© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/03 14. März 2003

 
Die rot-grüne Familienphantasie
von Mathias von Gersdorff

Im Jahr der Koalitionsbildung 1998 vereinbarten SPD und Grüne folgenden Leitsatz für die künftige Familienpolitik: "Familie ist, wo Kinder sind. Wir respektieren dies und werden für die Gleichstellung der Familienformen sorgen". Nach diesem Prinzip versucht seitdem die rot-grüne Koalition eine Art Kulturrevolution durchzuführen, die nichts geringeres zum Ziel hat, als die traditionelle Familie ganz in den Hintergrund zu drängen. "Gleichstellung der Familienformen" soll bedeuten, daß alle möglichen Partnerschaftsformen, Wohngemeinschaften, Ehen auf Zeit, willentlich Alleinerziehende und homosexuelle Paare allmählich zu Ehen deklariert werden und dadurch die traditionell-christliche Familie nur eine unter vielen "Partnerschaftsformen" sein wird. Familienministerin Ulla Schmidt von der SPD steht für dieses neue Ziel. In ihrem Buch, das geradezu zynisch den Titel "SOS Familie" trägt und im März 2002 im Rowohlt Verlag erschien, erklärt sie: "Natürlich muß über die ideelle Familie geredet werden, aber bitte, über ihre bunte Gesamtheit. (...) Wir müssen über Zweielternfamilien genauso wie über Eineltern- und ausländische Familien reden, über Stief-, Adoptiv-, Pflege- und Patchworkfamilien, über nicht eheliche Lebensgemeinschaften."

Für Ulla Schmidt ist es sogar an der Zeit, vom DDR-Staat zu lernen, in dem ein flächendeckendes System von Kinderkrippen und Ganztagsschulen eingeführt wurde, um die Kinder vom Säuglingsalter an unter die Obhut des Staates zu stellen. Im Kapitel "Vom Osten viel Neues" in dem erwähnten Buch schreibt die Ministerin: "Nach meinem Familienbesuch in der DDR war ich fest entschlossen, alles dafür zu tun, daß wir in der Familienpolitik, aber auch in der Frauenpolitik die Chance nutzen, positive Entwicklungen in der Bundesrepublik - wie die allmähliche Emanzipation - mit positiven Entwicklungen der DDR - wie ausreichende Betreuungseinrichtungen - zu verbinden." Das einzig Negative an der Situation der Frau im kommunistischen Deutschland nämlich sei gewesen, daß "Emanzipation in der DDR fast ausschließlich bedeutete, den Frauen die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. (...) Frauen fanden es selbstverständlich, daß alles, was Kinder, Kochen, Putzen, Waschen und Einkaufen betraf, in ihre Zuständigkeit fiel."

In der DDR hatten die Frauen so gut wie keine Wahl, als berufstätig zu sein. So ist es wieder ein Zynismus, wenn Frau Schmidt im positiven Ton berichtet, daß die "nahezu ununterbrochene Erwerbsbeteiligung der Frauen eine nahezu vollständige Betreuungsmöglichkeit für Kinder aller Altersgruppen voraussetzte. (...) Spätestens seit den siebziger Jahren (unter Erich Honeckers Frau Margot, Anm. d. Verf.) gab es in der DDR ein flächendeckendes Angebot an Krippenplätzen". Über die "flächendeckende Betreuung", die nichts anderes im Sinn hatte, als den neuen, sozialistischen Menschen zu bilden, kommt Frau Ulla Schmidt in ihrem Buch geradezu ins Schwärmen.

So zitiert sie DDR-Frauen, um zu belegen, wie gut die Kinder im Realsozialismus betreut wurden: "Die Kinderkrippe hat Regine Hildebrandt abgelehnt, nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil dort die Kinder häufiger erkrankten. (...) Uta Meier bezeichnet die Krippenerziehung und die dortigen Betreuerinnen als sehr versiert, als sehr junge Mutter fand sie in ihnen kompetente Beraterinnen. (... ) Die durchgehend tagsüber außerhäusliche Betreuung ihres Sohnes haben weder sie noch ihr Sohn als problematisch empfunden. (...) Weder Christine Lehder noch ihre Kinder verbinden mit dieser Betreuungssituation negative, sondern im Gegenteil positive Erinnerungen." Frau Schmidt ist sich scheinbar gar nicht bewußt, daß eine so massive Förderung der Frauenarbeit durch die staatliche Hand bedeutet, das menschliche Leben ganz der Wirtschaft und dem Produktionsprozeß zu unterwerfen, in dem sogar die Betreuung und Erziehung der Kinder von angestellten Arbeitskräften verrichtet werden. Zu allen Zeiten haben Frauen gearbeitet; Beispiele findet man schon in der Bibel. Doch die Entscheidung darüber lag in der Familie, und es war nicht der übermächtige Staat, der das künstlich gefördert hat.

