© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/03 21. Februar 2003


Aufstand der Vasallen
Die imperiale Politik der USA drängt die Europäer zur Einheit
Alexander Griesbach

Der vergangene Freitag dürfte der Regierung Bush in unliebsamer Erinnerung bleiben. Die Regieanweisungen der USA für ihren beabsichtigten Krieg gegen den Irak hatten an diesem Tag etwas anderes vorgesehen. Statt dessen erbrachte der neue Bericht der UN-Waffeninspekteure keinerlei Beweise für die Produktion von Massenvernichtungswaffen durch den Irak. Doch nicht nur das: UN-Chefinspekteur Hans Blix äußerte sogar Zweifel an den kürzlich von Colin Powell vorgelegten Geheimdienstinformationen, was den US-Außenminister sichtlich aus der Fassung brachte. Damit sind die Chancen für die USA, in absehbarer Zeit die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats für einen Irak-Krieg zu gewinnen, deutlich gesunken.

Diese Entwicklung zeigte auch bei dem bisher so nibelungentreuen britischen Premier Tony Blair Wirkung: "Den Inspekteuren wird mehr Zeit gegeben werden", verkündete dieser wohl auch unter dem Eindruck der weltweiten Massendemonstrationen gegen einen Irak-Krieg. Blair wäre aber nicht Blair, wenn er diese Aussage nicht gleich wieder eingeschränkt hätte. Saddams Zugeständnisse, beeilte sich der britische Premier zu erklären, seien nur "Schein", seine Massenvernichtungswaffen hingegen "echt".

Der nächste Stimmungstest im Hinblick auf ein UN-Gremium steht für die US-Bellizisten am 28. Februar bevor, wenn Blix den fünf Ständigen Sicherheitsratsmitgliedern erneut über den Stand der Kontrollen berichten wird. Frankreich hat bereits erklärt, vor einer neuen Resolution auf jeden Fall den nächsten Blix-Bericht abwarten zu wollen. Sekundiert werden die Franzosen von Rußland, das bei den kriegsunwilligen Europäern mehr und mehr an Bedeutung gewinnt.

Die Frage ist, wie lange sich US-Präsident George W. Bush auf das für die USA so unerquickliche Spiel vor dem UN-Sicherheitsrat noch einläßt. Ob es eine Kriegserklärung oder doch noch eine letzte Frist für Saddam Hussein gebe, um dessen Massenvernichtungswaffen zu zerstören, werde Bush spätestens innerhalb der kommenden 14 Tage beschließen, berichtete die Washington Post. Dieses Zeitfenster kommt nicht von ungefähr, weil Anfang März der Aufmarsch der USA am Golf so gut wie abgeschlossen sein dürfte.

Kein gutes Haar lassen die Amerikaner unterdessen am "alten Europa", das sich gegen einen Irak-Krieg so unerwartet widerspenstig zeigt. Kleine "Feiglinge" oder "Froschschenkelfresser" seien die Franzosen, war in US-Zeitungen zu lesen und von US-Politikern zu hören. Und immer wieder ist von Undankbarkeit die Rede. Wären im Zweiten Weltkrieg nicht Zehntausende junger US-Amerikaner für Frankreichs Freiheit gefallen, so meinte die New York Times, würden die Franzosen heute "das Deutschlandlied anstatt der Marseillaise singen". Auch das "German bashing" hat Konjunktur: Würden die Deutschen nicht, wie ein US-Senator meinte, ohne die Nato "in einer Sowjetrepublik" leben?

Die so gescholtenen Europäer haben sich Anfang letzter Woche auf eine einheitliche Linie geeinigt. Man strebe eine friedliche Lösung an, so wurde erklärt, schließe aber eine militärische Intervention als letztes Mittel nicht aus. Bundeskanzler Schröder hat damit seine ursprüngliche Position zumindest variiert. Zuvor hatte er immer wieder betont, Deutschland werde sich an einem Angriff auf den Irak auf keinen Fall beteiligen. CDU-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble bewertete diese Erklärung als "Umfallen in die richtige Richtung".

Bezeichnend ist, daß Schäuble kein Wort über die US-amerikanische Arroganz verlor, die ursächlich zu den Dissonanzen im transatlantischen Verhältnis beigetragen hat. Schäuble und mit ihm vielen anderen in der Union ist offensichtlich entgangen, daß sich mit dem Amtsantritt der Regierung Bush ein grundlegender Paradigmenwechsel vollzogen hat. US-Historiker und -Publizisten vergleichen die einzige verbliebene Weltmacht mehr und mehr mit dem Römischen Reich. So erklärte der neokonservative Intellektuelle Dinesh D'Souza, daß die USA zu einem "Empire" geworden seien. US-amerikanische Leitartikler jubilieren, niemals in der Geschichte der Menschheit sei ein Staat derart dominant gewesen wie das "imperium americanum" von George Bush junior. Bushs "Krieg gegen den Terrorismus", so urteilt der Friedens- und Konfliktforscher Hans J. Gießmann, ziele nicht zuletzt darauf ab, "geopolitische Positionsgewinne" zu erreichen.

Den Weg von der weltweiten Vorherrschaft zur Weltherrschaft ebnen sich die USA mit einem schwindelerregenden Militäretat, der bereits voriges Jahr rund 380 Milliarden Dollar ausmachte. Das steile Gefälle zu den Militäretats der Nato-Partner erleichtert es den USA, Mitspracheforderungen mit dem Argument "Wer zahlt, bestimmt" abzublocken.

Dagegen nimmt sich die rezessionsbedrohte europäische Perspektive eher armselig aus. Die Militäretats vieler europäischer Staaten, allen voran Deutschlands, sind nicht nur bescheiden, sondern völlig unzureichend. Auch dadurch sinkt der Einfluß auf die USA immer weiter.

Dazu kommt von europäischer Warte aus gesehen ein grundsätzliches Mißverstehen der Bewegungsgesetze der US-Hegemonialpolitik. Auf diese machte unter anderem der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler aufmerksam: "Imperien unterliegen anderen Gesetzmäßigkeiten als Staaten", schrieb Münkler in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau. Schon ihre Grenzziehung erfolge nach anderen Prinzipien, und auch die Mechanismen gesellschaftlicher und politischer Integration gehorchten anderen Vorgaben. Deshalb, so schlußfolgert Münkler, stünden die Briten den Amerikanern in der Irak-Politik am nächsten: "Ihnen sind die Funktionsmechanismen eines Imperiums noch gut in Erinnerung." Deutsche und Franzosen hingegen tendierten trotz "einiger imperialer Anläufe" eher zu einem friedlichen Interessensausgleich. "Imperiale Handlungslogiken" beobachteten diese mit einer Mischung aus "Entsetzen und Verachtung".

Dazu kommt bei den Deutschen eine Form von inzwischen fast subkutan verankerter Unterwerfungssucht gegenüber den USA. Immer wieder behaupten beispielsweise Politiker der Union, Deutschland sei den USA gegenüber zur Dankbarkeit verpflichtet. Auch hier spricht Münkler in einer Weise Klartext, die an den deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt erinnert: In der Politik sei Dankbarkeit, so unterstreicht Münkler, nur ein "anderes Wort für Vasallität". Immerhin lassen sich mit Blick auf Bundeskanzler Schröder zaghafte Emanzipationsversuche feststellen. Wie ernst diese Versuche gemeint sind, wird die Zukunft zeigen. 


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen