© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/03 21. März 2003

 
Nachtreten mit Stahlkappen
Kriminalität: Berlins sozialdemokratischer Innensenator Körting kürte Berlin offiziell zur Hauptstadt des Verbrechens
Oliver Morenow

Berlins Innensenator Erhart Körting (SPD) hat vergangene Woche die polizeiliche Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2002 vorgestellt. Mit 584.020 bei der Polizei bearbeiteten Straftaten belegt Berlin gemessen an seiner Einwohnerzahl nun den ersten Platz im Vergleich mit den anderen Bundesländern.

Das bedeutet insgesamt einen Anstieg von 2,1 Prozent. Die Aufklärungsquote sank im Jahre 2002 auf 49,8 Prozent. Die von vielen Seiten prognostizierte Spitzenposition als Hauptstadt des Verbrechens hat sich nun bewahrheitet. Der Berliner Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Eberhard Schönberg, konnte gegenüber der Berliner Zeitung seinen Unmut kaum bändigen: "Nun rächt sich, daß seit 1992 bei der Berliner Polizei 7.000 Stellen gestrichen wurden."

Damit dürfte der politische Schlagabtausch eröffnet sein. Die Zahlen bringen insbesondere Innensenator Körting in Schwierigkeiten. Die massiven Einsparungen im Sicherheitsbereich sind kaum noch zu rechtfertigen. Denn vor allem der Bereich Straßenkriminalität verzeichnete einen deutlichen Anstieg. 70.391 Rohheitsdelikte (das ist ein Zuwachs von 4.519 Delikten), wie beispielsweise Körperverletzung, Bedrohung und Raubtaten, sind Ergebnis einer gescheiterten Polizeireform, die eigentlich für mehr "Grün" auf der Straße sorgen sollte, tatsächlich aber die Schutzpolizisten an den Bürostuhl fesselt.

148 Sexualdelikte in den Berliner Bussen und Bahnen

Einen Tag später zog Innensenator Körting die Konsequenzen, wie sie wohl einmalig in der deutschen Politik sein dürften. Statt der Entwicklung etwas entgegenzusetzen, verkündete der Innensenator, weitere 70 Stellen im Bereich der öffentlichen Polizeipräsenz zu kurzen. Die Streichung betrifft die Dienststelle "Einsatzkommando BVG".

Hier hatten seit 1999 etwa 70 Polizisten ihren Dienst gemeinsam mit dem Personal der BVG versehen und diese unter anderem bei Fahrausweiskontrollen unterstützt. Daß diese polizeiliche Unterstützung schon allein auf Grund der Anzahl von knapp 300 S- und U-Bahnhöfen, Straßenbahn und Bus nicht mitgerechnet, vorn und hinten nicht reichen kann, ist offensichtlich. Das schlägt sich auch in den Zahlen der erfaßten Straftaten im öffentlichen Personennahverkehr nieder. Neben 6.413 erfaßten schweren Sachbeschädigungen und 4.694 Taschendiebstählen wurden in den Bussen und Bahnen Berlins im vergangenen Jahr 1.886 Körperverletzungen, 744 Raubtaten und 148 Sexualstraftaten verübt.

Der Sprecher des Berliner Fahrgastverbandes IGEB, Artur Frenzel, zeigte sich im Gespräch mit dieser Zeitung entsetzt von Körtings Entscheidung. Daß Körtings Vorstoß vom GdP-Landesvorsitzenden Eberhard Schönberg auch noch begrüßt wurde, wollte er schon nicht mehr kommentieren. "Berlins Verkehrsmittel sind eigentlich recht sicher, aber dieser Vorsprung gegenüber anderen europäischen Städten wird nun aufs Spiel gesetzt", so Artur Frenzel. Er bezeichnete es als "kurios", daß der Berliner Senat auf eigene Initiative das "Einsatzkommando BVG" 1999 aus der Taufe hob und nun die unbürokratische Zusammenarbeit zwischen BVG und Polizei wieder zerschlägt. "Gerade in Hinblick auf die geplante Erweiterung der Fahrzeiten, auch in der Nacht, ist das ein kontraproduktives Signal", klagt Artur Frenzel. Auf die Frage, ob er nun mit einem weiteren Anstieg von Straftaten im öffentlichen Personennahverkehr Berlins rechnen würde, gab sich Frenzel vorsichtig: "Eine Prognose möchte ich nicht wagen. Aber der Gedanke liegt schon nahe."

Eine Gewaltdebatte ist dringend erforderlich

Für den Pressesprecher und Geschäftsführer des Landesverbands Berlin der GdP, Klaus Eisenreich, ist das Kriminalitätsniveau der Stadt "nicht länger akzeptabel." Für ihn ist vor allem die "Gewaltintensität" das Hauptproblem. "Wenn früher das Opfer am Boden lag, ließ man von ihm ab. Heute wird aber noch mal zugetreten. Und das mit stahlbekappten Stiefeln", so Eisenreich im Gespräch mit der JF.

Der Gewerkschaftsfunktionär hält eine "langfristige Gewaltdebatte" für dringend erforderlich und sieht darin vor allem die Politik gefordert. Denn diese verschließe aus Angst vor einem Eingeständnis der Brisanz der Gewalt die Augen vor dieser notwendigen Diskussion. Und die Polizei sei schließlich von der Politik abhängig. Eisenreich sieht mittlerweile den eigentlichen Ansatz der Kriminalitätsprävention als "verlorengegangen" an. "Die Polizei hat sich vom Bürger entfernt". Dies drücke sich schon allein durch die Zusammenlegung der Polizei-Direktionen im Ostteil der Stadt aus, wodurch sie die Wege für den Bürger verlängerten. Aus diesem Grunde progonostiziert Eisenreich negative Entwicklungen für die künftige Aufklärungsquote. Der Abzug der 70 Beamten von der BVG komme einer "Kapitulation" gleich. Allerdings kritisierte Eisenreich auch, daß die Verkehrsbetriebe Personal kürzten um die Polizei deren Aufgaben übernehmen zu lassen.

Mit dem Abzug der Polizeibeamtenaus den öffentlichen Verkehrsmitteln hat Körting einen weiteren Schritt der Kapitulation vor der Kriminalität vollzogen. Berlin wird seine Stellung als Hauptstadt des Verbrechens festigen.


 
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