© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/03 21. März 2003

 
Dem Unrecht die Stirn geboten
Karl Wilhelm Fricke, Peter Steinbach und Johannes Tuchel stellen 56 Oppositionelle verschiedenster Strömungen des DDR-Widerstandes vor
Matthias Bath

Dreizehn Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur droht die Erinnerung an Opposition und Widerstand in der DDR ebenso in Vergessenheit zu geraten, wie die an den Widerstand gegen das NS-Regime in den fünfziger Jahren. Dem entgegenzuwirken ist Anliegen des in der Beckschen Reihe erschienenen Buches, das beispielhaft 56 Lebensbilder von Menschen vorstellt, die sich nach 1945 im sowjetischen Besatzungsgebiet beziehungsweise nach 1949 in der DDR gegen die dort entstandene Herrschaft aus politischer Gegnerschaft aufgelehnt und Widerstand geleistet haben.

Bemerkenswert ist, daß als Herausgeber mit Peter Steinbach und Johannes Tuchel auch zwei Wissenschaftler zeichnen, die sich bislang ausschließlich der Geschichte des deutschen Widerstandes vor 1945 gewidmet haben. Wohltuend fällt auch die Offenheit der Gesamtdarstellung auf, die sich nicht selektiv einzelnen Strömungen des Widerstandes gegen die kommunistische Gewaltherrschaft widmet, sondern stattdessen die Vielschichtigkeit des Widerstandes belegt, der aus den unterschiedlichsten Lagern nahezu des gesamten politischen Spektrums gespeist wurde. Die Portraits beschreiben bekannte und weniger bekannte Persönlichkeiten, von denen viele Jahre ihres Lebens in kommunistischen Zuchthäusern wenn nicht gar ihr Leben selbst verloren haben. Im Zuge der kommunistischen Gleichschaltung waren auch Parlamentarier und andere hochrangige Politiker von CDU und LDP nicht vor dem Zugriff des stalinistischen Unterdrückungsapparates geschützt. Beispielhaft stehen hierfür die Portraits von Hermann Becker, Helmut Brandt, Ewald Ernst, Arno Esch, Manfred Klein, Erwin und Charlotte Köhler, Wolfgang Natonek, Günter Stempel und Georg Wrazidlo.

Angesichts dessen war es nicht verwunderlich, daß sich Widerstand gegen die entstandene kommunistische Diktatur auch auf Organisationen außerhalb der DDR stützte, sei es das Ostbüro der SPD, der Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen, die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit oder der Bund Deutscher Jugend, wofür die Lebensbilder von Sozialdemokraten wie Gerhard Hasse, Paul, Hermann und Dorothee Kreutzer, Dieter Ricke, Gerhard Weck, aber auch von Walter Linse, Hans-Joachim Schiebel, Gertrud Scholz, Gerhard Benkowitz und Elisabeth Graul stehen.

Ebenso vielschichtig wie der eigentliche Widerstand waren auch die Wege derjenigen, die nach der Konfrontation mit dem SED-Staat in den Westen Deutschlands gelangten. Nicht jeder fand reibungslos seinen Platz in der Bundesrepublik. Viele Widerständler aus der DDR blieben auch hier unangepaßt, sei es, daß sie sich von den geänderten Prioritäten der Entspannungspolitik überrollt sahen oder aber auch Gefahren eines "totalitären Antitotalitarismus" im Westen empfanden.

Für die Leser der JF von besonderem Interesse dürfte das von dem Präsidenten des früheren Gesamtdeutschen Instituts, Detlef Kühn, verfaßte Portrait des Philosophen Günter Zehm sein, der 1957 als Hochschulassistent in Jena wegen sogenannter "Boykotthetze" zu vier Jahren Zuchtbaus verurteilt worden war und kurz vor dem 13. August 1961 nach West-Berlin flüchtete. Es bleibt nicht unerwähnt, daß die publizistischen Möglichkeiten des Nationalliberalen Zehm auch in der Bundesrepublik zunehmend beschnitten wurden, so daß er heute in erster Linie den Lesern der JUNGEN FREIHEIT vertraut ist.

Den Leser vor allem nachdenklich stimmen sollte allerdings, daß im Zuge des sogenannten "Aufstandes der Anständigen" des Jahres 2000 auch versucht wurde, den nunmehrigen Professor an der Universität Jena wegen angeblicher "rechtsradikaler Äußerungen" in der JUNGEN FREIHEIT aus dem Amt zu jagen. Diejenigen, die dies - freilich vergebens - betrieben, stehen gedanklich denen, die 1957 für die Verfolgung Zehms verantwortlich waren, wohl nicht allzu fern. So gesehen bleibt auch der "totalitäre Antitotalitarismus" dreizehn Jahre nach dem Ende der DDR eine weiterhin virulente Gefahr, denn totalitäres Denken ist nicht zwangsläufig auf Nationalsozialismus oder Kommunismus beschränkt.

Karl Wilhelm Fricke, Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrgb.): Opposition und Widerstand in der DDR; Politische Lebensbilder. Verlag C. H. Beck, München 2002, broschiert, 375 Seiten, 14 Euro


 
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