten jetzt auch das Flachdach des langgezogenen Tanklagers in Brand gesetzt! Irgendwoher griff ich eine Feuerpatsche, stürmte die Feuerleiter nach oben ... Weder das Dröhnen noch das Prasseln und Fauchen der Brände und Böenwalzen konnten mich aufhalten! Ich durfte nicht zulassen, daß hier alles in die Luft fliegt!

Ich weiß nicht wie, aber ich habe die Schwelbrände hier ersticken können. Immer wieder mußte ich mich flach auf den Boden legen, sobald das Fauchen anrollender Böenwalzen hörbar wurde. Liegend sah ich von der Süderstraße brennende Menschen über den Löschplatz laufen und in den Kanal springen oder auf dem Löschplatz als brennende Fackeln hilflos und infernalisch schreiend verenden.

Als der Morgen dämmerte, fand ich mich mit anderen Menschen in einem Bombenkrater im Sorbenpark wieder. Drüben, auf der anderen Straßenseite, sah ich nur Ruinen ...

Ich hatte kein Zeitgefühl mehr; meine Armbanduhr hatte ich irgendwo in der Nacht verloren. Dann stürmte ich aus dem Krater, über die verbrannten Büsche des Parks, entlang dem Ausschläger Weg über die Südkanalbrücke hin zu dem Luftschutzkeller. Tote ringsum, ein abgerissener Arm mit einem Ring am Finger und verkohltem Taschentuch in der Hand (von dem mein Vater sich einredete, daß dieser Ring der Tochter gehört habe!). Das Haus - Kartoffel-Krahn - stand noch, teilweise ausgebrannt und eingestürzt. Der Eingang zum Luftschutzkeller im Torweg war von Männern belagert, die offensichtlich eine Menge Schutt beiseite geräumt hatten, um an den Keller heranzukommen.

Erst Tage später, nachdem Männer der technischen Nothilfe den Keller geöffnet und den Zutritt gesperrt hatten, erfuhr ich den wahrscheinlichen Ablauf des Geschehens.

Sämtliche im Keller Anwesenden waren durch die gewaltige Hitze, die Phosphorbrandkanister verursacht haben sollen, erstickt. Dies ergab sich aus der Tatsache, daß im Keller anwesende Männer mit der Kreuzhacke die Soll-Bruchstelle in der Wand zum Kanal zu durchbrechen versucht hatten. Mittels brennender Streichhölzer, die ausgebrannt auf dem Fußboden herumlagen, wurde offenbar versucht, die Sauerstoffmenge im Kellerzu prüfen. Auch Wachskerzen wurden abgebrannt gefunden. Die Menschen im Keller, also auch Mutter und Trudel, lagen oder saßen wie eingeschlafen auf Pritschen oder mit dem Rücken zur Wand, sagte man mir. Die Tür muß total glühend gewesen sein; darum ihr rostiges Aussehen. Der Keller war, wie ich gesehen habe, unbeschädigt ... Die Eigenhilfe kam wohl zu spät.“ 

Heinz Spiekermann

 

In Berlin

Einen ersten Höhepunkt der Bombenangriffe erlebte ich zu meinem Geburtstag am 22. November 1943. An diesem Abend flogen die Briten einen Großangriff. Als wir nach zwei Stunden aus unserem Luftschutzkeller kamen, brannten die 100 Meter entfernten, auf einer Fläche von etwa 500 mal 500 Meter gebauten vierstöckigen Häuserblocks lichterloh. Die Flammen des einen Häuserblocks schlugen über die Straße und vereinten sich mit denen des gegenüberliegenden Häuserblocks zu einem einzigen Flammenmeer. Glühende Holzstücke von Backsteingröße flogen durch die Luft. Die nicht eingezogenen älteren Männer standen auf dem Dachboden und löschten die Brocken, die die Dachziegel durchschlagen hatten. So wurde unser großes Mietshaus gerettet. An den folgenden zwei Nächten heulten die Sirenen wieder, und die britischen Bomber verwüsteten benachbarte Stadtteile. Die Menschen, die sich aus dem Flammenmeer retten konnten und von denen wir acht in unserer Wohnung für zwei Tage aufnahmen, waren völlig zerstört, weinten und berichteten, daß sie diesen und jenen nicht hatten retten können.

Anfang März 1945, also wenige Wochen vor Kriegsende, mein Vater war als Volkssturmmann an der Front, besuchte uns mein Onkel, der als Soldat auf der Durchreise war.

Wieder heulten die Sirenen. Wir gingen in den Keller, den mein Vater als Luftschutzwart 1942 mit einigen männlichen Hausbewohnern zu einem sehr soliden Luftschutzkeller ausgebaut hatte. Es war diesmal nur ein „kleiner“ Angriff auf Berlin. Im Rundfunk meldete der Sprecher, daß die Angreifer auf dem Rückflug seien. Wir atmeten auf. Dann sagte der Sprecher: „Ein einzelnes Flugzeug hat über Oranienburg umgedreht und nimmt Kurs auf Berlin.“ Na ja, was sollte nun noch passieren. Dennoch blieben alle Hausbewohner auf ihren Plätzen. Vielleicht 10 oder 20 Minuten später wollte die Luftschutzwache nach dem Rechten sehen, öffnete die eiserne Luftschutztür und wollten nach draußen gehen. Da hörten wir über uns ein immer stärker werdendes Pfeifen - die Männer schlossen geistesgegenwärtig die Tür -, ein Krachen, dann eine furchtbare Explosion und das Zusammenstürzen unseres Hauses.

Es ging alles so schnell und dennoch hatte wohl jeder den Eindruck, daß dieser Horror nicht enden wollte. Zusammengeduckt war mein einziger Gedanke: „Hält der Keller?“ Er hielt. Ich saß vor dem „Durchbruch“. Luftschutzkeller-Benutzer wissen, was das ist. Durch die Erschütterung fielen mir die Steine in den Rücken. Dann herrschte eine fast atemlose Ruhe. Mein Onkel hatte mir vor dem Angriff seine mechanische Taschenlampe gegeben. Ich machte den Dynamo antreibend etwas Licht. Zwischen den abgestützten Deckenverstrebungen waren Holzbalken durchgebrochen. Keiner war verletzt. Meine Mutter, meine zwei Schwestern, mein Onkel und die anderen Hausbewohner standen auf. Kein einziger Schrei, kein einziges Wehklagen, kein einziger Fluch war zu hören. Ruhig - als wären alle bereits viele Male in dieser Situation gewesen - wurde gesprochen. Wie kommen wir hier heraus? Wir versuchten es zuerst über den normalen Zugang. Die Luftschutztür samt Rahmen war weg. Sie lag völlig verbogen am anderen Ende des langen Kellergangs. Die Treppe nach oben war durch Trümmer zugeschüttet. Wir probierten den Fluchtweg nach links: zugeschüttet. Dann gingen wir nach rechts. Schlugen Durchbruch nach Durchbruch ein. Endlich fanden wir den Weg nach oben. Als wir zwei Häuser weiter nach oben kamen und die Straße betraten, sahen wir, was diese riesige Sprengbombe angerichtet hatte. Unser Wohnhaus hatte einen Volltreffer erhalten. Es war mit allen Seitenflügeln und dem Hinterhaus nur noch ein einziger Trümmerhaufen. Die Nebenhäuser und das gegenüberliegende Haus waren trichterförmig zerstört. Und nun das für uns Unvorstellbare: Auf dem Trümmerhaufen unseres Hauses waren etwa sechs bis acht Menschen tätig. Aber nicht auf der Suche nach uns, sondern nach Brennholz! 

Gerhard Luedtke

 

Foto: Brennender Französischer Dom in Berlin: „Unvergeßlich die brennenden Häuser, der stechende Brandgeruch, die einstürzenden Fassaden!“

 

In Elbenau

Genauso blau war der Himmel an jenem Tag vor knapp 58 Jahren, Mitte April 1945, über dem Dörfchen Elbenau, Kr. Schönebeck/Eibe, dessen traumatische Ereignisse bis heute mein Leben überschatten. Seit einem knappen Jahr lebte ich dort, inzwischen neuneinhalb Jahre alt, mit meiner Mutter und meinem kleinen Bruder (5), evakuiert aus Rheydt im Rheinland, geflohen in die vermeintliche Sicherheit, weil die Terrorangriffe der Alliierten unerträglich geworden waren. Und nun waren die Amerikaner bis zur Elbe vorgestoßen, und das kleine Dorf, drei Kilometer östlich des Flusses, lag schon seit Tagen unter schwerem Artilleriefeuer und Bombenhagel. Am Vortag war der Hof, auf dem wir einquartiert waren, in Brand geschossen worden, und wir hatten uns in ein zweihundert Meter entferntes Kinderheim geflüchtet, das einen Luftschutzkeller besaß.

Und den mußten wir jetzt, am späten Vormittag, verlassen, weil mittlerweile auch das Heim getroffen war und in Flammen stand. Wir, das waren jetzt etwa fünfzig Kinder vom Babyalter bis 14, ein paar Mütter und Pflegerinnen, kein einziger Mann. Unser Ziel war der fünf- bis sechshundert Meter entfernte Wald. Stück um Stück rannten wir durch den langen Baumgarten des Heims, immer wieder von den heranheulenden Granaten zu Boden gezwungen. So schafften es alle bis zu den Feldern.

Kaum aber hatten wir die letzten Obstbäume hinter uns gelassen, waren sie plötzlich da: Sechs amerikanische Jagdflugzeuge mit ihren weißen Sternen, kaum zehn Meter über der Erde, die jungen Pilotengesichter deutlich erkennbar, kurvten pausenlos über uns umher und beharkten uns mit ihren Bordwaffen, deren Garben blitzschnell lange Reihen von erdfarbenen Staubpilzchen aus dem Boden zauberten. Immer wieder mußten wir uns hinwerfen, aber gleichzeitig versuchen, den schützenden Waldrand zu erreichen.

Wie das meiner Mutter, meinem kleinen Bruder und mir gelingen konnte, ist mir bis heute ein Rätsel, denn weniger als die Hälfte unserer Gruppe hatte dieses Glück. Noch immer gellen mir die Schreie der Hausmeisterin im Ohr, die innerhalb weniger Minuten ihre sieben Kinder verloren hatte.

Daß auch wir Überlebenden nicht in Sicherheit waren, merkten wir eine knappe halbe Stunde später: Jetzt konzentrierten sich Artillerie und Bomber nicht mehr auf das weitgehend zerstörte Dorf, sondern mehr als zwei Tage lang auf das Waldstück, in dem wir Zuflucht gesucht hatten. Auch dieses Inferno aus Heulen, Krachen, Schreien, Wimmern, Erdfontänen, zersplitternden Bäumen und zerfetzten Menschen durfte ich mit meinen Lieben überleben, sogar unverletzt. Es war ein Wunder, aber die höllischen Bilder und Geräusche sind unauslöschlich in meine Seele eingebrannt.

Friedhelm Schmitz

 

In Stettin

Bereits 1940 und 1941 gab es britische Luftangriffe auf Stettin, nach denen wir Kinder immer auf der Suche nach Bombensplittern und ausgebrannten Brandbomben waren. Der erste Angriff auf das innere und damit rein zivile Stadtgebiet erfolgte in der Nacht vom 28. auf den 29. November 1940 mit relativ geringen Schäden. Ein Terrorangriff auf das Stadtzentrum mit zahlreichen Toten wurde von den Engländern am 30. September 1941 geflogen. Das Jahr 1942 verlief verhältnißmäßig ruhig; nur einzelne feindliche Flugzeuge warfen wahllos ihre Bomben ab.

Aber dann kam der 20. April 1943 - der Geburtstag des „Führers“. Das Heulen der Luftschutzsirenen riß uns plötzlich aus dem Schlaf. Hastig zogen wir uns an, griffen die vorbereiteten Handtaschen, - ich meinen Schultornister, - und stürzten die Treppen aus dem 4. Stock hinab, um im Hochbunker, der hinter dem Haus für die umliegenden Straßen errichtet worden war, Schutz zu suchen. Ein Blick zurück zeigte, daß wir nur knapp dem Tode entronnen waren, denn schon schlugen Flammen aus den Fenstern unserer Zimmer und der darunter liegenden Wohnungen im 3. Stock. Der Himmel war rot; Brandgruch, der mich bis heute bei jedem Feuer wieder an diese Augenblicke erinnert, hing in der Luft. Wir rannten in den Betonkoloß und harrten dort in einer der „Zellen“ aus, bis am frühen Morgen Entwarnung gegeben wurde.

Die Schritte nach draußen brachten die schreckliche Gewißheit: Fast alle Häuser in der Umgebung waren getroffen worden. Rauch stieg noch aus den Trümmern auf, und der Himmel war gerötet von den noch immer brennenden Gebäuden in anderen Stadtteilen. Nach der Feststellung, daß unsere Wohnung vollständig ausgebrannt war und wir alles verloren hatten (einschließlich der zwei Koffer aus Berlin) - wobei ich am meisten den Verlust meiner Spielzeugsoldaten bedauerte, mitsamt dem dazugehörigen „Fahrzeugpark“-, fanden wir zunächst Zuflucht bei meinem Großvater in der Altdammer Straße.

Natürlich konnten wir Kinder - ich war damals 9 Jahre alt - das Ausmaß der Ereignisse gar nicht abschätzen. Voller Neugierde liefen wir durch die benachbarten Straßen und bestaunten die niedergebrannten Häuser, aus denen Feuerwehrleute und Soldaten in Papiersäcken verpackte Leichen der Zivilisten, die die Schutzräume nicht mehr erreicht hatten, heraustrugen und auf Lastwagen luden. Nur irgendwie ahnten aber auch wir, daß der Krieg nun wirklich in Stettin angekommen war und uns wohl noch Schrecklicheres bevorstand.

Pastor i.R. Prof. Dr. Kuhlmann

 

In Kiel

13. Dezember 1943. Mein Elternhaus in einem Kieler Vorort ist bei vorhergehenden Angriffen mal mehr, mal weniger beschädigt worden. Die Schulen sind zum Teil zerstört, zum Teil werden sie als Lazarett gebraucht. Ich muß eine Schule im Zentrum besuchen, wo mehrere Klassen verschiedener Schulen zusammengefaßt sind. Am 13. Dezember fuhr morgens noch teilweise eine Straßenbahn. Im Lehrerzimmer wurde der Drahtfunk abgehört. Mitten in den Unterricht platzt der Voralarm. Wir gehen klassenweise in einen etwa 300 Meter entfernten großen Hochbunker direkt hinter dem Rathaus. Es fallen viele Bomben, der Bunker scheint zu tanzen, die Einschläge dröhnen dumpf. Alle, Erwachsene und Kinder, hocken ängstlich auf den Bänken.

Dann gibt es Entwarnung. Als wir aus dem Bunker kommen, brennt es überall. Wir laufen zunächst in unserer Schule, aber auch da brennt es. Wir werden aufgefordert, ein Taschentuch vor Mund und Nase zu halten und sollen versuchen, aus dem Nebengebäude der Schule, das noch nicht brennt, wo aber Türen und Fenster herausgerissen und drinnen auch Mauern teilweise eingestürzt sind, unsere Schultaschen aus den Trümmern zu holen. Ich finde meine auch, aber dann blieben wir uns selbst überlassen und mußten versuchen, nach Hause zu kommen. Ein Stück nahm mich der Vater einer Klassenkameradin mit, aber dann mußte ich allein, an brennenden oder eingestürtzten Häusern vorbei, durch Qualm und über Trümmer meinen Weg suchen. Überall versuchten die Leute, noch etwas aus ihren Häusern zu retten, aber es lagen da auch Verletzte, die verbunden wurden, und tote Menschen.

Diesen Weg durch die brennende Altstadt, durch Qualm, der in die Augen biß und das Atmen schwer machte, über Staub, Schutt und Trümmer, vorbei an Menschen, die zu retten versuchten, was noch zu retten war, ist für mich ein schlimmes Erlebnis gewesen. 

Gesche Richter

 

In Kiel

Im Frühjahr 1945 wurde Kiel immer häufiger von Bomberverbänden angegriffen, die von Jagdflugzeugen begleitet waren. Da bei uns durch vorhergehende Angriffe die Wasserleitung unterbrochen war, wurde ich mit zwei Eimern zu einer Wasserausgabestelle geschickt.

Als ich gerade auf dem Rückweg war, gab es ziemlich plötzlich Alarm, und fast gleichzeitig schoß schon die Flak. Ich versuchte im Laufschritt mit meinen beiden Eimern unser Haus zu erreichen, als aber schon Bomben fielen und Tieffliegerbeschuß einsetzte. Ich mußte meine Eimer stehenlassen und wurde in einen kleinen Beobachtungsbunker gezogen, der an einer Straßenkreuzung stand und gerade zwei bis drei Mann Platz bot. Die eiserne Tür war hinter mir gerade verriegelt worden, als in ziemlicher Nähe Bomben fielen und Staub und Qualm durch die Sehschlitze drang.

Wir kauerten alle dichtgedrängt am Boden. Erst als alles vorüber war und wir den Bunker verlassen wollten, merkten wir, daß ein großer Mauerbrocken aus der Wand auf einen der Mitinsassen gefallen war und ihn so unglücklich getroffen haben mußte, daß er wohl sofort tot gewesen ist. Auch Arzt und Sanitäter konnten nicht mehr helfen.

Die sogenannten „Pilze“, wie wir die Beobachtungsstände nannten, waren rund gemauert und mit einer dicken Betonhalbkugel versehen. Ich war damals 14 Jahre alt.

Heinrich-Wilhelm Barfod

 

In Durlach

Wir lebten in Durlach, der kleinen Markgrafenstadt, aus der durch den lebenslustigen Markgrafen Karl vor fast 300 Jahren die große Stadt Karlsruhe erwuchs.

Es war Krieg. Wir lebten in Angst um meinen 18jährigen Bruder Helmut, der als Gebirgsjäger im fernen Kaukasus kämpfte. Meine Eltern hatten eine Weingroßhandlung in Durlach und ein Ladengeschäft. Die Wochenenden verbrachten wir in unserer Wochenendhütte auf dem Turmberg, dem Wahrzeichen Durlachs, gekrönt von einem alten Römerturm. Für mich war „das Hüttle“ ein Paradies schlechthin und jede Stunde schlichtes Glück.

Bis mich eines Nachts mein Vater weckte, mich auf den Arm nahm und meine Mutter an der Hand. Die Nacht war unnatürlich hell, und er führte uns an den Rand des Grundstücks bis zum Zaun. Von da hatten wir freie Sicht ins Tal - und dieser Blick war schrecklich und schön gleichzeitig. Mich erinnerte er an ein Feuerwerk zu einem Fest, der ganze Himmel war bunt erleuchtet und ich staunte stumm bis mein Vater sagte: „In diesem Feuerwerk sterben jetzt Tausende und Abertausende von Menschen elendiglich, Frauen und Kinder wie du und deine Mama. Jetzt ist der Krieg von der Front bis zu uns vorgedrungen.“

Wir gingen still zurück zum Hüttle, und ich verkroch mich mit einer Decke unter dem Tisch. Meine Eltern konnten mich nicht bewegen, zu ihnen ins Bett zu schlüpfen, sonst mein größtes Vergnügen. Ich blieb dort bis zum Morgengrauen. In diesem Versteck fühlte ich mich sicher, auch als der Fliegeralarm längst aufgehört hatte. In jener Nacht verbrannten innerhalb von zwanzig Minuten über 18.000 Menschen in dem verheerenden Feuersturm.

Romy Schurhammer

 

In Freiburg

27. November 1944 mittags, ein strahlend heller Tag. Ich, 11jährig, stehe auf der Terrasse unserer Wohnung in der Tivolistraße und starre in einen dröhnenden Himmel. Pulkweise ziehen amerikanische Bomberverbände in 10.000 Meter Höhe über die Stadt, dazwischen Lightning-Jäger mit Doppelrümpfen. Kondensstreifen zeichnen die Straße des Verderbens. Welche Stadt ist heute dran? Wir nicht! In Freiburg gibt es ja keine Soldaten, keine Fabrik, wir kommen davon, wie bisher immer, sehen dem schaurigen Schauspiel zu, hören später, München sei bombardiert worden.

Am Abend, gegen 19 Uhr, bin ich noch mit dem „Bollerwagen“ unterwegs, um etwas abzuholen; wir sind eine große Familie, ich der Älteste von fünf Geschwistern, trage Mitverantwortung. Wieder strahlt der Himmel in hellem Licht, Vollmond, Schäfchenwolken, wunderschön. Ich komme nach Hause. Vater, der damals das Bergamt leitete, telefoniert noch mit einem Herrn, der von der Hauptpost angerufen hat, danach Abendbrot: Vater, Mutter, Tante Ia (ihr Mann war an der Front), meine jüngste Schwester Hannelore (2) liegt schon in ihrem Bettchen. Die anderen Geschwister sind „auf dem Land“. Schon der erste Bissen bleibt im Halse stecken: Ein Pfeifen und Krachen, dazu hilflos klingender „Voralarm“. Tante Ia reißt Hannelore aus dem Kinderbett, wir stürzen in den Luftschutzkeller, eine Hölle beginnt. Pausenlos krachen die Bomben, man hört sie kommen und dann irgendwo einschlagen. Dazwischen das drohende Brummen der Motoren von, wie ich jetzt weiß, 341 viermotorigen britischen Lancasterbombern. Wir beten zu Gott um unser Leben, verlieren die Hoffnung als ganz in der Nähe eine Luftmine mit entsetzlichem Getöse detoniert. Aber wir bleiben am Leben, unser Haus ist nicht getroffen.

Dr. Wolfgang Philipp

 

In Schlesien

Es war am 10. Februar 1945, da bekamen die Belegschaftsmitglieder der Weser-Flugzeugwerke in Bunzlau in Niederschlesien die Mitteilung, das Werk wird verlegt. Alle Mitarbeiter sollen in das Sudetenland ziehen, sollen sich dahin durchschlagen. Einen Tag später kamen die Spitzen der sowjetischen Roten Armee der Stadt und dem Werk bedrohlich näher. Tage vorher sahen wir schon Flüchtlingstrecks durch den Schneematsch und durch die Stadt in Richtung Lauban und Görlitz ziehen. Voller Mitleid sahen wir auf diese unglücklichen Menschen. Nun traf dieses Los uns selber.

