© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/03 14. März 2003

 
Pankraz,
Graf Schönberg und die Verarmung in Anmut

Ziemlich witzig der Einfall der Süddeutschen Zeitung, in der Wochenendbeilage eine Serie mit dem Titel "Deutschland muß lernen, mit Anmut und Stil zu verarmen" zu starten und sie auch noch von einem waschechten Grafen Alexander von Schönberg schreiben zu lassen. Leider ist nach der ersten Folge zu befürchten, daß alles nicht so ernst gemeint ist, daß es sich vielmehr um einen Ratgeber für Journalisten und sonstige Medienleute handelt, denen gekündigt wurde und die nun trotz ausbleibender Gehalts- oder Garantiesummenzahlungen ihre Wohlstandsfassade, ihre "Würde" wahren wollen.

Dazu wäre schon mal zu sagen: Wer mit buchstäblich allen Mitteln seine Wohlstandsfassade, den schönen Schein um sich herum, aufrechterhalten will, dem gelingt es gerade nicht, Würde zu wahren, der offenbart, daß er nur aus Fassade besteht und nichts dahinter ist. "Es ist schwer für einen leeren Sack, aufrecht zu stehen", wußte schon Aristophanes. Bloßer Schein hat mit Würde am wenigsten zu tun und folglich auch nichts mit Anmut und Stil.

Natürlich ist Armut, trotz Rilkes ",Stundenbuch", alles andere als ein "großer Glanz von innen", vor allem wenn sie Resultat einer vorangehenden Verarmung ist, eines Absturzes aus den Höhen von Wohlstand oder gar Reichtum. Sie macht unfrei, und sie besitzt eine düstere Kraft, eine verhängnisvolle Eigendynamik, stürzt den von ihr Betroffenen leicht in Apathie und Initiativlosigkeit, so daß er nichts mehr von sich selbst, alles nur noch von außen erwartet. "Der Verarmte wird häßlich", diagnostizierte Oscar Wilde; er sprach aus bitterer Eigenerfahrung.

Es kann nie und nimmer darum gehen, den Schein zu wahren, sondern immer nur darum, so schnell und so gut wie möglich wieder aus dem Morast herauszufinden. Man muß nicht lernen, mit Anmut und Würde zu verarmen, man gewinnt vielmehr Anmut und Würde, indem man die Bestände sichert und sie auch wieder vermehrt, und zwar ohne Anwendung dubioser oder gar schurkischer Methoden; das betrifft sowohl den einzelnen wie auch ganze Gemeinschaften oder Staaten.

Wenn die alten Stoiker und Humanisten, von Seneca bis Hans Sachs, unisono und voll Eifer versichern, daß die Armut im Gegensatz zum Reichtum niemandem "an seinem Adel schadet" (Boccaccio), so muß immer hinzugefügt werden: sie nützt ihm, apathisch liegengelassen, auch nicht, hilft ihm nicht auf. Ein Aktivum muß hinzutreten, Wille, Einfallsreichtum, zumindest präzise Unzufriedenheit. Dies vorausgesetzt, kann sich Armut allerdings als Chance erweisen, als Chance zur Lebenssteigerung, zum vernünftigen Nachdenken, zum Werteschaffen, zur moralischen Aufrüstung.

"Sie brauchen nichts zu wissen, Sie sind ein reicher Mann", mosert der Eulenspiegel bei Nestroy einen selbstgefälligen Dickwanst an, "aber ich? Ich bin ein armer Teufel, mir muß was einfallen." Dieses "Muß" gilt noch mehr für Staaten als für einzelne, freilich gilt es gleichermaßen für arme wie für reiche, dickwanstige Staaten, nur daß letztere sich in der Regel der Illusion hingeben, ihnen bräuchte tatsächlich nichts mehr einzufallen, alles könne per Bankscheck und somit im Selbstlauf geregelt werden. Die Quittung kommt mit tödlicher Sicherheit. Sie besteht eben in jener zunächst auf leisen Sohlen, dann immer poltriger daherkommenden Verarmung, sowohl in den öffentlichen wie den privaten Haushalten, die laut Süddeutscher jetzt also mit Anmut und Würde "gelernt" werden soll.

Was könnte, müßte ein Staat wie die Bundesrepublik Deutschland aus seiner Verarmung wirklich lernen? Zunächst käme es darauf an, die Chancen, die die neue Lage bietet, überhaupt wahrzunehmen und ihnen handelnd näherzutreten. Ein armer Staat kann international nicht mehr im selben Maße gemolken und abgezockt werden wie die alte, reiche, dickwanstige BRD der Ära Kohl, zumal eine der wichtigsten Reichtumsquellen der damaligen Zeit, die D-Mark, inzwischen den Bach hinuntergeschickt wurde.

Finanzexperten wie Werner Obst haben ja längst vorgerechnet, daß Deutschland nicht zuletzt durch überhöhte EU-Zahlungen und sonstige Kontributionen in die Finanzkrise getrieben worden ist. Mit derartigen Zahlungen muß endlich Schluß sein. Deutschland ist kein reiches Land mehr, die Kohlschen Spendierhosen passen ihm nicht mehr. Es muß sich nicht gleich so knauserig und egoistisch gebärden wie Frankreich, doch wäre es - um nur ein einziges Beispiel zu nennen - geradezu ein Verbrechen, wenn sich die Berliner Regierung wiederum, wie ehedem die Bonner Regierung zusammen mit Japan beim zweiten Golfkrieg, dazu bereit fände, im nachhinein nun auch den dritten Golfkrieg zu finanzieren. Kein Hinweis auf Anmut (Nonchalance) und Würde könnte so etwas vor dem Volk rechtfertigen.

Ein weiteres, noch wichtigeres Lernmotiv läge in dem, was sich mit dem oft mißbrauchten Wort von der Solidarität umreißen ließe. Niemand muß automatisch mitverarmen, weil der Nachbar verarmt, aber eine politische Klasse, die ihrem Land dramatische finanzielle Einbußen bis an den Rand zur Verarmung auferlegt, muß mit dem Gürtel-enger-Schnallen unbedingt den Anfang machen. Auf mindestens die Hälfte ihrer Diäten und Aufwandsentschädigungen und Rentenansprüche hätten unsere Volksvertreter zu verzichten, wenn sie es mit ihrer Sparpolitik ernst meinten und dafür beim Volk Glaubwürdigkeit gewinnen wollten. Das wäre das mindeste.

Alle müssen bescheidener werden, um wieder effektiv und einfallsreich zu werden. Andererseits darf die Verarmung selbstverständlich nicht unter ein bestimmtes Maß hinuntergetrieben werden, denn ein "zu armes" Volk ist, nach der Auskunft des klugen Machiavelli, genauso unregierbar wie ein "reiches, allzu reiches". Anmut und Würde haben durchaus mit gutem Regieren zu tun, aber sie zeigen sich ausschließlich im Maßhalten, sowohl bei der Verarmung als auch beim Reichwerden.


 
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