© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/03 28. Februar 2003


Das verhetzte Volk
Der "Kampf gegen Rechts" soll die politische Vorherrschaft von Rot-Grün zementieren
Doris Neujahr

In Sachsen-Anhalt hat die neue Landesregierung aus CDU und FDP das Antifa-Projekt "Miteinander e.V." von 1,1 Millionen auf 300.000 Euro zurückgestutzt. Das Internetportal "Netz gegen Rechts" ist seit dem Hinscheiden seines Betreibers, der Hamburger Wochenzeitung Die Woche, lahmgelegt. Im Bundestag haben Unionsabgeordnete in einer Fragestunde zum Thema "Kampf gegen Rechts" die grüne Staatssekretärin und Ausländerbeauftrage Marieluise Beck arg in Verlegenheit gebracht (JF 9/03). Und eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Verwendung des im "Kampf gegen Rechts" verwandten Geldes kritisiert. Sind das tatsächlich schon Indizien für eine Tendenzwende, die den "Austand der Anständigen" korrigiert? Diese Annahme wäre naiv!

Die 800.000 Euro, die die Landesregierung streicht, sind eine Kleinigkeit gegenüber den 200 Millionen Euro, die der Bund in den neuen Ländern für "Aktionen gegen Rechts" zur Verfügung stellt. Die CDU/FDP-Koalition in Magdeburg begründet ihre Kürzungen finanziell, die gesellschaftspolitische Brisanz der Projekte sparte sie aus. Und die Ebert-Stiftung hat keineswegs die horrenden Ausgaben und den falschen Ansatz angeprangert, sondern die fehlende Effizienz.

Das verwundert nicht, wenn man sich die Funktion dieses "Kampfes" betrachtet. Geführt wird er im Namen der "Zivilgesellschaft". Der Begriff appelliert scheinbar an die mündigen Bürger, ihre ureigenen Angelegenheiten als solche zu begreifen und öffentlich zu verhandeln, anstatt diese nur dem Staat zu überlassen. In der Praxis bezeichnet er den Anspruch einer zu politischer Problemlösung unfähigen Linken, sich staatlicher Gelder und Institutionen zu bemächtigen und die eigene Gesinnung in Gesetze zu gießen. Greifbar wird dieser "Kampf" vor allem im Einsatz gegen "Ausländerfeindlichkeit". Anetta Kahane, eine einschlägige Szenengröße in Berlin-Brandenburg, verlangte dafür sogar einen "Milliardenetat" - vergleichbar dem zur Bekämpfung von Schweinepest und Rinderwahnsinn. Offensichtlich fühlt sie sich bereits als Inspektorin für geistige Volksgesundheit.

Solche Paranoia ist in den Aktivistenkreisen eher die Regel als die Ausnahme. Woher kommt sie? Erstens: Jedes Jahr entlassen die Universitäten ein Proletariat aus Sozial- und Geisteswissenschaftlern. Sie sind klug, gutwillig und voller Angst, ins soziale Abseits zu geraten. Jobs bei einer dubiosen "Antirassismus-Initiative" bieten da eine bequeme Alternative.

Zweitens: Aus der Sicht seiner Betreiber ist dieser "Kampf" eine Erfolgsgeschichte. Es ist gelungen, den politischen Gegner zu domestizieren und die kulturelle Hegemonie zu erringen. CDU/CSU sind heute zu einer gesellschaftspolitischen Offensive gegen Rotgrün überhaupt nicht in der Lage, weil ihnen dafür kein Vokabular mehr zur Verfügung steht. Kein Politiker kann es beispielsweise wagen, einen Zusammenhang zwischen der Krise der Bildungs- und Sozialsysteme und einer asozialen Einwanderungs- und Asylpolitik herzustellen, weil der deutsche Sonderweg im Asylrecht inzwischen zu einem universellen Wert erhoben wurde - wenigstens in Deutschland.