Schnell ein paar Sachen auf einen Handwagen geladen, die wichtigsten Papiere in die Taschen und mit meiner Mutter zusammen zum Werk. Ich war ja als Lehrling ein Angehöriger der Belegschaft. Am Tor des Werkes der Zuruf: „Schnell zum Bahnhof!” Tatsächlich, wir kamen noch mit einem Zug mit. Bei der Überfahrt des Bunzlauer Viaduktes sahen wir die Geschoßbahnen der Leuchtspurmunition, die über den Bober flogen. Glücklich kamen wir aus dem Kampfgebiet heraus. Das Ziel war der Sammelpunkt im Sudetenland. Eine Zeit konnten wir hier im Gemeinschaftslager wohnen.

Dann wurde ein Transportzug mit dem Ziel Werk Delmenhorst zusammengestellt und ab ging es durch Thüringen und Sachsen-Anhalt. Der Zug war mit Flüchtlingen voll besetzt. Zwischen den Personenwagen hingen über den Puffern noch Handwagen und Gepäck. Man konnte es deutlich sehen: Dies ist kein Militärtransportzug! Der Zug fuhr durch die Altmark in Richtung Uelzen. Es war Nachmittag, am 23. Februar 1945. Schläfrig saßen oder lagen die Männer, Frauen und Kinder auf den Bänken des Zuges. Plötzlich ein „Halt“. Der Zug blieb ruckartig stehen. Ich schreckte hoch und hörte den Ruf „Tiefflieger!“ Abteiltür auf und ein Sprung ins Freie. Da knallte es schon. Viele liefen den Hang an der Bahnlinie hoch, da der Zug in einem Hohlweg stand. Die ersten Verletzten schrien auf. Da sah ich einen Jabo ganz niedrig über uns fliegen, und er schoß aus allen Rohren. Als er vorbei war, schnell den Hang hoch und oben flach auf den Acker geworfen.

Da kamen zwei Jabos ganz tief über den Zug geflogen und schossen auf den Zug, in dem immer noch Menschen waren und auf die auf dem Boden liegenden Reisenden. Man konnte den Piloten ins Auge sehen, so niedrig flogen sie.

Heinz und Ruth Peukert

 

Foto: Hamburg, ca. 1934 (oben) und nach der Zerstörung etwa Ende 1945 (unten): „Brandgeruch hing in der Luft.“

In Essen

Die diszipliniert „verdunkelte“ Dunkelheit jenes Novemberabends 1944 wurde jäh durchbrochen vom leichtfertigen Feuerschein der Dampflokomotive, die einen überfüllten Personenzug mühsam hinauf Richtung Essen schleppte. Welch ein Leichtsinn dachte ich, gerade zwölf geworden, angesichts dieser Szene auf dem Bahndamm. Ich freute mich auf die warme Stube, in der die ganze Familie eng beieinander saß und Mutter heißen Tee und Brote bereitet hatte. Es war so friedlich.

Den Rhythmus der üblichen Gefahr hatten wir ja längst organisiert, wenn der verläßliche Drahtfunk: „tack, tack tack. Achtung Achtung, Verbände im Anflug Richtung Wuppertal“ meldete, war meistens ein Terrorangriff auf Essen wahrscheinlich. Die Reihenfolge dann: Voralarm, Vollalarm, ab in den Bunker. Dieser war eine solide gemauerte Bachröhre unter dem besagten Bahndamm, die stillgelegt, verfüllt und von den Bergleuten wieder freigemacht und befestigt worden war. Hier trafen sich, tags und nachts, die etwa 80 Frauen und Kinder, die Männer kamen meist nur im äußersten Notfall hinein, wenn die Erde unter der Wucht der Bombenteppiche Essen erbeben ließ und die Mütter beteten.

An diesem Abend hieß es ja lediglich: „Ein Störflieger im Raume Velbert“. Dafür gibt es keinen Luftalarm, wußten wir. Die sogenannten „Störflieger“ waren jedoch eine besonders teuflische Erfindung. Man wollte auch den letzten Rest einer Entspannungsmöglichkeit für die Bevölkerung ausschalten.

Dieser schöne Geburtstagsabend: Vater hatte soeben seine Arbeit beendet und den vornehmen Mühlenkaufmann B., der ihm das Mehl lieferte, verabschiedet, als mein Bruder sagte, „da brummt was“. Es war das Motorengeräusch eines einzelnen Flugzeuges in großer Höhe. „Ab in den Keller“. Alles rannte los, stürzte die Treppe hinab, dann ... ein unheimlich röhrendes Rauschen, das sich zu einem höllischen Brüllen verstärkte und schließlich die ohrenbetäubende Explosion der Bombe, gefolgt von der nächsten näherkommenden Todesorgel der zweiten Bombe. Dann die dritte, ganz in der Nähe, aber immer noch hinter dem Bahndamm, jetzt die vierte, das ist das Ende denke ich, ... aber ... es gäbe ja diesen Bericht nicht, wenn nicht die Explosion unterblieben wäre. Fünf Meter vor unserer Kellertür, im Garten später, der Krater des Blindgängers. Dann noch eine weitere solche Mordbombe in der Abwurflinie, ebenfalls in einem Garten niedergegangen, und Gott sei Dank auch ein Blindgänger.

Die dritte war es, nahe bei der Bahnlinie, man sprach von einer „Luftmine“, wohl wegen der Verheerungen, die sie angerichtet hatte. Die Häuser waren bis in die Keller hinein ausgelöscht. Viele Menschen, die ebenso überrascht wurden wie wir, starben. Auch unser Haus war übel zugerichtet. Schlimmer noch der zigfache Tod und die grausamen Verstümmelungen der Fahrgäste des überfüllten Zuges - unter anderem kriegsgefangene deutsche Soldaten, die hier von ihren eigenen Leuten niedergemacht worden waren. Den vornehmen Mühlenkaufmann B., der noch verzweifelt nach einem Sanitäter gerufen hatte, schleppte man in einen Keller, wo er, getroffen an der Halsschlagader, verblutete. Der riesige rote Fleck an der weißen Wand hat mich noch lange in meinen Träumen verfolgt.

Prof. Albert F. Schmidt

 

In Hamburg

Im Februar 1943 gehörte ich zu der ersten Luftwaffenhelfergeneration, die mit 16 Jahren Dienst bei der Flak tun mußte. Eingesetzt am Kommandogerät 40 auf dem Flakturm auf dem Heiligen Geistfeld in Hamburg, erlebte ich das Unternehmen Gomorrha, das meine Heimatstadt zerstörte.

In der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1943 wurden wir früh an die Geräte gerufen mit der Begründung, ein Angriff auf Hamburg stände bevor. Wir warteten stundenlang in der Dunkelheit und dachten noch, daß die stärkste Abwehrwaffe gegen feindliche Flugzeuge, die 12,8 cm Zwillingsgeschütze des Flakturmes jeden Angriff vereiteln könnten. Es kam anders.

Nach Mitternacht hörten wir die ersten Motorengeräusche und piötzlich war das ganze Gebiet um den Flakturm hell erleuchtet durch sogenannte „Tannenbäume“, die die Flugzeuge abwarfen. Sofort begann ein Bombenhagel in einer Wucht, die man sich nie hatte vorstellen können. Der Flakturm wurde zwar nicht getroffen, aber eine Luftmine explodierte zwischen den beiden Flaktürmen, zerstörte die Stromleitung und setzte damit den Geschützturm lahm.

Erst am nächsten Tag wurden Notstromaggregate installiert. Die Häuser in der Straße neben dem Geschützturm lagen in Trümmern und als der Spuk vorbei war, versuchten wir, den Menschen draußen zu helfen. Aber eine Hilfe war nicht mehr möglich. Dies war für uns schlimmer als der eigentlich Angriff, denn wir wollten helfen und konnten nicht helfen, sondern mußten die verzweifelten Schreie der Menschen anhören, die in ihren provisorischen Luftschutzkellern noch lebten, über denen aber die Trümmer der fünf- oder sechsstöckigen Etagenhäuser lagen. Ein Entkommen war nicht möglich, und man sah in einem Haus durch die Trümmer hindurch die Glut eines Kohlenkellers, der vermutlich neben einem Luftschutzraum lag.

In den Tagen darauf gehörte die Innenstadt nicht mehr zu den Hauptangriffszielen, sondern die dichbesiedelten Arbeiterviertel, und wir sahen vom Flakturm aus jene unglaubliche Feuerwand, in der Zehntausende Menschen - meist Frauen, Kinder und alte Leute - verbrannten.

Gottfried Dyrssen

 

In Darmstadt

Am 11. September 1944 kam ich abends von einer Fahrt mit einem Speditions-LKW in den nahen Odenwald todmüde in unsere Wohnung in Darmstadt zurück. Mein Vater tat zu dieser Zeit Dienst als Soldat in Kurland. Zusammen mit meiner Mutter suchte ich bei den fast allnächtlichen Fliegeralarmen gewöhnlich einen der öffentlichen Luftschutzkeller in der unmittelbaren Umgebung auf, in tiefen, gewachsenen Granit gehauene ehemalige Eiskeller benachbarter Brauereien in der Dieburger Straße.

Oft genug gab es Fliegeralarm, ohne daß Bomben fielen, weil die überfliegenden Verbände andere Ziele hatten. Eingedenk dieser Tatsache bat ich an diesem Abend meine Mutter, mich beim Ertönen der Sirenen weiterschlafen zu lassen, sie möge wie immer den öffentlichen Luftschutzkeller aufsuchen; ich würde schon nachkommen, sobald ich die ersten Flak-Salven hörte. Um 23.35 Uhr weckten uns dann tatsächlich die Sirenen, alles blieb aber zunächst ruhig, und meine Mutter suchte allein den sicheren Felsenkeller auf. Ich schlief alsbald wieder ein. Eine laute Detonation riß mich kurz darauf wieder aus dem Schlaf; die Scherben des Schlafzimmerfensters fielen auf mein Bett. Hastig ergriff ich meine Kleider und rannte in den Keller unseres Wohnhauses; instinktiv hatte ich begriffen, daß es bereits zu gefährlich war, mich in den etwa 100 Meter entfernten Felsenkeller zu retten; unaufhörlich folgte eine Detonation der anderen, die Einschläge kamen immer näher. So saß ich nun allein in unserem Keller, alle anderen Bewohner waren bereits im sicheren Luftschutzkeller. Nach einer lauten, lang anhaltenden Detonation in unmittelbarer Nähe drang dicker, schwefelgelber Staub von einem einstürzenden Gebäude durch alle Ritzen der Kellerfenster und -türen. Ich konnte nichts mehr außer dieser gelben Wolke in meiner Umgebung wahrnehmen und bekam kaum noch Luft zum Atmen. In Todesangst lag ich auf dem Bauch und betete um mein Leben, denn ich befürchtete, das Wohnhaus über mir sei eingestürzt .

Nach einer mir unendlich erscheinenden Zeit verzog sich der gelbe Staub. Das Haus über mir schien noch zu stehen. Mein einziger Gedanke während der unaufhörlichen Detonationen war: sobald es etwas ruhiger werde, hinüber zu rennen in den öffentlichen Luftschutzkeller. Schließlich hörte sich alles so an, als seien die Detonationen weiter entfernt, am anderen Ende der Stadt. Ich riskierte es, durch das Haus zu rennen, bis zum Dachboden - ein Glück, keine Brandbomben im Haus. Mutig geworden, rannte ich auch ins leere Nachbarhaus, ebenfalls bis zum Dachboden, 3 Thermit-Brandbomben lagen brennend im Dachstuhl. Trotz vorhandenen Löschmaterials konnte ich damit allein nicht fertigwerden. Ich rannte, mehrfach Deckung suchend, die Straße entlang zum Luftschutzkeller, mit mehreren Sprüngen die unendlich lange Treppe hinunter.

Nachdem ich die Sicherungstür geöffnet hatte, starrten mich die Menschen schweigend an, so als sähen sie ein Gespenst. Mein im Keller sitzender Nachbar wollte mir nicht in sein Haus folgen, um die Brandherde gemeinsam zu löschen. Obwohl ich ihm erklärte, die jetzt noch zu hörenden Detonationen könnten keine Bombenexplosionen mehr sein, war er geschockt, unfähig zu reden oder sich von der Stelle zu rühren; ihn schien nichts mehr zu berühren. Sein Haus brannte bis auf die Grundmauern ab.

Die während der ganzen Nacht anhaltenden Detonationen, die, wie sich später herausstellen sollte, auf einen brennenden Munitionszug im Darmstädter Südbahnhof zurückzuführen waren, hielten die Menschen noch längere Zeit in den Kellern. Im Morgengrauen versuchte ich dann zu Fuß ans andere Ende der Stadt zu gelangen, um nach meinen Großeltern zu sehen. Je näher ich dem Stadtzentrum kam, desto größer war das Ausmaß der Zerstörung, die Innenstadt existierte praktisch nicht mehr. Beißender Geruch nach Rauch, Trümmern und verbrannten Leichen füllte die Luft. Kein Mensch, kein Vogel, kein Laut weit und breit, nur rauchende Trümmer, verkohlte Balken.

Am Luisenplatz im Stadtzentrum sah ich die ersten Leichen, nicht verbrannt, nicht verletzt, die Menschen sahen wie schlafend aus. Sie hatten vergeblich versucht, in den beiden Brunnen des Luisenplatzes Kühlung zu finden, das Wasser war jedoch verdunstet, und diese Menschen waren erstickt. Der Feuersturm, der die Innenstadt durch ein gleichzeitiges Flächenbombardement von Spreng- und Brandbomben in eine einzige riesige Flammenhölle verwandelt hatte, verbrauchte allen Sauerstoff. Niemand hatte eine Chance zu entrinnen, die Menschen erstickten und verbrannten einfach.

Ich konnte noch erkennen, daß Verwandte von mir ebenfalls unter den Trümmern begraben sein mußten. Meine Großeltern, am westlichen Stadtrand wohnend, konnte ich nicht erreichen. Es war unmöglich, durch Hitze und rauchende Trümmerberge auch nur einen Schritt über das Stadtzentrum hinaus zu kommen. Verzweifelt kehrte ich um: meine Heimatstadt existierte nicht mehr.

Noch tagelang fuhren offene Lastwagen voll mit Leichen beladen durch die Stadt zu einem eilig ausgehobenen Massengrab im Waldfriedhof. Die Mehrzahl der circa 15.000 Toten dieser Nacht konnte jedoch nie geborgen werden, die Menschen wurden in ihren Kellern buchstäblich zu Asche.

Philipp-Lothar Wiesenäcker

 

Foto: Rathausturm in München, 1945: „Wir sahen vom Flakturm aus jene unglaubliche Feuerwand, in der Zehntausende Menschen verbrannten.“

 

In Wien

Es war ein schöner Sommervormittag, als ein Telefonanruf meines Vaters - er arbeitete als Luftwaffenmajor im LS-Warndienst und hatte somit auch ein Diensttelefon zu Hause - wiedereinmal meiner Mutter den Anflug eines Bombenverbandes in Richtung Großraum Wien mitteilte.

Dann ging‘s los! Alle zogen zwei Hemden an, dazu die beste Jacke, die besten Schuhe, Mutter und die älteste Schwester die Offizierstiefel meines Vaters, alle Wohnungsfenster auf, alle Becken und die Badewanne mit Wasser gefüllt, zwei, rotmarkierte, mit Sand gefüllte Wassereimer und Feuerpatsche an der Wohnungseingangstür bereitgestellt (zur Bekämpfung von Stabbrandbomben). Während die Luftschutzsirenen aufheulen, mit Handtaschen und Koffer vom 2. Stock in den Luftschutzkeller, der eigentlich ein Waschraum mit drei Fenstern - alle ohne Stahlblenden - war. Unten bei den inzwischen eingetroffenen Hausparteien angekommen, durften die Kinder auf dem einstöckigen Luftschutzbett Platz nehmen, alle anderen saßen auf ihren Habseligkeiten und horchten auf Meldungen, die aus einem Radio ertönten, wenn das (bedrohende) Wecker-Ticken-Geräusch unterbrochen wurde.

Eine ungewöhnliche Stille trat ein in den Straßenzügen. Nicht das geringste Geräusch war zu vernehmen - bis auf ein leises, aber langsam anschwellendes mahlendes Motorengeräusch. Es hatte die Richtung auf unseren Keller genommen. (Alle Geräusche in diesen Minuten schienen auf den Keller zuzukommen). Einsetzendes Abwehrfeuer der Wiener Flakartillerie, eine Batterie mit vier Geschützen war in einem Kilometer Entfernung auf unseren Schlittenfahrhügel stationiert, jagten Mutter in den Keller zurück.

Auf einmal ist der Flugzeugverband direkt über unseren Köpfen. Die Hölle beginnt. Die scharfen, bellenden Abschüsse der Flak werden von einem stetig in der Zahl größer werdenden infernalischen Pfeifen zugedeckt, das durch die fallenden Bomben verursacht wird. Ich flüchtete mit hysterischem Gejammer zu meiner Mutter, ältere Mitbewohnerinnen des Hauses riefen die Schutzheiligen an, inbrünstiges Beten und drohend erhobene Fäuste alter Männer waren erkennbar; dazwischen kamen hier und da unverständliche Zahlenangaben (Koordinaten der Planquadrate für die Flugabwehr) aus dem Radio, draußen splitterte Glas, krachten dicke Baumäste zu Boden, begann ein eigentümlich beißender scharfer Geruch in den Raum einzuziehen. Dann kam eine Reihe von Bombenanschläge auf uns zu. Explosion auf Explosion, immer lauter, das ganze Wohnhaus erzitterte, Teile des Deckenputzes fielen herab, staubten die vor Angst verzerrten Gesichter grau ein, die Türverglasung der Hausmeisterwohnung zersplitterte, das Glas der Kellerfenster zersprang und noch mehr Dreck quoll herein. Alle suchten jetzt eines der bereitliegenden nassen Tücher zu ergattern, um einen Filter für die Atemluft zu bekommen. Unter den Tüchern wurden die Schutzengel angerufen, die Gesichter der vermummten Leute zeigen angstvoll aufgerissene Augen. Dann hob sich ein scharfes Pfeifen aus dem Heulen und Krachen heraus, immer lauter werdend, das schließlich alles übertönte. Dann ein wuchtiger Aufschlag, die Erschütterung zog allen den Boden unter den Füßen weg, das LS-Bett verschiebt sich. Unter dem Aufschrei Aller dringt Dreck und Staub ein und verfinstert den Raum. Wir sind getroffen. Jetzt wollten alle Klarheit. Rennen zum Stiegenaufgang. Dort steht der Hausmeister. Alles zurück! Das Haus ist nicht getroffen, keine Brandbomben fielen, es brennt nichts!

Wolfgang Franz

 

In Neuss

Im Mai 1940, während des beginnenden Frankreichfeldzuges, wurde auch Neuss von feindlichen Flugzeugen angegriffen. Das dicht vor dem Stadtkern zum Rhein hin gelegene Industriegebiet im Hafen war das Ziel englischer Bomber. Für uns Kinder - ich war damals kaum zehn Jahre alt - war dieser abendliche Luftangriff die erste Begegnung mit dem Schrecken des Krieges, den wir uns bis dahin nicht vorstellen konnten, zumal die Kriegshandlungen im Herbst / Winter 1939/40 bis in den Frühling hinein fast vollständig ruhten.

Fliegeralarm mit den aufheulenden Sirenen war uns zwar nicht unbekannt, aber bis zu dem Abend im Mai 1940 betraf das Erleben nur das Schießen der Fliegerabwehrkanonen (Flak). Sobald die Sirenen heulten, wurden wir wach, zogen uns Mäntel über die Schlafkleidung und gingen, begleitet von unserer Mutter, in den Schutzraum im Keller, dessen Betondecke durch zahlreiche Rundholzstützen gegen ein Einbrechen gesichert war. Hier waren provisorische Betten hergerichtet. So auch an dem Abend im Mai. Wir waren noch auf dem Weg in den Keller, als die Abschüße der Flak in den Himmel bellten. Dazwischen mischten sich bald Erschütterungen, die für das Gehör weiter weg waren, ab und zu näher zu kommen schienen, bis plötzlich - wir waren schon eine Zeitlang im Luftschutzraum - eine heftige Bodenerschütterung das gesamte Haus in Bewegung brachte. Laut polternd fielen Gegenstände von der Kellerfensterbank auf der Treppe nach unten. Der Schreck fuhr uns allen in die Glieder, aber es passierte weiter nichts, es wurde sogar relativ bald ruhiger, das Flakfeuer ließ nach. Ein Blick zur Stadt hin zeigte, was die Bomber angerichtet hatten. Vom Hafengebiet reichte ein geröteter, wolkenarmer Himmel hoch hinauf, der noch viele Stunden zu sehen war.

Am nächsten Tag plagte mich trotz des nächtlichen Schreckens die Neugierde. Ich wollte sehen, was im Hafen passiert war. Der Weg dorthin war mir geläufig, an dem vor der Stadt liegenden Rennplatz entlang zum Hafen. Ich sah die Schäden an den Lagerhäusern und Fabriken. Auf der Hafenstraße lagen Steintrümmer. Sie schienen zum Teil schon zur Seite geräumt.

Da sah ich seitlich am Straßenrand auf einem kleinen Steinhaufen einen dunkelbraunen Lederstiefel, der wegen seiner breiten Schnallen ungewöhnlich war. Die obere Öffnung war von mir abgewandt. Als ich näher trat und ihn vollständig von oben sehen konnte, erschrak ich. Bis an den oberen Rand steckte im Stiefel der in dieser Höhe abgetrennte Unterschenkel des Stiefelträgers. Ich sah dem gelblichen Querschnitt des Knochens, das umgebende Fleisch und den fetzigen Hautrand des abgetrennten Beines: Es war das Bein eines englischen Fliegers, das hier am Tag nach dem abendlichen Luftangriff noch lag, umschlossen vom unversehrten Lederstiefel. 

