© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/03 21. Februar 2003

 
Augen zu und durch
Organisierte Kriminalität: Wie Berlin immer mehr im Waffen-, Drogen- und Menschenhandel erstickt
Oliver Holsten

Als am 7.Feburar der Hamburger Innensenator Ronald Schill die Polizeiliche Kriminalstatistik für die Hansestadt vorstellte (JF 8/03), konnte er auf beachtliche Erfolge verweisen. In nahezu sämtlichen Bereichen gingen die Fallzahlen zurück. Zurecht schloß Schill mit dem Fazit, wonach Hamburg nicht mehr "die Hauptstadt des Verbrechens, sondern der Verbrechensbekämpfung" sei.

Auch die Bundeshauptstadt Berlin möchte bei diesem Trend gerne mithalten. Statt die Ermittlungsbehörden zu stärken, wird in Berlin jedoch Augenwischerei betrieben.

Im September 2002 stellten Innensenator Ehrhardt Körting (SPD) und Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) den Jahresbericht 2001 vor. Körting brüstete sich mit der Feststellung, daß sich die Befürchtung, Berlin würde sich zum Zentrum der Organisierten Kriminalität (OK) in Europa entwickeln, nicht bewahrheitet hätte. Das man die organisierte Kriminalität natürlich nur erkennen kann, wenn man starke repressive und präventive Maßnahmen ergreift, verschwieg er geflissentlich.

So ist aus Polizeikreisen bekannt, daß Berlin längst von etwa zehn russischen Syndikaten beherrscht wird. In ganz Deutschland soll es ungefähr 20 davon geben. Die russische Mafia hat die türkische und arabische Konkurrenz längst an den Rand gedrängt. Drogenhandel, Autoschieberei, Zuhälterei und Menschenhandel sind bei weitem nicht mehr die einzigen Tätigkeitsfelder der Russenmafia. Waffenhandel, Computerkriminalität und Betrügereien in allen möglichen Facetten gehören mittlerweile ebenfalls zum Handwerk der Russenmafia. Selbst der illegale Zigarettenhandel ist nicht mehr allein in vietnamesischer Hand. Von ihren vor allem rund um den Kudamm angemieteten Büros ihrer Scheinfirmen aus werden die europaweiten Geschäfte organisiert.

Vor derartigen Schauergeschichten verschließt die Berliner Politik die Augen. Statt dessen erklärt Innensenator Körting sich selbst lobend, daß die organisierte Kriminalität in Berlin sogar rückläufig sei. Wurden im Jahre 2000 noch 133 Komplexverfahren mit 654 Tatverdächtigen (54 Prozent Ausländer) geführt, waren es 2001 nur noch 120. Ein Rückgang um zehn Prozent, den Körting nutzt, um seine Theorie eines OK-freien Berlins zu untermauern.

Wenn er seine Aufgabe ernst nehmen würde, hätte er jedoch diesen Rückgang als besorgniserregend bezeichnen müssen. Denn OK-Delikte sind nur selten Anzeigedelikte, also Straftaten, die von irgendjemandem angezeigt werden. Es sind zumeist Delikte, die erst durch intensive Polizeiarbeit ans Tageslicht befördert werden. Die richtige Schlußfolgerung aus Körtings Aussage muß also lauten, daß die Ermittlungsbehörden nicht mehr in der Lage sind, die organisierte Kriminalität aufzuspüren. Eine logische Konsequenz der radikalen Berliner Sparpolitik.

Das macht sich auch im Bereich der Finanzermittlungen und Gewinnabschöpfung bemerkbar, die das Ziel haben, den Tätern das zu Unrecht erlangte Vermögen wieder abzunehmen. Konnten im Jahre 2000 noch rund 13 Millionen DM gesichert werden, waren es 2001 nur noch 1,3 Millionen DM. Ein Rückgang um 90 Prozent, dem seitens der Politik keine weitere Bedeutung zugemessen wird.

Erschreckend auch die justizielle Bilanz, für die Justizsenatorin Schubert verantwortlich ist. Die im OK-Bereich geführten Ermittlungen mündeten lediglich in 329 Verfahren, die auch zur Anklage gebracht wurden. Davon wurden nur 260 Fälle vor Gericht auch als Delikte mit OK-Bezug bis zum Urteilsspruch geführt. Lediglich 59 Urteile beinhalteten eine Haftstrafe von mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe.

Berlin entwickelt sich allen frommen Wünschen zum Trotz zum Dreh- und Angelpunkt der international operierenden Russenmafia. Die Strafverfolgungsbehörden sind bemüht, der Organisierten Kriminalität auf die Schliche zu kommen. Doch der gute Wille bleibt meist schon im Ansatz stecken. Ein Blick auf die polizeiinterne Definition für die Organisierte Kriminalität verrät den Grund: "Organisierte Kriminalität (OK) ist die von Gewinn- und Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig unter Verwendung gewerblicher oder gewerbsähnlicher Strukturen unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder unter Einflußnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken."

Politische Einflußnahme auf die Ermittlungen

Die Bearbeitung derartiger Straftaten bedarf höchster technischer Ausstattung und Ausrüstung, viel Personal und externer Wirtschaftskompetenz. In Berlin wird nicht ein einziges Kriterium erfüllt. Wenn dann die Motivation der Beamten auch noch seitens der Politik mit Füßen getreten wird, läßt sich leicht ausrechnen, wie erfolgreich in Berlin die Organisierte Kriminalität bekämpft wird.

Neben Personalmangel, schlechter Ausrüstung und ungenügender Wirtschaftskompetenz stellt sich den Ermittlern noch ein weiteres Problem in den Weg - die Politik.

Beispielhaft steht hierfür die Berliner Bankgesellschaft, die bis zur Aufdeckung des Skandals von CDU und SPD gleichermaßen getragen wurde. Der SPD gelang es, die Schuld allein der CDU, insbesondere dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Klaus Landowsky, in die Schuhe zu schieben. Seither profiliert sich die SPD, vor allem die Justizsenatorin Karin Schubert, mit einem öffentlichkeitswirksamen Aufklärungswillen.

Daß der nur gespielt ist, wurde den Ermittlern schnell deutlich. Bereits im Frühsommer 2002 machte die Senatorin Schubert eine bundesweit durchgeführte Durchsuchungsaktion der Ermittler zunichte, indem sie die Aktion zwei Tage zuvor gegenüber der Berliner Morgenpost ausplauderte. Jeden Beamten hätte das die Suspendierung eingebracht. Gegen Frau Schubert wurden dagegen weder strafrechtliche noch disziplinarrechtliche Maßnamen auch nur eingeleitet. Die zehnköpfige Ermittlerkommission der Staatsanwaltschaft ist mittlerweile völlig auseinandergebrochen. Die Hälfte aller damit beschäftigten Staatsanwälte hat bereits ihre Versetzung erwünscht, da sie mit der politischen Einflußnahme nicht klarkämen.

Die Zukunft Berlins sieht düster aus. Während die Zahl der Ermittlungsverfahren weiter zurückgehen wird, weil an Personal und Ausstattung gespart wird, kann sich die Organisierte Kriminalität ganz und gar wie ein Schleier über der Stadt ausbreiten. Die Art und Weise, wie der Senat mit seinen Angestellten und Beamten umspringt, bereitet den fruchtbaren Boden für Bestechlichkeit und Korruption. Die Verstrickungen der SPD in die Berliner Bankenaffäre und die Versuche, massiv Einfluß auf die Ermittlungsarbeit zu nehmen, sind ein klares Zeichen. Berlin wird von einem Bürgermeister regiert, dessen Partei, ob nun willentlich oder aus Unvermögen, die Organisierte Kriminalität eher fördert statt zu bekämpfen.


 
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