© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/03 07. März 2003

 
Schüssels domestizierte Neuauflage
Österreich: Im zweiten Ansatz einer schwarz-blauen Koalition muß die FPÖ auf wichtige Ressorts verzichten
Carl Gustaf Ströhm

Auch in Österreich ändern sich die Zeiten: Galt noch vor drei Jahren die erste "schwarz-blaue" Regierung - also die Koalition zwischen Christdemokraten (ÖVP) und Jörg Haiders FPÖ - als Weltsensation, die im Ausland hauptsächlich Empörung auslöste, so wurde jetzt die Neuauflage dieses Bündnisses zwar nirgendwo mit Begeisterung, aber im Grunde eher achselzuckend zur Kenntnis genommen.

Inzwischen hat Haiders FPÖ, die damals auf einer Welle des Populismus zu schwimmen schien, fast zwei Drittel ihrer Wähler verloren. Der Traum von einer rechts der Mitte stehenden Mittelpartei, die sich in gleicher Augenhöhe mit den beiden etablierten Parteien ÖVP und SPÖ befindet, ist ausgeträumt. Die FPÖ konnte nur noch zehn Prozent für sich mobilisieren - und ein Ende der Talfahrt ist nicht abzusehen. Im Grunde hatten die österreichischen Freiheitlichen ihre "Front" überdehnt. Die neue, von Haider anfangs geförderte junge Aufsteigergeneration produzierte karrierebewußte, aber ideell und weltanschaulich "entleerte" Typen, die zum Schluß das Regieren als schönen Selbstzweck betrieben - solange, bis es im Gefüge der FPÖ zu krachen begann und Haider in offenen Konflikt mit seinen angeblichen Platzhaltern geriet.

Warum, so könnte man fragen, hat sich Wolfgang Schüssel - der Wahlsieger vom vergangenen November (die ÖVP erhielt 42 Prozent) den Tort einer neuen schwarz-blauen Koalition angetan? Es besteht der begründete Verdacht, der österreichische Kanzler - den Gegner auch als Meister des Taktierens bezeichnen - habe seine möglichen Koalitionspartner drei Monate lang aufgerieben, um dann sagen zu können: Ich habe es mit den Roten und mit den Grünen versucht, aber sie haben sich beide nicht bewegt. So sei er gezwungen gewesen, doch mit den dezimierten - wie es scheint domestizierten - blauen (FPÖ-)Überresten handelseinig zu werden. Zumindest hat der Kanzler jetzt eines fertiggebracht: die gesamte österreichische Parteienlandschaft ist demoralisiert und geschlagen. Die Sozialdemokraten, die gleichfalls unter einem Mangel an qualifiziertem Personal leiden, lecken ihre Wunden und müssen sich auf weitere Jahre in der Opposition einrichten. Die Grünen, die einem Zusammengehen mit der ÖVP gar nicht abgeneigt waren und deren Vorsitzender Alexander van der Bellen sich bereits als Vizekanzler in Amt und Würden sah, wurden von Kanzler Schüssel aufs Glatteis gelockt - und machten eine Bauchlandung.

Die Überreste der FPÖ unter dem Kärntner Tierarzt Herbert Haupt mußten um fast jeden Preis mit Schüssel handelseinig werden - sie erhielten das Sozial-, Justiz- und Infrastrukturressort (Verkehr) sowie einige Staatssekretäre mit eher dekorativen Funktionen. Unter letzteren findet man die Schwester Jörg Haiders, die 57jährige Ursula Haubner. Es geht die Fama, ihr sei der Posten zugefallen, weil man auf diese Weise hoffe, den zornigen Jörg Haider zu besänftigen. Dieser hat veranlaßt, daß die Kärntner Landesorganisation der FPÖ auf Distanz zur neuen Regierung geht. Noch herrscht Rätselraten, ob Haider im Schatten der nächstes Jahr anstehenden Kärntner Landtagswahlen noch einmal groß herauskommen will - oder ob im Grunde sein Rückzug aus der Politik auf Raten bereits begonnen hat.

In der FPÖ herrschen unklare bis chaotische Zustände. Wenn sechs der achtzehn FPÖ-Abgeordneten abspringen sollten, hätte Schüssel keine Mehrheit mehr. Zwar betonen Kenner der Situation, ein nochmaliges vorzeitiges Platzen der Koalition würde die FPÖ gänzlich von der politischen Szene verbannen - aber in diesem Falle wäre auch der Nimbus Schüssels als Kanzler dahin. Selbst in der ÖVP formiert sich eine Front der Regierungsgegner - und auch hier wurde der schärfste Kritiker, der Landeshauptmann von Niederösterreich, Erwin Pröll, auf landesübliche Weise besänftigt, indem sein Neffe Josef Pröll zum Landwirtschaftsminister ernannt wurde.

Sicher ist nur, daß auf die Österreicher im Zeichen des Kabinetts "Schüssel II" eine neue Welle von Belastungen, Steuer- und Tariferhöhungen zurollt: von der Verteuerung der Krankenkassengebühren bis zur Erhöhung der Benzin- und Energiesteuer. Das vom Finanzminister Karlheinz Grasser, der von der FPÖ zur ÖVP überlief, vollmundig angekündigte Nulldefizit ist in weite Ferne gerückt. Das Haushaltsdefizit wird von 0,7 auf 1,5 Prozent anwachsen. Pessimisten sehen auf das bisher stabile Österreich unruhige Zeiten hereinbrechen. Zur Zeit glauben die wenigsten, daß das Kabinett Schüssel II bis zum Ende der Legislaturperiode durchhalten wird.

Foto: Vereidigung der neuen Regierung Schüssel durch Bundespräsident Thomas Klestil: Achselzuckend zur Kenntnis genommen


 
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