Dr. med. Harold Klein

 

In Berlin

Im Alter von 11 Jahren erlebte ich den schwersten Luftangriff der anglo-amerikanischen Bomber auf Berlin. Es war der 3. Februar 1945 vormittags. Keine Vorwarnung, gleich Vollalarm. Mutter und ich zogen uns in Windeseile an, griffen unser Gepäck und rannten etwa zehn Minuten zum öffentlichen Bunker am Neuköllner Hermannplatz. Dort angekommen, bot sich uns ein schrecklicher Tumult. Frauen, Kinder, Greise versuchten, teilweise mit Kinderwagen über den Köpfen, durch den engen Einlaß in den Bunker zu gelangen. Angesichts dieses Szenarios bat ich meine Mutter, zum circa 10 bis 15 Minuten entfernten Fichte-Bunker zu rennen. Auf dem Weg über die Hasenheide dorthin brummten bereits einige Flugzeuge über uns und die Flak schoß wie verrückt. Am Bunker angekommen, war dieser schon verschlossen. Auf Klingeln und Klopfen wurde uns endlich geöffnet, man fragte uns entsetzt, wo wir herkommen. In einem der Bunkergänge Platz genommen, fiel nach circa 5 Minuten eine Bombe auf den Bunker, nachdem im Umkreis schon mehrere Einschläge zu registrieren waren, wurde uns geraten, die Köpfe zu senken, um so weniger Luft zu verbrauchen. Nach etwa 30 Minuten gab es wieder Licht und Luft durch Aggregate.

Nach Beendigung des Angriffs durften immer zehn Leute den Bunker verlassen - wegen der eventuell umherliegenden Blindgänger. Wieder zu Hause angekommen, konnten wir glücklich feststellen, daß unser Haus noch stand.

Doch unser Glück war trügerisch. Am Nachmittag erhielten wir die Nachricht, daß die Eltern meines Vaters im Südosten Berlins nach einem Bombeneinschlag verschüttet wurden. Über die Trümmer liefen wir sofort dorthin. Straßenbahnen fuhren nicht mehr. Wir standen vor einem Berg von Schutt. Es war einmal ein vierstöckiges Wohnhaus gewesen. Der Luftschutzkeller befand sich im Hinterhaus. Das Vorderhaus, wo meine Großeltern wohnten, blieb teilweise schwerbeschädigt stehen.

Eine junge Frau, die die Glut eines Herdes auf die Beine bekam - ihre beiden Hunde mußten wegen gebrochener Läufe erschossen werden -, kam als einzige aus den Trümmern raus. Sie konnte dem Ausgrabungsleiter erklären, wo die einzelnen Personen gesessen haben. Meine Großeltern saßen am äußersten Ende des Kellers. Wir hofften sehr, daß sie noch lebten. Allerdings hatten wir wenig Hoffnung, daß mein Großvater es überleben würde, da er schwer an Asthma litt.

Der Ausgrabungsleiter versicherte uns am nächsten Tag, daß die Großmutter noch leben würde, da er ihre Stimme erkannte. Sie schrie um Hilfe. Und das mehrere Tage lang. Dann machte eine weitere Bombe dem ein Ende. Mehrmals hatte man versucht, einen Stollen durch die Trümmer zu graben, er stürzte immer wieder zusammen.

Mit eingedrückten Köpfen holte man einzelne Menschen heraus; andere wurden in Eimern herausgeholt. Wir begruben die Urnen meiner Großeltern bei Fliegeralarm in Berlin-Baumschulenweg.

Gert Kastler

 

In München

Meine Eltern und ich wohnten in einem kleinen Einfamilienhaus in einem südlichen Vorort von München.

Die Fliegerangriffe auf München steigerten sich ab 1940 von Jahr zu Jahr. Besonders schlimm war es bei Nacht. Durch das Heulen der Sirenen wurde ich aus meinem warmen Bett gerissen, es blieb kaum Zeit, das Notwendigste anzuziehen und zähneklappernd in den vermeintlich sicheren Keller zu flüchten. Damals dünkte mir dieser Raum als Schutz, heute weiß ich, daß er den sicheren Tod bedeutet hätte. Der Zeitraum zwischen dem Beginn der Sirenen und den sich nähernden Bombengeschwadern wurde von Jahr zu Jahr kürzer, bald begann das Pfeifen der Bomben und die Einschläge kamen immer näher. Manchmal waren die Detonationen so nahe, daß das ganze Haus bebte und wackelte und in sich zusammenzustürzen drohte.

Außer daß das Haus öfters abgedeckt wurde, bekamen wir glücklicherweise nur einmal Stabbrandbomben ins Haus, die rasch entdeckt und gelöscht werden konnten.

Es schien mir immer eine Ewigkeit, bis so ein Angriff vorbei war. Als wir uns aus dem Keller und ins Freie wagten, war es durch das brennende München taghell, der Himmel färbte sich blutrot. Es gab immer wieder Explosionen, aus zusammenstürzenden Häusern gab es einen gigantischen Funkenregen.

Theodor Muninger

 

In Sambach / Pfalz

1943 in Frankenthal/Pfalz ausgebombt, wurde ich, neunjährig, zusammen mit meinen Eltern in ein kleines Dorf bei Kaiserslautern/Pfalz evakuiert. Trotz der für uns schwierigen Lebensverhältnisse gefiel mir aber das Leben auf dem Land, und ich streifte häufig durch die umliegenden Felder und Wälder.

Als das Ende des Krieges näherrückte, tauchten immer mal wieder alliierte Tiefflieger in unserer Gegend auf, die zurückdrängende Gruppen von Soldaten und Zivilisten beschossen.

Als ich eines Nachmittags mit zwei oder drei Spielkameraden in den umliegenden Feldern herumstreifte, flogen drei oder vier alliierte Jagdflugzeuge relativ niedrig über uns hinweg. Ich beobachte das Geschehen und sah, wie ein Flugzeug ausscherte und im Tiefflug in unsere Richtung zurückkam. Ich stand wie angewurzelt und sah auf einmal gelb-rote Fäden aus dem Flugzeug herausschießen, während gleichzeitig nur wenige Meter neben uns Erde aufspritze. Da begriff ich plötzlich, daß aus dem Flugzeug heraus auf uns geschossen wurde.

Wir rannten natürlich erst mal weg; es war uns Gott sei Dank nichts passiert.

Manfred Piecha

 

In Hannover

Ort: Flakbatterie Möncheberg, ca. 8km westlich des Stadtkerns Hannover, Zeit: 8. zum 9. Oktober 1943, Freitag auf Sonnabend.

Ein Blick auf mein Kriegstagebuch: Später als sonst kam Fliegeralarm. Uns 16jährige Luftwaffenhelfer umgaben vier überschwere 10,5 Flugzeugabwehrkanonen (LWH). Wenn sie zeitgleich schossen, erbebte die Erde. Gegen Mitternacht erhellten 40 Leuchtbomben Hannover, machten die Stadt fast taghell. Dann regnete Phosphor vom Himmel, tonnenweise. Dichter Rauch hüllte das Häusermeer ein. Bis zum Morgen gingen laufend Blindgänger in die Luft.

Ob und welche Eltern dieses schlimmste Inferno lebend überstanden, das sollten wir am Samstagmorgen selbst feststellen. Alle LWH erhielten Tagesurlaub. Um nach Kleefeld, dem östlichen Vorort meiner Heimatstadt zu gelangen, mußte ich mich fast zwei Stunden durch eine grauenhafte Hölle tasten:

Verkohlte Leichen, schreiende Kinder, verbrannte Pferdekadaver, Häuser, die in sich zusammenfielen. Ein schwarzer, schäferhundgroßer Rüde lief herrenlos über brennende Dachbalken. Er folgte mir, vorbei an der am 9./10. November 38 zerstörten Synagoge (seinerzeit stand ich mit meinem Vater an jenem 10.11. vor den noch glimmenden Trümmern). In einer Nacht wurde das Häusermeer an der Leine dem Erdboden gleichgemacht. Gleichwohl: Der Ortsteil Kleefeld blieb vor dem Bombenteppich verschont.

Heinz Mathias

 

Foto: Rathausturm in München, 1945: „Verkohlte Leichen, schreiende Kinder, Häuser, die in sich zusammenfielen.“

 

In Oberschlesien

1945 wurde ich gerade zwölf Jahre alt und lebte mit Mutter und Schwester in Gleiwitz. Am 21. Januar, es war ein bitterkalter Wintertag in Oberschlesien, wurde ich aus meiner Kindheit herausgerissen: Packen und Fliehen hieß die Devise. Von jetzt auf sofort nehmen, was man tragen konnte und damit zum Sammelplatz in der Stadt. Die Lastwagen kamen erst gegen Abend, Frauen, Kinder auch alte Menschen und das Gepäck wurden verladen. Es war ein großes Durcheinander, überschattet durch die Kälte und die den Erwachsenen ins Gesicht geschriebenen Sorgen und Ängste. Für mich war es nur unheimlich, ich verstand das alles nicht. Aber es sollte noch schlimmer kommen.

Am nächsten Tag war unser Treck, bestehend aus 10 bis 15 Lastern, schon weit weg von der Front, so schien es wenigstens. Doch dann wurden wir jäh in die Realität zurückgerufen: Die Wagen stoppten, es gab ein Riesengeschrei: „Runter von den Wagen!“, und die Menschen kletterten, nein fielen und sprangen von den Ladeflächen. Ich weiß nicht, wie ich runterkam, ob geworfen oder gesprungen, jedenfalls landete ich im mit Schnee zugewehten Straßengraben und wurde sofort von meiner Mutter noch tiefer hineingedrückt. Denn in diesem Augenblick knallten auch schon die Schüsse der Maschinengewehre: Sowjetische Flieger im Tiefflug! Zwei oder drei brausten über die Straße, und ich meinte, die feuerspeienden Maschinen greifen zu können, so nahe flogen sie über uns hinweg. Angst- und Schmerzensschreie wurden laut, um aber einen Augenblick später wieder vom Motorengeräusch und dann den Schüssen übertönt zu werden. Waren es dieselben Flieger oder andere - jedenfalls schien eine Ewigkeit vorbei zu sein, bis das Flugzeuggeräusch verklungen war und die Menschen sich aus dem Schnee wühlten.

Ein oder zwei Wagen brannten, um die anderen scharten sich die Menschen, ihre Aufregung wuchs, es gab hektische Aktivitäten. Meine Mutter schirmte mich von den Menschen ab und ließ mich mit meiner Schwester bei einer Gruppe von Lastern. Mir wurde es klar, daß es jetzt im Treck tote und verwundete Menschen gab, man versuchte die letzteren auf ein heil gebliebenes Auto zu laden, das auch bald abfuhr. Meine Mutter kam mit einem Teil unseres Gepäckes und der Nachricht, daß es jetzt zu Fuß weitergeht, zurück. Unser Laster war beschädigt, der Fahrer tröstete uns, daß es bis zum nächsten Dorf nicht mehr weit sei. Ich blieb bei dem Teil unseres Gepäckes, Mutter und Schwester holten den Rest. Dabei wurden sie wohl mit der brutalen Realität des Todes konfrontiert, denn erst später verstand ich ihre Mienen und Gesprächsbrocken, die ich aufgefangen hatte.

Helene Mosler

 

In Freiburg

Straßburg war bereits seit drei Tagen von Alliierten besetzt. - Da heulten über Mittag, am 27. November1944 mal wieder die Sirenen. Die Leute eilten in die Luftschutzkeller. Ich (damals zwölf) blieb aber mit einem Fliegersoldaten neugierig vor der Haustür, was bei Alarm streng verboten war. Erstmals bekam ich Angst vor den Bombern, zumal sie plötzlich direkt auf uns zuschwenkten. Der Soldat aber erklärte: Die fliegen jetzt erst mal den Angriff ein, hab keine Angst, jetzt passiert nichts. Erst heute Nacht kommen sie dann wieder.

Trotzdem ließ ich meine Eltern abends ins Kino abziehen, habe nicht einmal über diese Vorwarnung berichtet, weil es für Freiburger nicht vorstellbar war, angegriffen zu werden.

Und wirklich, die Luftmörder kamen zurück, kurz vor 20 Uhr, danach hatte Freiburg circa 3.000 Tote zu beklagen, es waren auch vier meiner Schulkameraden dabei. Der Angriff dauerte 20 Minuten. Das Münster war mit grünen Leuchtbomben ausgespart worden. Noch wurden hier die Gehwege nicht mit Unmengen von Phosphor entzündet, wie wenig später in Pforzheim. Wir hatten noch Fluchmöglichkeiten und verbrannten nicht als lebende Fackeln auf dem Asphalt. -

Aber in Freiburg war es heller, als am Tag, und ich befürchtete jeden Moment Jagdbomber-Angriffe. Ich floh Richtung Schloßberg, kam aber fast nicht voran. Ein unvorstellbarer Sog zerrte an den Beinen und am Körper. Immer wieder gingen Zeitzünder hoch und stürzten Hauswände ein. 

Werner Weik

 

In München

Bis in den Dezember 1944 wohnte ich mit meinen Eltern im Zentrum Münchens. Wegen der ständigen Luftangriffe auf unsere Stadt, in den letzten Monaten meist ohne Voralarm, gingen wir nur mehr angezogen in unsere Betten, um beim Fallen der Bomben möglichst schnell in den provisorischen Luftschutzraum im Keller zu kommen. Kurz vor Weihnachten wieder ein Nachtangriff, kaum im Keller, ein furchtbarer Schlag. Das Haus erzitterte, die Nachbarn aus dem Nebenhaus brachen durch den vermauerten Notausgang in unseren Keller. Sie glaubten, ihr Haus sei getroffen worden, es war aber das unsere. Die Frauen beteten in ihrer Angst, Kinder weinten und schrieen, die Kellertüre wurde aufgerissen, dann der Ruf: „Raus, raus, das Haus brennt.“ Wir drängten alle hinaus und wurden draußen im Vorgarten von der Explosion einer Luftmine zurück an die Hausmauer geworfen. Fensterscherben und Dachziegel prasselten auf uns herab. Es gab Verletzte. In der gegenüberliegenden Anlage duckten wir uns unter die Bäume und warteten die letzte Angriffswelle dort ab. Dann zurück in das brennende Haus, um wenigstens einige Möbel und die gepackten Koffer zu retten. Wir brachten dann zwei Nächte und fast zwei Tage bei beißender Kälte auf der Straße auf der geretteten Couch zu. Nur in eine Decke gehüllt, wechselten wir zwischendurch zu einem zerstörten Haus, um uns am brennenden Kohlenkeller zu wärmen. In einer nahegelegenen Wirtschaft erhielten wir mittags etwas warme Suppe. So saß ich an meinem 16. Geburtstag frierend auf der Straße, in der Hand nur meinen kleinen Koffer, in dem ich etwas Wäsche und meine Handtasche hatte. Unser ganzes Hab und Gut verbrannte vor unseren Augen. Meinem Vater gelang es am zweiten Tag, einen Wagen zu bekommen, mit dem er die wenigen geretteten Möbel in einer Garage unterbringen konnte.

In einer Privatklinik fanden wir wenige Tage vor Weihnachten eine notdürftige Aufnahme. Als die geretteten Möbel geholt werden sollten, fanden wir die Garage leer. Die Möbel waren uns gestohlen worden. 

Johanna Neuberger

 

In Wuppertal

Als an der Decke blaue Flämmchen erschienen, mußten wir aus dem schützenden Keller. Meine Mutter trug in einer nassen Decke meinen wenige Monate alten Bruder. Mir, einem Knirps von fünf Jahren, war unser Köfferchen anvertraut mit dem strengen Gebot, es nur ja nicht loszulassen. Auf der Straße schlugen die Flammen weit aus den zerborstenen Fenstern. Durch einen Tunnel von Feuer rannten wir zusammen mit den Hausgenossen, alles Frauen und Kinder, um unser Leben, vorbei an erschlagenen und zerrissenen Menschen, zu einem unbebauten Fleck. Ein abgerissener Kopf erfüllte mich mit Grauen. Als der Tag kam, sahen wir eine rauchende Trümmerwüste. Ketten von Stabbrandbomben steckten wie kleine Zäune im weichen Boden. Die Toten hatte man schon irgendwie zugedeckt; überall lagen solche Bündel. Innerlich wehrte ich mich gegen den Gedanken, daß das alles tote Menschen waren. Als man uns wegbrachte, ließ ich mich führen und schloß die Augen, wenn wir an Leichen vorbei mußten.

Adolf Frerk

 

In Schlesien

Es geschah an einem der bitterkalten Januartage des Jahres 1945. Wir waren auf der Flucht aus Schlesien - Mutter, Schwester, Großmutter und ich - und saßen auf einem LKW, neben uns die paar Habseligkeiten, die wir mitnehmen konnten.

Das Fahrzeug bahnte sich mühselig seinen Weg durch dichtes Schneetreiben, auf der Straße zogen vermummte Menschen dahin, Kinder, Frauen, Greise. Sie schoben vollbepackte Kinderwagen oder zogen Schlitten, mit den wenigen Habseligkeiten vollgestopft, die man gerade zusammenzuraffen vermocht hatte. Unendliche Trostlosigkeit spiegelte sich in den blaugefrorenen Gesichtern wider, und viele saßen am Straßenrand, zu müde und kraftlos, um weitergehen zu können. Der Schnee wehte unerbittlich über die Felder rechts und links des Weges und türmte sich an den Straßenrändern meterhoch auf. Oft mußten wir halten, weil die Straßen verstopft waren, einige Male rutschte unser Fahrzeug in den zum Glück nicht tiefen Straßengraben, und wir luden das Gepäck ab und schoben den LKW wieder auf die Straße. Und dann war plötzlich endgültig Halt. „Weg von den Wagen, kriecht darunter, da kommen Flugzeuge.“ Zwei sowjetische Jäger stießen aus den Wolken herab und beschossen unseren Treck erbarmungslos. Sie kamen ein zweites, ein drittes Mal, und als sie schließlich abflogen, herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Verwundete schrien, einige zogen Tote von der Straße. Bei dem hartgefrorenen Boden war an ein Begraben der Toten nicht zu denken. Sie wurden an den Rand der Straße gelegt und mit Schnee bedeckt.

Während die Erwachsenen mit dem Räumen der Straße beschäftigt waren, gingen wir Kinder ein Stück des Weges entlang. Doch was war das da vorn, unweit der zerschossenen Eisenbahnbrücke? Wir liefen hin und sahen voller Entsetzen ein Kind, ein kleines Mädchen in einer Schneewehe liegen. Offenbar war das Kind dem Luftangriff zum Opfer gefallen und die Angehörigen hatten versucht, es im Schnee zu begraben.

Prof. Harald Teichmann

 

In Chemnitz

Auf der grauenvollen Flucht kam meine Mutter mit uns, ihren 3- und 5jährigen Söhnen, und mit unserer Omi nach Chemnitz. Wir wurden in einer Brotfabrik einquartiert.

Jede Nacht heulten die Sirenen. Deshalb lagen wir alle angekleidet in den Betten, um möglichst schnell den Luftschutzbunker zu erreichen, bevor die schwere Türe von innen verriegelt wurde.

Wieder wurden wir in einer Nacht von den Sirenen aus dem Schlaf gerissen, Unsere Mutter hatte Mühe, uns wachzubekommen. Als wir über den Hof zum Bunker rannten, mußte meine Mutter mich weiterschleifen; ich war beeindruckt von einem Schauspiel besonderer Art: Die Stadt war hell erleuchtet. Vom Himmel schwebten Lichterbäume und tauchten die Häuser in fahles Todeslicht. Im Bunker hatten wir Kinder Fragen an Mutter und Omi. Doch wurden wir grob vom Luftschutzwart zur Ruhe aufgefordert. Auch Lachen und Weinen durfte man nicht, dies würde den Sauerstoffbedarf unnötig erhöhen.

Der Bunker erzitterte unter den nahen Einschlägen explodierender Bomben. Wir saßen auf den Holzpritschen und hielten uns die Ohren zu, einige heulten doch.

Als endlich die Sirenen wieder „Entwarnung“ gaben, liefen wir über den Hof zurück, dem Schlafraum entgegen. Wieder war die Stadt erleuchtet, rötlich-gelb flackerten ungeheuere Brände in den Häusern, so weit man sehen konnte.

Am nächsten Vormittag wollte meine Mutter mit uns mit der Straßenbahn in die Stadt fahren. Wir liefen durch die Straßen, in denen Schuttberge und Bombentrichter häufig den Weg versperrten. Die Häuser lagen in Schutt und Asche, von einigen Gebäuden standen nur noch die Fassaden, leere Fensterhöhlen glotzen einen an. Häufig flackerten noch Feuer in den Ruinen.

Hans Joachim Conhoff

 

In Eisenach

Es war gegen Ende des Krieges in Eisenach, der kleinen, friedlichen Stadt im Thüringer Wald - und ich 14jährig. Die Zeit, als tagsüber auf den Straßen und Feldern des Landes einzelne Feindflugzeuge mit den MGs Jagd auf Menschen, Radfahrer und auf Züge machten. Und nachts einzelne Flugzeuge willkürlich Bomben auf kleine Städte warfen. Fast jede Nacht, so daß es bei solchen streunenden Flugzeugen bei dem sogenannten „Voralarm“ mit besonderem Sirenenton blieb - sonst Vorwarnung für nahende Bomberschwärme, bevor sie als Gefahr für den Bereich ausgemacht wurden.

Der wild auf- und abschwellende Heulton solch „normalen“ Alarms - Lebensgefahr anzeigend und durch Mark und Bein gehend - war oft genug zu hören und raubte den Schlaf. Doch konnte man ja nicht ewig im Keller sitzen. Bei einzelnen Flugzeugen wurden wir gleichgültig. Man wußte nicht, wo der Feind gerade zuschlagen wollte. Also kümmerten wir uns kaum um den Voralarm und schliefen in Kleidern im Bett weiter - wie in dieser Nacht.

Plötzlich schreckte ich durch zwei dicht hintereinander folgende, ohrenbetäubende Detonationen auf. Als ich die Augen aufschlug, sah ich noch den grellen Blitz der Explosion durch die Ritzen des Verdunklungsrollos der Fenster. Ich weiß nicht mehr, wie wir in den Keller gelangten. Doch es geschah nichts weiter. Am anderen Morgen schaute ich nach, wo es eingeschlagen hatte. Es mußte ja ganz in der Nähe gewesen sein. Und so war es: Etwa 300 Meter von unserer Wohnung waren zwei Luftminen in der Altstadt niedergegangen und hatten mehrere der kleinen Häuser zerstört. Die Leichen hatte man gerade herausgetragen. Sie lagen noch zugedeckt auf der Straße.