Eine bessere Familienpolitik wäre es wohl, die Familien drastisch steuerlich zu entlasten, damit sie selber entscheiden können, wie sie ihre Kinder erziehen wollen: zu Hause oder außerhalb, in einer privaten oder in einer staatlichen Einrichtung. Das Vorhaben der gegenwärtigen Regierung, staatliche Kinderkrippen und Ganztagsschulen einzurichten, läßt den Familien keine Freiheit mehr, denn Mütter, die berufstätig sein wollen oder müssen, kommen in den ökonomischen Genuß der staatlichen Einrichtungen und können gleichzeitig ihr Geld verdienen. Mütter, die ihre Kinder lieber selbst erziehen wollen, gehen hingegen doppelt leer aus: Sie bekommen weder Arbeitslohn noch den Nutzen der staatlichen Einrichtungen, die sie durch die Steuern mitbezahlen müssen. Kein linker Politiker gibt zu, daß hier eine Bevölkerungsgruppe diskriminiert, ja regelrecht ausgebeutet wird.

Von mehr finanziellem Spielraum für Familien, damit diese selber entscheiden können, wie sie ihre Kinder erziehen wollen, hält Frau Schmidt nichts. Das Modell eines "Erziehungsgehalts", das den Familien den benötigten finanziellen Freiraum verschaffen soll, ist offenbar nicht emanzipatorisch genug: "Kurz gefaßt, setzt die Idee des Erziehungsgehaltes unserer Meinung nach grundsätzlich am falschen Ende an: Anstatt auf eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinzuwirken, wird durch vorgespiegelte finanzielle Anreize ein Ausstieg aus der Arbeitswelt gefördert. Den richtigen Weg sehen wir in Rahmenbedingungen, die Familien tatsächlich Wahlfreiheit eröffnen und verschiedenste Formen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern, damit eine Partizipation aller Familienmitglieder an allen gesellschaftlichen Bereichen möglich ist." Gleichzeitig behauptet sie beinahe unverfroren: "Männer und Frauen wollen keine Vorgaben oder Vorschriften, wie sie leben wollen, sondern die richtigen Rahmenbedingungen, damit sie leben können, wie sie es wollen."

Es ärgert die Familienministerin, daß es in Deutschland wenig Bereitschaft gibt, sich den angeblich modernen Zuständen anzupassen und eine umfassende Betreuung für Kinder ab dem Säuglingsalter einzurichten. Der Grund für diese "altmodische" Einstellung der Deutschen ist schnell gefunden. Renate Schmidt übernimmt das Erklärungsmuster einer Geschäftsführerin für ein "Familienservice", die wieder einmal die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands verantwortlich macht: "Es sind gerade die Länder, einschließlich Japans, die eine faschistische Vergangenheit haben, die heute die Vereinbarkeit von Familie und Beruf am wenigsten konsequent unterstützen und die immer wieder mit familialistischen Modellen kokettieren: Deutschland, Österreich, Spanien, Italien, Japan." Das ist die gewohnte Manier linker Politiker, ihre abstrusen ideologischen Modelle der Gesellschaft aufzuzwingen. Nach dem Motto: "Wer gegen mich ist, ist faschistoid."

Ulla Schmidt behauptet, daß Kinder grundlegend anders erzogen werden müssen, damit die Gesellschaft in Deutschland sich zum Besseren wandelt. Hauptproblem sei die Verweiblichung: "Die Kindheit von Mädchen und Jungen ist verweiblicht. Den größten Teil des Tages sind für Kleinkinder die Mütter, Omas oder die Tagesmütter Bezugspersonen. In den Kindergärten sind es Erzieherinnen, hin und wieder verirrt sich ein einzelner Erzieher oder ein Zivi dorthin. In der Grundschule unterrichten zu mehr als 90 Prozent Lehrerinnen. Erst an den weiterführenden Schulen rücken Männer wieder in den Gesichtskreis von Kindern und Jugendlichen. Bis zu diesem Zeitpunkt sind aber Verhaltensweisen längst festgelegt, haben sich die Geschlechter längst in ihren jeweiligen Rollen orientiert."

Das soll möglichst rasch geändert werden. Die Schule, also der Staat, soll die Kinder aufklären: "Es muß also in der Schule zu Partnerschaft erzogen und über sie geredet werden: über familiäre Konfliktlösungsmöglichkeiten genauso wie über die unterschiedlichen Erwartungen von Mädchen und Jungen an eine Partnerschaft. Über die Aufteilung von Familien- und Hausarbeit genauso wie über das Wichtigste überhaupt: Was Liebe ist, wie Vertrauen und Bindung entstehen und halten. (...) Darüber zu reden, in der Schule und in der Familie, ist mindestens ebenso wichtig wie die Aufklärung über Sexualität, über die junge Leute heute Gott sei Dank mehr wissen als zu meiner Zeit."

