© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/03 21. Februar 2003

 
Deutsche Belange wahrnehmen
US-Stützpunkte in Deutschland: Die Gewährung der Überflugrechte der Amerikaner für einen Angriffskrieg bringt die Bundesregierung in einen Verfassungsnotstand
Alexander Griesbach

Die US-Truppen in Deutschland bereiten sich seit Monaten auf einen Krieg gegen den Irak vor. Hierbei sind eine Reihe der etwa 70.000 in Deutschland stationierten Soldaten bereits in die Golf-Region verlegt wurden. Weitere werden folgen, bis jene Truppenstärke erreicht sein wird, die für einen Angriff auf den Irak, nach Lage der Dinge Anfang März, geplant ist. Weniger im Fokus der Diskussion sind freilich die mit einem Krieg gegen den Irak verbundenen Rechtsfragen, die in Deutschland bisher allenfalls ansatzweise ventiliert worden sind und die größte Brisanz in sich bergen, wie einschlägige Expertisen der Organisation "Ialana" deutlich gemacht haben. "Ialana" ist eine überparteiliche und unabhängige internationale Organisation von Juristen, die sich für gewaltfreie Konfliktlösungen engagiert. Die deutsche Sektion wurde 1989 in Bonn gegründet. Im Zusammenhang mit der völkerrechtlichen Bewertung der Irak-Krise ist insbesondere der Leipziger Bundesverwaltungsrichter Dieter Deiseroth hervorgetreten, dessen bedenkenswerte Argumente an dieser Stelle nachgezeichnet werden sollen.

Kommt es tatsächlich zu einem Krieg gegen den Irak, wird auch Deutschland davon tangiert werden. Mit ziemlicher Sicherheit wird die Bundesregierung um Überflugrechte im deutschen Luftraum ersucht werden. Weiter könnten US-Flugzeuge auf US-Militärflughäfen in Deutschland (US-Air-Base Rhein-Main) zwischenlanden und von hier aus in ihre Einsatzgebiete weiterfliegen. Und schließlich dürften auch die in Deutschland gelegenen US-Kommandoeinrichtungen (US-Eucom in Stuttgart-Vaihingen) sowie US-Kommunikations- und Infrastruktursysteme in die Planung und Durchführung militärischer Operationen gegen den Irak einbezogen werden. Von einer Nichtbeteiligung Deutschlands am Irak-Krieg kann vor diesem Hintergrund kaum noch die Rede sein. Hat die Bundesregierung in diesen Fragen überhaupt einen Handlungsspielraum gegenüber den USA? Oder ist Deutschland aufgrund bestehender internationaler Verträge gezwungen, dem US-amerikanischen Ansinnen ohne Einschränkung entsprechen zu müssen?

Nach allgemeinem Völkerrecht, das auch in internationalen Übereinkommen seinen Niederschlag gefunden hat, besitzt jeder Staat im Luftraum über seinem Hoheitsgebiet "volle und ausschließliche Lufthoheit". Eine besondere Situation liegt vor, wenn, wie im Falle Deutschlands, ausländische Truppen im Land stationiert sind. Nach der Aufhebung des Besatzungsrechts durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 erfolgte dies in Deutschland in Gestalt des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut (vgl. "Überflugrechte und Nutzungsrechte der USA", Wissenschaftlicher Dienst des DeutschenBundestages, 18. Dezember 2002). Dieses Zusatzabkommen führte in der bis 1994 geltenden Fassung die Regelungen aus der Besatzungszeit als Vertragsrecht fort, was den in Deutschland stationierten US-Truppen eine weitgehende Bewegungsfreiheit im deutschen Luftraum eröffnete.

