© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/03 28. März 2003

 
Wunderwaffe gegen jede Panzerung
Uran-Munition: Gefahr gesundheitlicher und ökologischer Langzeitschäden / Einsatz schon im ersten Golfkrieg und in Serbien
Michael Waldherr

Es ist wieder Krieg am Golf - und die US-Amerikaner greifen höchstwahr-scheinlich auch diesmal auf "Bewährtes" zurück: Sogenannte DU-Munition aus abgereichertem Uran (Depleted Uranium) gehört dazu. Sie ist um ein Mehrfaches schwerer als Stahl und kann so gehärtet werden, daß die Projektile nahezu jede Panzerung wie Butter durchschlagen. In größerem Maßstab wurde sie erstmals im Golfkrieg von 1990/91 "mit großem Erfolg" eingesetzt.

Alleine die US-Erdkampfflugzeuge A-10 "Thunderbold" mit ihrer siebenläufigen Gatling-Bordmaschinenkanone und britische "Harrier"-Jets verschossen 850.950 Schuß DU-Munition im Kaliber 30 oder 25 Millimeter. Dies entspricht einem Gesamtgewicht von 268 Tonnen uranhaltiger Munition. Amerikanische "Abrams"- und britische "Challenger"-Kampfpanzer feuerten 9.640 DU-Granaten vom Kaliber 120 Millimeter mit einem Gesamtgewicht von 56 Tonnen ab. Auch beim Angriff auf Serbien 1999 wurde DU-Munition verwendet.

Mißbildungen, Leukämiefälle und "Golfkriegssyndrom"

Seitdem gibt es Streit um die ökologischen Schäden durch Uran-Munition und die Gefahr, die das Schwermetall für Menschen darstellt. Während Nichtregierungsorganisationen eine großflächige radioaktive Verseuchung sehen, sind sich Wissenschaftler bislang noch nicht einig. "Munition mit abgereichertem Uran stellt keine Gefahr für die Umwelt oder die Gesundheit von Menschen dar", behauptet Oberst James Naughton vom US-Verteidigungsministerium. Der Pentagon-Gesundheitsexperte Michael Kilpatrick erklärt: "Uran in abgeschwächter Form ist um 40 Prozent weniger radioaktiv als in seiner natürlichen Beschaffenheit."

Der Irak hingegen hat den USA vorgeworfen, mit dem Einsatz von Uranmunition im Golfkrieg von 1991 schwere Gesundheitsprobleme im Süden des Landes verursacht zu haben. In der Geburts- und Kinderklinik von Basra sind die mutmaßlichen Folgen des DU-Einsatzes zu sehen. "Heute gibt es sechs- bis siebenmal mehr Mißbildungen und Fehlgeburten als vor dem Krieg von 1991. Doch nicht nur die Zahl hat zugenommen, auch die Schwere der Fälle. Außerdem gibt es neue, bis dato unbekannte genetische Fehlbildungen", erklärt Klinikdirektor Amer Al-Jaberi. Dasselbe gelte für Krebs. Die Fälle häuften sich, seien schwerer, die Tumore aggressiver.

Josef Sayer, Geschäftsführer des im Irak tätigen katholischen Hilfswerks Misereor, bestätigt: "Wenn im Südirak ein Kind geboren wird, fragt die Mutter als erstes, ob es irgendwelche Mißbildungen hat." Sayer glaubt, die dramatisch angestiegenen Leukämiefälle wie auch die Mißbildungen im Südirak seien auf den Einsatz uranhaltiger Munition durch die US-Truppen vor zwölf Jahren zurückzuführen.

Die Nutzung von DU-Munition im Golfkrieg 1991 gilt als eine der Ursachen für das "Golfkriegssyndrom": Tausende britische, kanadische, französische und US-Soldaten hatten nach ihrem Einsatz gegen den Irak über Muskelschmerzen, chronische Müdigkeit, Schwindelgefühle, Konzentrationsprobleme und Depressionen geklagt. "Mehr als 560 britische Soldaten sind seit ihrem Einsatz 1991 gestorben, viele von ihnen aufgrund des Golfkriegssyndroms", erklärt Shaun Rusling, der Vorsitzende des britischen Vereins der Golfkriegsveteranen. Wenn er vom "Dank des Vaterlandes" hört, wird ihm schlecht.

Abgereichertes Uran entsteht bei der Herstellung von Brennstäben für Kernkraftwerke. Dabei werden die beiden im Natururan enthaltenen Isotope U235 und U238 getrennt. Für die Verwendung als Brennstoff eignet sich ausschließlich das Isotop U235, das im Natururan nur zu 0,71 Prozent enthalten ist. 99,28 Prozent hingegen sind U238, das als Abfall anfällt. Die USA lagern nach Angaben des US-Energieministeriums rund 500.000 Tonnen abgereichertes Uran.

Bundeswehr verwendet Wolfram-Penetratoren

Im militärischen Bereich gilt dieses Material als "Wunderwaffe" gegen jedwede Panzerung. Der von einer Panzerkanone oder einer Maschinenkanone abgeschossene Uran-Pfeil trifft mit etwa dreifacher Schallgeschwindigkeit auf die Stahlplatten. Dabei schärft sich der Pfeil aufgrund der besonderen Eigenschaften von Uran noch zusätzlich und heizt sich auf mehrere tausend Grad auf. Sobald der DU-Pfeil nach dem Durchdringen der Panzerung wieder mit Luft in Berührung kommt, verbrennt das, was vom DU nun in flüssiger Form oder als Pulver vorhanden ist, und vergrößert so die Zerstörungswirkung: Treibstofftank und die im Panzer vorhandene Munition können explodieren. Rund zehn Prozent des DU verwandelt sich bei der Penetration in ein feines Aerosol. Das kann in geschlossenen Räumen in relativ hohen Konzentrationen einige Zeit in der Luft bleiben. Der ins Freie gelangende Anteil wird rasch verdünnt und verfliegt. Der Rest des DU-Geschosses bleibt in Form von metallischen Bruchstücken im Panzer oder in der näheren Umgebung liegen, wie auch Geschosse, die ihr Ziel verfehlt haben.

Selbst Militärwissenschaftler warnen vor direktem Hautkontakt mit DU-Munition. Sie räumen ein, daß das Einatmen von DU-Aerosolen den "kritischen Pfad" zum Menschen darstellt. Eine akute Beeinträchtigung der Gesundheit sei nach ihrer Ansicht nur aufgrund der Giftigkeit von Uran zu befürchten, und dies auch nur nach Aufnahme von größeren Mengen in löslicher Form. Anders sehe es bei Soldaten aus, die dem Material viel stärker ausgesetzt sind. Lokale Strahlungsbelastungen besonders in den Nieren, aber auch anderen Gewebeteilen, könnten das Krebsrisiko steigern.

Die deutsche Bundeswehr verzichtet ganz bewußt auf DU-Munition und setzt statt dessen auf Wolframschwermetall-Penetratoren. Deren Wirkung im Ziel ist gleich, doch die Herstellung ist aufwendiger und teurer. Schon aus Kostengründen entscheiden sich die militärischen Beschaffer aus USA und Großbritannien für DU-Munition. Weil das Rohmaterial für die Uranmunition nahezu unbegrenzt vorhanden ist, wird es so "einer neuen Verwendung zugeführt". Zyniker sprechen vom "anglo-amerikanischen Recycling".


 
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