Ist das nicht beinahe grotesk? Zunächst will sie die Kinder so schnell wie möglich aus ihrem Heim weglocken um sie dann in den Schulen über Liebe und Partnerschaft zu indoktrinieren. Was gelehrt werden soll, steht fest: "Familie wird heute in vielfältiger Form gelebt. (...) Für uns haben alle Formen von auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften Anspruch auf Schutz und Rechtssicherheit. Wir werden ein Gesetz gegen Diskriminierung und zur Förderung der Gleichbehandlung (unter anderem mit der Einführung des Rechtsinstituts) der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit Rechten und Pflichten auf den Weg bringen. Die Empfehlungen des Europäischen Parlaments zur Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen werden berücksichtigt. Wir werden eine gesetzliche Regelung schaffen, die die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten verbessert." (Aus dem rot-grünen Koalitionsvertrag von 1998). Die Schule wird damit, wie häufig im Falle der Sexualerziehung, vor allem zum ideologischen Feind von christlichen Eltern.

Man kann die Auffassungen von Ulla Schmidt durchaus im Zusammenhang mit ihrer eigenen Biographie sehen. Auch diese ist in gewisser Weise paradigmatisch. Als die 18jährige schwanger wird, heiratet sie den Vater des Kindes und muß manche Entbehrung auf sich nehmen. Das will sie offenbar anderen Frauen unbedingt ersparen.

Auch in ihrem Buch spricht sie offen über eigene Erfahrungen: "Als ich mich so zwei Jahre nach dem Tod meines Mannes in einen anderen Mann verliebte und wir auch zeitweise zusammenlebten, erfuhr ich zumindest in Ansätzen, was es heißt, in einer Stieffamilie zu leben. Eifersucht des neuen Partners auf die Kinder und teilweise umgekehrt und das gegenseitige Unverständnis für unterschiedliche Lebensstile und -erfahrungen. Diese Beziehung scheiterte - aus verschiedenen Gründen, nicht aber an der Familiensituation. Danach begann die neue WG-Phase, ohne den älteren Sohn und seine Freundin, sondern mit dem jüngsten Sohn und anderen wechselnden Bewohnern und Bewohnerinnen." Diesen Lebensstil hat Schmidt auch dann nicht geändert, als sie Bundestagsabgeordnete geworden war: "Und ich habe in wechselnden Wohngemeinschaften mit meinen Kindern und ihren Freunden und Freundinnen gelebt, bis 1991 die 'Familienphase' für mich endlich und auch mit einer gewissen Erleichterung zu Ende gegangen ist."

Frau Schmidt behauptet also von sich selbst, die gesellschaftliche Realität gut zu erfassen. Doch ist sie mit dem typischen linken Utopismus behaftet, der durchaus gefährlich ist. Sie meint, daß man die Mentalität der Deutschen verändern müsse: "Daß sich vor allem in den Köpfen, insbesondere der westdeutschen Bevölkerung und insbesondere in ihrem männlichen Teil, etwas ändern muß." Sie bedauert, daß Frauen bisher besser in der Lage sind, sich um Kinder zu kümmern, und will das ändern. Frauen seien in gewisser Weise falsch programmiert: "Das heißt, Mütter haben, selbst wenn sie berufstätig sind, eine Abteilung im Kopf, in der gespeichert ist, wann die Kinder zur nächsten Tetanusimpfung müssen, wann Elternsprechtag ist, wann wer in der Familie Geburtstag hat und was diejenigen sich wünschen, daß endlich mal wieder die Schwiegereltern einzuladen sind, daß im Kühlschrank Eier, Butter und Joghurt fehlen, daß der Zahnarzttermin nicht verpaßt werden darf und die Sachen aus der Reinigung geholt werden müssen."

Erstaunlich ist, daß die Ministerin sich dennoch Sorgen macht, daß keine Kinder mehr auf die Welt kommen. Denn für sie sind Kinder beinahe überflüssig geworden: "Mit der Industrialisierung hat das Kinderhaben den materiellen Nutzen eingebüßt. Dem Aufwand für Kinder - an Zeit für Erziehung, an Unterhalt und, neu, für Bildung - steht nur noch der 'emotionale Nutzen' gegenüber. Das gilt heute verstärkt für unsere Gesellschaft, in der Internationalisierung und Globalisierung den Alltag der Menschen mitbestimmen. (...) Die Konsequenz aus diesen Entwicklungen ist ein beständiger Geburtenrückgang in allen westlichen Industrienationen - natürlich unterstützt durch moderne Verhütungsmethoden." Kinder haben "nur noch einen emotionalen Nutzen", mehr nicht.

So ist die Forderung nicht erstaunlich, daß man alles tun muß, um die Frauen in den Produktionsprozeß einzugliedern, damit sie nicht entfremdet leben. Das ist noch das alte marxistische Menschenbild. Hier übernimmt Frau Schmidt beispielsweise die Thesen des Neomarxisten Wilhelm Reich, der ankündigte, mit der kommunistischen Revolution würde die Familie überflüssig werden. Doch Weltrevolution und neuer Mensch blieben aus. Und die "offenen Lebensformen" bringen zunehmend unkonzentrierte, desinteressierte, bewegungsunlustige oder gar seelisch gestörte Kinder hervor. Darüber können auch schöne Worte nicht hinwegtäuschen.

 

Mathias von Gersdorff ist zweiter Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für eine Christliche Kultur (DVCK) und Leiter der Aktion "Kinder in Gefahr".


 
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