Richard W. Gersie

 

In Bremen

Es sollte nach zwei Jahren Kinderlandverschickung (KLV) im August 1944 ein kurzes Wiedersehen mit der Familie werden. Als der Zug am 18. August in Bremen eintraf, einer vom Bombenterror der Alliierten schon weit zerstörten Stadt, die wir kaum wiedererkannten, wurden wir mit Fliegeralarm empfangen. Sofort mußten wir, vom DRK geleitet, den Bunker aufsuchen. Todmüde zu Hause angekommen, - wieder Alarm. Der Himmel über unserem Stadtteil am Bahnhof war hell ausgeleuchtet mit „Tannenbäumen“, wie mir meine Mutter erklärte. Also auf in den nächsten Bunker, den wir, rennend durch die heiße Augustnacht, mit unserem Luftschutzhocker erreichten. Die Bomben schlugen schon ein, gerade fanden wir noch Einlaß. Es war der schwerste Luftangriff, den Bremen erlebte. Am morgen war vom Markt bis zu den Häfen alles zerstört.

Der Bunker war überfüllt. Kinder schrien und Alte wimmerten. Die Bunkertür mußte nachher aufgeschweißt werden. Wegen der Hitze der Phosphor-Bomben war sie nicht zu öffnen. Draußen war ein unvorstellbares Inferno: Mütter rannten mit ihren Kindern durch die in Flammen stehenden Häuserreihen mit brennenden Sommerkleidern und nackten Füßen. Niemand konnte helfen. Plötzlich stand mein Vater vor uns, wegen seines Alters machte er Luftschutzdienst. Er trug mich zu unserer Wohnung, die nach diesem Angriff noch bewohnbar war. Ich habe immer nur geweint und weiß bis heute nicht, wie ich wieder nach Österreich gekommen bin. 

Helga Bieg

 

In Helmstedt

Den 20. Februar 1944 werde ich nie vergessen! Bis zu diesem Datum war meine Heimatstadt (ca. 25.000 Einwohner) von Bombenangriffen verschont geblieben. Es gab keinerlei Industrie, dafür aber mehrere Lazarette (vormals Schulen), durch große rote Kreuze auf den Dächern als solche gekennzeichnet. Dadurch fühlten wir uns verhältnismäßig sicher, wenn Tag für Tag und Nacht für Nacht die Bombengeschwader gen Berlin zogen.

An jenem 20. Februar hatten die „Terrorflieger“ ein paar Sprengbomben für uns „reserviert“: ihr Ziel, die deutlich sichtbaren Rotkreuze auf den Dächern der Schulen (Lazarette), in deren unmittelbarer Nähe mehrere Wohnhäuser zerstört wurden. Einhundertfünfzig Opfer waren zu beklagen! 

Gisela Wallesch

 

Foto: Leichenverbrennung auf dem Altmarkt in Dresden, Februar 1945: „Durch einen Tunnel von Feuer rannten wir um unser Leben, vorbei an erschlagenen und zerrissenen Menschen.“

 

In Ostwine, Insel Wollin

Einige Monate schon war unser Treck aus dem Kreise Schloßberg/Ostpreußen unterwegs über Wehlau, Tapiau, Pillau, auf dem gefährlichen Eis des Frischen Haffs und entlang der Nehrung quer durch Hinterpommern, als wir im März 1945 erschöpft und hungrig in Ostwine/Insel Wollin eintrafen. Hier erlebten wir am 12. März den furchtbaren englischen Luftangriff, der auch uns wehrlosen Flüchtlingen aus dem Osten galt. Ich war schwanger im 6. Monat.

An jenem Tag war ich mit einem 12-jährigen Mädchen aus einer anderen Familie unseres Trecks mit Kochgeschirr und Lebensmittelmarken in den Ort gegangen, um uns etwas Milch und Essen zu besorgen. Vor einer NS-Wohlfahrtsstelle standen wir gerade Schlange, als ein schrecklicher Lärm über uns hereinbrach: Tiefflieger warfen Sprengbomben auf unsere Fuhrwerke und schossen auf uns. Ich warf mich hinter einem Gartenzaun zwischen Beeten und Sträuchern zu Boden, erlitt aber eine Splitterverletzung am Kopf. Von Sanitätern danach halbgeschoren und verbunden, lief ich wieder zu unseren Wagen zurück. Wie durch ein Wunder waren meine Mutter und unser Fuhrwerk unverletzt, aber „Litsche”, unser Pferd, hatte es erwischt. Es lag da mit zerfetzter Brust. Vor und hinter uns ein grausiges Bild der Verwüstung. Treckteile zu beiden Seiten der Chaussee, überall tote Menschen und Verletzte, verstreut auch Körper- und Fuhrwerkteile, tote Pferde, abrasierte Bäume ... Tot auch die Angehörigen des 12jährigen Mädchens aus Ostpreußen.

Warum haben sie uns wehrlose Flüchtlinge damals zusammengeschossen und unsere Habseligkeiten bombardiert?

Später erhielten wir von der Wehrmacht ein neues Pferd. Unser Treck setzte ins zerstörte Swinemünde über und fuhr weiter gen Westen. Noch unterwegs, im Juni 1945 in Mecklenburg, kam meine Tochter gesund zur Welt.

Emma Lechner

 

In Thüringen

Es gab einen Moment am Anfang des Krieges, in dem mir als kleinem Jungen erstmals wirklich bewußt geworden ist, wie eng und wie schmal im Bombenkrieg die Spanne zwischen Leben und Tod sein kann; und ich erinnere mich, daß mich diese blitzartige Erkenntnis damals sehr erschreckt und noch lange Zeit beschäftigt hat.

Meine kleine Schwester, die damals sechs oder sieben Jahre alt gewesen ist, hatte eine Freundin im gleichen Alter. Die beiden Mädchen waren unzertrennlich und spielten fast jeden Tag zusammen. Sie verstanden sich vermutlich deshalb so gut, weil beide aus Berlin kamen und von ihren Eltern aus Angst vor Bombenangriffen hinaus aufs Land, ins damals vermeintlich noch sichere Thüringen verpflanzt worden waren. Bärbel, die Freundin meiner Schwester, wohnte bei ihrem Onkel, einem angesehenen Großhändler, der in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ein großes Haus mit einem wunderschönen, an die Stadtmauer grenzenden Garten besaß. In diesem idyllischen Garten, inmitten alter Bäume, und im Schatten eines uralten steinernen Wehrturmes, spielten die beiden kleinen Mädchen besonders gern.

Es war einer jener schönen Tage, mit blaßblauem Himmel und linder Frühsommerluft, der zum Spielen im Freien geradezu einlud. Die beiden Mädchen saßen wieder einmal in ihrer Sandkiste und spielten selbstvergessen mit allen ihren Puppen gleichzeitig. Es herrschte kein Fliegeralarm und selbst Luftwarnung hatten die Luftschutzsirenen nicht angezeigt. Freundin Bärbel war ins Haus gegangen, um schnell in der Küche ein Butterbrot zu essen. Als sie längere Zeit nicht zurückkam, wunderte sich meine Schwester und wollte sie rufen. Sie ging ins Haus - die Hoftür war noch nicht hinter ihr zugefallen -, als mehrere schmetternde Schläge sie im Hausflur zu Boden schleuderten, und der Luftdruck von Bombendetonationen klirrend die Fensterscheiben bersten ließ.

Ein feindlicher Bomber, der lahmgeschossen und von seinem Verband versprengt, im Notwurf eine riesige Luftmine abwarf, hatte sich gleichzeitig seiner übrigen Bombenlast entledigt. Vier schwere Bomben detonierten im regelmäßigen Abstand eines Reihenwurfs in dem schönen Garten, in dem die kleinen Mädchen so gern spielten. Die erste Bombe traf die Sandkiste, in der meine Schwester noch einige Sekunden vorher, ganz ins Spiel vertieft, gesessen hatte. Die letzte der totbringenden Reihe explodierte vor der Stadtmauer, direkt neben dem seit altersher jeden Kriegskummer gewöhnten alten Wehrturm, und riß einen großen Krater in die Erde. Doch die Turmschanze war im Mittelalter so festgefügt worden, das die Bombe auch nicht ein Steinchen aus ihrer Brustwehr reißen konnte.

Aber der Schock saß überall tief. Es war eine Warnung vor dem, was noch kommen sollte. 

Herbert Müller

 

In Hamburg

In Hamburg - Fischbecker Heide erlebten wir die Operation „Gomorrha“, die die Hansestadt in der Woche vom 24. - 30. Juli 1943 ausradieren sollte. In diesen Tagen war für uns das schlimmste Erlebnis, daß die aus Hamburg stammenden Luftwaffenhelfer unserer Batterie angesichts der brennenden Innenstadt in der Stellung bleiben mußten und nur spärlich vom Schicksal ihrer Angehörigen erfuhren. An der Lage der Brandherde und bei einigen Lücken in den Qualmwolken konnten wir deutlich erkennen, daß diese Angriffe hauptsächlich den Wohngebieten gegolten hatten. Am zweiten Angriffstag flogen die Amerikaner einen ungezielten Tagesangriff, um die Flucht der Menschen auszunutzen und die Löscharbeiten zu stören.

Die nächste Stellung unserer Batterie lag in Bevenrode bei Braunschweig und sollte auch als Schutz für den Flughafen Waggum dienen. Dort erlebten wir nicht nur die Angriffe auf die Innenstadt von Braunschweig mit riesigen Flächenbränden und Zerstörungen, die wir erstmals als Luftwaffenhelfer vor Ort besichtigen konnten und die uns von der Notwendigkeit unseres Einsatzes überzeugten. Auch eine andere Variante dieses grausamen Kriegsgeschehens wurde uns deutlich. US-Begleitjäger flogen in der näheren Umgebung unserer Stellung Tiefangriffe auf einzelne Menschen, die sich auf ihren Äckern bei der Feldarbeit befanden.

Karl-Ernst Lober

 

In Leoni

Als 10jähriger wurde ich mit der Schulklasse von München in das Kinderlandverschickungslager nach Leoni am Starnberger See evakuiert. Ich bekam 1943 Besuch von meiner Mutter aus Niederbayern und von meiner Tante aus München (Obergiesing). Um die Mittagszeit heulten die Sirenen. Meine Tante hatte Glück, denn ihr Wohnblock in Obergiesing wurde von einer Luftmine getroffen. Der Luftdruck tötete sämtliche Wohnungsnachbarn.

Als sie am Abend in ihre Wohnung zurückkehrte, lagen die Leichen ihrer Nachbarn auf dem Gehsteig vor dem Haus. Sie mußte als einzige Überlebende dabei helfen, ihre Nachbarn zu identifizieren. 

Hubert Mahlmeister

 

In Kiedrich

An einem schönen Sommertag im Jahre 1944 ging ich mit meiner Mutter von unserer Wohnung in Kiedrich/Rheingau aus zum Erdbeerpflücken aufs Feld. Wir hatten noch nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt, als ich ein seltsames Geräusch wahrnahm.

Im selben Moment stieß mich meine Mutter in den Straßengraben und warf sich über mich. Keine Sekunde zu früh! Denn das tak tak tak der MG´s des Jagdflugzeuges kam immer näher. Offenbar hatte sich der „tapfere Pilot“ anstelle von lohnenderen Zielen, die er nicht entdecken konnte, meine Mutter und mich als „Ersatzziel“ ausgesucht.

Gott sei Dank hatte meine Mutter rechtzeitig reagiert, so daß er nicht uns sondern zwei Kühe auf der Weide traf, die deshalb notgeschlachtet werden mußten.

Später sahen wir dann von Kiedrich aus den tiefroten Himmel über Mainz, als die Stadt von anglo-amerikanischen Bomben in Schutt und Asche gelegt wurde.

Dieter Holler

 

In Hamburg

Wir wohnten im Westen Hamburgs. Am 24. Juli 1943 war unsere kleine Familie endlich einmal wieder vereint. Ich - damals 12 Jahre alt - war sechs Monate mit meiner Klasse in einem KLV-Lager in der Oberpfalz gewesen, daher war meine damals 24jährige Schwester, die inzwischen Kriegerwitwe geworden war, aus Berlin gekommen. In der Nacht auf den 25. Juli, meiner ersten Nacht „zu Hause“, heulten die Luftwarnsirenen, und es begann, was als „Unternehmen Gomorrha“ der anglo-amerikanischen Airforce in die Geschichte eingehen sollte. Unser Stadtteil war als erster betroffen: Es fielen Stabbrandbomben, und im oberen Teil unserer Straße detonierte eine Luftmine. Ich mußte mit meiner sehr ängstlichen Mutter im Keller ausharren, während mein Vater, er war „Luftschutzwart“, und meine Schwester im oberen Stockwerk des Hauses Flammen löschten. Als wir keine Detonationen mehr hörten, traten wir aus dem Haus und sahen ringsherum ein Flammenmeer - man hätte denken können, der „Große Hamburger Brand“ vom Mai 1842 wiederhole sich. Von den 31 Häusern in unserer Straßen blieben nur fünf erhalten. Alle Schulkameraden, mit denen ich im KLV-Lager sechs Monate das Zimmer geteilt hatte und die in der selben Straße wohnten, verloren in dieser Nacht ihre Wohnungen. Einem Freund nahm die Luftmine nicht nur die Wohnung, sondern auch die Eltern und den jüngeren Bruder. Ein anderer, mir bis heute verbundener Freund, fand mit seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester kurzfristig Unterschlupf bei meinen Eltern; auch er hatte mit seinen Angehörigen nur das nackte Leben gerettet. Anderntags sah ich dann in einer Seitenstraße viele teils verbrannte Leichen von Menschen, von denen ich einige sogar kannte.

Hans W. Möller-Sahling

 

In Rüsselsheim

Aus dem Dunkel der frühen Erlebnisse, des Erinnerns, ragt für mich als damals 6jähriger ganz besonders der Bombenalarm im Jahre 1944 heraus, der gemeldet worden war mit dem üblichen Sirenengeheul als Auftakt, wo dann meine Mutter, meine Schwester und ich in den Keller unseres Hauses eilten.

Ich lebte damals in Rüsselsheim in der Opelstadt. Die Fabrikgebäude waren oft das Ziel der Bombardements, aber auch die weiter davon entfernten Wohngebiete wurden von Bomben der verschiedensten Art getroffen. An diesem speziellen Tag im Herbst 1944, als wir im Keller so dasaßen und Bomben explodieren hörten, merkten wir, daß die Bombenwalze näher rückte. Die Einschläge wurden lauter, unser Haus vibrierte mehr als in der vergangenen Zeit. Irgendwie spürten wir, daß etwas auf uns zukam - unbestimmt, bedrohlich, für Sekunden war eine Spannung im Kellerraum, die uns ängstlich stimmte und uns weinen ließ. Und dann rückte wir drei zusammen, legten uns auf den Boden, meine Mutter legte ihre beiden Arme und ihren Körper über uns Kinder, um uns zu beschützen, wie dies auch Vögelmütter tun. Sie stammelte und betete, aber das war kaum zu hören durch das nahende, immer lauter werdende Pfeifen einer Bombe, die in unmittelbarer Nähe in unseren Garten einschlug. Glas splitterte, das auf uns flog, aber danach war Ruhe.

Als dann Entwarnung gegeben wurde, stiegen wir aus dem Keller ins Freie, betrachteten unsere veränderte Umgebung - ein Krater im Garten, ein Riß durchs Haus, brennende Häuser in unserer Straße; aber nachdem wir der Mutter noch etwas geholfen hatten, die Glassplitter aufzukehren, spielten wir irgendein Spiel, wie nur Kinder dann so spielen können.

Norbert Hahner

 

In Witzschersdorf

In dem 250-Seelen-Bauern- und Arbeiterdorf Witzschersdorf, in der fruchtbaren Leipziger Tieflandsbucht gelegen, heult gegen 23 Uhr, am 4. April des letzten Kriegsjahres, die Sirene. - Fliegeralarm! Ein starker britischer Bombenverband ist im Anflug auf die nahegelegenen Leuna-Werke. Das Werk wird schwer getroffen; Bomben fallen auch zwischen die und in einige Landgemeinden der Umgebung. - Nach Mitternacht ist der tödliche Spuk vorüber, und Witzschersdorf ist wieder einmal heil davongekommen.

Doch da gibt es wieder Alarm. Es ist ein Uhr vorbei. Von den rundum schon gefallenen Bomben verängstigt, eilen 37 Witzschersdorfer zurück in den als Luftschutzraum hergerichteten Kartoffelkeller unter der Hofscheune des Rittergutes.

Das Brummen eines einzelnen, hochfliegenden Flugzeuges ist zu hören; es scheint genau über das Dorf hinwegzufliegen. Und da rauscht es auch schon hernieder - es kracht mitten ins Dorf - eine entsetzliche Detonation.

Lähmendes Entsetzen im Dorf, doch dann rennen einige auf die Straße. „Es brennt auf dem Rittergut! - Kommt und bringt Eimer mit!” Es bildete sich eine Eimerkette. Bald hilft auch die Feuerwehr des Nachbardorfes, umherliegendes brennendes Stroh zu löschen.

Der Gutsinspektor, der mit seiner Frau im Gutshaus geblieben war, als einziger der Gutsbelegschaft, zwängt sich nach dem Schlag durch die demolierte Haustür, sieht Trümmer und Flammen, wo die Scheune mit dem Keller darunter gestanden hatte. „Hierher! Der Keller ist verschüttet, da sind unsere Leute drin!” Hastig wird Schutt beiseite geräumt. Im Gewölbe des Kellereingangs liegt ein Pole - er lebt! Eifrig wird weiter gegraben und man birgt so alle 36. - Jedoch: Es sind 36 Tote. Für manchen Helfer ist das zuviel …

Als es Tag geworden ist, liegen die Toten im Saal des Dorfgasthauses auf Stroh gebettet: Drei der vierköpfigen Gutsbesitzerfamilie (der älteste Sohn - Schreiber dieses Berichts - ist als Soldat irgendwo an der Westfront), sieben nahe Verwandte, die auf dem Lande Schutz vor den städtischen Luftangriffen suchten, sowie zehn deutsche und 16 polnische Gutsarbeiter. Das sind ein Siebtel aller derzeitigen Dorfbewohner!

Fünf Meter neben dem Keller schlug die Bombe ein und brachte das Kellergewölbe zum Einsturz. Und unter Stalltrümmern auf dem Gut und beim Bauern nebenan liegen Pferde und Kühe begraben. Fast die Hälfte der Gutsgebäude mitsamt dem schönen Barockturm über dem Hoftor, sowie Scheune und Stall des Nachbarn liegen in Trümmern. Im weiten Umkreis sind die Dächer abgedeckt, Fenster und Türen zerstört, Hausgiebel eingedrückt. Überall liegt Schutt. - Das war nicht nur eine Bombe; sie könnte mit einer Luftmine gekoppelt sein!

Die Tragödie ist noch nicht zu Ende. Das folgende steht stellvertretend für das vielfache Leid im Dorfe. Am selben Tag, dem 5. April, reist eine Schwester des Gutsherrn mit Tochter ahnungslos an. Sie sind schon aus Schlesien geflüchtet und hoffen hier auf eine vorläufige Bleibe und ihren Mann, bzw. Vater wiederzusehen. Doch sie stehen nur vor rauchenden Trümmern, und der Mann und Vater liegt tot im Gasthaussaal. Was da auf sie einstürzt, kann man wohl nicht in Worten ausdrücken!

Und anderntags kommt der Bruder der Frau des Gutsherrn, ebenso ahnungslos, mit dem Fahrrad aus dem Norden an. Er weiß hier seine Frau und drei kleinen Töchter. Er kann nur noch um sie trauern. Trauern? In tiefster Verzweiflung ringt er mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Schließlich obsiegt der Lebenswille und er - der Überseekaufmann - sucht sich als neue Aufgabe, das herrenlos gewordene Gut über Wasser zu halten, doch für wen?...

Zwölf Tage später rückten die Amerikaner ein, der Krieg ist hier zu Ende. - Es war die letzte Bombe, die das bisher intakte Witzschersdorf in die Katastrophe gestürzt hat.

Wolfdietrich von Wurmb

 

Foto: Menschen in einem Luftschutzkeller in Hannover, um 1942: „Wir traten aus dem Haus und sahen ringsum ein Flammenmeer.“

In Stuttgart

Als Angehörige des Jahrgangs 1925 habe ich die Kriegsjahre noch in sehr guter Erinnerung. Mein Elternhaus befand sich im Zentrum von Stuttgart in der damaligen Rotestraße, die heute Theodor-Heuss-Straße heißt. So habe ich jeden Luftangriff auf die Stadt miterlebt.

Unser vierstöckiges Haus mit der Nummer 25, erbaut 1897, stand zwischen alten Fachwerkhäusern. Es gab zwei Untergeschosse. Der große, untere Weinkeller wurde im Krieg zu einem „öffentlichen Luftschutzkeller“ hergerichtet, in dem auch die Bewohner der kleineren Nachbarhäuser sowie Passanten Zuflucht fanden.

Bis zum Sommer 1943 waren wir von Luftangriffen so ziemlich verschont geblieben, obwohl es immer wieder Alarm gab. In der Nacht vom 7./8. Oktober 1943 wollte ich trotz des Alarms mein warmes Bett im dritten Stock nicht verlassen, doch das Kreisen der Flugzeuge beunruhigte mich derart, daß ich die Verdunklungsvorhänge zurückzog. Der nächtliche Himmel war von Leuchtbomben, im Volksmund „Christbäume“ genannt, erhellt. Diese wurden gesetzt, um nachfolgenden Bombern die Abwurfstellen zu markieren.

Blitzschnell schlüpfte ich in meine stets bereitliegende Trainingshose und packte Mantel und Schuhe. Den ebenfalls bereitgestellten kleinen Lederkoffer mit Dokumenten und Wertsachen ließ ich in der Eile im Zimmer stehen. Ich rannte nur noch um mein Leben. Mit den Armen auf dem Geländer stürzte ich mich die Treppen hinunter und zog meinen Körper hinterher. Drei Stockwerke tiefer mußte ich ein kurzes Stück im Freien über den Hof, um zu den Treppen zu gelangen, welche in den Luftschutzkeller führten. Die Treppe jedoch war blockiert von anderen Nachzüglern, die zahlreiches Gepäck mit sich schleppten.

Von weitem schon hörte man die nahenden Bomber. In meiner Panik drückte ich die Leute vor mir die Kellerstufen hinunter. Hinter mir wurde die Bunkertür geschlossen und gleich darauf kam eine gewaltige Luftdruckwelle. Das Licht erlosch und wir lagen alle am Boden. Eine Luftmine hatte das Dach und den vierten Stock komplett abgeräumt. Man hörte noch das Aufschlagen der schweren Quadersteine vom 4. Stock auf die Straße. Dann war es totenstill; man achtete auf jedes Geräusch von draußen. Erst als das Licht wieder brannte, prüfte jeder, ob auch alle Familienangehörige in Sicherheit waren.

Da der ganze Hof mit Schutt bedeckt war, kamen wir durch die Notausgänge ins Freie. Über die Trümmerteile stieg ich in unsere Wohnung im 3. Stock zurück, doch im Stockwerk darüber sah man ins Freie. Es fehlte natürlich überall das Fensterglas und zu den Türen brauchte man keinen Schlüssel mehr. Aber mein vergessenes Lederköfferchen stand immer noch unbeschädigt bereit, allerdings mit Staub bedeckt. Noch heute besitze ich es.

Hilde Rimmelin

 

In Solingen

Am 4. November 1944, 14 bis 14.20 Uhr hatten angloamerikanische Bomber die südlichen Vororte meiner Hauptstadt Solingen im Bergischen Land angegriffen, vorwiegend mit Sprengbomben.

Mein Vater half meiner Tante dort beim Wegräumen der Trümmer. Ich selbst, 14 Jahre alt, half einer anderen Tante am südlichen Rand der Altstadt. Ihr Elektrogeschäft war nur noch ein Trümmerhaufen.

Am 5. November waren wir wieder beim Enttrümmern. Gegen 12.50 Uhr gab es erneut Vollalarm. Meine Tante und ich gingen in einen nahegelegenen Hochbunker. Kurz vor 13 Uhr wurde ich unruhig. Ich litt als Kind unter Asthma und konnte die stickige Luft in dem überfüllten Bunker nicht ertragen. Ich wollte unbedingt nach Hause, wo meine Mutter und Großmutter allein im Hause waren.

Meine Tante ermahnte mich noch, mich zu beeilen und schnell zu laufen. Ich lief so schnell ich konnte über den Alten Markt und durch die schmalen Gassen der Solinger Altstadt. Es war nicht weit, vielleicht 1,5 Kilometer Luftlinie.

Kaum im Haus, hörten wir die Flugzeuge. Wir gingen schnell in den alten Gewölbekeller unseres Hauses. Punkt 13 Uhr begann die Bombardierung der Altstadt.

Mit einem schrecklich heulenden Geräusch fiel eine Bombe nach der anderen. Die Detonationen der Sprengbomben und Luftminen ließen alles erbeben und zusammenstürzen. Wir kauerten im Keller auf dem Boden und hatten Wolldecken über unseren Köpfen, ein unzureichender Schutz für den Fall, daß Brocken von der Gewölbedecke herunterfielen.

Wir hatten unbeschreibliche Angst, Todesangst. Asche und Mörtelstaub waren durch die schmalen Kellerluken eingedrungen. Auf den Eimern mit Notrationen Trinkwasser lag eine zentimeterdicke Aschenschicht, wie wir nach dem Angriff sahen. Der Angriff dauerte 25 Minuten. Diese Minuten erschienen uns wie eine Ewigkeit. Als es draußen still wurde, kletterten wir aus dem Keller. Das Dach des Hauses war weg, alle Schieferplatten der Außenverkleidung des Hauses wie weggeblasen, und nur das alte Fachwerk stand noch wie ein Gerippe.

Dann kam das Feuer wie ein Sturm aus dem Zentrum der Altstadt. Funken und Rauch wurden immer gefährlicher. Der Rest unseres Hauses war nicht mehr zu retten. Zum Glück tauchte mein Vater auf, er hatte sich aus einem anderen Stadtteil zu uns durchgeschlagen. Wir waren froh, daß wir alle lebten.

Horst Becher

 

In Zeitz

Seit Pfingsten 1944 war unsere Familie nach zwei Luftangriffen auf die BRABAG, Werk Tröglitz, ausgebombt und bewohnte ein Behelfsheim in den westlichen Ausläufern des Thüringer Waldes im Kreis Zeitz. Das Gymnasium in der Stadt war nur mit dem Rad zu erreichen - ein Schulweg von acht Kilometern.

Eine neue Gefahr war aufgetaucht: Tiefflieger! Um die präzise schießenden Batterien der 14. Flakdivision, wo auch Oberprimaner Dienst taten, machten sie einen weiten Bogen, dafür griffen die Amerikaner wehrlose Zivilisten an. Personenzüge und einzelne Fahrzeuge, Ackerwagen und pflügende Bauern, Fußgänger und spielende Kinder waren Ziele für diesen Feind, dessen Soldaten bis weit in die Besatzungszeit hinein als ausgemachte Feiglinge galten.

Barg uns zu Hause der schützende Wald, so geriet man auf offener Landstraße in eine Todeszone - jeder Schulweg konnte der letzte sein. Im September gab es keine ruhige Stunde mehr. Es war auf dem Heimweg von der Schule, ein Nachmittag mit bestem Wetter. Ich hatte zwei Dörfer zu passieren, zwischen den beiden Orten lag eine erhöhte Fläche, von der aus man einen weiten Blick ins Elstertal mit der Bahnlinie Zeitz-Saalfeld hatte. Eine einzelne Maschine flog dort ziemlich tief in westlicher Richtung, das Motorengeräusch war gut zu hören. Sie bewegte sich parallel zu der Straße, die ich benutzte - Feindmaschine oder nicht? Wenn der Pilot in eine Linkskurve ging, kam er mir direkt entgegen!

Das ferne Dröhnen riß plötzlich ab: Der nimmt Gas weg, geht in die Kurve! Weg mit dem Rad von der offenen Straße, in Richtung R. gab es eine Senke mit Baumbestand und Hecken. Spurt! In die Pedale treten, was Lungen und Beinmuskeln hergaben! Die Straße führte schon bergab, Apfelbäume zu beiden Seiten, da war das Flugzeuggeräusch wieder da, schwoll an, wurde zum Brüllen, dann das rasende Hämmern von Bordwaffen - ich stürzte mich kopfüber aus dem Sattel in den Straßengraben. Dann war er über mir, für Sekunden sah ich das Gesicht des Piloten hinter der Kanzel, meinte, einen roten Schal erkannt zu haben. Und metergroß den weißen fünfzackigen Stern auf dem blauen Kreis - eine „Thunderbolt“!

Dann war der mörderische Spuk vorüber. In der Senke fand ich das Ziel, auf das er geschossen und es zum Glück verfehlt hatte - ein Pferdegespann. In Panik hatten die Tiere die Stränge durchgerissen, ich half dem Bauern, sie zu beruhigen und wieder an den Wagen zu bringen. Hinter R. gab es eine Obstbaumchaussee mit enger S-Kurve und schlechter Flugzeugeinsicht - jetzt war ich wohl sicher. Vielleicht 20 Meter vor dem Waldrand, war das Geräusch wieder da, schwoll zu einem Donner an: Runter vom Rad, rein in den Graben! Daß der mit Wasser gefüllt war, störte nicht. Ein ohrenbetäubendes Rattern setzte ein - diesmal schoß er auf mich, und er wußte, daß er auf einen halbwüchsigen Jungen feuerte. Als ich aus dem Graben kroch, lag beißender Gestank über der Straße, heruntergefetzte Zweige und Blätter bedeckten die Fahrbahn. Aber ich war unversehrt - der Wald ist dein Freund! Für diesmal war es überstanden.

Dr. Hans Teller

 

In Mainz

Es ist Ende September 1944. Der Feldzeugstab West hatte bei seinem Rückzug aus Frankreich das Heereszeugamt in Mainz-Kastell angelaufen. Kurz vor Einbruch der Nacht sind unsere Fahrzeuge am Straßenrand, entlang der 2 Meter hohen Einfaßmauer der Lagerhallen des Amtes, unter Ahornbäumen verborgen, abgestellt. Bei den Anwohnern auf der anderen Straßenseite finden wir Unterkunft und teilen mit den Quartierleuten unsere noch reichliche Verpflegung.

Die Nacht verlief ruhig. Der neue Tag bescherte einen wolkenlos blauen, sonnigen Himmel. Wir standen bei unseren Fahrzeugen und warteten auf Order für ein neues Marschziel. Gegen elf Uhr heulen die Sirenen. Kurz darauf taucht ein zweirumpfiges Feindflugzeug auf. Rasch begreifen wir, daß Zielmarkierungsbomben, Rauchbomben auslöst. Die Kameraden schlossen sich schleunigst den Zivilisten an und suchten den Bierkeller der Straße auf. Während ich noch das Niedergehen der Rauchbomben verfolge und eine davon sich vor einem unserer Fahrzeuge in den Boden bohrt, kommt auch schon die erste Welle der Bomber an. So schnell ich kann, stürze ich die Treppe zum Bierkeller hinab. Unten angekommen erschütterten die ersten Detonationen die Luft. In Türnähe suche ich Schutz und warte auf das Ende des Angriffs, das Aufhören von Motorengebrumm und Knallen berstender Bomben. Bei jedem Bombenteppich bebt die Erde und wackeln die Wände.

Endlich ist es soweit. Die Motorengeräusche entfernten sich. Stille. Nur das Knistern beginnender Brände dringt zur Türe herein. Ich springe nach draußen. Es ist fast Nacht. Rauch und Staub verdunkeln die Luft. Beginnende Brände beleuchten die Szene. Brandbomben auf unseren Fahrzeugen, auf Dächern und Trümmern. Durch die Straße fegt ein sich rasch verstärkender Sturm. Lange kann es nicht mehr gehen, dann kommt keiner mehr aus dem Keller. Brennende Balken und einstürzende Mauern werden die Ausgänge versperren oder verschütten.

Die Häuser am Rande brennen lichterloh. Die Feuerwehr ist dabei, Möbelstücke zu retten. Sind die verrückt? - Den Kommandanten schreie ich an: „Ist das wichtig? - Holt die Menschen, Kinder, Mütter und Frauen aus den Luftschutzkellern! Legt eine Schlauchleitung hinter der Zeugamtsmauer bis zum Bierkellereingang, bitte! Dort hat ein Bombentreffer die Mauer zerstört und einen Durchgang geschaffen.“

Eine ältere Frau bittet mich, mitzukommen. Sie führt mich zu einem kleinen betonierten Luftschutzkeller mitten auf dem Platz. In dem Raum sitzen Kopf an Kopf sechs bis zehn Jahre alte Schulkinder, rotbackig mit glasigem Blick. Tot. Ursache war vermutlich eine beschädigte Gasleitung.

Durch das offene Tor ins Zeugamtsgelände, sah ich, daß das Verwaltungsgebäude brannte und kriegsgefangene Franzosen unter der Aufsicht eines HauptmannsKarteien und Akten aus dem Verwaltungsgebäude holten.

Diese Entdeckung veranlaßt mich, ihn zu bitten, mir die Männer zu überlassen, um Kinder, Mütter und Frauen aus den Kellern zu holen. Als er dies verweigert, fragte ich ihn mit vorgehaltener Pistole: „Bekomme ich sie oder nicht?“ Er drehte sich um und ging wortlos weg. Die Franzosen hatten den Auftritt aufmerksam beobachtet und zugehört. Als ich ihnen zurief: „Camarades français, kommt mit, wir wollen die Frauen und Kinder retten“, folgten sie ohne Zögern. Durch die Mauerlücke kommen wir zur Kellertreppe. Der Zugang ist durch herabgestürzte Mauerteile und brennende Balken versperrt. Ein Kellerfenster des Nachbarhauses ist als Notausstieg gekennzeichnet. Einer muß einsteigen und die Menschen hierherholen. Als erstes kommen die Kleinkinder und ihre Mütter an der Reihe, dann die andern, die Männer zuletzt. Wir sind genug um eine Kette zu bilden und die Kleinkinder weiterzureichen. Hinter der Mauer legen wir sie ab. Dort sind alle vor der Feuerhitze geschützt, können sich vom Schock erholen. 

Eberhard Krehl

 

In Augsburg

Am 25. Februar 1944 heulten Heimatstadt Augsburg die Sirenen wie gewohnt, aber dieses Mal hörten wir das Krachen von Bombeneinschlägen. Meine Mutter ging in die Wohnung hinauf und erzählte mir, daß die einzige Stabbrandbombe in mein Puppentheater gefallen sei, daß ich erst kürzlich zum 10. Geburtstag bekommen hatte. Wie meine Mutter vom Brandwart gelernt hatte, konnte sie die Bombe mit Sand und Wasser aus der Badewanne irgendwie „entsorgen“.

Furchtbares Prasseln und Dröhnen kündigte dann die zweite Bombenwelle an. Obwohl unsere Wohnung direkt gegenüber vom historischen Zeughaus lag, in dem die Feuerwehr untergebracht war, konnten die Männer wegen der großen Kälte - es herrschte minus 27 Grad - nichts ausrichten. Das Wasser in den Schläuchen war gefroren. Da das alte hölzerne Treppenhaus brannte, niemand durfte mehr den Keller verlassen. Als mit der dritten Welle Sprengbomben detonierten, brachen große Brocken aus der Gewölbedecke auf uns herunter. „Wir müssen hier raus“, schrie der Hausmeister, aber die Türen waren zugeschüttet. Mit Schaufeln und bloßen Händen machten einige Männer ein hochgelegenes Kellerfenster frei und halfen uns, ins Freie zu kriechen. Wir sollten in der Krypta der nahe gelegenen St. Moritz Kirche Schutz suchen. Als wir über den mit Schutt und geborstenen Schläuchen bedeckten Zeugplatz hasteten, drehte ich mich um und schrie entsetzt: „Mutti, aus allen unseren Fenstern kommt Feuer!“

Im Keller der Kirche saßen schon viele Leute. Ein kleines Kind weinte laut, und die Mutter sagte entschuldigend, daß der Kleine nur ins Töpfchen mache. Ein junger Soldat gab ihr seinen Stahlhelm.

Morgens verließen wir alle den Keller. Meine Mutter schrieb an die ausgebrannte Fassade unseres Hauses, daß wir beide am Leben seien, denn mein Vater und meine drei Geschwister waren in Rußland, auf See und beim Arbeitsdienst. Durch die mit Trümmern bedeckten Straßen liefen meine Mutter und ich zum Haus einer befreundeten Familie. Als wir endlich das unzerstörte Haus erreichten und erwartungsvoll klingelten, öffnete die Dame und rief: „Allmächtiger, wie seht ihr denn aus! Ihr macht mir ja meine Teppiche schmutzig!“ Wortlos drehte sich meine Mutter um und wir gingen.

Julia Poser

 

Foto: Zerstörte Altstadt von Nürnberg: „Von weitem schon hörte man die nahenden Bomber. In meiner Panik drückte ich die Leute vor mir die Kellerstufen hinunter.“

 

In Berlin

Vorort von Berlin, Pankow-Heinersdorf, Gartenviertel mit schönen Häusern. Aus einem Kellerraum meines Elternhauses wurde ein Luftschutzkeller, die Decke abgesteift mit gehobelten Baumstämmen, Bänke, Stühle, ein zugedecktes Billard mit Taschen und Koffern belegt, Regal mit Lebensmittel und Wasserflaschen, eine große Zinkwanne mit trüben schillerndem Wasser, Eimer mit Sand, Schöpfkelle, Handtücher, Decken, Kerzen, Streichhölzer, Verbandsmaterial, Gasmasken, Stahlhelme, Taschenlampen und Batterien vervollständigten den Raum. Draußen am Zaun ein Schild „Luftschutzkeller“.

Bereits als Kinder wurden wir vertraut gemacht mit: Verhalten bei Luftangriffen, Gasmaskengebrauch, Brandbekämpfung, Erste Hilfe. Die Frauen aus der Nachbarschaft mit den Kindern (Männer gab es fast nicht mehr) kamen bei Fliegeralarm angerannt.

Auf einer Wiese, circa zehn Minuten Fußweg, standen vier Flakgeschütze, 8,8, und zwei große Scheinwerfer, Splittergraben, Unterstand, Deutsche Soldaten. Auf der anderen Seite, circa 20 Minuten Fußweg, war der Verschiebebahnhof Pankow-Heinersdorf. Die Züge mit Soldaten und Munition fuhren Richtung Osten. Wurde ein Zug von Bomben getroffen, explodierte die Munition circa zwei Tage und Nächte, so benötigten die anfliegenden Bomber keine „Weihnachtsbäume“ um die Gegend auszuleuchten.

Nachts, (später auch am Tage, 1944 an meinem 11. Geburtstag, gab es viermal Luftalarm), Sirenengeheul, Voralarm gab es nicht mehr, Gänsehaut, der Darm spielt verrückt, schnell anziehen, mehrere Kleidungsstücke, die griffbereit der Reihe nach lagen, übereinander. Türen und Fenster öffnen, Fußgetrappel, Stimmengewirr, Weinen der zwei müden Babys. Dann flackert im Keller das Licht, es geht aus, eine Kerze anzünden. Insgesamt sind 18 verängstigte Personen im Luftschutzraum, blaß und müde. Das Brummen der Bomber ist zu hören. Ohrenbetäubender Lärm der nahen Abwehrflak, Jaulen der weiter entfernten Bomben. Dann wackelt das Haus, die Wand im Rücken bebt, Mutter wirft sich über mich, Staub erfüllt den Raum. Totenstille. Wo hat es eingeschlagen? Draußen kehrte Ruhe ein, Entwarnung. Jeder rennt nach Hause - ist es noch vorhanden? Mutter und ich gehen durch sämtliche Räume. Auf dem Dachboden (mit Sand bestreut, Zinkwanne und Eimer mit Wasser) liegen drei rot/silberne Stabbrandbomben, eine zündet gerade. Ohne nachzudenken, greifen und aus dem nunmehr scheibenlosen Dachfenster in den Vorgarten werfen. Viele Dachziegel fehlen, hoffentlich regnet es nicht. Die Haustür mit Rahmen und etliche Rabitzwände sind eingedrückt, weitere Fensterscheiben sind raus.

Auf dem unbebauten Nachbargrundstück war jetzt ein riesiger Bombentrichter. Wir haben noch mal überlebt! Zwei Straßen weiter wohnten Tante und zwei Cousinen, circa 12 und 2 Jahre alt. Entsetzen, das Haus ist völlig zerstört, auch die Nachbarhäuser. Aber sie haben im ebenfalls abgesteiften Keller überlebt.

Lore Kastler-Lindig

 

In Aachen

Am 11. April 1944 wurde Aachen wieder von einem Terrorangriff heimgesucht. Meine Eltern, meine kleine Schwester und ich, gerade 13 Jahre alt geworden, befanden uns in einem Keller der Volksschule Reumontstraße. Der Keller war zu einem öffentlichen Luftschutzraum umgestaltet worden.

Zur Zeit des Terrorangriffs befanden sich circa 120 Personen in dem Luftschutzraum. Die Bombeneinschläge im Umfeld der Schule ließen das große Gebäude beben. Die Bombe, die die Schule traf, verursachte einen harten Schlag. Dann erst verlöschte das Licht, kein Schrei, alles war totenstill. Das Atmen wurde durch den Mörtelstaub schwer. Taschenlampen wurden eingeschaltet. Man sah dann, daß sich die nachträglich aufgemauerten Steinpfeiler von der decke gelöst hatten, einzelne Steine heruntergefallen waren. Der Zugang zum Keller war verschüttet, der Notausgang zerstört. Wir waren eingeschlossen. Einige Stunden später wurden wir von Soldaten herausgeholt.

Die umliegenden Häuser brannten lichterloh. Einige versuchten vergeblich, ihre Habseligkeiten aus den zusammenbrechenden Häusern zu retten.

Ein junger Soldat brachte den Oberkörper, ohne Kopf und Arme, eines jungen Mädchens, mit dem wir noch am Abend gesprochen hatten, aus einem Haus. Es war nur noch an den bunten Kleiderfetzen zu erkennen. Unser Haus war nicht mehr zu retten, es war ausgebrannt. Gegen Morgen standen mein Vater und ich vor dem Haus meines Onkels. Helfer hatten den Kellerzugang freigelegt. Auf die Frage nach Überlebenden wurde auf einen Eimer gezeigt in dem menschliche Überreste lagen. Gegen zehn Uhr versuchten mehrere Leute von einem freien Grundstück aus, über eine Leiter auf den Hof eines Hintergebäude zu gelangen. Fast alle Personen, bis auf eine hochschwangere Frau und ein Kind waren schon über die Mauer geklettert, als eine Zeitzünderbombe explodierte. Man hat von all diesen Leuten nichts mehr gefunden. 

Alfred Spicher

 

In Würzburg

Am Freitag, den 23. Februar 1945 mußten wir unsere Werkswohnung im Städtischen Gaswerk räumen, da schon mehrere Male die Eisenbahnlinie Frankfurt/Würzburg in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs durch Luftminen vergeblich angegriffen worden war. Mein Vater war seit Kriegsbeginn Betriebsleiter des Kriegswichtigen Betriebs der kleinen Großstadt. Ihm unterstanden über 120 Bedienstete, 60 Prozent Kriegsgefangene, Sträflinge, Dienstverpflichte. Er freilich wurde nicht mit evakuiert an jenem sonnigen Mittag.

Während also Möbel und Hausrat gegen zwölf Uhr von unseren Eltern und zwei Lettländern mehr oder minder sachgerecht auf einen LKW Marke „Holzvergaser” verstaut wurden, meine Schwester (7) und ich (10) und weitere 50 Zivilisten etwa eine Stunde im Keller auf „Entwarnung“ harrten, fielen plötzlich Bomben. Dem Luftschutzbeauftragten, der sich mit anderen „Kellerkindern“ arglos unterhielt, schlug heftig die eiserne Tür ins Kreuz, er bekam kaum noch Luft und wurde auf den Betonboden gebettet.

Bald darauf heulte die Werksirene „Entwarnung“, etwa eine halbe Stunde später fuhren der LKW-Fahrer Franz, meine Mutter und wir beiden Kinder los. Franz nahm vorsorglich einen Schnaps aus seiner Schnapsflasche, denn einiges Unvorhersehbare erwartete ihn als den Hauptverantwortlichen ­­...