Aufschlußreich ist ein Blick in die politischen Aufsätze des BRD-Staatsphilosophen Jürgen Habermas. Das unaufhaltsame Scheitern sozialistischer Utopien und die Wiedervereinigung vor Augen, machte er sich seinerzeit Gedanken darüber, wie die Herrschaft der Herrschaftsfreien zu bewahren wäre. Zunächst mußte der antitotalitäre Konsens endgültig durch den Antifaschismus ersetzt werden, angeblich, weil der Antitotalitarismus auf einer "Asymmetrie" beruhte und die NS-Periode "global ausklammerte". Der Antifaschismus fügte sich in die Absicht ein, Restbestände linker Fortschrittsutopien über den 1989er Zusammenbruch zu retten. Diese utopische Dimension sollte sich in der "Moralisierung der Themen" ausdrücken, um schließlich "noch den Fremdesten zum Angehörigen zu machen". Deutlicher läßt sich der Zusammenhang von Nationalmasochismus, Hypermoral und Multikulturalismus kaum darstellen.

Das Jahr 1989 hat gelehrt, daß Fortschrittsutopien an der Realität zunichte werden, doch der Bedarf an ihnen ist ungebrochen. Ernst Bloch sieht im utopiefixierten Handeln einen Wärme- und Kältestrom ineinanderfließen: Der "situationsanalytische" verschlingt sich mit dem "begeisternd-prospektiven" Akt im "Pathos des Ziels". In der Vision einer multikulturellen Menschengemeinschaft ist dieses Pathos, wenigstens in Momenten künstlich herbeigeführter emotionaler Aufladung, offenbar noch vorhanden.

Ablesbar ist dies an den Gewaltphantasien, die während des "Aufstands der Anständigen" im Sommer 2000 "gegen Rechts" ventiliert wurden. Keine spinnerten Antifas, sondern seriöse, demokratische Politiker, Journalisten und Verbandsvertreter entwarfen eine Gruselliste, die die Kündigung des Arbeitsplatzes, der Wohnung, der Bankkonten, eine spezielle Steuerfahndung und die Einführung von Schnellgerichten umfaßte. Was damals - glücklicherweise nur für einen kurzen Moment - durch den Raum schwebte, war der Plan, die bürgerliche Existenzvernichtung des Gegners herbeizuführen, die Extermination des "Bösen" im Namen des Humanismus.

Warum konnte der "Aufstand der Anständigen" zu einer Massenbewegung werden, obwohl er keinem Masseninteresse entsprach? Weil das manichäische Idealbild einer manipulierten Gesellschaft: hier die Manipulierer, dort die unschuldigen Manipulierten, nie so eindeutig zutrifft. Die einen besitzen die Fähigkeit, temporär an die eigene Demagogie zu glauben und wirken daher menschlich überzeugend. Die anderen sind durchaus nicht blind dafür, daß ihnen Gewalt angetan wird und sie einer Lüge folgen. Trotzdem genießen sie es, die "Hufe der Macht zu küssen", wie Heinrich Mann es in seinem 1914 abgeschlossenen Roman "Der Untertan" ausdrückte. Die Künder der liberalen Zivilgesellschaft, die sich als Gegner jeglichen Untertanengeistes legitimieren, haben ihre Fortschrittsdemagogie mit traditioneller Obrigkeitsstaatlichkeit vermischt: Eine Verlogenheit auf nachgerade schöpferischem Niveau!

Der "Kampf gegen Rechts" richtet sich zunehmend gegen den "Extremismus der Mitte". Im Kern geht es um die Entpolitisierung der Gesellschaft, das heißt, die Bürger sollen durch Tabuisierung und Einschüchterung daran gehindert werden, auf die öffentlichen Angelegenheiten, die sie unmittelbar berühren, Einfluß zu nehmen. Wenn einige Außenseiter aus der Unionsfraktion jetzt im Bundestag einige unbequeme Fragen gestellt haben, ist das nicht mehr als das sprichwörtliche Kratzen an der Fassade. Rotgrün und ihre Unterstützer in den Medien werden beim nächstbesten Anlaß schon demonstrieren, wer der Hegemon im Hause ist!


 
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