© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/03 04. April 2003


Das Ende der Illusionen

Der Irak-Krieg wird die politischen Gewichte in der Welt verschieben
Alexander Griesbach

In diesen Tagen ist oft davon die Rede, daß die Welt nach dem Krieg gegen den Irak eine andere sein wird. Wenn nicht alles täuscht, muß beispielsweise die bisher sorgfältig gepflegte Fiktion von der Uno als einer internationalen Völkergemeinschaft, die vom Geist des gegenseitigen Respekts getragen wird, zu Grabe getragen werden. So erklärte vor kurzem der als "neokonservativer Falke" gehandelte Richard Perle, einer der wichtigsten Berater von US-Präsident George W. Bush: "Gott sei Dank, daß die UN tot ist. Deren verachtenswerte Fehlentscheidungen haben der Welt nur Anarchie gebracht. Die Welt aber braucht Führung und Ordnung." Wer dafür zu sorgen hat, versteht sich von selbst: die USA.

Das neue Jahrhundert, so fährt Perle an einer anderen Stelle seiner Ausführungen fort, die in der britischen Zeitung The Guardian abgedruckt wurden, stelle derzeit die Hoffnungen auf eine Neue Weltordnung in Frage. Der fanatische Terror werde nicht eingegrenzt oder besiegt werden können, wenn der Krieg nicht in jene Territorien getragen werde, von denen dieser ausgehe. Dies schließe den Einsatz von militärischer Gewalt gegen Staaten ein, die Terroristen beherbergten. "Die gefährlichsten Staaten sind jene", erklärte Perle, "die Massenvernichtungswaffen besitzen. Der Irak ist einer dieser Staaten. Es gibt aber noch andere."

Die hier aufgebotenen Argumente werden dieser Tage auch in Deutschland von Befürwortern der US-Politik hergenommen, um den Krieg gegen den Irak zu begründen. Sie dienten US-Präsident Bush auch in seiner kurzen Rede, die er am 17. März diesen Jahres hielt, zur Rechtfertigung für einen Krieg gegen das Regime von Saddam Hussein. "Das irakische Regime besitzt und verbirgt weiterhin einige der tödlichsten Waffen, die jemals ausgedacht wurden", so Bush. Wohl selten ist ein Präventivkrieg mit fragwürdigeren Beweisen gerechtfertigt worden. Die Washington Post berichtete einen Tag vor der Rede Bushs von einem "hochgestellten Geheimdienstanalysten", der darauf hinwies, daß die Waffeninspektoren deswegen keine Waffenlager fänden, "weil es vielleicht so gut wie keine Waffenvorräte gibt".

Bush behauptete weiter, daß Saddam Hussein Terroristen, darunter al-Quaida-Mitgliedern, geholfen und diese beherbergt habe. Die ständige Beteuerung, daß es eine Allianz zwischen al-Quaida und dem Irak gebe, ist der durchsichtige Versuch, Saddam Hussein mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in Verbindung zu bringen. Auch für diese Behauptung gibt es bis heute keinen einzigen nachprüfbaren Beweis.

Dennoch ist es der Regierung Bush gelungen, die Empörung und den Zorn der US-Amerikaner über Osama bin Laden auf Saddam Hussein umzulenken. Diese Propagandaleistung kann schon jetzt für sich beanspruchen, zu den größten Coups der politischen Öffentlichkeitsarbeit gezählt zu werden. Wie erfolgreich diese Strategie ist, zeigt das Ergebnis einer jüngst in den USA durchgeführten Meinungsumfrage. Jeder zweite Amerikaner glaubt inzwischen, daß Saddam Hussein für die Anschläge des 11. Septembers 2001 verantwortlich sei.

Zu den abstoßendsten Erscheinungen dieses Krieges gehört das religiöse Tremolo, mit dem Bush jr. den Kreuzzug gegen den "Menschenfeind" Saddam Hussein religiös überhöht. Der US-Präsident suggeriert, über einen direkten Draht zu Gott zu verfügen. Danach hat Gott die USA auserwählt, die Welt zu retten. Er hat weiter bestimmt, daß Israel der verlängerte Arm der amerikanischen Nahostpolitik sei. Jeder, der Zweifel an dieser Auserwähltheit äußert, wird entweder für antisemitisch oder für antiamerikanisch erklärt. Oder ihm wird vorgeworfen, mit dem Feind selbst zu sympathisieren.

George W. Bush hat aber noch einen anderen, einen sehr persönlichen Grund, an Saddam Hussein Rache zu nehmen. 1993 bereiste sein Vater, George Bush sen., das befreite Kuwait, um den Dank der Befreiten entgegenzunehmen. Bekanntermaßen kam es bei diesem Besuch zu einem Mordanschlag auf den Ex-Präsidenten. Bis heute glaubt die CIA, daß der Drahtzieher hinter diesem Mordanschlag Saddam Hussein höchstselbst war.

Es ist diese Mischung aus krudem Auserwähltheitsglauben und Sendungsbewußtsein, die in kurzer Zeit zu einem politischen Scherbenhaufen geführt hat. Führen wir uns die Bestandteile dieses Scherbenhaufens noch einmal vor Augen: Es ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg vom Zaun gebrochen worden. Die Vereinten Nationen samt ihrer Charta wurden in arroganter Weise für "Geschichte" erklärt. Die Waffeninspekteure durften eine Schmierenkomödie aufführen, bis der Aufmarsch am Golf beendet war. Die Europäische Union (einschließlich der EU-Kandidaten) wurde von US-Verteidigungsminister Rumsfeld in ein "altes" und "neues" Europa gespalten.

Kann die Kritik an diesem Vorgehen einfach als "Antiamerikanismus" vom Tisch gewischt werden? Es gehört nicht viel Prophetie dazu, wenn man feststellt, daß der Schaden, der den internationalen Organisationen, der Staatenwelt und dem Völkerrecht durch die Bush-Regierung zugefügt worden ist, den USA noch erhebliches Kopfzerbrechen bereiten wird. Die Kritik Frankreichs, Deutschlands und anderer Staaten an der Politik der US-Administration ist vor diesem Hintergrund mehr als berechtigt. Soll dies alles nur Antiamerikanismus sein? In Deutschland jedenfalls gibt es keinen Antiamerikanismus. Die Kritik richtet sich gegen das, was die Regierung Bush tut und nicht gegen das, was Amerika ist.

Mit der Invasion des Iraks ist die Büchse der Pandora geöffnet worden. Dem Nahen und Mittleren Osten droht eine nachhaltige Destabilisierung. In weiten Teilen der islamischen Welt werden die USA inzwischen als Hauptfeind angesehen. Nur als weltfremd kann die Ankündigung Bushs bewertet werden, im Irak eine Demokratie etablieren zu wollen, die beispielgebend für die gesamte Region werden solle.

Vor allem aber steht die Frage im Raum, wie es nach einem vermutlich erfolgreichen Krieg gegen den Irak weitergehen soll. Der Iran, Syrien und der Libanon unterstützen Organisationen, die auf der Terrorliste der USA stehen. Soll auch diesen Staaten der Krieg erklärt werden? Und was wird aus den Palästinensern? Hat die Bush-Administration der Regierung von Ariel Scharon eigentlich hinreichend klargemacht, daß eine Vertreibung der Palästinenser nicht länger hingenommen werden kann?

Die Welt wird nach diesem Krieg in der Tat eine andere sein. Wir sind Zeugen der allmählichen Auflösung der transatlantischen Partnerschaft zwischen dem "alten" Europa und den USA. Allein diese Entwicklung wird für einen politischen Paradigmenwechsel sorgen.


 
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