Nach einem Kilometer Fahrt kamen wir zu einer Flakstellung, etwa 500 Meter Luftlinie oberhalb des Hauptbahnhofs, in den Weinbergen „positioniert“. Sie war durch einen Volltreffer „ausradiert”. Zwei Flakhelfer, nur sechs Jahre älter als ich, denen die Gedärme aus ihren Leibern hingen, krochen auf der Straße. Für den LKW gab es kein Durchkommen. Also zurück, den Berg hinunter, am Main-Ufer entlang, ganz um die Stadt herum, zur Nürnberger (Ausfall)straße, etwa zwei Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt.

Dort angekommen, stiegen zehn Wehrmachtsangehörige, die im Hauptbahnhof aus einem dort stehenden Truppentransporter lebend davongekommen waren, auf unseren LKW, beseelt nur von dem einen Gedanken, „raus aus jenem Unglücksort, wohin auch immer!“ Meine Mutter fing an, leise vor sich hinzuweinen. 

Werner Harth

 

In Jena

Am Morgen des 19. März 1945 hatte ich Onkel Hugo bei der Befehlsausgabe an den Volkssturm zugeschaut, denn wegen des ständigen Fliegeralarms fand kaum noch Unterricht statt. Mit bedeutungsvollem Blick in den klaren Frühlingshimmel forderte der Onkel mich auf, mit ihm die Vernebler zu kontrollieren.

Die Vernebler, ein Trupp russischer „Freiwilliger“, bedienten die Nebelfässer auf den umliegenden Berghöhen. Sie trugen deutsche Drillichuniformen und wurden vom Volkssturm bewacht. Wir trieben uns oft bei ihnen herum, sie verstanden ganz gut Deutsch, und auch wir hatten uns ein paar Brocken Russisch angeeignet. Von der Nebelstellung aus hatten wir eine gute Sicht auf die Stadt. Die Sonne lockte erstes Grün aus dem Boden, Amseln zwitscherten, alles schien so friedlich. Doch schon um zehn Uhr gab es Voralarm, die Sperrballons wurden hochgelassen und zwei von den Russkis, wie wir die Vernebler nannten, brachten die Sprühvorrichtungen an den Nebelfässern an. Dann heulten die Sirenen, die Ventile wurden geöffnet und langsam waberte ein hellgrauer, übelriechender Nebelteppich über unsere Stadt.Erstes Flugzeuggebrumm war zu hören, rechts von uns sahen wir am Horizont die verhaßten Kondensstreifen: Ein Bomberpulk flog unsere Stadt an. Die Flakbatterien auf den Höhen begannen zu feuern, und deutlich waren die explodierenden Geschosse zwischen den silbern glitzernden Flugzeugen zu sehen.

Dann ein Dröhnen, als fahre ein Güterzug über unsere Eisenbahnbrücke, welches schließlich in ein tosendes Brausen und in ein durchdringendes Pfeifen überging, Blitze zuckten durch den Nebelteppich nach oben, Rauchpilze folgten, die Erde bebte, und ein bretterndes Bersten erfüllte die Luft. Zitternd preßten wir uns an die vordere Grabenwand und warteten keuchend ab, bis die Detonationen fast aufhörten und die Bomber am Horizont verschwunden waren. Dann wagten wir vorsichtig einen Blick über den Rand des Splittergrabens. Der Nebel verzog sich zur anderen Talseite hin und gab den Blick auf die halbe Stadt frei, über die nun eine riesige schwarz-graue Qualmwolke emporquoll, unter der es immer wieder explodierte.

Da krachte nur einige Meter unter uns eine Bombe in den Hang. Gesteinsbrocken flogen über uns hinweg, Erde rieselte auf uns nieder, und der Onkel wurde von einem Stein getroffen. Seine Parteimütze fiel auf die Erde, Blut sickerte aus einer Kopfwunde. Einer der Russkis zog ein Verbandspäckchen aus seiner Jacke und legte dem Onkel behutsam einen Kopfverband an, während es immer noch um uns her fürchterlich grummelte, dröhnte und barst.

„Wenn jetzt eine Bombe auf uns fällt, dann ist alles aus!“, schoß es mir durch den Kopf. Wimmernd drückte ich mich in eine Grabenecke...und hatte die Hose voll. Der Onkel reichte dem Russki die Hand und sagte mit fester Stimme: „Danke, Kamerad!“ Der antwortete nur „Karascho“ und reichte ihm die Mütze. Dann waren die Flugzeuge verschwunden.

Wolfgang Woschny

 

In Stuttgart

Als in der Nacht vom 19. auf den 20. Oktober 1944 in Stuttgart-Bad Cannstatt Fliegeralarm gegeben wurde, war ich einige Tage zuvor aus der KLV Rottweil nach Hause gekommen. Radio Stuttgart hatte kurz vor dem Alarm seinen Sender Mühlacker „wegen Annäherung feindlicher Bomberverbände“ abgeschaltet, was nichts Gutes bedeutete. Als Schutzbunker war dem Bahnhofsstadtviertel der Luftschutzbunker im Bahnhof Cannstatt zugeteilt. In den Bunkern und Kellern der Stadt konnte man über Drahtfunk die Luftlage empfangen, die aus einer Zentrale in der Stadtmitte alle 5 bis 10 Minuten durchgegeben wurde. Die Decke des Luftschutzbunkers war vor einiger Zeit so verstärkt worden, daß sie einem Volltreffer widerstehen konnte, aber erst die eine Hälfte war fertiggestellt.

In zehn Minuten waren die Eltern und ich, der 14jährige Sohn, mit je einem Köfferchen in der Hand durch die Sperre mit den Schalterhäuschen hindurch nach hinten in den Bunker marschiert. Gleich darauf wurde die schwere, eiserne Bunkertür mit Handrädern durch ein paar alte Luftschutzmänner verriegelt. Dann setzte ein nie gehörtes Wummern und Erschüttern durch Detonationen ein, die nur eins verkündeten: Diesmal ist es ernst.

Manche Stunde zuvor hatten die Eltern schon im Bunker verbracht, immer waren andere Städte oder Stadtteile dran, es hieß dann: blinder Alarm. Die Gesichter der alten Männer, die an der Tür standen, wurden immer bedenklicher. Die anderen Leute saßen stumm auf ihren Holzpritschen.

Als nach einer halben Stunde keine Detonationen mehr zu hören waren, wurde die Bunkertür geöffnet und wer wollte, der konnte den Bunker verlassen. Der Vater und ich rannten hinaus. Da war nichts mehr, wie es vor einer halben Stunde war. Durch die großen, leeren Fenster- und Türhöhlen der Bahnhofshalle waren Brände zu sehen. Die Schalterhäuschen waren weg. Schutt und Glassplitter bedeckten den Boden, Drähte hingen herab. Der Bahnhofsplatz war fast nicht mehr wiederzuerkennen. Mauerbrocken und Glassplitter lagen herum, Brände flackerten ringsum auf und es qualmte gewaltig aus manchen Fensterhöhlen. Das Eckhaus und das Haus in der Eisenbahnstraße daneben, die meinem Großvater gehörten, standen zwar noch, aber wie! Alle Häuserdächer waren abgedeckt, die Oberleitungen der Straßenbahn hingen durch bis auf den Boden, Masten abgeknickt, leere Fenster- und Türhöhlen glotzten, Zwischenwände waren weggeblasen. Meinem Vater ging es nur noch darum, seinen geliebten Rundfunkempfänger, mit dem man auch Radio Beromünster empfangen konnte, wenn irgend möglich zu retten. Er sprang voran ins Haus, ich hintendrein. Treppen waren nicht mehr zu erkennen, weil kniehoch mit Schutt bedeckt. Ich stolperte empor, konnte aber nicht mehr sehen, auf welchem Stockwerk ich war und konnte auch unsere Wohnung nicht mehr erkennen in der Aufregung. Bei einem Blick von oben auf ein Nachbarhaus sah ich, daß der Dachstuhl brannte, also nichts wie zurück auf die Straße. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die nicht bebaut war, unter einer Platane, stand mein Vater mit seinem Radioapparat unter dem Arm. Meine Mutter weinte nur noch.

Die Bewohner standen auf der anderen Straßenseite ihrer Häuser und hatte die paar Habseligkeiten, die sie noch heraustragen konnten, an der Mauer abgestellt. Sie standen da und schauten zu, wie ein Dachstuhl nach dem andern Feuer fing und wie sich das Feuer in kurzer Zeit von oben nach unten durch die Geschosse fraß. Zu retten war nichts, das Ausmaß der Schäden war zu groß, Hilfe oder gar Feuerwehr gab es nicht. 

Hans Kleiber

 

Foto: Bombenabwurf über deutschen Städten: „Auf die Frage nach Überlebenden wurde auf einen Eimer gezeigt, in dem menschliche Überreste lagen.“

 

In Schwelm

Auf einem Trümmerberg in der Bahnhofstraße habe ich mit einem alten Holzbeil Mörtel von Ziegelsteinen für den Wiederaufbau abgeschlagen. Diese Aufgabe war im allgemeinen Interesse und diente zur Erlangung der damaligen Lebensmittelkarten, bevor unser Gymnasium später wieder eröffnet werden konnte. Das Stadtzentrum der kleinen Stadt Schwelm, im damaligen Westfalen, wurde mit den Kirchen beider Konfessionen am hellichten Tag durch Brand- und Sprengbomben zerstört.

Urplötzlich mußte ich den Schutz einer Kanalbetonröhre aufsuchen, denn Jabos, die auf alles schossen, was sich nur bewegte, flogen an. Splitter der geworfenen Bomben wurden von einem Versteck abgefangen. Ich war zu dieser Zeit, Anfang März 1945, Schüler, 15 Jahre alt und Zivilist.

Einige Tage später, am 12. März, rückten die Amerikaner an und schossen mit Panzergranaten in die im Tal liegende, unbefestigte Stadt. Die Zivilbevölkerung gab mit weißen Tüchern den Amerikanern zu verstehen, daß sie sich ergeben wollte. Einige versprengte deutsche Soldaten gaben mit ihren Karabinern einige Schüsse in die Luft ab. Die Bewohner hatten Angst und holten die weißen Tücher wieder herein. Darauf schossen die Amerikaner mit ihren Geschützen bis zum nächsten Morgen ohne jeden Widerstand, d.h. über 20 Stunden, in die Stadt. Eine Granate traf uns im Luftschutzkeller und tötete 4 Bewohner unseres Hauses, darunter auch meinen Vater. Sie zerstörte auch unsere Wohnung. Das Haus wurde regelrecht ausgehöhlt. Die Amerikaner besetzten die Stadt ohne jeden Widerstand. Ergebnis dieser „Aktion“: über 80 sinnlose Tote. 

Herbert Hilpert

 

In Stuttgart

Sommer 1944: Vom Nachbarhaus war -Luftmine - nur ein Schuttberg geblieben. Künftig ging man übers Treppenhausfenster im 1. Stock über den Trümmerberg ein und aus. Die Decke vom Stockwerk darüber hing durch, die Fenster waren mit Brettern vernagelt, ein Drahtglasfensterchen inmitten. Gab es kein Wasser, hieß es mit Eimern auf den Wasserwagen warten. Gas gab es von/bis Uhr, wurde bekanntgegeben. Nach schweren Angriffen wurden Sonderzuteilungen aufgerufen.

Wir hatten immerhin noch ein Dach überm Kopf, einen tiefen Keller und als Fluchtweg immer noch vier der sieben Kellerdurchbrüche. Der nach Meinung Überflüssige, den mein Vater allein in seinem kurzen Fronturlaub gegraben hatte, war der Lebensrettende nicht nur für uns Kinder (8,4,2 Jahre, die Jüngste, keine 4 Monate alt), meine Mutter, für Herta, unser Pflichtjahresmädchen, sondern auch für 16 weitere Familien, als wir im September 44 dann voll ausgebombt waren und von uns nichts als ein kleines Schmorbündel übriggeblieben wäre (ein schockierender Anblick am Folgetag, um die Mittagszeit, bei kohlrabenschwarzer „Nacht”). Evakuierung nach Grailsheim, Schöneburgallee. Kein richtiger Keller, nur Untergeschoß. Bei Alarm ging man die Allee lang in den Wald hinaus - bis Tiefflieger die Allee beharkten. Also blieben wir zusammen, eng beieinander; entweder trifft’s uns alle - oder wir haben Glück.

Mit Einbruch der Dämmerung rollte ununterbrochen bis zum Morgengrauen der Nachschub zur Front vorbei. Beinahe Nacht für Nacht aber auch Alarm und Bombardements (bei dem auch der Russe getötet wurde, der den Tag zuvor uns den Sack vom Koksklauben mit einem „Frau, viel zu schwer“ abgenommen und zu unserem Leiterwägelchen getragen hatte). Tagsüber indes flogen die Silberströme amerikanischer Bomberflotten vorüber.

Nun hatte meine Mutter einen Bezugsschein für ein paar Schuhe für mich erhalten. In Grailsheim aber waren alle Schuhgeschäfte zerbombt. Von der Großmutter in Stuttgart kam Nachricht, daß ich ihn dort noch einlösen könnte. Also fuhr der 8jährige erstmals alleine Eisenbahn, bekam in Stuttgart keine Schuhe, konnte aber nicht zurückfahren, da die Bahnstrecke unterbrochen war. Den ersten nächtlichen Alarm im Mahlebunker, zu Haus bei der Oma, im ersten Schlaf: Ein Höllenspektakel, grad als wenn Tiefflieger das Dach schrammen würden. In den Unterstand im Garten (die Häuschen hatten nur dürftige Keller) trauten wir zwei uns nicht mehr; vielleicht in den Keller? Doch die Kellertreppentür klemmte. Also ins Gartenzimmer gesetzt, eng an die Oma gepreßt. Im gleichen Augenblick auch schon ein harter Schlag auf den Kopf. Das war die Decke, das Leben - war der letzte Gedanke. Irgendwann, hoffend, wieder am Leben: Hinter der letzten stehengebliebenen Wand. Mine vorm Haus, die ganze Vorderfront weggerissen. Was wir als „Decke“ empfunden hatten, mußte die schwere, nun völlig zertrümmerte, Perpendickel-Wanduhr gewesen sein.

Uwe Möller

 

In Berlin

In der Nacht zum 23. August 1943 war die Reichshauptstadt das Ziel britischer Fliegerangriffe. Viel mehr wußte man nicht, als ich zwei Tage später eine Rückreise von Waldheim in Sachsen nach Berlin antrat. Gerüchte über große Zerstörungen machten die Runde, und der überfüllte Zug kam nur stockend voran; bis zum Anhalter Bahnhof brauchte er etwa die doppelte Fahrtzeit. Die Einfahrt nach Berlin zeigte inzwischen die gewohnten „Fliegerschäden“ neben unversehrten Abschnitten.

Ab Anhalter Bahnhof nahm ich die intakte S-Bahn und bestieg in Schöneberg den Zug in Richtung Westkreuz-Nordring. Kurz vor der Station Innsbrucker Platz überquerte die Bahn die Hauptstraße und gab den Blick auf die gegenüberliegende Ecke Innsbrucker Platz 3 / Hauptstraße 96 frei. Geschwärzte Fensterhöhlen im 4. Stock zeigten unmißverständlich, daß der Brand unsere ganze Wohnung zerstört haben mußte. Was war sonst noch geschehen? Im Hauseingang war ein Zettel mit Mutters Handschrift befestigt: „Wir leben und sind in Zehlendorf.“ In der niederdrückenden Katastrophenstimmung, die mich an diesem sonnigen Augusttag ergriff, gab es einen seltsam unbeteiligten Abschied vom Ort unseres „Totalschadens“, in der Hand den Koffer mit den einzig verbliebenen Habseligkeiten. Eine Stunde darauf erlebte ich die Erleichterung und Freude, die Eltern und den damals noch lebenden Bruder wohlbehalten vorzufinden. Im Häuschen der Großeltern unter einem intakten Dach vermittelte die Gewißheit totalen materiellen Verlustes allenfalls ein Gefühl unbestimmter Gleichgültigkeit gegenüber den nun hart zur Geltung kommenden Umständen des Alltags, blieb aber ohne Vergleich mit der katastrophalen Wucht der ein halbes Jahr später eintreffenden Todesnachricht meines Bruders aus Rußland.

Im April 1944 höre und sehe ich die vormittags längs des Teltowkanals von Westen her angreifenden US-Bomber. Es ist ein himmelblauer Frühlingstag. Über uns dröhnen die in Formation ankommenden Geschwader, hinter sich die wie mit dem Lineal gezogenen Kondensstreifen. Mein Standort, die „Villa Reinhard“, liegt östlich der Machnower Schleuse und knapp ein Kilometer südlich des Kanals neben einem Kiefernwäldchen. Dort ist das Rechnungswesen meines Ausbildungsbetriebes, der Firma Heinrich List, untergebracht. Der Betrieb liefert Schwachstromausrüstungen an Flugzeughersteller, zur Zeit vorrangig im „Jägerprogramm“. Während des Alarms habe ich den unzulänglichen, kaum gedeckten Luftschutzkeller unter einem Schuppen verlassen und stehe im offenen Abgang zum Aktenbunker. Der Körper befindet sich in angespannter Erregung und empfängt die anschwellende Vibration der brummenden Flugmotoren wie die Grundmelodie einer dramatischen Entscheidungssituation. Die Anspannung wandelt sich noch nicht in elementare Angst, sondern in eine Art erotischer Euphorie über das (kaum glaubliche, aber unverlierbare) Befreiungserlebnis der offenbaren Machtlosigkeit unseres Zwangssystems, dessen Ende scheinbar zum Greifen näherkommt.

Dann kracht, etwa einen Kilometer stadteinwärts, die Explosion der ersten Bombenladung, gefolgt vom rollenden und trommelnden Bersten des Sprengbombenteppichs, der die Erde unter dem nun am Boden Kauernden und Zitternden beben läßt.

Das Zerstörungswerk an den Industrieanlagen und Wohnhäusern in Teltow beginnt direkt hinter den Fertigungswerkstätten meines Betriebes.

Dr. Martin Kühnau

 

In Wuppertal

Es war der 30. Mai 1943. Ich war zwölf Jahre alt und lebte mit meiner Mutter und einem jüngeren Bruder in einer Siedlung am Stadtrand von Wuppertal. Mein Vater war zur Wehrmacht eingezogen worden. Nachts weckte uns - wie fast jede Nacht in den letzten Monaten - der auf- und abschwellende Ton der Sirenen: Vollalarm. Das bedeutete unmittelbare Gefahr für die Stadt. Schlaftrunken und notdürftig bekleidet, einen stets gepackten Koffer in der Hand, rannten wir in den Keller des mehrstöckigen Gebäudes. Noch auf der Treppe hörten wir das tiefe Dröhnen der Bombergeschwader und die ersten Einschläge. Beim Licht einer Kerze - die Elektrizität war ausgefallen - horchten die Hausbewohner voller Angst auf das infernalische Heulen der herabsausenden Bomben und die lauter werdenden Detonationen. Plötzlich eine gewaltige Explosion in unmittelbarer Nähe. Eine Druckwelle - obwohl gemildert durch eine Schutzwand vor der Kellertreppe - warf uns zu Boden. Das ängstliche Weinen der Kinder vermischte sich mit den Schreckensschreien und Schmerzlauten der Erwachsenen, von denen einige durch hereinfliegende Steine oder Splitter verletzt worden waren. Auf dem Boden kauernd verbrachten wir bei völliger Dunkelheit eine weitere angstvolle Stunde, bis das Bombardement aufhörte.

Wir arbeiteten uns die halbverschüttete Kellertreppe zur Straße herauf. Es gab keine Wände und keine Treppen nach oben mehr; die gesamte Vorderfront des Hauses war herabgestürzt. Die Szenerie war die eines Alptraums: Unsere Straße hatte sich in eine chaotische Trümmerwüste verwandelt, umrahmt von lichterloh brennenden Häusern in der Nachbarschaft. Kopflose, verstörte und weinende Menschen irrten umher auf der Suche nach Angehörigen, Frauen und Kinder mit Verletzungen wurden im Freien notdürftig versorgt und verbunden. Das uns gegenüberliegende, ebenfalls vierstöckige Gebäude war völlig zusammengefallen und nur noch ein Trümmerhaufen. Nach mehrstündigem Graben konnte die Kellertreppe freigelegt und die Verschütteten, bis auf zwei Tote, befreit werden.

Der nächste Tag war sonnig, doch in Wuppertal herrschte Dämmerlicht: Der Rauch der gewaltigen Brände verdunkelte die Sonne. Meinen Versuch, zu den Großeltern in die Innenstadt zu gelangen, mußte ich aufgeben. Die Straßen waren durch Hitze, Rauch und Schutt unpassierbar geworden. Vor einem Haus, an dem ich vorbeikam, hatten Rettungsmannschaften eine Anzahl halbverkohlter Leichen aufgeschichtet, ein Anblick, der mich jahrelang in Träumen heimsuchte.

Achim Balters

 

Foto:Kreidenotiz an der Wand eines ausgebrannten Wohnhauses in Berlin, um 1944: „Der Rauch der gewaltigen Brände verdunkelte die Sonne.“

 

In Ludiwgshafen/Mannheim

Ich glaube, ich bleibe bei den Großangriffen, die kurz hintereinander, am 22./23. August und dann am 5./6. September 1943, genau vor 60 Jahren, auf Ludwigshafen/Mannheim herabprasselten und den Niedergang bei der Städte bedeutete. Schon beim ersten Heulton der Sirene war man hellwach, Magen und Darm reagierten sofort, der erste Weg führte zur Toilette, alles andere funktionierte automatisch, anziehen, das Köfferchen mit den wichtigsten Papieren in der Hand, ab in den Keller, warten und hoffen wieder heil emporzusteigen.

Aber dieses Mal sollte es ganz dicke kommen, wir ahnten aufgrund der Flugzeuggeräusche das schlimmste, und gleich nach der ersten Detonation war der Strom weg. Es ging Schlag auf Schlag, alles war dem Bombenhagel ausgeliefert, Fensterscheiben gingen zu Bruch, Türen aufgerissen, wir spürten einen Luftzug, automatisch haben wir uns, mein Vater und ich hingekniet. Wir bangten um meine Mutter und hofften, daß sie noch rechtzeitig den Bunker erreicht hat. Es roch bis in unseren Keller verbrannt. Der Spuk ebbte ab, und wir machten gleich einen Rundgang durch unser Haus, das beschädigt, aber nicht unmittelbar von einer Bombe getroffen war. Erst als wir nach draußen gingen sahen wir Flammen, mein Vater zögerte nicht lange, ging querfeldein zu dem brennenden Haus. Ein Junge aus der Nachbarschaft und ich, als 17jährige, wir waren etwas vorsichtiger und blieben auf der Straße, bis ich aus einem Haus Rauch aufsteigen sah, wir tasteten uns ins Haus, die Treppe empor zum Dachboden. Es war nur ein Schwelbrand, den wir mit Sand ersticken konnten, dank der pflichtgemäß bereitgestellten Sandsäcke. Jetzt ging es zum nächsten Brandherd, da hatte sich bereits eine Kette gebildet, die Wassereimer von einem zum anderen reichten. Irgend jemand forderte mich auf nach meiner Mutter zu sehen, die im Bunker schlappgemacht hatte. In der Ortsmitte von unserem Stadtteil lag vieles in Schutt und Asche, Menschen waren darunter begraben, der Brandgeruch hielt sich tagelang in der Luft.

Der zweite Großangriff übertraf den ersten, genau wo der endete, begann, wie mit einem Lineal gezogen, der zweite, mit einer noch fieseren Methode, erst wurden Phosphorbomben geworfen, hinterher Sprengbomben. Menschen rannten in der gruseligen Dunkelheit, wie Gespenster, um das nackte Leben in Richtung Bunker. Dieses Mal wollte ich mit meiner Mutter ebenfalls in den Bunker, aber auf dem Weg dorthin leuchteten schon die Christbäume über uns. Ungefähr hundert Meter vom Bunker entfernt sind wir in ein wildfremdes menschenleeres Haus geflüchtet. Haustüren durften nicht abgeschlossen werden, das war unser Glück. Wir tappten im dunkeln an der Wand entlang, Treppe für Treppe in den fremden Keller. Ein Volltreffer, und wir wären als Vermißte registriert worden.

Dieses Mal war die Innenstadt an der Reihe, die dichter besiedelt war und höhere Häuser hatte. Dadurch entstanden gespenstische Ruinen und größere Schuttberge, die mit Hilfe aller nach und nach beseitigt wurden, damit auch die Toten geborgen werden konnten. In Schulen, die ausnahmsweise heil geblieben waren, hat man Notunterkünfte eingerichtet, dort wurden alle Ausgebombten namentlich erfaßt. Dadurch konnte festgestellt werden, wer unter den Trümmern begraben lag. Wer keine Bleibe hatte, ging ins Umland zu Verwandten oder Bekannten. Auch Zwangseinquartierungen wurden durchgeführt. Es gab keine Familie, die nicht davon betroffen war.

Margot Mahner

 

In Oranienburg

Der erste Terror-Bombenangriff auf Oranienburg b. Berlin fand am 6. März 1944 in der Mittagszeit statt. Aus einem amerikanischen Bombenverband, der sich auf dem Rückflug von Berlin befand und ihre Bomben über Berlin nicht ins Ziel bringen konnten, bombardierten die Mittelstadt und Teile der Altstadt links und rechts der Bundesstraße 96, die durch Oranienburg führt. Es gab in diesem Abschnitt keine nennenswerte Industrie, so wurden nur Geschäfte, Wohnhäuser, das Krankenhaus leicht, das Kino (Filmpalast) Rathaus, Waisenhaus, das Schloß Oranienburg, die Kirche und das Pfarrhaus sowie andere zivile Einrichtungen getroffen. Dabei mußten der Pfarrer, Kirchendiener und zahlreiche Gemeindemitglieder ihr Leben lassen.

Die B 96 führte weiter durch die Sachsenhausener Str. in Richtung Norden. In der Sachsenhausener Str. 25/26, wo ich damals wohnte, bekam das Wohnhaus einen Treffer, drei Einwohner waren sofort tot, die übrigen überlebten, so auch ich. Trotzdem glaubte ich sterben zu müssen, da ich im Vorraum des Luftschutzkellers verschüttet war und keine Luft bekam. Ich vermutete, die Gasleitung sei geborsten, denn es roch nach Gas. Nach meiner Rettung stellte sich heraus, daß meine Luftwege und Lungen voller Mörtelstaub waren. Noch Wochen danach konnte ich nicht richtig durchatmen. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich die Hotelgaststätte „Deutsches Haus“ und die Tankstelle Peitz, beides wurde dem Erdboden gleichgemacht. Keiner, der sich dort gerade aufhielt, überlebte.

80 Einwohner Oranienburgs mußten bei diesem Bombenangriff ihr Leben lassen. Bei diesem Angriff bekam auch das KZ Oranienburg/Sachsenhausen, Treffer, man sprach von vielen getöteten Flüchtlingen.

Der zweite Bombenangriff erfolgte am 15. März 1945, ebenfalls um die Mittagszeit. Zu dieser Zeit war ich Lehrling bei den Auerwerken, die Gasmasken und andere Dinge herstellten. Das Werk wurde total zerbombt, dabei wurde die Mittelstadt Oranienburgs flächendeckender und größer mit Spreng- und Brandbomben übersät, so auch die umliegenden Gemeinden.

Ich wurde zum zweiten Mal verschüttet, doch gefunden und überlebte.

Bei diesem Angriff gab es wahnsinnig viele Opfer unter der Zivilbevölkerung und KZ-lern und Fremdarbeiter.

Der letzte große Angriff auf Oranienburg erfolgte am 10. April 1945. Es wurde der Bahnhof, die Neustadt und wieder das KZ-Außenlager Oranienburg/Sachsenhausen, das sogenannte Klinkerwerk, wo Ziegel hergestellt wurden, bombardiert. Bei dieser Aktion kamen 215 KZ-Häftlinge ums Leben.

Zwei Tage nach diesem Bombenangriff wurde die Lebensmittelversorgung kritisch. Meine Mutter bat mich, mit dem Fahrrad nach Gransee zu einem uns bekannten Landwirt zu fahren, um dort Kartoffeln zu holen. Ich bat meinen Schulfreund, der in meiner Nachbarschaft wohnte, mitzukommen. Kurz vor Gransee erblickten wir einen Flieger, der zunächst im Tiefflug vorbeiflog, dann aber wendete und direkt auf uns zuflog. Mein Schulfreund schrie: „Volle Deckung“. Wir sprangen von den Fahrrädern in den Straßengraben, im nächsten Augenblick prasselten die Einschüsse, die uns aber nicht trafen. Er flog erneut eine Schleife und flog dann weiter in Richtung Berlin.

Bei diesem Angriff blieben wir unverletzt. Gerhard Meier

 

In Dodendorf

Mit einem Schreckensschrei sprang ich, ein neunjähriger Junge, am 21. Januar 1944 kurz nach dem Alarmsirenensignal halbangezogen aus dem Bett. Außerhalb unserer Wohnung, die sich in einem landesüblichen Haus ohne Keller in einem kleinen Bördedorf, fünf Kilometer vom südlichen Stadtrand Magdeburgs entfernt befand, detonierten stakkatoartig Brandbomben. Die Explosionsgeräusche wurden noch durch das Abwehrfeuer einer 2,5 Kilometer entfernten Flakbatterie infernalisch verstärkt.

Meine damals 33jährige Mutter und die 42jährige verwitwete Hausbesitzerin nahmen mich im Hausflur, über uns lediglich ein dünnes Ziegeldach, in ihre Arme. Mein Vater war 1943 in Rußland gefallen. Den Luftschutzkeller in einem benachbarten Bauernhof konnten wir nicht mehr erreichen. Wir erwarteten den Tod. Selbst in dieser verzweifelten Situation verloren die Frauen nicht den Mut und versuchten mich zu beruhigen. Mein Entsetzen war groß. Wie durch ein Wunder blieben wir unverletzt.

Nach der Entwarnung kamen wir auf eine durch Stabbrandbomben getroffene, mit Brandnestern übersäte Dorfstraße, ohne daß ein Wohnhaus einen Treffer erhielt.

Zwei große Stallgebäude in dem benachbarten Bauernhof brannten lichterloh, die darin angeketteten Milchkühe brüllten schauerlich vor Schmerzen bis zu ihrem entsetzlichen Ende. 

Harald Hesse

 

In Reichenbach

Beim Bombenangriff auf Reichenbach/Vogtland am 21. März 1945 war ich nicht ganz 11 Jahre alt. Meine Mutter, meine drei Geschwister und ich waren vor dem Haus gestanden, um die Flugzeuge zu beobachten, die klein und silbern am Himmel zu sehen waren. Wir hatten ein altes Haus mit dicken Grundmauern und einer Granittreppe zum 1. Stock, ohne Keller. Wir rannten hinein und setzten uns unter diese Treppe. Hier waren wir vor herumfliegenden Trümmerstücken und Luftdruck geschützt. Das Geräusch der Bomben war grauenerregend, ich erinnere mich, wie ich glaubte, jeden Augenblick sterben zu müssen, und wie es dann aufhörte und wir eben doch noch am Leben waren. Nur ein schwerer Stein war in unser Dach geschleudert worden. Am Ende unserer Straße war in einem Haus ein großer Kellerraum als Luftschutzkeller für alle Nachbarn geöffnet, wir waren aber an dem Tag nicht hingegangen.

Anna Becher

 

In Chemnitz

Wer kann sich vorstellen,wie damals jenes Krachen, Bersten, Heulen,Brechen die Fundamente unserer Häuser ins Wanken brachte und die Menschen, die in deren unmittelbarer Nähe Schutz suchten, in panische langanhaltende Todesangst versetzte? Aufwallende und immer wiederkehrende Wogen urgewaltiger Druckkräfte ließen das bislang als fest Erscheinende seine Dimensionen verlieren, und in all dem Chaos schrien Menschen. Das waren Alte, Kranke, Mütter, die ihre Kinder unter sich zu bergen versuchten, seien es Babys oder schon fast Erwachsene. So geschah es allen Einwohnern auch meiner Heimatstadt Chemnitz, die wenige Monate vor Kriegsende zerbombt und mit Phosphor niedergebrannt wurde.Wie in einer Schüssel liegend, sahen die tagsüber anfliegenden Piloten die Stadt vor sich liegen, und ich sehe noch im Geiste die winternassen Felder des umgebenden Berglandes, die mit Bomben aller Größe gespickt waren, deren Zünder versagte. Wir fragten uns damals, ob es nicht die „Anständigen“ waren, die angesichts der Stadt den Bombenwurf vorzeitig ausgelöst hatten?

Nach solchem Ereignis formierte sich regelmäßig ein Strom von Flüchtenden, die die todwunde Stadt verließen. Total überladene Hand- oder Kinderwagen wurden von völlig erschöpften Menschen gezogen. Obenauf lagen meistens die sich hochwölbenden Federbetten. Aber in vielen Fällen saßen da auch Kleinstkinder, Alte oder Kranke. Auch wir waren Teil eines solchen Elendszuges.

Dr. Ing. Dieter Kipsch

 

In München / Ulm

Ende April 1944 lag ich in München in der Hochstraße im Krankenhaus. Es war ein sehr großes Zimmer mit Fenstern an zwei Seiten, es waren mehrere Kinder und junge Mädchen dort untergebracht. Ich war erst zwei Nächte dort, sehnte mich nach meiner Mutter und hatte mich gerade mit der neuen Situation einigermaßen abgefunden. Da nahmen am frühen Abend die schrecklichen Erlebnisse unaufhaltsam ihren Lauf. Sirenengeheul, aufgeregte Schwestern und das Mädchen neben mir begann zu weinen.

Ich selbst wußte nicht, was geschah. Die Fenster wurden verdunkelt und eine ältere Frau ging beruhigend auf uns ein und erklärte, es sei nur ein fürchterliches Gewitter. Sie löschte das Licht und verließ den Raum. Kurze Zeit später, als der erste „Donner“ zu hören war und ich im Schimmer des Notlichtes sah, daß die Großen verzweifelt waren und sich fürchteten, bekam ich es mit der Angst. Mein Bettchen vibrierte wie Espenlaub, ich verkroch mich unter mein Deckbett, nach einer Weile wurde ich ganz still, mit den Gedanken bei meiner Oma fing ich an, mein Nachtgebet aufzusagen, wobei ich wahrscheinlich eingeschlafen bin.

Ich war glücklich, als ich wieder in Ulm im Seelengraben bei Oma und Mama war. Im Dezember 1944 kam das zweite große Unheil über mich. Oma war gerade auf dem Land bei den Bauern, meine Mutter ebenfalls gerade etwas besorgen und ich allein zuhause. Da plötzlich war es wieder, das Geräusch der Sirenen. Ich bekam Angst, wußte nicht, was tun. Ich wußte nur, du darfst nicht raus gehen und mußt Schutz suchen. Verängstigt saß ich unter der Kellertreppe auf der Trittplatte von Omas Nähmaschine, wie lange? Keine Ahnung! Vom ohrenbetäubenden Lärm und dem Wackeln und Zittern des Hauses war ich wie gelähmt, ich konnte nicht mal weinen. Dann kam die Stille, aber sie minderte meine Angst und den erstarrten Zustand nicht. Erst als ich das Rufen meiner Mutter vernahm, kamen die Tränen und auf ihrem Arm die Erlösung. Von unserem Haus standen nur noch zwei Mauern, die Rückwand, das war die Stadtmauer, und die linke Mauer mit Eingang und Kellertreppe - mein Versteck. Wir hatten alle überlebt!

Günther-Jürgen Bernlöhr

 

In Schmiedefeld

Oktober 1944: Nachdem in Frankfurt am Main meine Wohnung total ausgebombt worden war, lebte ich evakuiert in Schmiedefeld, einem kleinen Dorf im Thüringer Wald von etwa 400 Einwohnern.

Es gab Alarm, und wir flüchteten uns in den Keller einer Glasfabrik. Kurz darauf ging die Hölle los. In großer Sorge um mein zweijähriges Töchterchen ging ich auf die Knie und beugt mich über das Kind. Ich stemmt meine Hände auf den Boden, um ihm einen Freiraum zum Atmen zu lassen, wobei ich die Kleine so gut wie möglich schützte und ihr lieb zuredete. Draußen krachten die Bomben, und ich glaubte, der nächste bist du. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, mein Körper war wie erstarrt. Ich versuchte immer wieder, tief durchzuatmen, um mich selber zu beruhigen.

Als endlich Entwarnung ertönte, brauchte ich geraume Zeit, um die Erstarrung zu lösen. Auguste Neuhoff

 

Foto: Frauen mit Kindern flüchten aus dem Inferno: „Menschen rannten in der gruseligen Dunkelheit, wie Gespenster, um das nackte Leben.“

 

In Ingolstadt

9. April 1945: Wir, das sind meine Mutter, meine Schwester Annemarie und ich, bewohnen nach unserer Flucht aus Oberschlesien seit Anfang März in der Schäffbräustraße 6 im 1. Stock ein möbliertes Zimmer bei Herrn und Frau Meier, einem Pensionistenehepaar; Herr Meier ist Postoberinspektor a. D.; ein netter alter Herr und ein begeisterter Angler, der mir gleich anfangs seine umfangreiche Ausrüstung zeigte und erklärte.

Am Montag, dem 9. April 1945 nachmittags, schon stundenlang ist Fliegeralarm; über Ingolstadt sind in dieser Zeit mehrfach US-Bomber hinweggeflogen. Die Hausbewohner sitzen im Luftschutzkeller, ich stehe jedoch mit zwei Nachbarn noch in der offenen Tür zum Hof. Schon wieder sind Flugzeuggeräusche zu hören, wir blicken gespannt nach oben. Da sehen wir zehn B-17 Bomber, dicht gestaffelt in nicht allzu großer Höhe von Süden her direkt auf uns zukommen. Ich rase sofort in den Keller hinunter, während die anderen noch oben bleiben. Und schon schreien sie: „Bomben, Bomben!“ und kommen die Kellertreppe heruntergestürzt, gleichzeitig schlagen krachend zahlreiche Sprengbomben in den Hof und in die umliegenden Häuser ein. Die Kellermauern erzittern, der Betonboden bebt, das Licht erlischt, die beiden Kellerfenster, die von außen durch mit Sand gefüllte Holzkästen geschützt sind, bersten klirrend; Staub- und Rauchschwaden dringen herein.

Dann ist es still, nur noch einige schwache Explosionen, vermutlich die Sprengsätze von nachträglich hochgehenden Brandbomben. Wir sind wie gelähmt, und dann hören wir ein Knistern und Prasseln, es brennt. Wir eilen die Kellertreppe hinauf, hinaus in den Hof, und dort bietet sich uns ein schreckliches Bild: Die Häuser ringsherum sind alle zertrümmert und brennen. Unser Haus hat zwar keinen Volltreffer abbekommen, durch die Wucht der Bombenexplosionen sind aber alle Fenster zertrümmert, alle Türen, auch die Innentüren sind rausgerissen, die Möbel teilweise umgestürzt und zertrümmert und der Dachstuhl steht in Flammen.

Es ist ein schreckliches Inferno. Das Haus ist offensichtlich nicht zu retten, die Bewohner sind verstört und in Panik. Inzwischen ist starker Wind aufgekommen, der die Flammen verstärkt und sie aufheulen läßt. Wir müssen hier weg. Wir schleppen unsere Koffer und Taschen über die mit Trümmern bedeckte Straße, beiderseitig stehen die Häuser funkensprühend in Flammen. Diese sind wie große feurige Zungen, die jetzt vom Sturm bewegt werden und teilweise auf uns herunterzucken. Wir retten uns zum Platz bei der Schleifmühle, der zum Sammelplatz für die überlebenden Ausgebombten und deren geretteten Habseligkeiten wird.

Horst Zipser

 

In Kiel

März 1945: Mit den letzten fahrplanmäßigen Zügen hatten wir - meine Mutter, meine kleinen Geschwister und ich - den „Reichsluftschutzkeller“ Schlesien verlassen, wohin wir vor den Bombenangriffen auf Kiel geflohen waren. Mein Vater war - schwer verwundet - auf Heimaturlaub in Kiel.

Voralarm! Wie der Blitz waren wir aus den Betten, hellwach! Dieser Sirenenton war unüberhörbar und weckte jeden! Trotz Dunkelheit - bloß kein Licht anmachen - bin ich in Sekundenschnelle angezogen. Mein Vater hatte uns eingeprägt, wie wir abends unsere Kleidung über eine Stuhllehne zu legen hatten. Alle Hausbewohner tasteten sich hinab in den „Luftschutzkeller“ der großväterlichen Apotheke, ein kleiner Raum, der nicht einmal Stehhöhe hatte und mit etlichen Balken gegen Einsturz abgestützt war; mehr eine Falle als eine Sicherheit!

Mein Vater zog mich auf die Straße: Als „genesender Wehrmachtsangehöriger“, der noch täglich in Lazarettbehandlung war, durfte er den nahegelegenen Lazarettbunker neben der ehemaligen Kinderklinik aufsuchen. Und ich durfte mit. Als Sechsjähriger war ich über dieses Sonderrecht halb stolz und halb beschämt! Auf der stockdunklen Straße Gescharre und Geschürfe, gedämpfte, verschlafene Kinderstimmen, hin und wieder blitzt eine Taschenlampe auf: Man sucht seinen Luftschutzraum auf; nicht jeder hat einen eigenen Keller. An den Hauswänden stehen in Leuchtfarbe Hinweise: LSR und Pfeile. Alles ist gut organisiert - auch der Bombenkrieg!

Vollalarm, aha, wir sind dran! Wir gehen schneller. Vor uns hebt sich schwarz der Lazarett-Hochbunker gegen den nun mit sogenannten „Tannenbäumen“ beleuchteten Himmel ab. Der Bunker hat etwas Drohendes und gleichzeitig Beruhigendes. Eine blaue Taschenlampe mit Stahlhelm kontrolliert meinen Vater. Wir dürfen passieren! Ein Vorraum, spärlich blau beleuchtet, vor uns eine gewaltige Stahltür mit vielen Hebeln. Sie öffnet sich - wir sind in Sicherheit und gleichzeitig geblendet. Hier ist es hell. Ein unbeschreiblicher Gestank empfängt uns: Dumpfer Blutgeruch, scharfer Schweiß, Eiter, Äther, Karbol - aber wir sind in Sicherheit! Wir stolpern eine Betontreppe hinauf in den 1. Stock und finden Platz auf einer Bank in einem langen Flur. Um mich herum ein Bild des Schreckens: Der Flur ist vollgestellt mit Klinikbetten, Tragen, Matratzen auf dem blanken Boden. Darauf liegen Männer, Schwerverwundete. Einige ächzen, stöhnen, wimmern, rufen nach ihrer Mutter in hohem Wundfieber, andere sind still und stieren an die Decke. Rechts vor mir ist ein junger Mann mit Mullbinden an sein Bettgestell gefesselt, damit er im Fieber nicht toben und aus dem Bett fallen kann. Er schläft und atmet schwer. Links vor mir liegt ein Soldat auf einer Matratze, unter seiner Wolldecke tropft eine wäßrig-rote Flüssigkeit hervor. Krankenschwestern und Pfleger huschen herum, beruhigen, verabreichen Spritzen. Ich bin wie gelähmt, halte immer noch die Hand meines Vaters. Er ist schneeweiß und schaut starr geradeaus. 

Knut Frenzel

 

In Dresden

Februar 1945: Ich war damals 9, und erst später habe ich richtig begriffen, was ich erlebt habe. Mein Vater war 1942 vor Stalingrad gefallen, und meine Mutter war ganz verzweifelt, als sie Januar 1945 erfuhr, daß die Russen kommen würden. Sie wußte zwar nicht genau was sie tun sollte, aber ein festes Ziel hatte sie klar vor Augen: Sie wollte sich und uns beide, mein Bruder war 4, vor den Russen retten. Da Brieg zwangsweise evakuiert wurde, blieb ihr nicht viel Zeit zum Überlegen. Sie packte das Notwendigste in einen Koffer, und wir drei fuhren von Brieg nach Berlin-Eberswalde zu ihrer Schwägerin. Wir verblieben dort etwa zwei Wochen, bis wir vom eigenen deutschen Volkssturm und den sogenannten Gruppenleitern gezwungen wurden, Berlin-Eberswalde zu verlassen bzw. wieder zurückzufahren.

