© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/03 21. März 2003


Frisch gepresst

Klassiker der Soziologie. Der Bamberger Soziologe Richard Münch riskiert das Wagnis eines dreibändigen Lehrbuchs der Soziologie und liefert zum Auftakt den ersten Band über die Grundlegung durch die Klassiker. Damit ist ein anderer Weg beschritten als bei dem 2000 von Dirk Kaesler und Ludgera Vogt im Kröner-Verlag edierten, höchst nützlichen Lexikon "Hauptwerke der Soziologie" (JF 7/01). Hat man bei Kaesler/Vogt Zugriff auf die gesamte Palette soziologischen Denkens, muß Münch stark selektieren und, soweit sein Unternehmen sich an Studienanfänger wendet, zu ausführlich referieren. Was die Selektion betrifft, so ist nicht ganz klar, warum mit Ferdinand Toennies einer der Gründerväter der deutschen Soziologie wegfällt, warum Karl Marx nur dreißig Seiten erhält, Emile Durkheim aber fünfzig. Ob Georg Simmel unter der Rubrik "Formale Soziologie" zutreffend eingeordnet ist, mag man bezweifeln, während der Maßstab "Rationalität" im Falle von Vilfredo Pareto gewiß ein wenig anachronistisch wirkt - diesen Denker sollte man nun wirklich nicht über den Leisten der "Diskursethik" schlagen (Soziologische Theorie. Band 1: Grundlegung durch die Klassiker, Campus Verlag, Frankfurt/M. 2002, 327 Seiten, 34,90 Euro).

Belgien. Der Blick auf Europa erfolgt in Deutschland oftmals "ohne Lesebrille". Denn genau wie der Weitsichtige zwar den Horizont, nicht jedoch die Zeilen der Zeitung zu erkennen vermag, ist die Kenntnis über Irland, Griechenland oder Portugal bei uns größer als die über Belgien. Dabei sind die politischen Verhältnisse beim EG-Gründungsmitglied seit einem Jahrzehnt in kontinuierlichem Wandel. Ähnlich wie die Schweiz verfügt die kleine Nation nämlich über kein Staatsvolk im eigentlichen Sinne, sondern über zwei große "Gemeinschaften", Flamen und Wallonen, und die kleinere deutsche Minderheit im Osten. Doch anders als die jahrhundertealte Schweizer Föderation, weist der ursprüngliche französisch-wallonisch dominierte Zentralstaat Belgien erst seit knapp einer Generation eine Ausrichtung zur föderalen Organisation auf. Nach 1993 wurden 2001 wiederholt die Staatsstrukturen in diese Richtung geändert. Die Politologen Frank Berge und Alexander Grasse untersuchen in der Reihe Regionalisierung in Europa dieses Phänomen, wobei sie das "Europa der Regionen" als geschickten Ausweg vor einem sonst drohenden Zerfall Belgiens deuten (Belgien - Zerfall oder föderales Zukunftsmodell. Leske und Budrich, Opladen 2003, 295 Seiten, 29,90 Euro).

Historisches Warschau. Die Kindheitserinnerungen Wielawa Wielands, Angehörige der deutschen Minderheit in der polnischen Hauptstadt, beschreiben auf charmant dargestellte Weise das alte Warschau vor seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und das bis dahin friedliche Miteinander von Deutschen und Polen (Es begann an der Weichsel. Geschichte einer Jugend. Universitas, München 2003, 286 Seiten, 19,90 Euro).


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