Im Zuge der Neufassung des Zusatzabkommens (ZN94) ist diese Regelung 1994 geändert worden. Nunmehr bedürfen auch die in Deutschland stationierten US-Streitkräfte, darauf machte Deiseroth in einer Expertise mit dem Titel "US-Stützpunkte in Deutschland im Falle eines US-Krieges gegen den Irak - Zur geltenden Rechtslage" aufmerksam, grundsätzlich jeweils einer Genehmigung durch die deutsche Bundesregierung, wenn diese mit Land-, Wasser- oder Luftfahrzeugen in die Bundesrepublik "einreisen oder sich in und über dem Bundesgebiet bewegen" wollen. Allerdings werde diese grundsätzliche Genehmigungspflicht teilweise wieder eingeschränkt: Transporte und andere Bewegungen, die aufgrund von internationalen Übereinkünften zustande kommen, denen die Bundesrepublik und einer oder mehrere der Entsendestaaten als Vertragspartei angehören, gelten als genehmigt. Diese Regelung ist als Ausnahme von dem im Völkerrecht geltenden Grundsatz der vollen Hoheitsgewalt jedes Staates über sein Territorium und seiner Lufthoheit über seinem Hoheitsgebiet ausgestaltet. Deiseroth unterstreicht, daß die unter bestimmten Voraussetzungen für US-Militärflugzeuge generell genehmigte "Einreise" und Bewegungsfreiheit "in und über dem Bundesgebiet" allein die im Nato-Rahmen stationierten US-Truppenteile betreffe. Wollten dagegen anderweitig in den USA stationierte US-Truppenteile ohne "Nato-Auftrag" mit Luftfahrzeugen etwa auf ihrem Weg in den Nahen Osten in Deutschland lediglich den deutschen Luftraum benutzen oder zwischenlanden, bleibe es bei der grundsätzlichen Genehmigungsbedürftigkeit. Es ist deshalb, betont Deiseroth, für die Genehmigungsfreiheit der Benutzung deutschen Luftraums durch US-Militärflugzeuge im Falle eines Krieges gegen den Irak rechtlich betrachtet von großer Bedeutung, welche Rolle die Nato in einem solchen Krieg einnehme.

Ungeachtet aller sonstigen Auslegungsschwierigkeiten ergebe sich daraus für die zuständigen deutschen Stellen, vor allem für die Bundesregierung "im Konfliktfalle jedenfalls rechtlich die Befugnis zu kontrollieren, ob die Stationierungsstreitkräfte auf den überlassenen Liegenschaften im Einzelfall ausschließlich 'Verteidigungspflichten' im Sinne des Zusatzabkommens und des Nato-Vertrages wahrnehmen oder aber andere Maßnahmen vorbereiten oder gar durchführen". Das ZA94 soll dabei sicherstellen, daß die deutschen Behörden "die zur Wahrnehmung deutscher Belange erforderlichen Maßnahmen" innerhalb der Liegenschaften durchführen können. Was dabei zur "Wahrnehmung deutscher Belange" erforderlich sei, ist weder in dieser Bestimmung noch in anderen Abkommen im Einzelnen definiert.

"Vom deutschen Boden darf nur Frieden ausgehen"

Der Artikel 2 des Zwei-Plus-Vier-Vertrages verpflichtet Deutschland dazu, "daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird". Unklar ist freilich, wie im Einzelfall unterschieden werden kann, ob die jeweiligen, aus den USA kommenden und in den deutschen Luftraum einfliegenden Militärflugzeuge und ihr militärisches Personal Verpflichtungen der im Rahmen der Nato in Deutschland stationierten Truppenkontingente nachkommen - oder ob diese reine "US-nationale Aufgaben" außerhalb der Nato erfüllen und mithin für die Benutzung des deutschen Luftraums jeweils einer Genehmigung der Bundesregierung bedürfen.