In dem zugeteilten Zug fuhren wir dann Richtung Dresden. Der Zug fuhr nicht zügig, sondern stoppte mehrmals und wurde, wie man uns sagte, ständig umgeleitet. Schließlich erreichten wir abends den äußeren Bereich von Dresden, und der Zug stoppte wieder. Die Stadt lag vor uns, wir konnten sie aber nicht sehen, da wegen der Verdunkelungspflicht alle Lichter aus waren. Man sagte uns, der Bahnhof sei überfüllt und wir müßten warten, bis wir an die Reihe kämen. Plötzlich fingen aus der Ferne die Sirenen an zu heulen, und der Zugführer ging von außen am Zug vorbei und teilte uns mit, daß wir wegen dem Fliegeralarm nicht reinfahren könnten. Kurze Zeit später ging es los. Man hörte das Gebrumme der Flieger, und es schien, als flögen sie über uns hinweg. Sie warfen ihre Bomben über Dresden ab, die Bomben explodierten mit einem dumpfen Geräusch, und Dresden fing an zu brennen, zuerst an einzelnen Stellen, dann wurde es immer mehr. Jetzt wußten wir genau, wo Dresden lag. So in etwa sechs bis acht Kilometer Entfernung vor uns sahen wir die Flammen hochsteigen.

In der frühen Morgendämmerung am nächsten Tag wurde uns ganz bange, als sich der Zug in Richtung Dresden in Bewegung setzte. Wir bekamen die ersten Trümmer zu sehen. Im Zug herrschte eine seltsame Atmosphäre - totales Schweigen auf der einen Seite, Hysterie einiger vereinzelten Personen auf der anderen. Zerstörte Häuser, Mauerreste, vereinzelte Stahlgerüste und viele Tote, sei es nur einzelne Körperteile, Arme, Beine, Gesichter oder die ganzen Körper, die hier und dort zwischen den Ruinen lagen. Meine Mutter versuchte uns gut zuzureden und mahnte uns an wegzuschauen, aber wohin? Wenn man wegschaute in eine andere Richtung, dann sah man dort das Gleiche. Schließlich holte sie mich vom Fenster weg. Wir fuhren schleppend in den Dresdner Bahnhof rein.

Der Aufenthalt in Dresden war sehr kurz, vielleicht eine Stunde. Dann setzte sich der Zug rückwärts in Bewegung, und gleich danach fingen wieder die Sirenen an zu heulen. Zum Glück hielt der Zug nicht mehr, sondern beschleunigte sein Tempo. Dann kamen schon an diesem frühen Morgen die ersten Bomber mit einer neuen Angriffswelle, und man konnte jetzt deutlich die Bomben sehen, die auf Dresden herabfielen. Wir verließen diesen Ort des Grauens noch rechtzeitig.

Anneliese Hilger

 

In Leipzig

In der Nacht zum 4. Dezember 1943 war wieder Fliegeralarm. Nach dem Voralarm zogen wir uns eilig an und gingen in den Luftschutzraum unseres Mehrgeschossers. Kurz nach dem Vollalarm sagte der Luftschutzwart, daß Christbäume gesetzt werden. Die Aufregung der Erwachsenen konnte ich nicht verstehen, lebten wir doch in der Adventszeit. Dann krachten Bomben. Mutti legte sich auf den Boden, meine Schwester neben sie. Da alle anderen sitzen blieben, wollte ich mich nicht hinlegen. Nach einem energischen Hinweis drängelte ich mich, auf der Seite liegend, zwischen beide. Plötzlich ging das Licht aus. Was dann geschah, habe ich nicht richtig mitbekommen. Der Kerzenschein war weg. Es herrschte völlige Dunkelheit. Ich konnte nur noch den Kopf und einen Arm etwas bewegen. Das Haus samt Schutzraum war eingestürzt. Wir waren unter den Trümmern begraben. Mutti rief angstvoll unsere Namen. Ingrid sagte: „Mutti, ich glaube mir liegt die Bombe auf den Füßen.“ Als ich ihr sagte, daß ich eingeklemmt bin, antwortete se nach einer Weile ganz ruhig: „Kinder, wir werden uns wohl bei den Englein wiedersehen.“ Diese Worte empfand ich so tröstlich, daß ich nicht in Panik geriet.

Wir riefen um Hilfe, eine Hausbewohnerin schrie, daß sie erst einmal mit den Verletzten in andere Schutzräume flüchten müßten.

Es vergingen Stunden. Einige Male bat mich unsere Mutti, ihr den immer wieder nachrutschenden Schutt vom Gesicht zu entfernen. Dabei bemerkte ich, daß sie sich nicht bewegen, nicht einmal den Kopf heben konnte. Beim Reinigen ihres Gesichts, das ich nur ertasten konnte, spürte ich ihr Haar zwischen meinen Fingern und fürchtete sie zu ziepen.

Nach Ingrid haben wir immer wieder gerufen. Sie hat nicht mehr gesprochen.

Endlich hörten wir einen Mann, der rief, ob noch jemand da sei. Ich schrie um Hilfe, meine Mutti konnte es nicht mehr. Er sagte, er käme gleich mit einigen Helfern zurück. Es dauerte aber wieder sehr lange. Ich dachte: „...der hat uns genauso vergessen, wie die geflüchteten Hausbewohner“.

Sie kamen aber doch noch. Durch die Nähe meiner Mutti war bisher ruhig gewesen. Als sich für uns wieder längere Zeit nichts Spürbares ereignete, überkam mich Verzweiflung. Einer der Helfer meinte darauf, daß es schwierig sei, zu uns zu gelangen, da eine schwere Betonplatte über uns läge und jederzeit nachrutschen könne.

Dann kam fast unerwartet schnell das Kommando: „...kneife die Augen zu, wir ziehen dich an den Beinen heraus“. Nach einigen Versuchen wurde ich erlöst und sofort durch das Nachbarhaus ins Freie getragen.

Bei in der Nähe wohnenden Verwandten wurde ich versorgt und wartete und wurde vertröstet... Später erfuhr ich, daß meine tapfere Mutti am 7. Dezember 1943 im Krankenhaus gestorben ist. Meine Schwester, mein liebster Spielkamerad, konnte nur tot geborgen werden.

Bernd Kühn

 

In Fulda

1943: Meine Schwester (knapp 5 Jahre) und ich (3 Jahre) wurden von unserer Mutter vormittags in einen Kindergarten gebracht.

Eines morgens gab es Flieger-Alarm und die Sirenen heulten. Wir Kleinen wurden von den Kindergärtnerinnen über die Straße in den Keller des Konvikts, einer Priesterschule, geführt. Das Brummen der Flieger-Geschwader war schon zu hören. Im Keller waren auch alle jungen Männer des Priester-Seminars versammelt. Sie standen an der Wand oder saßen auf Tischen.

Alles ging dann sehr schnell. Ohne Unterlaß hörte man das Krachen und Bersten von draußen. Plötzlich gab es ein besonders schlimmes Dröhnen und Rütteln, danach Stille. Vom anderen Ende des Kellers kam eine dichte, enorm große Staubwelle auf uns zu. Die Kindergärtnerin rief: Taschentücher vor den Mund! Wir hatten keine, da zerriß sie ihre Schürze, und wir hatten gerade noch rechtzeitig etwas vor der Nase und dem Mund, bevor die Staubwoge uns erreichte. Das hat uns wahrscheinlich das Leben gerettet.

Es war stockfinster und es war mäuschenstill. In der Dunkelheit konnte man dennoch die Angst spüren, die allen auf der Brust saß. Außer hüsteln gab es nichts mehr zu hören und zu sehen.

Es war eine unendlich lange Zeit, die wir in dieser staubigen Dunkelheit verbrachten. Dann hörte man draußen stimmen, Rufe, Steine wurden weggeräumt. Nach Stunden kam ein erster Lichtschein in unser dunkles Loch. Das Loch wurde größer und dann langten viele Arme nach unten. Es waren Soldaten, die eigentlich Urlaub hatten, die einen nach dem anderen herauszogen. Meine Schwester kam vor mir heraus, dann ich. Die Soldaten fragten mich, ob noch jemand unten sei. Ja, sagte ich, neben mir saßen drei Jungen vom Konvikt, die sind noch unten. Da sie nicht auf Zurufe antworteten, stieg ein Soldat nach unten. Er kam wieder hoch und sagte den Umstehenden, daß alle drei tot wären.

Unsere Mutter, die draußen gewartet hatte, nahm uns weinend in die Arme und rannte mit uns beiden an der Hand die Straße runter, nach Hause. Unterwegs sah ich einen verkohlten Menschen an einer Wand liegen, am Universitätsplatz war eine haushohe Wasserfontäne, eine Wasserleitung war getroffen worden.

Evelyn Weinheimer

 

In Hannover

In der Letzten September-Dekade 1943 ertönte abends Voralarm. Meine Mutter sagte, wir gehen in den (Hoch-)Bunker in der Lönsstraße. Unwillig folgte ich ihr. Während des Aufenthalts im stickigen Bunker schwankte dieser nur einmal. Als wir heraustraten, war der Himmel dunkel. Nur nach Süden (Richtung Laatzen) brannte es. Insoweit beruhigt traten wir den Heimweg an. Wir kamen nicht weit. Nachbarn stoppten uns: „Ihr könnt nicht nach Hause. Es ist alles kaputt.“ Erst- und einmalig zitterten mit meine Knie. Ich dachte nur an meinen Rauhaardackel, den wir natürlich nicht mitnehmen durften. Den Rest der Nacht schlief ich bei einem mir unbekannten Mann.

Beim Angriff waren acht Männer einschließlich meines Freundes Günter Stamm umgekommen. Mit ihm stand ich oft zusammen. Die Frauen kamen mit dem Leben davon. Später traute ich mich nicht, in den Keller herabzusteigen, weil ich fürchtete, Leichenteile zu finden.

Einige Tage später sah ich einen älteren Mann mit Hut aus unserer Erdgeschoßwohnung treten. Unter dem Arm trug er eine Zigarrenkiste. Da die Entfernung zu groß war, konnte ich andere nicht auf den Diebstahl aufmerksam machen.

Am 8./9. Okt. 1943 mußte Hannover erneut einen Terrorangriff erleiden. Meine Mutter hatte nun die Nase voll. In Lehrte wurden wir in einen Fronturlauberzug eingewiesen. Im Abteil saßen mehrere Junge Offiziere, die mich eingehend nach den Angriffen befragten.

Später in der Lüneburger Heide habe ich mehrere Tieffliegerangriffe nur knapp überlebt. 

Adolf Welhausen

 

In Neu-Ulm

Ich erlebte die Fliegeralarme abwechselnd in Neu-Ulm bei meiner Familie und in Wels an der Traun (Österreich, damals Ostmark) in einem Internat. Kann man es sich heute noch vorstellen, welche Belastung es ist, nachts voller Besorgnis um Leben und Besitz Stunden im Keller zuzubringen und tags darauf seiner Arbeit nachzugehen?

Am 17. Dezember 1944 wurden auf drei Städte Angriffe geflogen: auf Wels, München und Ulm. Ulm wurde bei diesem Angriff vernichtet. Der Direktor meiner Schule in Wels ließ tags darauf alle Schülerinnen, welche noch ein Zuhause hatten, heimfahren. In einer unheimlichen, durch häufige Stockungen langdauernden Fahrt im D-Zug kam ich nachts in Ulm an und mußte mir durch die soeben zerstörte Stadt meinen Weg nach Neu-Ulm hinüber zu meiner Familie suchen. Wir waren verschont geblieben, und so war in unserer Wohnung eine ausgebombte Familie eingewiesen: Ich sehe sie noch in meinem Mädchenzimmer in einer Ecke kauern und mich stumm ansehen. Wieder in meinem Internat, erlebte ich im Februar 1945 einen Volltreffer unseres Heimes. Etwa 100 Mädchen und Erzieherinnen saßen im plötzlich verdunkelten Keller, viele schrien in Panik. Wir waren im gutabgeschützten Keller unversehrt geblieben, von da an änderte sich aber unser Tagesablauf: Von 7 bis 10 Uhr Unterricht, dann wanderten wir aus der Stadt hinaus in einen „Stollen“, der in den Berg getrieben worden war, dort blieben wir bis 16 Uhr. Auf dem Heimweg wurden wir manchmal von Tieffliegern angegriffen. Wir hatten Tag und Nacht Alarm. Mitte April versuchte ich noch, nach Hause zu kommen. In dreitägiger Fahrt, unterbrochen von einem Tieffliegerangriff auf unseren Zug - wir alle suchten Zuflucht im Graben - und einem Bombenangriff auf Mühldorf am Inn, wo wir gerade standen, ging es bis München, dort fand ich Zuflucht bei Verwandten. Unser Haus in Neu-Ulm war in einem nochmaligen Angriff zerstört worden. Otti Weber

n Bamberg

Am 22. Februar war wieder Alarm, die ganze Hausbewohnerschaft war nun im Keller versammelt. Man hörte die Luftlage - der sonst so ruhige Ansager des „Drahtfunks“ sprach immer nervöser. „Feindliche Luftstreitkräfte sind im Anflug auf unsere Stadt“ - etwas später: „Feindliche Fliegerverbände kreisen über unserer Stadt, mit Bombenabwurf ist zu rechnen!“ - und da krachte es auch schon. Und nun ging eine Ladung Bomben nach der anderen über Bamberg nieder - kommen die Einschläge näher? Ja, die Einschläge kamen näher! Die Detonationen wurden immer lauter. Der Luftdruck der Einschläge war auch im Keller zu spüren. Wenn man nur etwas machen könnte! Fast beneidete ich die Kameraden bei der Heimatflak, die konnten sich wehren - aber wir! Wir konnten nur dasitzen und warten. Eine alte Frau sagte bei jeder Explosion „Es ist schon vorbei, es ist schon vorbei!“ Eine junge Mutter hatte ihr Kind fest im Arm und flüsterte ihm unverständliche Worte zu. Noch mal ein Schlag - es muß ganz in der Nähe sein (es war etwa 150 Meter entfernt), dann war Ruhe. Ich eile in die Waschküche und pinkle schnell in den Abfluß - jeder Schlag hatte den Druck auf die Blase erhöht, seitdem habe ich Verständnis dafür daß Menschen vor Angst in die Hose machen. Es ist unserem Haus (fast) nichts passiert, einige Fenster sind eingedrückt, einige Ziegel vom Dach gefallen. Es wird auch bereits Entwarnung gegeben. Wir sind noch einmal davon gekommen. Aber diesmal hat es Bamberg getroffen, mehr als 200 Menschen wurden getötet. 

Götz Eberbach

 

In Gotha

Seit August 1944 hatte ich keinerlei Nachricht mehr von meinem Mann. Die letzte Post kam aus Luneville in Frankreich, wo er als Arzt diente.

Im Januar 1945 kam endlich Nachricht von ihm - aus englischer Gefangenschaft. Unsere Tochter war zwei Jahre alt und ich war im achten Monat schwanger. Am 24. Februar sollte unser zweites Kind geboren werden. Anfang Februar hatte ich einen Termin beim Frauenarzt in Gotha. Gotha war unsere Kreisstadt und von unserem Dorf mit der Bahn gut zu erreichen.

Ich fuhr schon früh los, da ich noch einkaufen wollte. Vor dem Bahnhof in Gotha war ein Splittergraben und ich dachte, bei Alarm ist der schnell zu erreichen. Im Kaufhaus konnte ich auf meine Kleiderpunkte Windeln kaufen. Ich hatte gerade gezahlt und wollte mich noch etwas umsehen, da ich bis zu meinem Arzttermin noch Zeit hatte, als Voralarm gegeben wurde.

Vom Kaufhaus aus wollte ich zum Splittergraben am Bahnhof, als mich ein Mann in Arbeitskleidung mit einem Werkzeugkasten in der Hand ansprach.

Er führte mich zu einem Luftschutzbunker am Gothaer Schloß. Wir mußten ziemlich viele Stufen steil nach unten steigen. Dort nahm sich gleich eine Krankenschwester meiner an, da mein Zustand ja nicht zu übersehen war.

Die Bunkertüren wurden geschlossen und mit vielen anderen Menschen saßen wir und warteten. Der Strom fiel aus und wir mußten etwa drei Stunden bis zur Entwarnung ausharren.

Es war Nachmittag geworden. Das erste, was ich vor dem Bunker sah, waren tote Pferde. Ich wollte so schnell wie möglich zum Bahnhof.

Doch man ließ niemanden durch, alles war abgesperrt. Der Bahnhof und die Gebäude in seiner Nähe waren zerstört. Alle Menschen, die Zuflucht in dem Splittergraben gesucht hatten, waren durch Luftminen ums Leben gekommen. Sie wurden in der Wartehalle der Thüringer Waldbahn aufgebahrt. Ich lief zum Ostbahnhof. Nach langem Warten fuhr endlich ein Zug. Spät am Abend kam ich an. Meine Mutter und alle im Haus warteten schon bang auf mich, denn die Nachricht von der Bombardierung Gothas hatte sie bereits erreicht.

Fügung oder Schicksal - Der Arbeitsmann in Gotha hat mich durch seine Hilfsbereitschaft vor dem sicheren Tod im Splittergraben bewahrt. Am 17. März 1945 wurde unser zweites Kind, ein Sohn, geboren.

Margot Masch

 

In Dresden

Erinnerungsstücke werden in mir nun wieder wach an die Nacht zum 14. Februar 1945, zu meinem 4. Geburtstag. Ich selbst war damals ein lebhaftes, zierliches kleines Mädchen mit großer Neugier und mein Geist kapierte schon, daß irgend etwas nicht stimmte, furchtbar war, eine Zerstörungswut und Panik bemerkte ich überall. Eine Tante hatte ein großes, älteres Haus mitten in einer Stadt in Sachsen in etwaiger Nähe von Dresden entfernt. Dort waren Großmutter und ich (Mutter zu Hause, Vater weg, er befand sich im Krieg) zu Besuch, alle sehr unruhig, steckten mich kleines Mädchen damit an, draußen hörte ich es krachen, donnern und immer dieses schreckliche unheimliche Heulen, laut, ohrenbetäubend, markerschütternd. Großmutter blickte mich an und sagte: „Der Krieg, die Bomben, Sirenen.“ Ich hatte wahnsinnige Furcht und Angst. Wir sind dann alle in den dunklen Luftschutzkeller gegangen, schwache Lichter wurden angezündet, es war unheimlich und kalt dort unten, wir haben gefroren, ich klammerte mich schutzsuchend und verängstigt an meine Großmutter, eine liebevolle, fürsorgliche Oma, Decken sollten vor Kälte schützen, nützten aber nicht viel. Die Menschen waren zu aufgeregt, flüsterten untereinander, dann kamen noch andere Menschen hinzu.

Draußen ging das Donnern, Krachen, Sirenengeheul weiter, so daß wir immer wieder zusammenzuckten, einige murmelten Gebete zu Gott, wie Oma sagte. Ich zitterte und fror jämmerlich, meine Großmutter betete auch, war in Gedanken vertieft, nahm mich instinktiv fester in die Arme, ihre schützende Nähe tat mir so gut. Plötzlich war ich hundemüde vor Angst, Aufregung, Kälte, da hörte ich Großmutter flüstern: „Oh Gott, Dresden brennt, die Bomben.“ Ich kapierte in meinem kindlichen Kopf, daß dort wohl schrecklicher Krieg sein mußte, dort gab es keinen Schutzengel, dann fügte sie noch hinzu: „Armes Kind, Dein 4. Geburtstag, wie schrecklich.“ Danach fiel ich einen langen Schlaf, da ich von allem zu erschöpft war. Als ich die Augen aufschlug, befand ich mich im Bett, Großmutter lächelte mich mit müden, verweinten Augen gutmütig an, strich mir übers Gesicht, sagte stockend: „Dresden ist kaputt, dort ist Krieg, Menschen sind tot.“

Uta Fritzsche

 

In Leipzig

Anfang Januar 1944 wurde ich, noch nicht einmal 16 Jahre alt, zusammen mit den meisten meiner Schulkameraden zur Schweren Heimatflakbatterie 260/IV in Leipzig eingezogen.

Am 20. Februar gegen 23.30 Uhr rissen uns die Alarmklingeln aus dem Schlaf. Ganz anders als bei früheren Alarmen ging es diesmal Schlag auf Schlag. Am Himmel schien die Hölle los zu sein. Sämtliche Batterien feuerten aus allen Rohren. Es klang, als ob sich zehn Gewitter gleichzeitig entlüden. Aber in das Donnern aus der Luft mischten sich noch andere Explosionen. Sie waren dumpfer und ließen die Erde erzittern. Die Detonationen wurden immer stärker. Dotterweich befahl in kurzen abständen: „Batterie, Feuer!“ Mein Schulkamerad Peter, der neben mir saß, rief mir ins Ohr: „Bombenteppich!“ In diesem Augenblick gab es einen entsetzlichen Knall. Die mit Verdunklungspapier beklebten Fenster flogen uns um die Ohren. Einer brüllte: „Licht aus!“ Aber das war nicht mehr nötig. Bei der unmittelbar darauffolgenden Detonation stürzte der Balken, an dem Lampen, Kopfhörer und Mikrophone befestigt waren, donnernd herunter. Instinktiv hatten wir die Stecker der Mikrophone aus den Dosen gerissen und uns an der Wand zu Boden geworfen.

Die Zerstörungen waren viel schlimmer, als ich mir vorgestellt hatte. Öffentliche Verkehrsmittel fuhren nicht mehr. Ich mußte zu Fuß gehen. Auch hier überall Bombenkrater. Die Fahrdrähte des Oberleitungsbusses waren vom Luftdruck zerrissen. Sie lagen am Boden oder hatten sich um Masten und Bäume gewickelt. In der Kronprinzstraße sah es wüst aus. Eine Häuserreihe war von den Bomben abrasiert worden, gegenüber brannten einige Gebäude. Auf dem Mittelstreifen hockten ein paar weinende Frauen mit ihren Kindern. In der Kochstraße das gleiche Bild. Von brennenden Häusern stürzten Trümmer auf die Straße. Ich rannte im Zickzack um mein Leben. Endlich konnte ich das Haus sehen, in dem wir wohnten. Es stand noch! 

Gert Ziegler

 

Foto: Geretteter Hausrat nach einem Luftangriff auf Köln: „Ja, die Einschläge kamen näher! Die Detonationen wurden immer lauter. Der Luftdruck der Einschläge war auch im Keller zu spüren.“


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