© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/03 07. März 2003

 
Pankraz,
Hadrianus und die Sprüche des Präsidenten

Geradezu dankbar las Pankraz im britischen Guardian eine "deutsche Lektion für George W. Bush", in der der kriegslüsterne US-Präsident an gewisse historische Tatsachen erinnert wurde. Bush will mit seinem Feldzug gegen den Irak bekanntlich dort die Demokratie einführen, und um das zu rechtfertigen, kam er vor einigen Tagen auf Deutschland und Japan zu sprechen. Kaum jemand, so tönte er, habe es vor 1945 für möglich gehalten, daß die Kulturen Japans und Deutschlands je fähig sein könnten, "demokratische Werte aufrechtzuerhalten". Aber siehe, durch den Krieg, den die USA gegen diese Länder führten, seien alle Skeptiker eines Besseren belehrt worden. Die Demokratie sei dank der Bomben aus Amerika sowohl in Japan als auch in Deutschland "dauerhaft befestigt" worden. Gegen solche Art Geschichtsverständnis also wandte sich der Guardian, und zwar ausschließlich mit Fakten.

Wisse Bush denn nicht, fragte die Zeitung, daß das deutsche Wahlrecht auf das Jahr 1849 zurückgehe, auf eine Zeit also, da in Bushs Heimatland noch die Sklaverei ausgeübt wurde? Zitat Guardian: "Wenn man bedenkt, daß Amerika erst 1965 eine volle Demokratie wurde und Deutschland 1945, darf man wohl behaupten, daß Deutsche eine mindestens so starke demokratische Tradition haben wie Amerikaner. Abgesehen davon besteht kein Zweifel darüber, wer die jüngste Wahl in Deutschland gewonnen hat, was mehr ist, als man über die Vorgänge sagen kann, die Bush ins Amt gebracht haben."

Uff, uff, kann man da nur beipflichten. Die politische Rhetorik der Regierung Bush und des Präsidenten selbst ist mittlerweile derart deprimierend und kontraproduktiv, daß man darüber nicht einmal mehr den Kopf schütteln mag. Freche Lippe paart sich mit totaler historischer Ignoranz, stammtischartiges Auftrumpfen mit einer Verachtung fremder Traditionen, die einen erschauern läßt. Wenn so die "leadership", die Führerschaft des neuesten Welthegemons klingt, kann man sich vorstellen, was für globale Verheerungen dieser Hegemon künftig anrichten wird, was für Plattmachereien und geistige Ödnisse. Ein Reich der Dummheit steht uns ins Haus, wie es möglicherweise noch nie zuvor auf Erden gewaltet hat.

Aber gehört es nicht zur Charakteristik von Hegemonen, von Imperien überhaupt, dumm zu sein, Tatsachen zu ignorieren oder platt zu machen, den Mythos, die Anfangserzählung einer gewachsenen Gemeinschaft, durch die sie sich erklärt und rechtfertigt, durch grobschlächtige, flachsinnige Ideologien zu ersetzen? Das römische Imperium rettete sich, wenigstens zeitweise, vor solcher Kalamität, indem es sich in seinen geistigen Schichten hellenisierte, die Sprache und den Mythenschatz einer fremden, wenn auch verwandten Kultur, die tiefer reichte als die eigene, übernahm und erlernte. Andere Imperien, die Mongolenreiche Dschingis-Khans und Tamerlans beispielsweise, waren nicht so klug, und sie verschwanden denn auch recht schnell wieder von der Bildfläche.

Der Bestand Roms hingegen wurde garantiert und für eine Weile gesichert durch gelegentliche Imperatoren wie den großartigen Publius Aelius Hadrianus, der von 117 bis 138 regierte, von Haus aus ein harter Offizier, der sich in den grausamen Kriegen gegen die Daker bewährte, gleichzeitig aber ein hochgebildeter Herr mit gewaltigem Wissen und einer unerhörten Empfindlichkeit gegenüber autochthonen Kulturen und Traditionen. Unter ihm gedieh das Reich zu einem wahren Garten der Völker. Die alten kulturellen Zentren, Ägypten und vor allem Griechenland, blühten auf wie zu ihren besten klassischen Zeiten.

In Athen zog ein völlig neuer Geist ein. Es enstanden nach dem ausdrücklichen Willen des Cäsar ganze neue, prächtige Stadtviertel, das Olympieion, die Hadriansstoa und andere. Hadrians bekannteste Werke in Rom sind heute noch zu bewundern: sein Mausoleum (die jetzige Engelsburg) und die Hadriansvilla bei Tivoli.

Auch Hadrianus war im Irak engagiert, in Assyrien und Mesopotamien, die sein Vorgänger Trajan dem Reich gewaltsam einverleibt hatte, was zu endlosen Kriegen mit den vorher dort herrschenden Parthern führte. Hadrian gab den Irak wieder preis, weil er genau erkannte, daß diese Erwerbung dem Imperium nur zum Unheil ausschlagen konnte, angesichts des unendlichen Hasses gegen Rom, der dort umging.

Er war ein großer Friedensfürst, was ihn freilich nicht hinderte, in Jerusalem den Aufstand Bar Kochbas und seiner Zeloten blutig niederzuschlagen. Es ist unter Historikern viel gerätselt worden, weshalb Hadrian so leicht aus dem Irak herausging und weshalb er gegen Simeon von Kosiba, der sich Bar Kochbah (Sohn des Sterns) nannte und der wahre Messias der Juden zu sein begehrte, so gnadenlos kämpfte. Pankraz vermutet, daß dieser große Ritter des Maßes und der politischen Vernunft eine gewaltige Verachtung und Abneigung gegen diejenigen hegte, die sich als Heilsbringer und auserwählte Lieblinge der Götter aufspielen und die daraus das Recht für sich ableiten, Tod und Leid über andere Menschen bringen zu dürfen.

Um aber noch einmal auf den Guardian und seine "deutsche Lektion" zurückzukommen: Die britischen Kollegen hätten ihren Blick auf die deutsche Demokratie auch noch auf viel frühere Zeiten, als es 1849 war, ausdehnen können, bis hin zum Mittelalter. Bei den italienischen Humanisten (Petrarca, Machiavelli), die ja wahre Experten für republikanische, bzw. monarchische Zustände waren, lesen wir, daß ihnen bei ihren Reisen nach "Germanien" (Petrarca nach Köln, Machiavelli nach Augsburg) besonders das republikanisch-senatorische Regiment der deutschen Reichsstädte, ihr gutes und fruchtbringendes Funktionieren, größten Eindruck machte. George W. Bush ist nun leider kein zweiter Petrarca oder Machiavelli. Ein bißchen bei ihnen nachlesen lassen könnte er aber doch.


 
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