Eine weitere Grauzone bestehe laut Deiseroth, wenn US-Militärflugzeuge, Truppen und Waffensysteme in einen US-Krieg gegen den Irak einbezogen würden, die bereits in Deutschland im Rahmen von Nato-Aufgaben auf US-Basen stationiert seien und von hier aus in das Kriegsgebiet fliegen sollen. Entscheidend sei nun, wie diese - sich aus den genannten völkerrechtlichen Abkommen ergebenden - Grauzonen letztlich aufgelöst würden. Diese hänge, so Deiseroth, entscheidend "von politischen Entscheidungsparametern" ab. Dazu gehört, ob es der jeweiligen deutschen Regierung gelingt, etwa im Falle eines völkerrechtswidrigen US-Angriffs auf den Irak die Nato aus dem Konflikt herauszuhalten oder "eine Unterstützung ihrer kriegskritischen politischen Position durch andere Nato-Verbündete zu erreichen und so eine Singularisierung Deutschlands im Rahmen der Nato zu vermeiden". Ferner wäre von Bedeutung, ob die deutsche Regierung in der Lage wäre, die "Öffentlichkeit" für ihre Position zu gewinnen oder gar zu mobilisieren. Auf diesem Weg ist die rotgrüne Bundesregierung mit dem zweiten Bericht der UN-Waffeninspekteure vor dem Weltsicherheitsrat am Freitag letzter Woche ein ziemliches Stück vorangekommen.

Allerdings ist bei einem derartigen Procedere - und die gegenwärtige "Eiszeit" zwischen Washington und Berlin belegt dies - ein Konflikt mit den USA vorgezeichnet. Dieser Konflikt müsse aufgrund prinzipieller Erwägungen ausgetragen werden. Denn würde es die deutsche Regierung im Falle eines US-Krieges gegen den Irak widerspruchslos dulden, daß die US-Militärbasen in Deutschland sowie der deutsche Luftraum von US-Militärflugzeugen und ihrem Personal im Rahmen offenkundig völkerrechtswidriger Militäreinsätze genutzt würden, so wären die Folgen eklatant: "Zum einen würde eine deutsche Regierung mit der bewußten Duldung der Einbeziehung des deutschen Luftraums und deutschen Hoheitsgebietes in die Führung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges einen fatalen 'Präzedenzfall' für die Zukunft schaffen." Dies deshalb, weil eine sich herausbildende oder gar sich verfestigende Staatspraxis "zur authentischen Auslegung und Implementierung völkerrechtlicher Regelungen" entscheidend beitrage.

Zum anderen - und dies wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die notorischen Apologeten der US-Position wie Friedbert Pflüger oder Wolfgang Schäuble in den Unionsparteien - stünde "jede deutsche Regierung vor dem Abgrund des Verfassungsbruchs". Wenn eine Bundesregierung "bewußt das deutsche Hoheitsgebiet in die Führung eines völkerrechtswidrigen Krieges verwickeln und einbeziehen ließe, kommt es zum Konflikt mit Artikel 26 GG und Artikel 2 des Zwei-Plus-Vier-Vertrages". Beide Normen verböten ausdrücklich, die Führung eines Angriffskrieges "vorzubereiten". Dieses Verbot eines Angriffskrieges umfasse nach seinem Wortlaut zwar nur dessen "Vorbereitung". Wenn ein Angriffskrieg jedoch von Verfassungswegen bereits nicht "vorbereitet" werden darf, so Deiseroth, "so darf nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ein solcher erst recht nicht geführt oder gefördert werden, in welcher Form auch immer". Das grundgesetzliche Verbot, das zudem strafrechtlich bewehrt sei, sei dabei "umstands- und bedingungslos normiert": Die Vorbereitung, Führung und Unterstützung des Angriffskrieges sei "in jeder Hinsicht verfassungswidrig und unter Strafe zu stellen".

Bekanntermaßen kann sich die US-Regierung bisher auf keine sie ermächtigende Resolution des UN-Sicherheitsrates für einen Krieg gegen den Irak stützen. Die UN-Resolutionen über den Abschluß eines Waffenstillstandes sowie die Einsetzung und Entsendung eines UN-Inspektionsteams (Unscom) zum Aufspüren und Vernichten von ABC-Waffensystemen ermächtigten ebenfalls gerade nicht zur Anwendung militärischer Gewalt gegen den Irak. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang folgende Feststellung Deiseroths: "Sie (die UN-Sicherheitsresolutionen, d.V.) sahen weder vor, daß die Kooperation mit dem UN-Inspektionsteam durch militärische Mittel erzwungen werden sollte, noch daß gar das Regime von Saddam Hussein durch Krieg gestürzt werden sollte." Auch alle in der Folgezeit vom UN-Sicherheitsrat gefaßten einschlägigen Resolutionen enthalten bisher keine Autorisierung eines kriegerischen Vorgehens der US-Regierung und ihrer Verbündeten gegen den Irak.

Allerdings - darauf stellt die US-Regierung bisher ab - besteht bislang keine hinreichende Klarheit darüber, von welchem Zeitpunkt ab Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen einen "bewaffneten Angriff" (des Iraks) ergriffen werden dürfen. Von Israel und den USA ist wiederholt unter Berufung auf Artikel 51 der UN-Charta oder dem Völkergewohnheitsrecht eine "präventive Selbstverteidigung" in Anspruch genommen worden. Dabei wurde argumentiert, angesichts des erreichten Entwicklungsstandes und der Zerstörungskraft moderner Waffen sowie der kurzen Vorwarnzeiten sei es nicht zu erwarten, daß Staaten zunächst ihre drohende Verwüstung bereits durch den ersten Waffeneinsatz des Gegners abwarteten, bevor diese militärisch tätig würden.

Trotz dieses Arguments sei, so Deiseroth, innerhalb der Staatenpraxis ein Präventivangriff oder eine präventive Selbstverteidigung völkerrechtlich grundsätzlich unzulässig. So verurteilte der UN-Sicherheitsrat auch den israelischen Angriff auf den im Bau befindlichen irakischen Nuklearreaktor Tamuz I am 7. Juni 1981 einstimmig. Es lasse sich jedenfalls von einer "Herausbildung einer übereinstimmenden völkerrechtlichen Staatenpraxis und einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung über das Bestehen eines völkergewohnheitsrechtlich anerkannten 'präventiven Selbstverteidigungsrechtes' schlechterdings nicht sprechen", schlußfolgert Deiseroth. Selbst jene Völkerrechtler, die im Wege einer ausdehnenden Interpretation ein Recht auf "präventive Selbstverteidigung" ableiteten, begrenzten dies auf den Fall, daß eine "eindeutige und gegenwärtig gravierende Gefahr" bestehen müßte und daß in "dieser Zwangslage keine anderen Mittel zur Abwehr der aku ten Gefahr zur Verfügung stehen".

Ein Präventivkrieg ist nach UN-Definition eine Aggression

Eine Gefahr, die im Hinblick auf den Irak nicht gegeben ist, weil die USA bisher nicht beweisen können, daß der Irak einen Angriff gegen die USA plant und daß deshalb ein Präventivkrieg zur Abwehr eines derartigen Angriffes legitim ist. Ein Staat, der sich über diese Beschränkungen der einzelstaatlichen Gewaltanwendung in der UN-Charta hinwegsetzt und unter von ihm definierten Voraussetzungen und Bedingungen ein Recht zum Präventivkrieg in Anspruch nimmt, handelt also völkerrechtswidrig. Er begeht "eine Aggression". Ein Nato-Staat aber, so betont Deiseroth, "der eine Aggression plant und ausführt, verstößt nicht nur gegen die UN-Charta, sondern zugleich auch gegen Artikel 1 des Nato-Vertrags". Darin hätten sich alle Nato-Staaten verpflichtet, "in Übereinstimmung mit der Satzung der Uno jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln (...) und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind." Die Bundesregierung handelt also bisher, so kann geschlußfolgert werden, in vollem Einklang mit dem geltenden Völkerrecht.


 
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